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Archiv "Die Bedeutung der Ballaststoffe für die Behandlung gastroenterologischer Erkrankungen" (26.03.1982)

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Ballaststoffe sind zur Zeit weltweit die meist diskutierten und unter- suchten Nahrungsbestandteile. Zu geringer Verzehr soll die Entstehung einer Vielzahl von Erkrankungen be- günstigen. Eine ballaststoffreiche Diät wird in zunehmendem Maße zur Therapie, insbesondere gastroente- rologischer Erkrankungen, empfoh- len. Noch vor wenigen Jahren wur- den Ballaststoffe in Lehrbüchern der Ernährungsphysiologie kaum er- wähnt, und bei der diätetischen Be- handlung von Erkrankungen der Ga- strointestinalorgane galt es — ob- wohl Begründungen hierfür in der Regel nicht angegeben werden konnten —, die unverdaulichen Nah- rungsbestandteile soweit als mög- lich zu reduzieren. Im folgenden soll versucht werden, aus der bereits kaum noch zu überblickenden Lite- ratur für die Praxis Wichtiges her- auszustellen.

Was sind Ballaststoffe?

Ballaststoffe sind Bestandteile pflanzlicher Nahrung, die beim Men- schen von Enzymen des Gastrointe- stinaltraktes nicht, von der Intesti- nalflora hingegen zum Teil abgebaut werden. Unter dem Sammelbegriff Ballaststoffe wird eine Vielzahl che- misch unterschiedlicher Substanzen mit nicht einheitlichen chemisch- physikalischen Eigenschaften und folglich sehr unterschiedlichen Ef-

fekten im Gastrointestinaltrakt zu- sammengefaßt. Die quantitativ wich- tigsten und hinsichtlich ihrer Funk- tion auf die Gastrointestinalorgane am besten untersuchten sind Zellu- lose, Hemizellulose, Pektin und Li- gnin (1, 2)*). Von den Synonyma

„Ballaststoffe", „Faserstoffe" und

„Pflanzenfasern" — keine der Be- zeichnungen wird dem Inhalt in vol- lem Maße gerecht — setzt sich der erstgenannte Begriff im deutsch- sprachigen Schrifttum durch. Im englischen Sprachbereich hat sich, trotz einer seit Jahren laufenden Dis- kussion (6), der Begriff „dietary fi- ber" durchgesetzt. Zur Gruppe der Ballaststoffe zählen auch pflanz- liche Hydrokolloide wie Johan- nisbrotkernmehl, Guarmehl, Carra- geen, Agar-Agar usw., die Lebens- mitteln oft zur Stabilisierung und Verbesserung der Konsistenz zuge- setzt werden, weiterhin Cutin, Wach- se usw., Substanzen, die in geringer Menge in Pflanzen enthalten sind, über deren Effekte auf die Verdau- ungsorgane jedoch nichts bekannt ist (3, 4, 5).

Noch nicht endgültig entschieden ist die Frage, ob unverdauliche Be- standteile tierischer Nahrungsmittel und die in Strukturen pflanzlicher Zellwände eingebauten unverdauli- chen Proteine mit in-den Begriff Bal- laststoffe einbezogen werden sollen und welche Bedeutung ihnen zu- kommt (26).

Ausgehend von der Hypothe- se, daß ballaststoffarme Er- nährung die Entstehung einer Reihe gastroenterologischer Erkrankungen begünstigt, werden Diäten mit hohem Bal- laststoffanteil zur Behand- lung, insbesondere beim irri- tablen Kolon, bei Divertikulo- se und bei Obstipation emp- fohlen. Während die Obstipa- tion als Indikation anerkannt ist, sind die Ergebnisse von Therapiestudien beim irrita- blen Kolon und der Diver- tiku lose noch widersprüchlich.

