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Ansprache bei der Sendungsfeier der neuen Leiterinnen der Pfarrcaritas-Kindertageseinrichtungen im Pastoralamt Linz.

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Um ein Kind zu erziehen …

Ansprache bei der Sendungsfeier der neuen Leiterinnen der Pfarrcaritas- Kindertageseinrichtungen

8. März 2019, Pastoralamt, Linz

Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf

Das ist ein Sprichwort1, das in Burkina Faso, aber auch in vielen Teilen Afrikas bekannt ist. Es ist so zu verstehen, dass Kindererziehung in größeren Familien ein Gemeinschaftswerk ist und alle sich daran beteiligen, auch die Nachbarn und die Freunde, letztlich das ganze Dorf. Das afrikanische Sprichwort impliziert, dass der elterliche Einfluss nicht ausreicht, um ein Kind zu einem erfolgreichen, zufriedenen und sozial kompetenten Menschen zu erziehen – alle Dorf- bewohner müssten bei dieser Aufgabe mithelfen. Auf unsere Zeit übertragen: Da das Dorf bzw. die Nachbarschaft nicht mehr erziehend wirken würden, wären Eltern nun auf die Unter- stützung von ErzieherInnen, LehrerInnen und anderen Fachleuten angewiesen. – Man kann das Sprichwort auch übertragen und mit der Frage verbinden: Wer sind denn die Miterzieher- Innen bzw. die wirklichen PädagogInnen? Oder wer hat Macht über die Kinderseelen?

Welchen Einflüssen sind Kinder ausgesetzt? Oder wo lernen sie die Sprache? Zum guten Aufwachsen von Kindern gehören gesunde Ernährung, aber auch die Atmosphäre, die Streit- und Konfliktkultur in einer Gesellschaft. Miterzieher sind die Umwelt, die Tiere. Räume können Angst einjagen oder aufatmen lassen …

Treppauf – treppab

„Lasst euch die Kindheit nicht austreiben! Schaut, die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. ihr Leben kommt ihnen vor wie eine Dauerwurst, die sie allmählich aufessen, und was gegessen worden ist, existiert nicht mehr. Man nötigt euch in der Schule eifrig von der Unter- über die Mittel- zur Oberstufe. Wenn ihr schließlich droben steht und balanciert, sägt man die

„überflüssig” gewordenen Stufen hinter euch ab, und nun könnt ihr nicht mehr zurück! Aber müsste man nicht in seinem Leben wie in einem Hause treppauf und treppab gehen können?

Was soll die schönste erste Etage ohne den Keller mit den duftenden Obstsorten und ohne das Erdgeschoss mit der knarrenden Haustür und der scheppernden Klingel? Nun – die meisten leben so! Sie stehen auf der obersten Stufe, ohne Treppe und ohne Haus, und machen sich wichtig.“2

Viele verdrängen und vergessen die Jahre der Kindheit und Jugend und sägen die Stufen der Lebensjahre hinter sich ab. Umgekehrt gibt es auch eine Idealisierung der Kindheit. Es gibt sie auch, die Künstler und Maler eines utopisch grandiosen Bildes einer heilen Kindheit, die dann einem vergangenen, „Goldenen Zeitalter“ des Anfänglichen und voller Möglichkeiten Schwan- geren nachsinnen. Wenn man das heile und eigentliche Menschsein nur in der Kindheit ansie- delt, dann sind alle späteren Lebensalter nur noch Abfall. Richtiges Menschsein wäre nur durch Regression möglich, weg vom Selbstsein in Freiheit und Verantwortung. Wird aber die

1 H. Pellissier, Rescuing the mind of Africain: The Futurist 2012, 46 (5), S. 26-31.

2 Erich Kästner, ...was nicht in euren Lesebüchern steht. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/M. 1987.

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Kindheit abgeschnitten, so fallen wichtige Dimensionen des Lebens aus: das Staunen, die Dankbarkeit und das Spiel.

Staunen – Dankbarkeit – Spiel

Staunen heißt: die Welt als Wunder sehen. Vor ihm verliert die uns umgebende und begeg- nende Wirklichkeit ihre Selbstverständlichkeit und offenbart ihren Geschenkcharakter. Mit dem Staunen verbinden sich Ehrfurcht vor dem Leben und Dankbarkeit. Das Staunen steht am Anfang der Philosophie (Warum ist überhaupt etwas und nicht lieber nichts?), es begleitet den Weg der Religion und des Glaubens. Viele Eltern erleben die Geburt eines Kindes als Wunder.

Und Kinder fragen sich: Warum gibt es mich?

