bbw Beruflicher Bildungsweg
Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs in NW e.V.
Ausgabe 3+4/2018 K 4115
59. Jahrgang
Klar orientiert durch das
Berufskolleg – Optimierungs- potential der Berufsfachschulen
3/4
bbw
18
Vorankündigung zum ajk-Segeltörn 2018
Ende September sticht die „Ambulant“ wieder in See um in ungezwungener Atmosphäre den gemeinsamen Austausch von jungen und erfahrenen Kolleginnen und Kollegen zu ermöglichen.
Neben dem Erlernen von Grundlagen zum Segeln auf Großschiffen und der Planung einer erlebnis pädagogischen Klassenfahrt findet an Bord zusätzlich eine Fortbildung statt,
die sich an den Bedürfnissen von Lehrerinnen und Lehrern an Berufskollegs orientiert.
Wir vom ajk freuen uns wieder auf eine spannende Fahrt mit vielen interessanten Teilnehmern!
Wer jetzt neugierig geworden ist, kann sich demnächst
anmelden für den
ajk-Segeltörn vom 28.09.
bis 30.09.2018
Weitere Informationen erhalten Sie in Kürze über die Geschäftsstelle, die Vertrauens- lehrer/innen an den Schulen
oder unter www.vlbs.de.
Impressum
Herausgeber
Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs
in Nordrhein-Westfalen e.V., Geschäftsstelle Ernst-Gnoß-Straße 22, 40219 Düsseldorf Telefon 0211 4912595, Telefax 0211 4920182 E-Mail info@vlbs.de
Bildnachweis Roland Nickschus
Schriftleitung Roland Nickschus
Waldthausenstraße 21, 45127 Essen E-Mail nickschus@vlbs.de Bettina Gude
Im Ferkulum 17, 50678 Köln E-Mail gude@vlbs.de Konzeption und Gestaltung Susanne Peters
Druck und Verlag
van Acken Druckerei & Verlag GmbH Magdeburger Straße 5, 47800 Krefeld
Zuschriften bitte an die Schriftleitung oder über die vlbs-Geschäftsstelle. Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Bilder von privat, außer wenn sie anders gekennzeichnet sind.
Die bibliographische Abkürzung der Zeitschrift lautet BBW / ISSN 0723-6522
Die Zeitung erscheint 10 x pro Jahr, der Bezugspreis beträgt 28,00 EUR jährlich inkl. USt. und Porto.
Die Mindestabonnementdauer beträgt ein Jahr.
Kündigungen müssen bis zum 1. Dezember beim Verlag eingegangen sein.
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B
erufskollegs sind mit ihren zahlreichen Bildungsgängen die Chancen
ermöglichungsschulen unseres Landes.
Durch die zu erwerbenden Bildungsab
schlüsse, gekoppelt mit beruflichen Qua
lifikationen eröffnen sich Chancen für junge Menschen, die sonst keine Schul
form bieten kann. Die ortsansässigen Unternehmen beziehen einen Großteil des Nachwuchses direkt aus dem Be
rufskolleg, da die Menschen hier durch die ganzheitliche Bildung ideal auf eine Berufsausbildung vorbereitet werden.
Berufskollegs als Motoren für Innovati
onen in der Wirtschaft bieten zahlreiche Chancen für Industrie und Handwerk.
Bei der Konstruktion der Berufsfachschu
le sieht der vlbs deutliche Optimierungs
möglichkeiten, um den Ansprüchen der Gegenwart und der Zukunft auch weiter
hin gerecht zu werden.
Wie müsste die Berufsfach- schule (APO-BK, Anlage B) der Zukunft aussehen, um den Anforderungen weiter- hin gerecht zu werden?
1) Berufsfeldübergreifende Kompetenzvermittlung:
Im Rahmen der Berufsfachschule sollte den Berufskollegs die Möglichkeit eröff
net werden, verstärkt berufsfeldübergrei
fende Kompetenzen zu vermitteln.
■
■ Die Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung erfordert deut
lich verstärkt berufsfeldübergreifende Kompetenzen.
■
■ KAoA hat in der Sekundarstufe I nicht dazu geführt, dass die Mehrheit der
Schülerinnen und Schüler der Berufs
fachschule eine klare Vorstellung von ih
ren Berufswünschen gewinnen konnten.
Die Berufsorientierung darf daher auch nicht in der Berufsfachschule aus dem Blick genommen werden.
2) Aufrechterhaltung beruflicher Kompetenzvermittlung:
Die Berufsfachschule muss so konstru
iert sein, dass auch in ländlichen Gebie
ten eine Aufrechterhaltung für die in der Region bedeutsamen beruflichen Fach
richtungen und Berufsfelder ermöglicht werden kann.
3) Sprachförderung:
In den vergangenen Jahren ist die Quan
tität der Menschen mit sprachlichen För
derbedarfen in der Berufsfachschule sehr stark angestiegen. Die Berufskollegs be
nötigen Ressourcen, um den Ansprüchen der jungen Menschen mit sprachlichen Förderbedarfen im Rahmen der Vermitt
lung beruflicher Fähigkeiten und Fertig
keiten gerecht zu werden.
4) Zugangsvoraussetzungen:
Berufskollegs sollten in Ausnahmefällen verstärkt die Möglichkeit erhalten, Schü
lerinnen und Schüler, die bereits über die Fachoberschulreife verfügen, in die Be
rufsfachschule aufzunehmen.
Lösungsansätze:
1) Dynamisierung der Berufsfachschulen a. Berufskollegs bei Bedarf eine berufsfeldübergreifende Ausrichtung der Berufsfachschule 1 ermöglichen Vorteile:
■
■ Innerhalb der Berufsfachschule 1 fin
det eine dringend für die Zielgruppe er
forderliche berufliche Orientierung statt.
Beispielsweise bei einer projektorien
tierten Vermittlung der beruflichen Fer
tigkeiten und Fähigkeiten in Holz, Me
tall und Elektrotechnik. Selbst bei bereits vorhandener beruflicher Orientierung ist eine berufsfeldübergreifende Beschu
lung innerhalb der Berufsfachschule 1 mit Blick auf die Veränderung der Berufe, bedingt durch die Digitalisierung der Ar
beitswelt, zielführend.
■
■ Durch die berufsfeldübergreifende Beschulung ist speziell im ländlichen Be
reich eine Klassenbildung innerhalb der Berufsfachschule 1 möglich, ohne dass auf Grund geringer Quantitäten einzelne Berufsfelder vollständig entfallen.
■
■ Die bislang vorhandene Problematik, des Überganges der Berufsfachschule 1 in die Berufsfachschule 2 bei gleicher Wahl des Berufsfeldes (Mögliche Wieder
holungen von Inhalten) entfällt.
b. Berufskollegs in Ausnahmefällen eine berufsfeldübergreifende gemein- same Beschulung im berufsbezogenen Bereich (Mathematik, Englisch, Wirt- schafts- und Betriebslehre) innerhalb der Berufsfachschule 2 in Form von Kursbildungen ermöglichen.
Vorteil:
■
■ Speziell im ländlichen Bereich könnte mit dieser Maßnahme im Ausnahmefall
Klar orientiert durch das Berufskolleg
Michael Suermann, vlbs Landes
vorsitzender
Drei Lösungsansätze zur Weiterentwicklung der
Berufsfachschule
bbw
+4/2018
eine Aufrechterhaltung des Bildungsan
gebotes über die für die Region bedeut
samen Berufsfelder sichergestellt und somit ein Aussterben von Berufszweigen entgegengewirkt werden.
2) Berufskollegs bei den veränderten sprachlichen Ausgangsbedingungen der Schülerinnen und Schüler unter- stützen
■
■ Ausbau der personellen Ressourcen Sprachliche Grundbildung ist nicht Auf
gabe der Berufskollegs. Die Tatsache, dass die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit sprachlichen Förderbedarfen in den Berufsfachschulen stark angestiegen ist, muss aber Rechnung getragen werden, damit die Ziele unserer Schulform für die Schülerinnen und Schüler erreichbar bleiben. Zielführend wäre beispielsweise die Verankerung von Maßnahmen zur Sprachförderung, beispielsweise die Er
langung des deutschen Sprachdiploms.
Hierzu reichen zurzeit die personellen Ressourcen kaum aus. Eine lange über
fällige Anpassung der Lehrer Schülerre
lation würde dieses Problem lösen.