Die Höhe

des Ballaststoffverzehrs Der mittlere tägliche Verzehr an Bal- laststoffen wird für die Bundesrepu- blik Deutschland mit 24 g angege- ben (7). Hierbei muß berücksichtigt werden, daß als Folge der individuell unterschiedlichen Ernährungsge- wohnheiten der Ballaststoffverzehr innerhalb eines großen Bereiches schwankt. Gezielte Erhebungen an Bevölkerungsgruppen in Süd- deutschland ergaben in 17 Prozent der Fälle einen mittleren täglichen Ballaststoffverzehr von weniger als 15 g (8).

Nach Schätzungen wurden vor der Jahrhundertwende in Deutschland im Mittel etwa 30 bis 40 g Ballast- stoffe/Tag aufgenommen (9). Vege- tarier verzehren im Mittel 40 g Bal- laststoffe täglich (Literatur bei 11).

Da insbesondere seit dem Ende des 2. Weltkrieges der Energiebedarf in zunehmendem Maße durch ballast- stofffreie beziehungsweise -arme Lebensmittel wie Zucker, Fett, Fleisch und Weißmehl gedeckt wird, muß der Ballaststoffverzehr rückläu- fig sein.

Eine überwiegend ballaststoffreiche Nahrung wird in den Entwicklungs- ländern aufgenommen. Während in

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

Die Bedeutung der Ballaststoffe für die Behandlung

gastroenterologischer Erkrankungen

Heinrich Kasper

Aus der Medizinischen Klinik

(Direktor: Professor Dr. med. Kurt Kochsiek)

der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 12 vom 26. März 1982 47

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den Industrieländern im Mittel 58 Prozent der Energie durch die bal- laststofffreien Lebensmittel Fett und Zucker gedeckt werden, wird dieser Anteil für die Entwicklungsländer mit nur 8 Prozent angegeben (1 0).

Mögliche Bedeutung der Ballaststoffe für die Entstehung gastroenterologischer Erkrankungen

Bereits in der Zeit zwischen 1930 und 1940 wurde von in Afrika, Indien und ostasiatischen Ländern tätigen Ärzten darauf hingewiesen, daß sich viele der in westlichen Industrielän- dern häufigen, als sogenannte "we- stern diseases" bezeichneten Er- krankungen in den genannten Re- gionen extrem selten finden. Von diesen Beobachtungen ausgehend stellten die Engländer Burkitt, Tro- well und Painter aufgrund langjähri- ger Beobachtungen in Ostafrika die sogenannte "Dietary-fiber-Hypothe- se" auf. Sie besagt, daß der in westli- chen Industrieländern geringe Ver- zehr an Ballaststoffen die Entste- hung einer großen Zahl von Erkran- kungen, insbesondere des Stoff- wechsels und der Gastrointestinal- organe (Tabelle 1), begünstigt (12, 13, 10).

ln Untersuchungen an Bevölke- rungsgruppen in Afrika, Neusee-

land, Australien, Japan und auf den

Pazifischen Inseln konnte gezeigt werden, daß mit dem Aufgeben der herkömmlichen und der Übernahme einer westlichen Lebens- und Ernäh- rungsweise all die zur Diskussion stehenden Erkrankungen an Häufig- keit zunehmen (13). Bei der Interpre- tation dieser epidemiologischen Un- tersuchungen muß berücksichtigt werden, daß sie lediglich Hinweise auf mögliche Kausalzusammenhän- ge geben, mit ihnen jedoch nie eine Beweisführung möglich ist. Im vor- liegenden Falle ist zu berücksichti- gen, daß eine Umstellung auf eine sogenannte "westliche Ernährung"

zwar meist mit einer erheblichen Verringerung des Ballaststoffver- zehrs einhergeht, daß sich aber, wie bereits eingangs erwähnt, gleichzei-

...

Obstipation

...

Irritables Kolon

...

Hiatushernie

...

Kolondivertikulose

...

Appendizitis

...

Colitis ulcerosa

...

Morbus Crohn

...

Kolonpolypen

...

Kolonkarzinom

...

Hämorrhoiden

...

