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Archiv "Frühe Nutzenbewertung von Arzneimittelinnovationen: Die Guten ins Töpfchen . . ." (11.11.2011)

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FRÜHE NUTZENBEWERTUNG VON ARZNEIMITTELINNOVATIONEN

Die Guten ins Töpfchen . . .

Seit diesem Jahr dürfen Arzneimittelhersteller nur dann höhere Preise für neue Medikamente verlangen, wenn die Mittel einen Zusatznutzen gegenüber Standardpräparaten haben. Doch darüber, was man womit vergleichen darf, um eine Überlegenheit zu bestimmen, herrscht Uneinigkeit.

D

ie Vertreibung aus dem Para- dies – die Kommentatoren griffen zu biblischen Vergleichen, um die Folgen des Arzneimittelmarkt- neuordnungsgesetzes (AMNOG) für die pharmazeutischen Unterneh- men zu beschreiben. Das Paradies war in diesem Fall Deutschland, wo die Arzneimittelhersteller – im Ge- gensatz zu fast allen anderen Län- dern – die Preise für ihre Medika- mente selbst festsetzen konnten.

Vertrieben wurden sie ausgerechnet von einem FDP-Gesundheitsminis- ter, der dieses Privileg kurzerhand abschaffte. Der Minister hieß im Dezember 2010 noch Philipp Rös- ler und erklärte: „Mit dem AMNOG haben wir das Preismonopol der Pharmaindustrie aufgebrochen.“

Seit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2011 müssen Pharma- hersteller mit den Krankenkassen über die Erstattungspreise neuer Arzneimittel verhandeln (Kasten).

Bedingung: Die Präparate müssen einen Zusatznutzen gegenüber der Standardtherapie haben, anderen- falls werden sie direkt einer Festbe- tragsgruppe zugeordnet. Dort findet man therapeutisch vergleichbare Medikamente oder solche mit ähn- lichen Wirkstoffen, deren Kosten die Krankenkassen nur bis zu einer bestimmten Höhe erstatten.

Erster Testlauf gestartet Teil eins des neuen Preisfindungs- verfahrens ist inzwischen angelau- fen: die frühe Nutzenbewertung.

Anfang Oktober legte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) seinen ersten Prüfbericht vor. Er bescheinigt dem Plättchenaggrega - tionshemmer Ticagrelor des briti- schen Pharmakonzerns AstraZeneca

einen „beträchtlichen Zusatznut- zen“ für Patienten mit Herzinfarkt ohne ST-Streckenhebungen und für Patienten mit instabiler Angina pectoris. Als nicht belegt gilt der Nutzen aber für Herzinfarktpatien- ten mit ST-Streckenhebungen, die sich einer perkutanen Intervention unterziehen müssen, und für Herz- infarktpatienten mit ST-Streckenhe- bungen, die einen Bypass erhalten.

Strittig ist in beiden Fällen die zweckmäßige Vergleichstherapie.

Dissens bei Vergleichstherapie

„Wir haben Ticagrelor in unserer Zulassungsstudie PLATO in allen Patientengruppen mit dem derzeiti- gen Therapiestandard Clopidogrel verglichen“, sagt Florian Dieck- mann, Sprecher von AstraZeneca Deutschland. Auch das Dossier zur Nutzenbewertung, das der Herstel- ler beim Gemeinsamen Bundesaus- schuss (G-BA) eingereicht hat, ba- siert auf diesen Daten. „Der G-BA aber hat Untergruppen gebildet und für einige Patienten abweichende Vergleichstherapien gewählt.“ In den letztgenannten Fällen die Gabe von Prasugrel plus ASS sowie die Monotherapie mit ASS. „Da gibt es jetzt unterschiedliche Meinungen“, so Dieckmann. Das Unternehmen hat nun die Möglichkeit, zu der Be- wertung Stellung zu nehmen. Mitte Dezember soll der G-BA dann ab- schließend über das Ausmaß des Zusatznutzens entscheiden und da- mit die Grundlage für die Preisver- handlungen zwischen AstraZeneca und dem Spitzenverband der ge- setzlichen Krankenversicherung (GKV) schaffen.