Dankbarkeit: Empfangen ohne Dank ist Negation des Empfangens und Negation des Selbst- seins. Dankbarkeit befreit von dem zwanghaften und verfehlten Bemühen, das Leben und das Glück selbst „machen“ zu wollen oder zu müssen. Es ist dem christlichen Glauben eigen, dass der Mensch sich von Gott unbedingt erwünscht weiß. Im Glauben lässt sich der Mensch von Gott sagen, was er sich selbst nicht autosuggestiv sagen kann und nicht durch die eigene Sehnsucht, nicht durch Machen, Leisten, Grübeln oder Denken erreichen kann, nämlich von Gott gutgeheißen zu werden. Das ist der kategorische Indikativ des christlichen Glaubens (1 Joh 4,1; 2 Kor 1,20). Sich selbst von Gott lieben zu lassen, befreit aus dem Teufelskreis der Selbstüberhebung und der Selbstverachtung, befreit vom Gotteskomplex und vom Mittelpunkt- wahn. Martin Heidegger erinnert daran, dass Denken und Danken aus derselben Wurzel stam- men. Undankbarkeit ist Gedankenlosigkeit und umgekehrt3. In der Sprache der Heiligen Schrift: Das Gute vergessen bringt den Menschen in das „Land der Finsternis“ (Ps 88,13).

Deswegen sagt der Psalmist: „Meine Seele, vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“

(Ps 103,2) Dankbarkeit hat eine befreiende Wirkung. Sie befreit von selbstbezogener Enge und Ängsten; sie öffnet den Blick auf andere.

„Die Quelle alles Guten liegt im Spiel.“ (Friedrich Fröbel) Das Spiel lebt aus dem Umsonst und aus der Großzügigkeit. Das Spiel ist tragender Grund, unverzweckte Lebendigkeit; es darf nicht noch einmal zu einer Funktion der Selbstaneignung des Menschen durch Arbeit werden.

Mein Neffe hat als 4-Jähriger auf meine Frage, warum er eine Sandburg baue, die intelligente Antwort gegeben: „A so halt!“ Ohne Spiel verlieren wir uns im Reich der Zwecke, der Fremd- bestimmung und der Funktionalisierung. Und ohne diese heilige „Warumlosigkeit“ wird Erzie- hung und Bildung z. B. vor einen ökonomischen (fit für den Arbeitsmarkt), politischen oder auch militärischen Karren gespannt. Es geht dabei nicht um den Abbau einer sekundären Welt zugunsten einer primären. Das Humanum wird nicht gegen die Technik, nicht gegen die Arbeit und schon gar nicht gegen die Freiheit gerettet. Aber ohne Dankbarkeit, ohne Staunen und ohne Spiel wird das Leben oberflächlich, eindimensional, leer und auch beziehungslos. Eine Gesellschaft, die sich von der Kindheit losreißt und von den Kindern abschneidet, vergreist.

Enkelgerechtigkeit

„Die wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Enkel“4, das ist der Titel eines Essays von John Maynard Keynes aus dem Jahre 1930. In diesem Essay wagt Keynes einen langfristigen Blick

3 Martin Heidegger, Was heißt Denken? Tübingen 1954, 91ff; ders., Gelassenheit, Pfullingen 1959, 66f.

4 John Maynard Keynes (1930), Economic Possibilities for our Grandchildren, in: Essays in Persuasion, New York 1963, 358-373.

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in die Zukunft. Angetrieben von enormen Produktivitätssteigerungen werde die Menschheit ihr

‚ökonomisches Problem’ schon bald gelöst haben und es wird nicht mehr um mehr Reichtum, sondern um eine bessere Lebensqualität gehen. Am Horizont sieht er eine neue Herausforde- rung und ein der Menschheit bis dato unbekanntes Problem auftauchen, eine technologisch- bedingte Arbeitslosigkeit. Im Folgenden entwirft Keynes ein Szenario, bei dem es die Mensch- heit bis 2030 tatsächlich geschafft hat, einen im Schnitt achtmal so hohen ökonomischen Lebensstandard zu erreichen. Keynes hält es für realistisch, dass – vorausgesetzt es komme nicht zu gravierenden Kriegen oder einem starken Anstieg der Bevölkerung – das ökonomi- sche Problem innerhalb von 100 Jahren gelöst sein könne. – Man kann diese Worte unter der Fragestellung lesen, was davon eingetroffen und inzwischen realisiert ist und was sich anders entwickelt hat und (noch) aussteht. Man kann Keynes aber auch so lesen, dass er im Blick auf kommende Generationen denkt und von diesen her die Aufgabe und die Ziele der Wirtschaft sieht. „Das ist Enkelgerechtigkeit oder Nachhaltigkeit – es geht um ein Gleichgewicht zwischen monetären, sozialen und ökologischen Zielen. Dies führt dazu, dass man die heutigen Ansprü- che erfüllt ohne dabei die Möglichkeiten der künftigen Generationen negativ zu beeinflussen.

Oder kurz gesagt – bei allem, was sie tun, sollten sie mit gutem Gewissen ihren Enkeln in die Augen schauen können.“

+ Manfred Scheuer Bischof von Linz

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