Cholesteringallensteine Tabelle 1: Erkrankungen der Gastro-

intestinalorgane, deren Entstehung mög·

lieherweise durch einen geringen Ver- zehr an Ballaststoffen begünstigt wird

tig eine Vielzahl anderer Ernäh- rungsparameter, so zum Beispiel der Verzehr von Fett, raffinierten Kohlenhydraten, insbesondere Zuk- ker, tierischem Eiweiß usw., und ei- ne Vielzahl weiterer Faktoren wie körperliche Aktivität, das Ausmaß seelisch-psychischer StreBsituatio- nen usw. ändern.

Eine gewisse Stütze erfährt die Dietary-fiber-Hypothese weiterhin durch Untersuchungsergebnisse, die gezeigt haben, daß innerhalb ei- ner Population Erkrankungshäufig- keiten mit der Höhe des Bailaststoff- verzehrs korrelieren.

So fand sich eine Kolondivertikulose in 33 Prozent bei Nichtvegetariern mit einem mittleren täglichen Bal- laststoffverzehr von 21 g, bei Vege- tariern mit einem mittleren täglichen Ballaststoffverzehr von 42 g hinge- gen nur in 12 Prozent der Fälle (14).

Eine Analyse der Ernährungsge- wohnheiten von Frauen mit Choleli-

thiasis ergab einen signifikant ge-

ringeren Verzehr von Ballaststoffen, insbesondere aus Getreideproduk- ten, im Vergleich zu einer entspre- chenden Kontrollgruppe ohne Cho- lelithiasis (16). Weiter konnte in epi- demiologischen Studien gezeigt werden, daß Gallensteine und Ko- londivertikulose überdurchschnitt- lich häufig in Kombination vorkom- men, ein Befund, der ebenfalls im Sinn der Fiber-Hypothese interpre- tiert wird (15).

Epidemiologische Studien stützen auch die Annahme, daß Ernährungs- faktoren für die seit einigen Jahr- zehnten in westlichen Industrielän- dern zu beobachtende Häufigkeits- zunahme des kolarektalen Karzi- noms verantwortlich sind (17, 27).

Welchem beziehungsweise welchen Faktoren - die Höhe der Fett-, Ei- weiß-, Ballaststoff- und Cholesterin- anteile der Nahrung werden insbe- sondere diskutiert- hierbei eine Be- deutung zukommt, ist ungeklärt.

Vergleiche der Verzehrgewohnhei- ten von Populationen mit unter- schiedlicher Kolonkarzinominzidenz (18) beziehungsweise die Analyse der Verzehrgewohnheiten von Pa- tienten mit kolarektalem Karzinom (19, 20) sprechen dafür, daß dem Ballaststoffverzehr eine Bedeutung zukommt.

Wenn auch die Mehrzahl epidemio- logischer Untersuchungen die Vor- stellung über einen Kausalzusam- menhang zwischen Ballaststoffver- zehr und der Entstehung der in Ta- belle 1 genannten gastroenterologi- schen Erkrankungen stützt, sei dar- auf hingewiesen, daß diese Befunde nicht von allen Autoren bestätigt wurden. So wurde beispielsweise in neueren Untersuchungen aus Indien und Afrika, Ländern, aus denen we- sentliche Impulse für die Dietary-fi- ber-Hypothese kamen, die von den Befürwortern der Hypothese immer wieder angeführte geringe Kolondi- vertikulosehäufigkeit nicht bestätigt (21, 22).

Neben Ergebnissen epidemiologi- scher Studien stützt auch eine Viel- 48 Heft 12 vom 26. März 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBlATT Ausgabe AlB

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Transitzeit (Stunden) 72-

24- 72- 48- 24-

48- 24-

10 20 30 40 Tage 48-

15-

(7) 10- T>

2

cif,. 15—

a

b

L

0 15-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60♦

Druckwellen mm Hg 10-

5- c

e

1 11 L "La.