„Um das Verfahren in Gänze zu beurteilen, ist es sicherlich noch zu früh“, meint AstraZeneca-Sprecher

Dieckmann. Offen sei zum jetzigen Zeitpunkt auch, wie sich das Ergebnis der Nutzenbewertung letztlich auf die Preisverhandlungen mit den Krankenkassen auswirke. Grundsätzlich bie - ten die neuen, vom AMNOG geschaffenen Rahmenbedin- gungen aber die Möglich- keit, einen guten Ausgleich zu finden zwischen dem be- rechtigten Interesse, die Kos- ten im Gesundheitswesen un- ter Kontrolle zu halten und gleichzeitig in der Industrie Anreize für Innovationen zu schaffen. Es komme jetzt auf die konkrete Umsetzung der Gesetzesvorschriften an. „Da- bei wird sich zeigen, ob man weiterhin die alten Konfliktlini- en bedient oder das Verfahren zu einem vernünftigen Dialog entwickelt“, betont Dieckmann.

„Wir sammeln gerade unsere ersten Erfahrungen in einem ler- nenden System“, sagt dazu Jo- hann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsit- zender des GKV-Spitzenverban- des und künftiger Verhandlungs- partner der Industrie. Denn mit der frühen Nutzenbewertung und den anschließenden Preisverhandlun- gen betreten beide Parteien Neu- land. Das AMNOG, so von Stackel- berg, sei ohne Zweifel ein Schritt in die richtige Richtung. „Wir sind bei der Nutzenbewertung im europäi- schen Vergleich ja nicht Vorreiter, sondern Nachzügler.“ Diese An- sicht teilt auch Prof. Dr. rer. nat.

Gerd Glaeske. „Es musste eine Ver- änderung auf diesem Markt geben“, betonte der Arzneimittelexperte der Universität Bremen beim 10. Kon-

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11. November 2011 gress für Versorgungsforschung in

Köln. 40 Prozent der in den Jahren 1994 bis 2008 auf den Markt ge- brachten neuen Medikamente hät- ten keinen, 20 Prozent einen gering- fügigen Nutzen und nur 40 Prozent einen wirklichen Nutzen gebracht.

Jahrzehntelang hätten die Arz- neimittelhersteller darüber hinaus ihre Preise frei bestimmen können –

„ohne Mitsprache des Nachfra- gers“, sprich der Krankenkassen, kritisiert von Stackelberg. „Ich bin sicher, dass hier erhebliche Poten- ziale zu heben sind.“ Erfreulich sei ja, dass im Fall von Ticagrelor über- haupt ein Zusatznutzen festgestellt worden sei. „Ob es ein ,beträchtli- cher’ bleibt, wird man sehen“, sagt der streitbare Kassenvertreter.

Hess: auf Kritik reagiert

Der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Dr. Rainer Hess, geht davon aus, dass am 15. Dezember mit der Entscheidung zu Ticagrelor das erste Verfahren zur frühen Nutzenbewer- tung abgeschlossen wird. Doch noch seien Herausforderungen zu bewälti- gen: „Wir müssen insbesondere eine Vergleichstherapie, die der Herstel- ler nicht akzeptiert, sehr gut begrün- den können“, sagt Hess. Dafür böten aber die gesetzlichen Vorgaben und die Verfahrensordnung des G-BA ei- ne gute Entscheidungsgrundlage.

Die Kritik der Arzneimittelhersteller sei aber ernst genommen worden.