■
■ Fortbildungen
Um den jungen Menschen gerecht wer
den zu können, ist es zwingend erforder
lich, die Lehrerinnen und Lehrer sowie
dem pädagogischen und sozialpädago
gischen Personal verstärkt Möglichkeiten zur Teilnahme an qualifizierte Fortbil
dungsmaßnahmen zu geben.
3) Ausweitung der Aufnahmevoraus- setzungen der Berufsfachschule 2
■
■ Erlangung des Q-Vermerks bei vor- handener Fachoberschulreife
Schülerinnen und Schüler, welche den Qualifikationsvermerk zum Besuch der gymnasialen Oberstufe anstreben aber bereits über die Fachoberschulreife ver
fügen, sollten die Möglichkeit erhalten, die Berufsfachschule zu besuchen.
Vorteile:
■
■ Berufliche Orientierung und Qualifi
zierung (an Realschulen besteht die Op
tion das letzte Schuljahr zu wiederholen, um den QVermerk zu erwerben)
■
■ Ein deutlich verbesserter Übergang in die Berufsausbildung
■
■ Verbesserung der Erfolgsquoten in den Bildungsgängen, die zur Fachhoch
schulreife führen.
So am Rande:
Die Initiative KAoA startete im Schuljahr 2012/13. Eins ihrer wichtigsten Ziele ist, neben der Berufsorientierung, die At
traktivität einer dualen Berufsausbildung vor Ort aufzuzeigen und auch entspre
chend zu vermitteln. Die Faktenlage im Jahr 2018 ist jedoch ernüchternd. Aktuell ergreifen weniger als 20 % der Schulab
gänger eine duale Berufsausbildung.
Fazit:
Durch die Umsetzung der drei Lösungs
ansätze kommt nicht nur das berufliche, sondern unser gesamtes Bildungssystem einen großen Schritt voran, da es die jun
gen Menschen bei der rasanten techno
logischen Entwicklung besser begleiten kann.
Durch die Dynamisierung der Berufsfach
schule wäre ein hochwertiges Bildungs
angebot auch flächendeckend aufrecht zu erhalten, dies ist dringend geboten, da sonst eine ausreichende Versorgung der Betriebe mit Fachpersonal weiterhin schwierig bleiben würde.
Zur erfolgreichen Umsetzung der hoch
komplexen Bildungsarbeit benötigen wir am Berufskolleg akademisch ausgebil
dete Lehrerinnen und Lehrer sowie hoch qualifiziertes pädagogisches Personal und vor allem eine LehrerSchülerrelati
on, die uns endlich ermöglicht auch den Unterricht zu erteilen, der erforderlich ist.
Ihr
Michael Suermann
vlbs Landesvorsitzender ■
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In dieser Ausgabe
Tipp – Für Sie entdeckt!
Fachkonferenz Berufsbildung 4.0 – Zukunftschancen durch Digitalisierung
. . . .24 vlbsTUBE ist „on air“! Eröffnung des vlbsYouTubeChannels
. . . .25 Neue Website speziell für junge Menschen mit ADHS –
Wertvolle Tipps und Informationen für Berufswahl und Ausbildung mit ADHS
. . . .26
Aus der Praxis für die Praxis
Manuela Soethe
Lehrergesundheit und Lehrerbelastung
. . . .19
Wilhelm Schröder / Prof. Dr. Andreas Obermann
Duale Berufsausbildung in Palästina
. . . .21
Alexander Dimolis
Übergänge in die Ausbildung erfolgreich gestalten
. . . .23
TITEL THEMA 1 Klar orientiert durch das Berufskolleg –
Optimierungspotential der Berufsfachschulen
Autor der Redaktion bekannt
Anlage B APO BK – Anregungen/Anmerkungen aus der Praxis
. . . .5
Jörn Brüggemann
„Kann ich bei Ihnen Realabschluss machen?“ –
Oder wie orientiert kommen die Jugendlichen zum Berufskolleg?
. . . .8
TITEL 2
Lernen und Lehren in der digitalen Welt
Prof. Dr. Lankau
Über die sogenannte digitale Bildung – und den lernenden Menschen – Teil 2
. . . .9
Leitartikel
Michael Suermann
Klar orientiert durch das Berufskolleg –
Drei Lösungsansätze zur Weiterentwicklung der Berufsfachschule
. . . .1
Recht und Besoldung
Carola Dehmel
Datenschutzgesetz – Endlich auch an Schulen angekommen?
. . . .14
Corinna Zyto
Vorsorge ordnen – Teil 1: Vorsorgevollmacht / Betreuungsverfügung
. . . .16
Roland Hiepe
BLBS Fachfortbildung: DTV Seminar 2018 in Würzburg
. . . .18
bbw
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Vlbs vor Ort
Werner Grundhoff / Jörn Brüggemann
„ … gehe jetzt weiter …“ – Das AdolphKolpingBerufskolleg
verabschiedet seinen Schulleiter Martin Lohmann
. . . .29
Heiko Majorek
Ehrungen in Duisburg
. . . .31
Johannes Schütte
Ehrung langjähriger Jubilare
. . . .32
Tarifbeschäftigte Lehrkräfte im vlbs
Ulrich Kirschbaum
Reicht die Rente? Fortbildung im Bezirk Düsseldorf
. . . .27
Senioren im vlbs
Jochen Kuhs
Motorradtour für Ruheständler
. . . .33
Jochen Kuhs
Landesseniorenreise 2018: Würzburg und Bamberg
. . . .34
Nachruf
Wolfgang Brückner
Nachruf Jakob Straten
. . . .36
29. April 2018 – METRO Marathon in Düsseldorf
Der vlbs ist mit zwei Marathonstaffeln am Start!
Sei in Düsseldorf dabei und laufe für das Berufskolleg. Sportlich motivierte Mitglieder melden sich bitte unter info@vlbs.de.
Die Teilnahme ist kostenlos.
Sportlich begeisterte Mitglieder sind herzlichst eingeladen die Läuferinnen und Läufer vom vlbs für die Berufliche Bildung zu unterstützen.
Alles Weitere wird auf der Homepage bekannt gegeben.
vlbs – Wir bewegen
„Berufliche Bildung“!
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I
n Fortsetzung der Ausführungen un- seres Landesvorsitzenden zur Anlage B sind aus Sicht der Praxis des Nebenei- nanders von einjährigen Berufsfach- schulen des Typs I und II (Anlage B 1 und 2) und zweijährigen doppelqualifi- zierende Berufsfachschulen mit beruf- licher Qualifikation sowie Mittlerem Schulabschluss (Anlage B 3) noch ei- nige Aspekte zu ergänzen.Grundsätzlich findet sich in allen genann
ten Bereichen ebenfalls die Erfahrung, dass die Vorverlagerung der berufl ichen Orientierung in die Sekundarstufe I im Interesse der Zielsetzung nur bedingt ge
lungen ist.
Schulen der Sekundarstufe I sind in ers
ter Linie Schulen mit dem Auftrag der Allgemeinbildung. Wenn sinnvoll er
gänzend dazu allgemeine Grundlagen der Berufswahlunterstützung und der Berufswahlorientierung im Sinne von ersten SchnupperPraktika stattfinden, dann ist wohl eher ein Moment der Be
rufswahlinformation erfüllt, als tatsäch
lich umfängliche Berufswahlorientierung geleistet.
Die Schulen der Sekundarstufe I bleiben in erster Linie der Erreichung eines all
gemeinen Abschlusses (HS 9, HS 10, Mitt
lerer Schulabschluss) verpflichtet und so ist auch deren Fächerkanon aufgebaut.
Viele sehr engagierten Beratungs
lehrer*innen, Berufs wahl koordinator*innen, Berater*innen der Bundesagentur für Arbeit, Handwerkskammern und Indust
rie und Handelskammern leisten in Be
rufswahlunterrichten, Elementen der Ar
beitslehre, ersten Praktika und der Arbeit in Berufswahlbüros eine unterstützende
Arbeit, doch Ziel der Schulform ist zu
nächst ein allgemeinbildender Abschluss begleitet durch allgemeine Informations
inhalte zum Thema Berufswelt und Co.