15-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60 Druckwellen mm Hg 0

Darstellung 1: Intestinale Transitzeit bei 3 gesunden Versuchs- persönen. — „westliche Ernährung - mit 17 g Ballaststof- fen Tag: = ballaststoffreiche Kost (Zulage von Weizen- kleie) mit 54 g Ballaststoffen'Tag (Nach Cummings, 1978 [31]).

Darstellung 2: Die mittlere Zahl von Druckwellen Stunde im Sigma vor und nach Gabe von Weizenkleie:

a) Während der Nahrungsaufnahme, b) nach der Nahrungs- aufnahme (nach Brodribb, 1978 [33])

zahl klinischer und experimenteller Befunde die Fiber-Hypothese.

So steht außer Zweifel, daß insbe- sondere die an Hemizellulose rei- chen Ballaststoffe, wie sie sich ins- besondere in der Kleie finden, die Passagezeit im Kolon verkürzen,

„regulierend" auf die Motilität der Dickdarmwand wirken und dabei insbesondere den intraluminalen Druck senken (23, 24).

Diese Effekte beruhen auf der durch eine hohe Wasserbindung beding- ten Vermehrung des Stuhlvolumens und auf der bisher nur unzureichend untersuchten Wirkung von bakteriel- len Spaltprodukten.

Die Bedeutung des unter ballaststoff- armer Ernährung erhöhten Druckes für die Entstehung von Kolondiverti- keln wird noch unterschiedlich be- urteilt (Literatur bei 11 und 25).

Therapie

Nach Bekanntwerden der Dietary-fi- ber-Hypothese kam es sowohl zu ei- ner Rückbesinnung auf den bereits seit Jahrhunderten bekannten posi- tiven Effekt von Vollkornprodukten bei der Obstipation als auch zu um- fangreichen Untersuchungen zu der

Frage, ob Erkrankungen, deren Ent- stehung möglicherweise durch ei- nen geringen Ballaststoffverzehr be- günstigt wird (Tabelle 1), mit einer ballaststoffreichen Ernährung thera- peutisch zu beeinflussen sind. Von folgenden Effekten der Ballaststoffe auf den Gastrointestinaltrakt sind therapeutische Effekte zu erwarten.

() Stuhlvolumen und Stuhlgewicht Während die täglichen Stuhlgewich- te unter der in Industrieländern übli- chen Ernährung (western-type-diet) etwa 100 bis 150 g betragen, können sie durch den Verzehr von ballast-

stoffreichen Lebensmitteln, etwa den täglichen Verzehr von 30 g Weizenkleie, auf 180 bis 230 g täg- lich erhöht werden (Literatur bei 11 und 31).

Intestinale Transitzeit

Die Zeitspanne zwischen Verzehr und der Ausscheidung unverdauter Nahrungsbestandteile mit den Fäzes unterliegt großen Schwankungen und beträgt unter den bei uns übli- chen Ernährungsbedingungen etwa 24 bis 72 Stunden. Hiervon entfallen nur 4 bis 8 Stunden auf die Passage- zeit bis zum Zökum (Literatur bei 32). Die Transitzeit nimmt mit zuneh- mendem Stuhlgewicht ab, so daß ei- ne ballaststoffreiche Ernährung — hier kommt, wie bereits erwähnt, den hemizellulosereichen Ballast- stoffen aus Getreide eine besondere Bedeutung zu — die intestinale Pas- sagezeit verkürzt (Darstellung 1). >

Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 12 vom 26. März 1982 53

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Darstellung 3: Die prozentuale Verteilung des mittleren täglichen Ballaststoffverzehrs bei Bewohnern eines Altenheimes mit und ohne Obstipation (nach H. Kasper et al., 1981 [41])

Intraluminaler Druck und myoelektrische Aktivität des Kolons

Die sehr komplexe Steuerung der Bewegungsabläufe am Kolon wer- den in hohem Maße von Menge und Art der verzehrten Ballaststoffe mit- bestimmt. Ballaststoffe, die eine Vo- lumenvermehrung der Fäzes bewir- ken, reduzieren den intraluminalen Druck und vermindern die Anzahl der Druckwellen (33) (Darstellung 2).