Alle im Beratungsgespräch ausge- tauschten Argumente für und gegen die vorgesehene Vergleichstherapie würden nun protokolliert; dann be- fasse sich der Unterausschuss Arz- neimittel erneut damit. So werde dem Vorbringen des Arzneimittel- herstellers weitestgehend Rechnung getragen. Doch Hess stellt auch klar:

„Ein Aushandeln der Vergleichsthe- rapie kann es nicht geben.“

Die Unzufriedenheit mit der Wahl der Vergleichstherapie führte im Fall des DPP-4-Inhibitors Linagliptin da- zu, dass der Hersteller Boehringer Ingelheim sich vorläufig gegen eine Vermarktung des Antidiabetikums in

Deutschland entschied. Zwar reichte der Konzern am 1. Oktober beim G-BA ein Dossier zur Frühbewer- tung ein, den Patienten steht das Mittel jedoch zurzeit nicht zur Ver- fügung. Zu unsicher sei der Ausgang des Verfahrens, erklärt Deutschland- Geschäftsführer Ralf Gorniak. „Wir sehen die Gefahr, dass ein Vergleich mit einer generischen Substanz dazu führen kann, dass wir auf einem völ- lig unangemessenen Preisniveau en- den.“ Vergleiche man Linagliptin statt mit anderen DPP-4-Inhibitoren mit einem Generikum, nehme man die Preisverhandlung gleichsam vor- weg, „denn unser Produkt wird dann am Preisniveau der Vergleichsthera- pie gemessen, was für uns nicht ak- zeptabel ist“. Denn das ist bei Nach- ahmerpräparaten in der Regel nied-

Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittel- markts (AMNOG), das am 1. Januar 2011 in Kraft trat, regelt die Preisbildung für neu zuge- lassene Arzneimittel neu. Es verpflichtet phar- mazeutische Unternehmer erstmals, bereits zur Markteinführung eines neuen Produkts oder bei der Zulassung neuer Anwendungsge- biete ein Dossier zum Nutzen des Präparates vorzulegen. Nur wenn ein Zusatznutzen festge- stellt wird, rechtfertigt dies einen Erstattungs- betrag, der über dem Preisniveau von Nachah- merpräparaten liegt. Das Verfahren im Einzel- nen:

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bewertet den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Hierzu gehört die Bewertung des Zusatznutzens ge- genüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie

sowie des Ausmaßes des Zusatznutzens. Der G-BA kann das Institut für Qualität und Wirt- schaftlichkeit im Gesundheitswesen oder Dritte damit beauftragen, eine Empfehlung zur Nut- zenbewertung zu erarbeiten.

Innerhalb von drei Monaten nach der Markteinführung legt der Hersteller dem G-BA für die Nutzenbewertung seines neuen Medi- kaments ein Dossier auf Grundlage der Zulas- sungsunterlagen sowie aller Studien vor, die einen Zusatznutzen im Vergleich zur vom G-BA bestimmten Vergleichstherapie belegen.

Der G-BA muss die Nutzenbewertung inner- halb von drei Monaten abschließen und das Ergebnis im Internet veröffentlichen. Innerhalb einer Frist von weiteren drei Monaten haben der pharmazeutische Unternehmer, Verbände und Sachverständige die Möglichkeit, zu der

Bewertung Stellung zu nehmen. Danach ent- scheidet der G-BA endgültig über den Zusatz- nutzen.

Wird für ein Arzneimittel kein Zusatznutzen festgestellt, wird es in die Festbetragsgruppe mit pharmakologisch-therapeutisch vergleich- baren Arzneimitteln eingeordnet. Für Arznei- mittel mit Zusatznutzen verhandeln der GKV- Spitzenverband und der Arzneimittelhersteller innerhalb von sechs Monaten einen Erstat- tungsbetrag. Können sich die Partner nicht ei- nigen, entscheidet eine Schiedsstelle.

Liegen belastbare Daten zum Zusatznutzen zum Zeitpunkt der Markteinführung noch nicht vor, kann der G-BA mit dem Arzneimittelher- steller Versorgungsstudien und die darin zu behandelnden Schwerpunkte für eine spätere Bewertung vereinbaren.

DAS SAGT DAS GESETZ

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11. November 2011 A 2373 wertung sei es ja gerade, die Spreu

vom Weizen zu trennen. Zurzeit lie- gen dem IQWiG zehn Dossiers zur Nutzenbewertung vor. Diese müs- sen jeweils die bei der Zulassung eingereichten Unterlagen enthalten sowie alle Studien, die einen Zu- satznutzen im Vergleich zu der vom G-BA bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapie belegen.