Oft hört man bei Beratungen in der Se
kundarstufe I gar, dass mit der zusätzli
chen Aufgabe, Berufsorientierung leisten zu müssen, andere wichtige Inhalte der unterrichtlichen und erziehungsbeglei
tenden Tätigkeit auf der Strecke bleiben.
Sind vielleicht zunehmende Klagen aus Handwerk, Industrie und Handel über stetig sinkendes Niveau bei Schulabgän
gern Indiz dafür, dass zentrale Fach und Bildungsinhalte nicht mehr hinreichend vermittelt werden können? Ist vielleicht auch die Inflationierung zunehmend stei
gender Anforderungen an die Eingangs
voraussetzungen für eine Ausbildung – früher Volksschulabschluss, heute min
destens Mittlerer Schulabschluss, früher Mittlere Reife, heute lieber Fachabitur oder ganz VollAbitur – ebenfalls Beleg für eine zunehmende Überforderung der Schulen der Sekundarstufe I über deren Kernaufgaben hinaus?
Die Kolleg*innen in der Arbeit der Berufs
fachschulen bestätigen diese Aussagen ebenso. Selbst wenn Jugendliche sich für doppelqualifizierende Bildungsgänge bewerben, sind oftmals nur sehr diffuse,
wenig realistische Vorstellungen von der Berufstätigkeit erkennbar, was in der Fol
ge zu einer nicht unerheblichen Anzahl von Abbrüchen in den betreffenden Bil
dungsgängen führt.
In diesem Kontext unterstützen wir in jedem Fall auch die Möglichkeit, in allen einjährigen Berufsfachschulen Typ II auch mit FOR Zugang zu finden, um so berufsbezogen einen Qualifika
tionsvermerk erreichen zu können.
Statt in der Sekundarstufe I eine inhalts
gleiche „Warteschleife“ zu absolvieren, ist am Berufskolleg der klare Gewinn durch den Berufsbezug zu konstatieren.
Berufsorientierung gehört originär an das Berufskolleg. Das Berufskolleg ist die Schulform mit dem klaren Auftrag der beruflichen Bildung. Dieser Auftrag ist spezifisch auf die Vermittlung von Kennt
nissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten im beruflichen Kontext ausgerichtet. Berufs
orientierung kann nicht umfassend in einem allgemeinbildenden Kontext statt
finden, sondern sie braucht Anbindung an Berufsfelder, berufliche Handlungs
situationen, berufsbezogene Fächer und Möglichkeiten der praktischen Anwen
dungen im schulischberuflichen Kon
text. All das fehlt in der Sekundarstufe I.
All das bietet das Berufskolleg!
Gerade Berufsfachschulen I (Anlage B 1) bzw. Unterstufen der Berufsfachschule II (Anlage B 3) werden von Schüler*innen besucht, die gebrochene Lernbiographi
en haben und oder vermehrt auch von Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen und/oder sozialemotional kom
Anlage B APO BK – Anregungen / Anmerkungen aus der Praxis (in Unterricht und Betrieb)
Autor der Redaktion bekannt
bbw
+4/2018
men. Hierbei ergeben sich neben den Problemgemengelagen zweier nicht mehr relevanter Förderbedarfe – der auf wunderbare Weise mit dem Abschluss der Sekundarstufe I geheilt worden ist (diese beiden Förderbereiche sind am Berufskolleg nicht mehr förderbedürftig anzuerkennen) – mehrschichtige wei
tere Herausforderungen. Gerade diese Jugendlichen haben oft wenig Englisch
unterricht gehabt, weshalb ein Erreichen von HS 10 und FOR kaum möglich sind.
Weiterhin sind diese SuS in der Realität oftmals tatsächlich nur individuell för
derbar, was aber bei einer Klassenstärke von 32, auch mit Unterstützung durch MPTReserven, nicht machbar ist. Mathe
matik ist ein weiteres Fach, in dem oft
mals aus der Sekundarstufe I nachhaltige Defizite mitgenommen werden, die ohne zielgerichtete individuelle Unterstützung nicht zu kompensieren sind. Hinzu kom
men oftmals auch sprachliche Defizite, die zu extrem langsamerer Bearbeitung von Aufgaben führt. Sie brauchen zum Abschreiben bis zur 4fachen Zeit.
Gleichzeitig weisen diese SuS aber gute praktische Fähigkeiten auf und wären etwa für die Pflege und Gastronomie in Helfer bzw. Assistentenberufen durch
aus geeignet. In der Anlage B3 scheitern sie mit den geringen Eingangsvoraus
setzungen aber meistens. Eine Wieder
holung der Unterstufe bringt hier auch meist keinen Erfolg, da bei Klassenstärken von 32 und sehr leistungsdifferenzierten Gruppen (Kl. 9 – Kl.10 mit FOR und Qua
lifikation/ HS – RS/GS) eine individuelle Förderung kaum möglich ist.
Eine Anlage B1 im Gesundheitsbereich und im Bereich Ernährung & Versor
gungsmanagement können die meisten Schulen nicht anbieten, da es für eine Klassenstärke nicht ausreichend Bewer
ber gibt. Die gemeinsame Beschulung von verschiedenen Berufsfeldern in den allgemeinen Fächern wäre hier eine Lö
sungsmöglichkeit.
Für Schüler*innen mit besonderem För
derbedarf müsste es dann entsprechende Angebote geben. Hierdurch wäre es ggf.
möglich einen HS10 zu schaffen und dann in der Anlage B3 einen Berufsab
schluss zu erwerben.
In der Anlage B3 finden sich immer wieder SuS, die super Noten im berufsbezogenen Bereich haben und keine Zulassung zur Berufsabschlussprüfung erhalten, weil sie in Englisch und Mathematik man
gelhafte Leistungen aufweisen, selbst im Grundkurs. Hier muss man im Rahmen einer Helferqualifikation vielleicht ein
mal grundsätzlich die Frage stellen, wie wichtig Englisch und Mathe sind um z. B.
alte Menschen zu pflegen und im Alltag zu begleiten.
Bei den SuS mit internationaler Familien
geschichte, meist aus der IFK kommend, gibt es sehr unterschiedliche Erfahrun
gen. Vor allem männliche Flüchtlinge weisen in vielen Fällen nicht die notwen
dige Arbeitshaltung auf und erkennen Hierarchien nur an, wenn sie männlich geprägt sind. Sie stellen sich Tätigkeiten in der Pflege und der Gastronomie oft ganz anders vor. Es mangelt aber ver
einzelt auch an persönlichen und sozia
len Kompetenzen, die in diesen Berufen wichtig sind.
Bei den weiblichen Flüchtlingen werden vor allem im Pflegebereich sehr gute Er
fahrungen gemacht. Hier ist die Sprache oft das zentrale Problem. Mit steigenden Zahlen Jugendlicher mit internationaler Familiengeschichte müssen neben der Umsetzung sprachsensibler FachUn
terrichte – hier darf getrost noch mehr Unterstützung durch Fortbildungen stattfinden – auch die Möglichkeiten der begleitenden sprachliche Grundbildung der Schüler*innen in der Vorbereitung auf die Berufsausbildung deutlich ausge
baut werden. Die Schüler*innen sind da
mit überfordert, gleichzeitig eine Berufs
ausbildung zu machen und zusätzlich sprachlich gefördert zu werden; beson
+4/2018 ders in Anlage B 3, in der es am Ende eine
Abschlussprüfung zu bewältigen gibt, die leider nur theoretisch stattfindet. Vorno
ten zählen hierbei nicht.
Oftmals ergeben sich aber auch hier zusätzlich grundlegende Probleme aus dem geringen Zulauf zu den Bildungs
gängen. Im Bereich Ernährung und Ver
sorgungsmanagement könnten etwa bei zu geringen Bewerber*innenzahlen Berufsfachschule I und Unterstufe der Berufsfachschule II zumindest teilweise und/oder der doppelqualifizierenden Be
rufsfachschule parallel unterrichtet wer
den. Das ist allerdings nicht so einfach, denn die Lernfelder und Fächer sind nicht identisch.
Wünschenswert ist von der Anlage B1 bis B3 ein gleicher Fächerkanon sowie die gleiche Anzahl und Bezeichnung der Lernfelder im jeweiligen Berufsfeld. Dann wäre eine modulare Beschulung wenigs
tens innerhalb eines Berufsfeldes leichter.