Intestinale Flora

und bakterielle Abbauprodukte Bei aller Schwierigkeit, Einflüsse der Ernährung auf die Darmflora exakt zu belegen, und trotz der Wider- sprüchlichkeit vieler Befunde wird nicht bezweifelt, daß quantitative und qualitative Änderungen der Inte- stinalflora in Abhängigkeit von Art und Menge verzehrter Ballaststoffe bestehen (24, 28, 29). Bei der in westlichen Ländern üblichen Ernäh-

rung werden mehr als die Hälfte der aufgenommenen Ballaststoffe bak- teriell zu kurzkettigen Fettsäuren, Wasser, Kohlendioxyd, Wasserstoff und Methan abgebaut. Welche Be- deutung den bis zu 60 bis 70 Prozent resorbierten kurzkettigen Fettsäu- ren (Literatur bei 34, 45) für den Stoffwechsel der Kolonmukosazel- len und die Funktion des Kolons zu- kommt, ist bisher nur unzureichend bekannt (46).

Obstipation

Obwohl eine Vielzahl von Faktoren am Zustandekommen einer Obstipa- tion beteiligt sein können, kommt dem geringen Verzehr von Ballast- stoffen eine zentrale Bedeutung zu.

Die Therapie dieser Funktionsstö- rung mit ballaststoffreicher Kost, insbesondere mit Kleie, ist lange be- kannt. So weist beispielsweise Lie- big im Jahre 1859 in seinen chemi- schen Briefen darauf hin, daß kleie- reiches Brot das beste Mittel zur Re- gulierung der Darmfunktion ist.

Wörtlich ist dort zu lesen: „Die Ab- sonderung der Kleie vom Mehl ist eine Sache des Luxus und für die Ernährungszwecke schädlicher als nützlich." Bereits Anfang der 30er Jahre wurde über systematische Therapieversuche mit Weizenkleie bei der Obstipation berichtet (35), und lange vor dem allgemeinen In- teresse an der ernährungsphysiolo- gischen Bedeutung von Ballaststof- fen war bekannt, daß die intestinale Passagezeit nach dem Verzehr von Vollkornbrot kürzer ist als nach dem Verzehr von Weißbrot (36). Neuere Untersuchungen haben den be- schleunigenden Effekt von Kleie auf die intestinale Passage bestätigt.

Dieser Effekt ist am ausgeprägte- sten, wenn grobe Kleie mit einem vergleichsweise hohen Wasserbin- dungsvermögen verzehrt wird (37, 38, 39).

In zwei Studien an Gruppen älterer Menschen, bei denen die Obstipa- tion besonders häufig ist, fand sich eine direkte Beziehung zwischen der Häufigkeit der Obstipation und der Höhe des mittleren täglichen Ballaststoffverzehrs (40, 41) (Dar- stellung 3). In einer dieser Studien konnte bei rund 70 Prozent der Ob- stipierten, die in über 80 Prozent der Fälle zum Teil seit vielen Jahren re- gelmäßig Laxantien einnahmen, durch Zulage von Getreideballast- stoffen eine Normalisierung der Darmentleerung bei Absetzen der Laxantien erreicht werden (41).

Wichtig ist es, Laxantien nicht plötz- lich abzusetzen, sondern während einiger Tage bei zunehmender Do- sisreduzierung überlappend zusam- men mit der Kleie zu verabreichen.

Die zu Beginn der Therapie mit Kleie oft geklagten abdominellen Be- schwerden und Flatulenz schwinden in der Regel nach 3 bis 5 Tagen und sind kein Grund, die Behandlung ab- zubrechen. Die Dosierung erfolgt in- dividuell bei einer Anfangsdosis von 30 bis 40 g täglich.