Politik soll nachbessern

„Leider wird in diesem Verfahren vieles nur durch die Brille des Ge- sundheitswesens und der Kosten- dämpfung gesehen“, kritisiert die Hauptgeschäftsführerin des Ver- bands Forschender Arzneimittelher- steller (vfa), Birgit Fischer. Es gebe kaum eine ganzheitliche Sicht auf die Dinge. Schließlich gehe es auch um die Interessen einer internatio- nal tätigen Industrie. Fischer ist seit 1. Mai Cheflobbyistin der Pharma- industrie. Sie folgte Cornelia Yzer nach, die nach Meinung vieler ihren Posten auch deshalb räumen muss- te, weil sie das AMNOG nicht ver- hindern konnte.

Doch Fischer kann dem Gesetz auch etwas abgewinnen. Wie viele

Unternehmen lehnt sie eine Nutzen- bewertung und anschließende Preis- verhandlungen nicht grundsätzlich ab. Aber: „Die Umsetzung darf nicht ausschließlich von dem Gedanken getrieben sein, die Kosten zu redu- zieren. Man muss ein Verfahren etablieren, das zu einem echten In - ter essenausgleich führt.“ Es müssten zwei wirklich getrennte Verfahren etabliert werden, fordert die vfa- Hauptgeschäftsführerin. „Die Nut- zenbewertung muss sich an rein wis- senschaftlichen Kriterien orientie- ren. Die Preisargumente können dann in den anschließenden Preis- verhandlungen zum Tragen kom- men.“ Werde einem Präparat ein Zu- satznutzen bescheinigt, müssten in den Preisverhandlungen auch die Forschungs- und Entwicklungskos- ten berücksichtigt werden. „Wenn man jetzt bei der Nutzenbewertung so tut, als könne man alles mit Gene- rika vergleichen und das auch bei den Preisverhandlungen zugrunde legt, kommt man in eine absolute Schieflage“, erklärt Fischer. Sie kriti- siert außerdem, dass in Deutschland die Anforderungen an die Dossiers zur Nutzenbewertung weit über das hinausgingen, was in anderen euro- päischen Ländern üblich sei. „Da werden die Unternehmen irgend- wann gezwungen, sich zu überlegen, ob sie ihr Produkt als erstes auf den deutschen Markt bringen – was bis- her immer der Fall war – oder erst einmal einen Bogen um diesen Markt machen.“ Nach Ansicht von Fischer ist jetzt vor allem die Politik rig. Da sich überdies das europä -

ische Ausland traditionell an den deutschen Preisen orientiere, würde damit, so die Befürchtung, eine ne- gative Preisspirale in Gang gesetzt.

„Wenn das Nutzenbewertungsver- fahren darauf hinausläuft, dass als Vergleichstherapien mehr oder we- niger alte generische Substanzen herangezogen werden, kann das da- zu führen, dass moderne, innovative Therapien für die deutschen Patien- ten in zunehmendem Maße nicht mehr zur Verfügung stehen“, meint Gorniak. Das müsse der Politik und der Öffentlichkeit bewusstgemacht werden.

Neben Boehringer Ingelheim nahm auch Novartis sein erst im April zugelassenes Kombinations- präparat Aliskiren/Amlodipin zur Blutdrucksenkung vom Markt. Der G-BA habe für das Dossier Daten angefordert, die aus den Zulas- sungsstudien nicht hervorgingen, hieß es zur Begründung. Das Unter- nehmen Merck Recordati hingegen beantragte für seinen Cholesterin- senker Pitavastatin gleich die Auf- nahme in eine Festbetragsgruppe.