In diesem Kontext seit Anfang an disku
tiert und noch immer Anliegen aus der Praxis sind zwei Aspekte:
Aus der Praxis der Betriebe und von den unterrichtenden Kolleginnen und Kolle
gen kommen zudem klare Rückmeldun
gen hinsichtlich der Zusammenfassung insbesondere von Theorie und Praxis
Noten auf den Zeugnissen. Hier werden bis zu 12 Wochenstunden Unterricht in Theorie und Praxis zu einer Gesamtnote zusammengezogen. Teilaspekte der Leis
tungsfähigkeit, individuelle Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schü
ler werden so nach außen nicht mehr deutlich.
Oftmals liegen die Stärken der Schü
lerinnen und Schüler im praktischen Bereich, so dass eine hier differenziert darstellbare gute Note die Erfolgs
chancen auf dem Arbeitsmarkt deut
lich erhöhen würden.
Im berufsbezogenen Bereich stehen Fachnoten mit 12 Wochenstunden neben Fachnoten mit nur 1 oder 2 Wochenstun
den. Betriebe können mit derart undiffe
renzierten Zeugnissen kaum noch etwas anfangen. Für die Betriebe zählt oftmals die Eignung in der Praxis sehr viel mehr.
Das Resümee der Kolleginnen und Kol
legen ließe sich vielleicht wie folgt zu
sammenfassen: Grundsätzlich freuen wir uns über den Anstoß der Diskussion und hoffen, dass auch die Rückmeldun
gen der Kolleginnen und Kollegen aus der
Praxis, die im unmittelbaren Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern stehen, Berücksichtigung finden. Bildungspo
litische Diskussionen sind immer dann zielführend, wenn betriebliche und un
terrichtliche Praxis mehr Gewicht haben, als theoriegeleitete Überlegungen. Hier ist die Realität, die zu leben ist – im Be
rufskolleg lernen die Schülerinnen und Schüler und im Beruf ist der spätere Ein
satz. Gern stehen wir mit inhaltlich argu
mentativer Unterstützung immer wieder zur Verfügung.
Ohne Autorenangabe
Nach Recherche und Rückmeldungen aus der Praxis von der Redaktion aus landesweiten Meinungsbildern
zusammengetragen ■
1. Die Möglichkeit der Vergabe ei
nes Schulabschlusses HS 10 mit der Versetzung von der Unterstufe in die Oberstufe der zweijährigen doppel
qualifizierenden Bildungsgänge (An
lage B 3). Scheitern die Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe, haben sie bis zu zwei Jahre einen Bildungs
gang besucht, ohne eine weitere Qua
lifikation erworben zu haben.
2. Die Möglichkeit des Übergangs aus der Berufsfachschule I (Anlage B 1) in die Oberstufe der zweijährigen dop
pelqualifizierenden Berufsfachschule (Anlage B3), was durch die Anglei
chung der Lernfelder und Fächer, wie vorab beschrieben, besser zu realisie
ren wäre. Dies wäre zudem eine Mög
lichkeit, Fluktuationen der Unterstufe zu kompensieren und zielgerichtet zu einer Doppelqualifikation zu gelangen.
bbw
+4/2018
D
as Zitat in der Überschrift kommt sicherlich vielen Lehrkräften bekannt vor, die sich in Beratungssituationen im Übergang Schule und Beruf befinden.
Viele Jugendliche sind leider nicht beruf
lich orientiert, wenn sie die SekISchule verlassen. Dabei macht es keinen Unter
schied, ob die jungen Menschen bereits ei
nen Abschluss erworben haben oder nicht.
Trotz KAoA beginnend mit Klasse acht und den entsprechenden Standardelementen sind maximal 20 % der Schülerinnen und Schüler beruflich so klar orientiert, dass sie sich mit einem guten Gefühl in einem Bildungsgang am Berufskolleg anmelden können (abgesehen von den ca. 20 %, die tatsächlich eine Ausbildung beginnen).
Katastrophal wirkt sich das in der Ausbil
dungsvorbereitung aus, wenn Jugend liche sich für ein Jahr festlegen müssen, in wel
chem Fachbereich sie sich auf Ausbildung vorbereiten sollen. Die „gestorbene“ Be
zeichnung „Berufsorientierungsjahr“ wur
de in der Sache den nichtorientierten SuS gerechter, da es eine echte Orientierung in mehreren Fachbereichen ermöglichte1. Was bedeutet das jetzt für die Berufsfach
schulen? Die Jugendlichen sind zwar häu
fig ein Jahr älter, aber nicht unbedingt bes
ser beruflich orientiert. Ausnahmen stellen hier manchmal die SuS dar, die erfolgreich aus der Ausbildungsvorbereitung kommen, auch wenn sie leider nur in einem Bereich Erfahrungen sammeln konnten. Eine Klas
senbildung der Berufsfachschulen (BFS) für Typ 1 und Typ 2 scheitert häufig an der Anzahl der Anmeldungen. Deshalb wer
den beide Fachschulen häufig zusammen beschult und in unterschiedlichen Niveau
stufen geprüft. Dies wird erst dann zum
Problem, wenn SuS die BFS Typ 2 nach er
folgreichem Besuch der BFS Typ 1 im glei
chen Fachbereich besuchen. Zielführender wäre es an dieser Stelle in der BFS 1 wei
terhin orientierend arbeiten zu dürfen und erst in der BFS 2 die SuS zu einer Spezi
alisierung und Festlegung zu verpflichten.
Auch die Durchlässigkeit durch die Anlagen würde es einigen Jugendlichen erleichtern erfolgreich das Berufskolleg zu verlassen.
Warum bekommen die SuS in der Anlage B3 nicht am Ende des ersten Jahres schon einen Abschluss? In der Praxis gibt es über
proportional viele Abbrüche nach dem ersten Jahr, obwohl viele SuS gerade in der Fachpraxis gute Leistungen erbringen. Die Jugendlichen waren versorgt, sind ihrer Schulpflicht nachgekommen und dürfen jetzt gehen. Das kann nicht unser Ziel sein!
Ebenso wäre es für erfolgreiche Absol
ventinnen und Absolventen der BFS Typ 1 auch ein großer Anreiz quer in die Anlage B3 einzusteigen. Hier müssten Lehrpläne verschlankt und Praxisphasen aufeinan
der abgestimmt werden.
Warteschleifen an der Realschule werden akzeptiert, manchmal vielleicht sogar be
worben. Warum ein junger Mensch, der die FOR in der Tasche hat, nicht am Be
rufskolleg neben der beruflichen Kompe
tenz auch noch den QVermerk erlangen
darf, erklärt sich keiner praktisch denken
den Lehrkraft am Berufskolleg.
Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass es schlichtweg unmöglich ist neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler in einem oder zwei Jahren IFK so gute Sprachkenntnisse zu vermittelt, dass sie die Anforderungen für die Abschlüsse in der BFS erfüllen können.
Die Schulen vor Ort suchen nach kreati
ven Lösungen, die allerdings nur mit eh
renamtlichen Helferinnen und Helfer, stu
dentischen Projekten oder pensionierten Lehrkräften umgesetzt werden können.
Eine bessere SLRelation, die allen Klas
sen mit SuS mit starken sprachlichen Defiziten mehr Sprachunterricht ermög
lichen würde, wäre hilfreicher als der Hinweis, Integrationsstunden zu bean
tragen, zumal diese in der Dualen Berufs
ausbildung derzeit nicht eingesetzt wer
den dürfen. Aber das ist ein weiteres, an anderer Stelle zu bearbeitendes Problem.
Fazit: Wir arbeiten weiter engagiert für und mit den uns anvertrauten jungen Menschen. Auch wenn derzeit die Rah
menbedingungen nicht optimal sind, werden wir immer gute Lösungen für un
sere Schülerinne und Schüler finden. Wir stehen bereit für konstruktive Gespräche mit den politischen Entscheidungsträge
rinnen und trägern.
Jörn Brüggemann
Bezirksvorsitzender Münster
„Kann ich bei Ihnen Realabschluss machen?“ – Oder wie orientiert kommen die Jugendlichen zum Berufskolleg?
Jörn Brüggemann
Anmerkung
1 Zu der plötzlichen „Heilung“ der Jugendlichen mit den Förderschwerpunkten Lernen bzw. emotionale und soziale Entwicklung ist an anderer Stelle schon berichtet worden.