Irritables Kolon

Bis zu 40 Prozent aller Patienten, die zur Abklärung abdomineller Be- schwerden, Störungen der Stuhlent- leerung mit Wechsel von Obstipa- tion und Diarrhöe und Schleimbei- mengungen zum Stuhl in gastro- enterologischen Ambulanzen unter- sucht werden, leiden an einem irrita- blen Kolon (Synonyma: Reizkolon, Kolonneurose, spastisches Kolon, Colitis mucosa usw.) (Literatur bei 42). Die Ursachen dieser Funktions- störung sind unbekannt. Als ätiolo- gische Faktoren wird neben psycho- neurotischen Störungen (43) insbe- sondere der geringe Ballaststoffge- halt der Nahrung (Tabelle 1) disku- tiert (44). Hiervon ausgehend wurde

in einer Reihe von Untersuchungen geprüft, ob eine ballaststoffreiche Kost, insbesondere der regelmäßige Verzehr von Weizenkleie, einen re- gulierenden Effekt auf die gestörte Kolonfunktion und damit die Sym- ptomatik des irritablen Kolons hat.

In der Mehrzahl der Studien konnte die Symptomatik durch Erhöhung des Ballaststoffanteils der Kost ge- 54 Heft 12 vom 26. März 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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mindert werden (47, 48, 49). Bei der Beurteilung der mitgeteilten Thera- pieergebnisse muß die Schwierig- keit, Plazeboeffekte bei diätetisch therapeutischen Maßnahmen auszu- schließen, berücksichtigt werden.

Kolondivertikulose

Die am meisten diskutierte Indika- tion einer ballaststoffreichen Kost ist die Kolondivertikulose. Wichtig ist es, darauf hinzuweisen, daß in der Mehrzahl der Fälle die Divertikulose asymptomatisch verläuft, daß es aber zu Komplikationen in Form der Divertikulitis, Divertikelperforation usw. in 75 bis 80 Prozent der Fälle bei der asymptomatischen Verlaufs- form kommt (Literatur bei 50). Eine Prophylaxe der oft schweren Kom- plikationen wäre somit, da die asym- ptomatische Divertiku lose in der Re- gel nicht diagnostiziert wird, nicht möglich. Bis zum Bekanntwerden der Dietary-fiber-Hypothese wurde bei der Divertikulose, ähnlich wie bei der Colitis ulcerosa, eine blande bal- laststoffarme Diät empfohlen. In ei- ner Vielzahl meist unkontrollierter Studien konnte gezeigt werden, daß die abdominellen Beschwerden, zum Teil in über 90 Prozent der Fäl- le, unter einer ballaststoffreichen Diät, insbesondere aber bei regel- mäßigem Verzehr von Weizenkleie, schwinden (Literatur bei 11 und 50).

Der Therapieerfolg stellt sich in der Regel erst nach mehreren Wochen ein. Das gleiche gilt für die Normali- sierung des intraluminären Druckes unter der genannten diätetischen Therapie (In einigen Studien konnte der positive Effekt jedoch nicht be- stätigt werden. Es kam unter Gabe von Ballaststoffen lediglich zu einer Normalisierung der Stuhlentleerung und einem Schwinden der durch Obstipation bedingten Beschwer- den) (52). — Obwohl die Ergebnisse einiger Studien dafür sprechen, daß ballaststoffreiche Ernährung die Entwicklung von Komplikationen der Divertikulose, insbesondere die Divertikulitis, vermindert, muß die- ser vorbeugende Effekt noch durch weitere kontrollierte Therapieversu- che abgesichert werden (Literatur bei 50).