„Es war zu vermuten, dass die Hersteller mit unterschiedlichen Strategien auf die Vorgaben des G-BA reagieren würden“, meint GKV-Spitzenverbandsvorstand von Stackelberg. Aber die Politik habe mit dem AMNOG ein klares Be- kenntnis abgegeben: Nur der Zu- satznutzen rechtfertige einen höhe- ren Preis. „Da sehe ich bisher kein Wanken – weder in der Politik noch bei den Krankenkassen“, stellt von Stackelberg fest. Könne bei einem Medikament kein Zusatznutzen festgestellt werden, sei es kein Ver- lust, wenn es den Patienten in Deutschland nicht zur Verfügung stehe. Sinn der frühen Nutzenbe-

TABELLE

Verfahrensordnung des G-BA zur Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln Kat.

1 2 3 4

5 6

Zusatznutzen erheblich beträchtlich gering

nicht quantifizierbar

fehlt geringer

Definition

nachhaltige und bisher nicht erreichte große Verbesserung des therapierelevanten Nutzens bisher nicht erreichte deutliche Verbesserung des therapierelevanten Nutzens

bisher nicht erreichte moderate und nicht nur gering- fügige Verbesserung des therapierelevanten Nutzens Zusatznutzen liegt vor, ist aber nicht quantifizierbar, weil die wissenschaftliche Datengrundlage dies nicht zulässt.

Nutzen ist geringer als Nutzen der zweckmäßigen Vergleichtstherapie

Quelle: Verfahrensordnung des G-BA

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11. November 2011 gefordert, den Umsetzungsprozess

des AMNOG moderierend zu beglei- ten und bei Bedarf nachzubessern.

Dass die Politik diesem Ansin- nen kurzfristig nachkommt und sich – im Interesse der Arzneimittelher- steller – moderierend in das gerade anlaufende Verfahren der frühen Nutzenbewertung einschaltet, ist wenig wahrscheinlich. Allerdings ist nicht abzusehen, was mittelfris- tig passiert, wenn der Druck der Hersteller zunimmt, indem sie die negativen Folgen für den Wirt- schaftsstandort herausstellen und – was noch stärkere Wirkung entfal- ten wird – die Politik dafür verant- wortlich machen, dass die Patienten in Deutschland vom medizinischen Fortschritt abgeschnitten werden.

„Das AMNOG ist ja erst am 1.

Januar 2011 in Kraft getreten“, hält der G-BA-Vorsitzende Hess den Kritikern entgegen. Noch sei es zu früh, eine vorläufige Bilanz zu zie- hen. Erst nach Abschluss weiterer Verfahren müsse noch einmal kri- tisch hinterfragt werden, ob an be- stimmten Stellen nachjustiert wer- den müsse. „Das ist ein lernendes und lernfähiges System. Andere Länder haben auch Jahre ge- braucht, um ein solches Verfahren mit Akzeptanz bei allen Beteiligten zu etablieren.“ Vor Inkrafttreten des Gesetzes habe auch die im

AMNOG explizit vorgesehene frü- he Beratung der Hersteller nicht durchgeführt werden können. Für noch in der Planung befindliche Arzneimittel könne unter Beteili- gung der Zulassungsbehörden – des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie des Paul-Ehrlich-Instituts – möglichst früh geklärt werden, ob die Zulas- sungsstudien des Herstellers ausrei- chen, um einen Zusatznutzen zu be- legen oder ob es darüber hinausge- hende Anforderungen gibt. „Wir selbst haben ein Interesse daran, dass der Hersteller nach der Zulas- sung nicht völlig unvorbereitet mit

einer Vergleichstherapie konfron- tiert wird“, versichert Hess.

Das Gesetz schreibt vor, dass der G-BA die Nutzenbewertung eines Präparats spätestens drei Monate, nachdem der pharmazeutische Un- ternehmer sein Dossier eingereicht hat, veröffentlichen muss. Danach haben Betroffene und weitere Sach- verständige innerhalb einer Frist von weiteren drei Monaten die Ge- legenheit, sich zu der Bewertung zu äußern. Bescheinigt der G-BA ei- nen Zusatznutzen, verhandeln der GKV-Spitzenverband und der Arz- neimittelhersteller über den Preis.