+4/2018
„Talking Method“
Fritz Breithaupt, Professor für Germanistik an der Indiana University, Bloomington/
USA, glaubt an unvermeidbare „dramati
schen Veränderungen des Lernens“ durch Computerprogramme und Sprachsysteme.
Maßgeschneiderte Computerprogramme würden den herkömmlichen Unterricht er
setzen. Der persönliche Lehrer und der pri
märe Gesprächspartner werde ein Compu
ter sein. Rechner bzw. Softwareprogramme und synthetische Stimmen würden zum Lehrer, Partner, Ratgeber und lebenslangen Begleiter. Computer beobachten per Vi
deokamera und Sprachaufzeichnung ihre Schülerinnen und Schüler und sprechen mit ihnen, geben ihnen die Schulaufgaben, motivieren, loben und helfen, wenn etwas nicht funktioniert. Das sei keine Sciencefic
tion, sondern Deutschland 2036.
„2036 werden Eltern schon für ihre fünf Jahre alten Kinder einen virtuellen Lehrer abonnieren. Die Stimme des Computers wird uns durchs Leben begleiten. Vom Kindergarten über Schule und Univer
sität bis zur beruflichen Weiterbildung.
Der Computer erkennt, was ein Schüler schon kann, wo er Nachholbedarf hat, wie er zum Lernen gekitzelt wird. Wir werden uns als lernende Menschen neu erfinden. Dabei wird der zu bewältigende Stoff vollkommen auf den Einzelnen zu
geschnitten sein“ (Breithaupt 2016)
Breithaupts „Talking
Method“ als Freiland versuch
Diese Systeme wären nicht nur intelli
gent, sondern könnten auch Emotionen erkennen und entsprechend reagieren.
Wie ein guter Coach oder Trainer brin
ge die Software jeden Probanden bis zur maximalen Leistung. Breithaupt nennt das „Individualerziehung“ durch Soft
waresysteme. Die Revolution liege in der Mischung aus Algorithmen und compu
terisierter Spracherkennung. Die Systeme seien einsatzbereit.
„Um diese Stimme als intelligenten per
sönlichen Assistenten für die Bildung anzuwenden, fehlt nur noch der große Freilandversuch, in dem das System sich selbst verbessern kann.“11
Und? Sind Sie als Eltern bereit, Ihre Kinder für diese Freilandversuche zur Verfügung zu stellen? Sind Sie als Lehrerin oder Leh
rer bereit für diese „moderne Form der
„Individualerziehung durch Softwaresys
teme“? Sind Sie als Bildungspolitikerin oder Bildungspolitiker bereit, solche Kon
zepte zu fördern und für Schulen vor
zuschlagen? Selbstredend nicht für die eigenen Kinder. Als die Tochter von Fritz Breithaupt ihren High SchoolAbschluss machen wollte und Probleme mit Mathe
matik hatte, hat er keine Software instal
liert, sondern einen Studenten engagiert, der ihr Nachhilfe gab. Wir wüssten doch alle, so Breithaupt auf der Personal Zu
kunft in Köln 2016, dass Personal Coa- ching (die klassische Nachhilfe) die beste Methode sei, um etwas zu ler- nen. Nur sei das eben nicht effizient.
Das heißt: Nachhilfe für Professorenkin
der, Software für weniger Betuchte?
Digital first – ohne Bedenken
Die Bundestagswahl 2017 hat übrigens gezeigt, dass es auch Politiker bzw. eine Partei gibt, die keine Probleme damit haben, Freilandversuche mit Kindern an
derer durchzuführen. Sie erinnern sich gewiss an das Plakat: „Digital first. Be
denken second.“ und die „Beta Republik Deutschland“.
Über die sogenannte digitale Bildung – und den lernenden Menschen
Teil 2
Prof. Dr. phil.
Lankau
https://www.zdf.de/assets/grundschulecomputer100~1920x1080?cb=1509720759266
bbw
+4/2018
BetaVersionen sind bei Software unfer
tige Testversionen. BetaTester arbeiten freiwillig mit fehlerbehafteten Versionen.
Kinder und Schulen zu unfreiwilligen
„BetaTestern“ zu machen ist verantwor
tungslos. Wir stehen in einer langen päd
agogischen Tradition und wissen auch um die wiederholten Versuche und des wie
derholten Scheiterns der Medialisierung und Automatisierung von Unterricht. Wer daher die notwendige Reflexion über die Folgen von Digitaltechnik in Bildungsein
richtungen, also die klassische Technikfol
geabschätzung (TA) bei der Digitalisierung von immer mehr Lebensbereichen aus
blenden will, kann weder politisch noch als Person ernst genommen werden.
Vom Unterrichten und von Fachinhalten her denken
Zumal: Seit über 30 Jahren wird immer nur aufgeführt, was man mit neuen Ge- räten technisch machen kann.
Lehrinhalte aber ergeben sich aus Bildungsplänen, nicht durch neue elektronische oder digitale Geräte der Unter haltungselektronik.
Dafür sind die Folgen mittlerweile gut dokumentiert: „Bei etwa der Hälfte der (Grundschul)Kinder sind die Lernschwie
rigkeiten so erheblich, dass bei ihnen eine schulische Entwicklungsstörung (Lese, Rechtschreib oder Rechenstörung) dia
gnostiziert wird.“12
„Die Kompetenzen der Schüler in den Be
reichen Orthographie und Zuhören haben sich in Deutschland insgesamt verschlech
tert. Im Jahr 2011 waren 74 Prozent der Schüler in der Lage, den Regelstandard zu erbringen, nun sind es nur noch 68 Pro
zent.“ (IQBBildungstrend 201613, 14) Im OECDBericht „Students, Computers and Learning: Making the Connection“
(2015), der den Nutzen von Digitaltech
nik belegen sollte, schreibt der Chef des OECDPISAProgramms Andreas
Schleicher im Vorwort: „Die Ergebnisse zeigen auch keine nennenswerten Ver
besserungen in der Schülerleistung in Lesen, Mathematik oder Wissenschaft in den Ländern, die stark in IKT (Informa
tions und Kommunikationstechnologie) für Bildung investiert hatten.“
In der gleichen Studie steht, auf was es tatsächlich ankommt:
„Die verstärkte Nutzung digitaler Me
dien führt offensichtlich nicht per se zu besseren Schülerleistungen. Viel
mehr kommt es auf die Lehrperson an.“ (Dt. TelekomStiftung 2015, S. 8)15
In der letzten PisaStudie schließlich stand: »Schüler lernen besonders gut Naturwissenschaften, wenn ihre Leh
rer besonders häufig wissenschaftliche Thesen erklären und belegen (…) Der gute Lehrervortrag vor der Klasse – das klingt nach alter Schule und das macht die Aussage brisant für die pädagogische Diskussion« (Preuss 2016, S. 14).
Mehr Schaden als Nutzen
Qualifizierte Lehrkräfte sind entschei
dend. Das ist bekannt und steht glei
chermaßen in der Hattie wie in anderen Studien. Es gibt aus den letzten 30 Jahren zugleich klare Belege über das regelmä
ßige Scheitern von Medien und heute Digitaltechnik im Unterricht. Nicht Me
dientechnik entscheidet über die Quali
tät von Unterricht, sondern qualifizierte Lehrkräfte. Ich zitiere hier exemplarisch Andreas Schleicher, der es als PISAKo
ordinator (und Digitalbefürworter) wie folgt auf den Punkt bringt:
„Wir müssen es als Realität betrach
ten, dass Technologie in unseren Schulen mehr schadet als nützt.“16
Schleicher analysiert damit die Folgen von Digitaltechnik in Schulen korrekt. Er rela
tiviert als Digitalbefürworter zwar sofort und behauptet, der empirisch auch durch andere Studien wie vom Aktionsrat Bil
dung17 belegte Schäden durch den ITEin
satz in Schulen liege nur daran, dass diese Technologien noch nicht optimal auf die Bedürfnisse der Schule abgestimmt sei
en. („… because we have not succeded in integrating well.“) Das aber ist nur die übliche Technikgläubigkeit, die davon ausgeht, dass lediglich die technischen Systeme optimiert werden müssten, um im Kontext Schule und Lernen zu funktio
nieren. („There is a lot to do to bring these worlds together, the world of technology, the world of education.“) Schleicher ver
kennt, dass der fehlende Nutzen durch Digitaltechnologie weniger technische als vielmehr grundsätzlich pädagogische und (lern)psychologische Ursachen hat.18 Sinnvoller wäre zu schlussfolgern:
Das Prinzip der Digital als Automa
tisierungstechnik zur Standardisie
rung der Produktion mit normierten Ergebnissen ist für den Kontext Lehre, Lernen und Unterricht ungeeignet.