Hämorrhoiden

Die allgemeine Erfahrung — exakt angelegte Therapiestudien fehlen weitgehend — hat gezeigt, daß sich Hämorrhoidalbeschwerden unter re- gelmäßigem Verzehr ballaststoffrei- cher Kost rückbilden und daß sich die Zahl notwendiger chirurgischer Interventionen reduziert (53). Eine Studie, bei der ballaststoffreiche Kost, Sphinkterotomie und Sphink- terdilatation verglichen wurden, kam hingegen zu dem Ergebnis, daß der Sphinkterdehnung der Vorzug zu geben ist (54). Während der the- rapeutische Effekt ballaststoffrei- cher Ernährung bei Obstipation, irri- tablem Kolon und Divertikulose als weitgehend gesichert gilt, ist ihr Ein- satz bei einigen anderen Erkrankun- gen des Verdauungstraktes, insbe- sondere dem Morbus Crohn, der Co- litis ulcerosa und zur Rezidivprophy- laxe von Cholesteringallensteinen nach erfolgreicher Litholyse, vorerst überwiegend spekulativ. Erste Er- gebnisse einer Langzeitbehandlung mit ballaststoffreicher Kost, arm an raffinierten Kohlenhydraten, bei Morbus Crohn verliefen positiv (55), entsprechende Therapieversuche bei Colitis ulcerosa hingegen nega- tiv (56). — Ob der von manchen Auto- ren unter Gabe von Weizenkleie nachgewiesenen Änderung der Cho- lesterin-Gallensalz-Relation in der Gallenflüssigkeit eine therapeuti- sche Bedeutung bei der Gallenstein- prophylaxe zukommt, ist noch nicht entschieden (Literatur bei 11).

Mögliche Nebenwirkungen In seltenen Fällen kann sich nach dem Verzehr sehr großer Mengen Weizenkleie, bei in der Regel unzu- reichender Trinkmenge, eine me- chanische Dickdarmobstruktion ent- wickeln (57). Als mögliche Neben- wirkungen der Langzeittherapie werden eine Mangelversorgung mit Mineralstoffen und Spurenelemen- ten diskutiert (Literatur bei 11 und 31). Ballaststoffe binden, je nach ih- rer chemischen Zusammensetzung, diese essentiellen Nährstoffe und vermindern ihre Resorption. Da bei gastroenterologischen Erkrankun-

gen insbesondere die an Phytin rei- che Weizenkleie als Ballaststoffliefe- rant eingesetzt wird, muß zusätzlich auch hierdurch mit einer Beein- trächtigung der Mineralstoffausnut- zung, insbesondere von Eisen, Kal- zium und Zink, gerechnet werden.

Trotz der genannten Möglichkeiten einer verminderten Ausnutzung von Mineralstoffen und Spurenelemen- ten scheint bei optimaler Ernährung eine Beeinträchtigung der Bedarfs- deckung wenig wahrscheinlich. Die bisher zu dieser Frage durchgeführ- ten Untersuchungen konnten keine Mangelversorgung belegen (Litera- tur bei 11).

Zusammenfassung

Ballaststoffe sind unverdauliche Be- standteile pflanzlicher Nahrung. Die Relation der Hauptbestandteile, Zel- lulose, Hemizellulose, Pektin und Li- gnin, ist je nach Herkunft unter- schiedlich. — Eine Hypothese (Dieta- ry-fiber-Hypothese) besagt, daß die Entstehung einer Reihe von Erkran- kungen, insbesondere der Gastroin- testinalorgane (Obstipation, irrita- bles Kolon, Divertikulose, Kolonkar- zinom usw.) und des Stoffwechsels (Adipositas, Hyperlipoproteinämie, Diabetes mellitus usw.) durch einen geringen Verzehr an Ballaststoffen begünstigt wird. Von dieser Vorstel- lung ausgehend wurde der thera- peutische Effekt einer ballaststoff- reichen Diät — bevorzugt wird die an Ballaststoffen reiche Weizenkleie — bei gastroenterologischen Erkran- kungen überprüft. Nach dem derzei- tigen Kenntnisstand gelten die Ob- stipation, das irritable Kolon und die Kolondivertikulose als Indikationen für eine ballaststoffreiche Diät, wo- bei der therapeutische Effekt bei den beiden letztgenannten Indika- tionen nicht in allen Studien eindeu- tig belegt werden konnte.

Literatur beim Sonderdruck

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Heinrich Kasper Medizinische Klinik der Universität Würzburg 8700 Würzburg

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