Kompromisse sind gefragt Gut neun Monate hat es gedauert, bis sich die neuen Verhandlungs- partner auf eine Rahmenvereinba- rung über die Preisverhandlungen einigen konnten. Zwischendurch drohten die Verhandlungen immer wieder zu scheitern. Zunächst hat- ten sich die Parteien im Mai über die Besetzung der Schiedsstelle verständigt, die immer dann tätig wird, wenn sich Industrie und Kas- sen nicht auf einen Erstattungspreis für die Medikamente einigen kön- nen, denen der G-BA einen Zusatz- nutzen bescheinigt hat. Erst im Ok- tober kam es zu einer Einigung über die Rahmenbedingungen der Preis- verhandlungen. Kompromisse gab

es darüber, wie vergleichbare Arz- neimittel auszuwählen sind und wie deren Jahrestherapiekosten bei der Vereinbarung des Erstattungsbe- trags herangezogen werden.

Nur bei der Frage der europä - ischen Vergleichspreise konnten sich Kassen und Industrie nicht ei- nigen. Die Kassen wollten dafür keine Vorgaben in der Rahmenver- einbarung machen, sondern von Fall zu Fall entscheiden. Die Phar- mahersteller sollten jedoch alle Preise offenlegen, die sie in den verschiedenen europäischen Märk- ten erzielen. Die Industrie dagegen wollte nur Preisvergleiche mit Län-

dern zulassen, die sich auf ähnli- chem wirtschaftlichem Niveau be- finden. Darüber muss nun die im Mai geschaffene Schiedsstelle ent- scheiden.

Nach ihrer Einigung gaben sich die neuen Vertragspartner diploma- tisch: „So unterschiedlich die Sicht- weisen und Vorstellungen der Ver- handlungspartner waren, so sehr waren die Verhandlungen von dem gemeinsamen Wunsch getragen, tragfähige und für beide Seiten gangbare Kompromisslösungen zu finden“, hieß es in einer Mitteilung direkt nach der Einigung Mitte Ok- tober. Ziel der Preisverhandlungen sei es, Erstattungsbeträge zu verein- baren, die für den festgestellten Zu- satznutzen angemessen seien und einen Ausgleich zwischen den Inter essen der Versichertengemein- schaft und denen der pharmazeuti- schen Unternehmer ermöglichten.

Das kann jedoch nicht darüber hin- wegtäuschen, dass künftig hinter den Kulissen weiterhin heftig um das Verfahren und die Preise gerun- gen wird. Schließlich hat der Ge- setzgeber mit dem AMNOG die Hoffnung verknüpft, bei den Arz- neimittelausgaben jährlich zwei Milliarden Euro einsparen zu kön- nen. Insgesamt haben die gesetzli- chen Krankenkassen im vergange- nen Jahr etwa 28,9 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben. Pro - fitieren von den Regelungen im AMNOG wird aber auch die private Krankenversicherung. Für sie gel- ten nach dem Willen des Gesetzge- bers künftig dieselben Erstattungs- preise wie in der GKV.

Angesichts der komplexen Ge- mengelage rechnet auch der G-BA- Vorsitzende Hess nicht damit, dass der Widerstand der Pharmaindustrie gegen die unliebsamen Folgen des AMNOG nachlassen wird. „Natür- lich steht die Politik unter Druck.

Das ist bei einem solchen Gesetz mit derart weitreichenden Folgen für die Preisbildung bei Präparaten gar nicht anders zu erwarten. Ich glaube aber nicht, dass die Politik diesem Druck nachgeben kann und wird, denn dann würde sie das gesamte Geset- zesvorhaben und die erhofften Ein- spareffekte selbst infrage stellen.“

Thomas Gerst, Heike Korzilius

Die Umsetzung darf nicht ausschließlich von dem Gedanken getrieben sein, die Kosten zu reduzieren.

Birgit Fischer, vfa-Hauptgeschäftsführerin

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