Bildungseinrichtungen sind keine Produktionsstätten, Absolventen sind kein Produkt.
Damit aber wären die generellen Zie
le der OECD wie des PISAKonsortiums – die weltweite Standardisierung von Unterricht durch Automatisierung und Digitalisierung – obsolet. Daher definiert Schleicher das auch historisch von Claus Pias belegte, regelmäßige Scheitern der Medialisisierung von Unterricht19 ein
fach zu einem Anpassungs und Kon
figurationsproblem um. Wer hingegen den Menschen mit seinen Lernprozessen als Individuum in den Mittelpunkt stellt, wird anderes fordern als immer nur mehr Informationstechnik in variierenden Kon
figurationen.
Technologischer Totalitarismus
„Internetkonzerne und Geheimdienste wollen den determinierten Wer nachle
sen will, um was es wirklich geht, dem sei das Buch von Frank Schirrmacher emp
+4/2018 fohlen: Technologischer Totalitarismus.
Eine Debatte. (2015). Martin Schulz, da
mals noch Präsident des EUParlaments, formulierte darin im Jahr 2014 unter dem Titel „Warum wir jetzt kämpfen müssen“:
Menschen. Wenn wir weiter frei sein wol
len, müssen wir uns wehren und unsere Politik ändern.“20
Daraus ergeben sich drei Thesen als Denkanstoß für die weitere Diskussion.
Drei Thesen als Ausgangs- punkt und Denkanstoß
I. Digitaltechnik als Technik der Gegenaufklärung
Digitaltechnik, wie sie derzeit aus dem Silicon Valley kommt, ist Technik der Ge
genaufklärung. Es werden immense Daten ohne (EUtaugliche) Rechtsgrundlage er
hoben und nach für die User nicht bekann
ten Kriterien ausgewertet. Mit den Mo
dellen der Kybernetik und den Methoden von Big Data Analysis bzw. Data Sciences (Stichworte: Deep Learning oder Machine Learning, sogenannte „künstliche Intelli
genz“, im Kern aber Mustererkennung und Automatisierungstechnik) werden immer komplexere, intransparente Systeme für alle Lebensbereiche geschaffen.
Das Ziel ist, sowohl ganze Gesellschaften zu steuern (Stichwort „Governance“) wie jeden einzelnen Menschen (Stichwort
„Nudging“; Mustererkennung und synthe
tische Computerstimmen als allgegenwär
tiger Avatar). Der Mensch wird permanent kontrolliert, sein optimales Agieren algo
rithmisch berechnet und er soll tun, was die Systeme ihm sagen. Das ist weder de
mokratisch noch human und widerspricht dem Bildungsauftrag von Schulen.
II. Lernen lässt sich nicht automatisieren.
Lernen ist ein individueller und sozialer Prozess. Am Computer lässt sich allenfalls Bestandswissen vermitteln und prüfen. Es sind, wissenschaftlich belegt, technische Systeme für Lernbulimie. (Hoch)Schulen müssen stattdessen vermitteln, was tech
nische Systeme nie leisten werden: selb
ständiges und selbstbestimmtes Denken, kreatives Handeln, Empathie, Verantwor
tung. Nur im sozialen Miteinander können Menschen diese Fähigkeiten entfalten.
III. Wir müssen IT neu denken.
Die derzeit eingesetzten Systeme sind nicht zukunftsfähig. Zugrunde liegen Konzepte aus dem 20. Jahrhundert für Aufgaben des 21. Jahrhunderts. Statt Zentralisierung von immer mehr Daten in homogenen technischen Strukturen, die letztlich dem MainframeKonzept der 1960er Jahre folgen (auch wenn es heu
te Cloud Computing heißt), müssen wir dezentrale, auch technisch diversifizierte Systeme aufbauen – und datensparsam werden. Zentralisierte Technikstrukturen sind eben auch zentral zu hacken.
Datenschutz als erstes Primat, dezentrale Datenhaltung, diversifizierte und inho
mogene Systeme und vor allem Daten
sparsamkeit – das wird die IT des 21. Jh.
werden. Denn IT muss wieder zum Werk
zeug des Menschen werden statt ihn aus der Cloud heraus algorithmisch berech
net zu steuern.
eLearning Paradox
Dazu kommt ein Paradox des „automati
sierten Beschulens:“Alles was sie am Rech
ner und mit Software lernen, um ihren Job zu machen kann auch ein Rechner lernen, um Ihren Job zu machen.“21 Rechner und Software sind binäre Systeme und können nur binär agieren: Null oder Eins (0/1). Beim Lernen mit dem Rechner kann nur auf rich
tig oder falsch geprüft werden, nicht auf Verständnis oder das Erkennen von Zu
sammenhängen. Lernen am Rechner wird auf automatisiert Prüfbares reduziert. Die
ses „Wissen“ können auch Maschinen „ler
nen“, weil es regelbasiert und normiert ist.
Perspektivwechsel
Was wir brachen ist daher nichts anderes als ein grundlegender Perspektivwechsel.
Statt den Einsatz von Medientechnik im
Unterricht von ITKonzernen konzipie
ren zu lassen und sich deren Interessen unterzuordnen, müssen wir Unterricht, Lerninhalte und Medieneinsatz vom Menschen aus denken. Dazu braucht man am Anfang nicht mal Computer oder Software, sondern gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer und altersange
messene didaktische Konzepte. Ein Bei
spiel ist CS Unplugged: Informatikunter
richt ohne Rechner.
„Den Einstieg in die Informatik ohne Computer? Hört sich komisch an, ist aber so! Denn für die Informatik ist es erstmal viel wichtiger, sich das richtige DenkWerkzeug anzueignen, um dann auch programmieren zu können. Mit ›CS Unplugged‹ lernt ihr spielerisch wichtige Grundlagen, Fragestellungen und Me
thoden der Informatik, ganz ohne Rech
ner und Software.“22
Denkwerkzeuge: Das ist es, was Schu
len in allen Fächern vermitteln müs
sen. Dazu kommen Abstraktions und Reflexionsvermögen, ein sich erwei
ternder Wortschatz mit Ausdrucksfä
higkeit, Fachwissen und der Diskurs miteinander. Lernen als sozialer und interaktiver, interpersonaler Prozess:
Das ist es, was Schulen leisten müssen.
Daraus ergeben sich sieben Forderungen:
1. Bildung und Schule vom Menschen her denken
Schulen und Hochschulen in Deutschland sind Bildungseinrichtungen in huma
nistischer und demokratischer Tradition.
Sie sind vom Menschen her zu denken, nicht von technischen Systemen und de
ren Entwicklungszyklen. Nötig sind mehr Lehrkräfte, Mentoren, Tutoren, nicht (pri
mär) Hardware.
2. Lehrkräfte entscheiden über Medien(einsatz und -technik)
Medien und Medientechnik im Unter
richt sind Werkzeuge im pädagogischen bzw. (fach)didaktischen Kontext. Es sind
bbw
+4/2018
mögliche Hilfsmittel, um das Unterrich
ten und Lernen zu unterstützen. Über den sinnvollen Einsatz von Lehrmedien entscheiden Lehrkräfte aufgrund ihrer Ausbildung und gemäß dem Grundrecht der Lehr und Methodenfreiheit selbst.
3. Keine Zwangsdigitalisierung, Schule stellt die Geräte
Die unterschiedslose Forderung, alle Lehrkräfte an allen Schulformen müssten mit digitalen Geräten arbeiten ist Unsinn und dient ausschließlich den Interessen der Anbieter. Werden in den höheren Klassen Computer für den Unterricht be
nötigt, muss die Schule die Geräte stel
len (keine Privatgeräte, das ist juristisch, technisch und pädagogisch falsch).
4. Keine Schülerdaten und -profile (kein Learning Analytics)
Daten von und zwischen Schulen und Schülern dürfen weder aufgezeichnet noch für Lernprofile ausgewertet werden.
Schülerinnen und Schüler sind juristisch minderjährige Schutzbefohlene, deren Daten nach deutschem Recht geschützt werden müssen. Hier besteht gesetzge
berischer Nachholbedarf noch vor tech
nischen Konzepten.
5. Kita und Grundschule bleiben bildschirmfrei
Medien im Unterricht müssen altersan
gemessen sein. Bildschirmmedien sind aus Sicht von Kinderärzten, Kognitions
wissenschaftlern, Vertretern der Medien
wirkungsforschung und der Pädagogik in den ersten Schuljahren nicht lernförder
lich. Daher müssen zumindest Kitas und Grundschulen in der direkten pädagogi
schen Arbeit ITfrei bleiben.
6. Fokus auf Kulturtechniken (lesen, schreiben, rechnen)
Die entscheidende Medienkompetenz für Bildungschancen wie gerechtigkeit sind die Kulturtechniken Lesen, Schrei
ben und Rechnen. Investitionen in diese Kulturtechniken und eine intensive Le
seförderung sind für Bildungsbiografien nachhaltig und emanzipatorisch. Dazu
kommen die ästhetischen Fächer (zeich
nen, malen, musizieren, werken...) und Bewegung (Sport).
7. Pädagogisches Primat
Medientechnik im Unterricht ist immer aus pädagogischer Perspektive zu hin
terfragen und zu beurteilen: ob und ggf.
wann sie altersangemessen eingesetzt werden kann, nicht muss.
Wir müssen, heißt das, viel stärker diffe
renzieren und diversifizieren statt immer stärker zu standardisieren und zu digi
talisieren. So wichtig es ist, die Schulen deutlich besser auszustatten, so falsch ist es, Gelder nur für Digitaltechnik bereit
zustellen. Statt zentral die Investitionen in Medientechnik bestimmen zu wollen, sollte die einzelne Schule entscheiden können, für was die Mittel verwendet werden. Wir sind als Lehrkräfte schließ
lich den Kindern, Jugendlichen und (jun
gen) Erwachsenen in unseren (Hoch) Schulen verpflichtet, nicht den Umsätzen von ITUnternehmen. Denn die pädago
gische Prämisse ist immer der verant
wortungsvolle und situationsgerechte Einsatz von – analogen wie digitalen – Medien im Unterricht mit dem Ziel, Lern
prozesse zu unterstützen. Individualisie
rung und Personalisierung findet dabei im direkten Miteinander statt.
Und nicht zuletzt: Deutschland ist wirt
schaftlich so stark und hat u. a. eine so niedrige Jugendarbeitslosigkeit, weil wir bisher ein ausdifferenziertes Schul, ein duales Ausbildungssystem und ein mehr
gliedriges Hochschulsystem haben. Das ermöglicht vielfältige Ausbildungs und Berufswege. Das sichert, in Verbindung mit der besonderen Struktur der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU, die oft als Familienbetriebe geführt werden), unsere Zukunft – nicht Fünfjah
respläne und Zwangsdigitalisierung.
Prof. Dr. phil. Lankau Hochschule Offenburg Fakultät Medien und
Informationswesen ■
Websites zum Weiterlesen
■
■ Bündnis für humane Bildung:
http://augwach-s-en.de
■
■ Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V.: http://bildung-wissen.eu
■
■ futur iii – Digitaltechnik zwischen Freiheitsversprechen und Total
überwachung: http://futur-iii.de Das Buch zum Thema
■
■ Lankau (2017): Kein Mensch lernt digital. Über den sinnvollen Einsatz neuer Medien im Unterricht, Beltz, Weinheim, http://www.beltz.de/produkt_
produktdetails/35391kein_mensch_
lernt_digital.html
Literatur und Quellen
Bieri, Peter (2008): Wie wäre es, gebildet zu sein?, in:
Göppel, Rolf u. a. (Hrsg.): Bildung ist mehr. Potentiale über Pisa hinaus. Heidelberg: Mattes, S. 13 – 21 Bleckmann, Paula (2016) Statement „Medienmün
digkeit – welcher Weg führt zum Ziel?“, 9.6.2016, öf
fentliche Diskussionsveranstaltung im Bundestag zur Vorstellung des TABGutachtens „Elektronische Medien und Suchtverhalten“
Bleckmann, Paula (2012). Medienmündig, Stuttgart Dräger. Jörg; MüllerEiselt, Ralph (2015a) Die digitale Bildungsrevolution, 2015
Gruschka, Andreas (2011) Verstehen lehren, Stuttgart Heller, Eva (1984) Wie Werbung wirkt. Theorien und Tatsachen, Frankfurt
Kaeser, Eduard (2017) Beherrschen uns die Algorithmen wirklich? In: NZZ vom 23.11.2017, S. 10
Lankau, R. (2017) Kein Mensch lernt digital; Beltz, Weinheim
Marquardt, Odo (2003) Zukunft braucht Herkunft.
Philosophische Essays, S. 241
Preuss, Roland (2016) Verstehen statt Pauken, in: SZ vom 12.12.2016, S. 14
Spitzer, Manfred (2015) Cyberkrank München: Droemer Wiedemann, Carolin (2017) Werden wir ihre Katzen sein, in: FAS, 26.11.2017, S. 55
Wiener, Norbert (1946) Cybernetics or control and com
munication in the animal ans the machine; deutsch:
Kybernetik – Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine“ (1963, Econ)
Anmerkungen
1 Siehe dazu: Lankau, 2017, S. 46 f.
2 www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/
10/20161012digitalpaktwanka.html
3 (PM Digitalisierungsoffensive im Bildungsbereich, https://www.badenwuerttemberg.de/de/service/
presse/pressemitteilung/pid/digitalisierungsoffensive
imbildungsbereich/)
+4/2018 4 http://www.deutschlandfunk.de/minicomputerim
klassenzimmerancalliopescheidensichdie.680.
de.html?dram:article_id=399302 5 Dräger/MüllerEiselt, 2015, Covertext
6 Frieser. Michael (2017) Digitalisierung und Demogra
phie, in FAZ vom, 26.10.2017, S. 6
7 Ifenthaler, D.; Schumacher, C. (2016): Learning Ana
lytics im Hochschulkontext. WiSt Heft 4. April 2016.
S. 179
8 Siehe z.B. http://www.zeit.de/digital/internet/201711/
maxschremsnoybsammelklagendatenschutz
facebook oder https://www.jetzt.de/facebook/max
schremsderjurastudentderfacebookverklagthat 9 https://www.ftc.gov/enforcement/rules/rulemaking
regulatoryreformproceedings/childrensonline
privacyprotectionrule
10 Eine deutsche SchulCloud wurde technisch bereits vom HassoPlattnerInstitut in Kooperation mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und MINTec, dem nationalen ExzellenzSchulnetzwerk und anderen Partnern realisiert und an 27 Schulen getestet – obwohl der Bund weder zuständig noch berechtigt ist, zentralisierte Technikstrukturen für Bil
dungseinrichtungen aufzubauen. Hier werden tech
nische Fakten geschaffen vor der Diskussion mit den föderalen Ländern als Bildungsverantwortliche.
11 Breithaupt, Fritz (2016): Ein Lehrer für mich allein, in: Die Zeit Nr. 5 vom 28. 1.2016
12 Studie des Bundesbildungsministeriums, gemeinsam durchgeführt von vier pädagogischen Fakultäten (BMBF 2017); Pressemitteilung: 059/2017 – Kinder frühzeitig und individuell unterstützen; https://www.bmbf.de/
de/kinderfruehzeitigundindividuellunterstuetzen
4289.html
13 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/iqbbildungs
studieviertklaesslerschlechteralsvor5jahren
15244616.html
14 https://www.iqb.huberlin.de/bt/BT2016/Bericht 15 Deutsche TelekomStiftung (Hrsg.) (2015): »Schu
le digital. Der Länderindikator 2015«; https://www.
telekomstiftung.de/sites/default/files/schuledigital_
2015_web.pdf; http://epaper.telekom.com/telekom
stiftung/Schule_digital_ 2015 (13.6.2017)
16 Bagshaw, E. (2016): The reality is that technology is doing more harm than good in our schools‘ says edu
cation chief. Sydney Morning Herald 1.4.2016; http://
www.smh.com.au/national/education/therealityis
thattechnologyisdoingmoreharmthangoodin
ourschoolssayseducationchief20160330gnu370.
html
17 Siehe z.B. das am 10. Mai 2017 veröffentlichte Gutachten des „Aktionsrat Bildung“ der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) „Bildung 2030“ – Veränderte Welt. Fragen an die Bildungspolitik“. Die Kernbotschaft: Schulen müssen digitaler werden. Am Nutzen der Digitaltechnik bestehe kein Zweifel. Im zuerst publizierten Gutachten der VBW hieß es (Seite 78), „dass Grundschülerinnen und Grundschüler in Deutschland, in deren Unterricht mindestens einmal wöchentlich Computer eingesetzt wurden, in den Domänen Mathematik und Naturwissenschaften sta- tistisch signifikant höhere Kompetenzen aufwie
sen als jene Grundschulkinder, die seltener als einmal pro Woche Computer im Unterricht nutzten“. In der, auf Hinweis einer aufmerksamen Leserin, korrigierten Version vom 16.5.2017 heißt es nun, dass „Grundschü
lerinnen und Grundschüler in Deutschland, in deren Unterricht mindestens einmal wöchentlich Computer eingesetzt wurden, in den Domänen Mathematik und Naturwissenschaften statistisch signifikant niedri-
gere Kompetenzen aufwiesen als jene Grundschul
kinder, die seltener als einmal pro Woche Computer im Unterricht nutzten“. (Hervorhebung vom Autor.) Die Forderung nach mehr Digitalisierung bleiben bei vbw und Aktionsrat Bildung davon unberührt. Das heißt auf gut deutsch: Was immer Studien ergeben, die Di
gitalisierung von Schule und Unterricht bleibt das Ziel der Wirtschaftsverbände und der ihnen zuarbeitenden Wissenschaftler. Siehe: Falsch zitiert und falsch gemel
det, http://futuriii.de/2017/06/01/falschzitiertund
falschgemeldet/
18 Andreas Schleicher: Making Education Everybody‘s Business. Eröffnungsansprache auf dem Glo
bal Education & Skills Forum 2016; Folien https://
de.slideshare.net/OECDEDU/makingeducationeve
rybodysbusiness; Video: https://www.youtube.com; / watch?v=YArPNnqf4nQ
19 Siehe Claus Pias (2013): Eine kurze Geschichte der Unterrichtsmaschinen, FAZ vom 10. Dezember 2013 ; www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschungundlehre/
automatisierungderlehreeinekurzegeschichte
derunterrichtsmaschinen12692010.html
20 Martin Schulz (FAZ, 06.02.2014) und Frank Schirr
macher (Hrsg.) Technologischer Totalitarismus, Berlin:
Suhrkamp
21 “All you can learn with a machine to do your job , also a machine can learn to do your job.“ Als These von mir vorgetragen auf dem Symposium: Economization.
Commodification. Digitalization. The Emergence of a Global Education Industry, 1517 February 2017 at Goethe University, Frankfurt am Main
22 http://csunplugged.org/ bzw. www.einstieginfor
matik.de/index.php?article_id=1067
Manuela Soethe
Neue Beiträge ab 01.04.2018
Die Vertreterversammlung des vlbs hat im November 2017 beschlossen, die Mitgliedsbeiträge um 5 % je Besol
dungs / Entgeltgruppe anzuheben. Die letzte Beitragsanpassung erfolgte zum 01.04.2010 und liegt somit schon acht Jahre zurück.
Beachten Sie, dass die Stadt, Kreisver
bände zum Teil unterschiedliche Orts
zuschläge erheben und es somit zu Ab
weichungen von der Referenztabelle des Landesverbandes NRW kommen kann.
Denken Sie bitte auch daran, Ihre Über
weisung auf die neuen Beiträge umzu
stellen, falls Sie noch nicht am Einzugs
verfahren teilnehmen.
Da uns in der Vergangenheit immer wie
der z. T. erhebliche Rückbuchungs gebühren durch nicht aktuelle Bankverbindungsdaten entstanden sind, behalten wir uns vor, zu
künftig diese Beträge von den Mitgliedern zurück zu fordern. Deswegen beachten Sie bitte den Hinweis in den Ausgaben des Be
ruflichen Bildungsweges, alle persönlichen Änderungen der Geschäftsstelle zeitnah mitzuteilen. Vielen Dank dafür!
Manuela Soethe
Kassiererin im Landesverband ■
bbw
+4/2018
I
m Amtsblatt Februar 2018 S. 32 ff. findet sich die Dienstanweisung für die automatisierte Verarbeitung von personenbe
zogenen Daten in der Schule (Runderlass des Ministeriums für Schule und Bildung vom 19.01.2018) mit folgender Begrün
dung: „Mit Verordnung vom 09. Februar 2018 wurden die Verordnung über die zur Verarbeitung zugelassenen Daten von Schülerinnen, Schülern und Eltern (VODV I) und die Verordnung über die zur Ver
arbeitung zugelassenen Daten von Lehre
rinnen und Lehrern (VO DV II) geändert.
Dass diese Neuerung notwendig gewesen ist, daran zweifelt keiner, denn seit den 90er Jahren ist viel passiert in Sachen Digitalisierung an Schulen – aber damals wie heute werden die Schulen mit den da
raus resultierenden Problemen in Sachen Datenschutz alleine gelassen. Es ist kaum leistbar, dass Schule die rechtliche Grund
lage einhalten kann, wenn der Dienstherr nicht dafür sorgt, dass dienstliche Endge
räte nebst den dazugehörigen Fachleuten sowohl im ITBereich als auch im Rechts
bereich zur Seite gestellt werden.
Allerdings ist diese Dienstanweisung nicht allein aus Anpassungsgründen ent
standen, sondern auch deshalb weil am 25. Mai 2018 die Übergangsfrist der am 25. Mai 2016 in Kraft getretenen EU Da
tenschutz Grundverordnung endet. Das bedeutet, dass sie ab 25. Mai 2018 für alle gilt und durch die Gerichte überprüf
bar ist – dieser Überprüfung unterliegen auch die Schulen des Landes NRW.
Zunächst sollten wir aber die Grund- lagen klären: Was ist überhaupt unter Datenschutz zu verstehen?
Datenschutz bedeutet, dass jeder Einzelne über die Preisgabe und Verwendung sei
ner persönlichen Daten bestimmen kann.
Die Absicht des Datenschutzes ist die Si
cherung des Grundrechts auf informati
onelle Selbstbestimmung als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – dem Recht auf freie Entfaltung der Persön
lichkeit (Artikel 2 Grundgesetz).
Dieser Begriff ist durch das sogenannte
„Volkszählungsurteil“ des Bundesverfas
sungsgerichtes von 1983 geprägt worden.
Viele Bürgerinnen und Bürger haben sich nämlich damals geweigert, ihre persön
lichen Verhältnisse bei der bundesweiten Volkszählung zu offenbaren. Das Volks
zählungsgesetz, dass diese Volkszählung ermöglichen sollte, wurde teilweise auf
gehoben und der Begriff der „informatio
nellen Selbstbestimmung“ wurde geboren.
Der bedeutsame Grundsatz lautet daher: Es ist verboten, personen- bezogene Daten zu verarbeiten, da diese grundrechtlich geschützt sind!
Immer dann, wenn in ein Grundrecht eingegriffen werden soll, bedarf es dazu eines Gesetzes, das habe ich wiederholt in meinen Beiträgen ausgeführt.
So bestimmt § 4 Abs. 1 Datenschutzgesetz (DSG), dass personenbezogene Daten nur verarbeitet werden dürfen, wenn ein Ge
setz dies erlaubt oder die Erlaubnis durch die betroffene Person selbst erteilt wird.
§ 3 Abs. 1 DSG erläutert, dass „perso- nenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener) sind.“
Die rechtliche Grundlage für die Verar
beitung personenbezogener Daten findet sich hauptsächlich im Bundesdaten
schutzgesetz und im Datenschutzgesetz NRW. Für Schulen finden sich die weiter
gehenden Grundlagen in den §§ 120122 SchulG NRW (BASS 11), in der VODV I (BASS 1044 Nr. 2.1, der VODV II (BASS 1041 Nr. 6.1) und ab Januar 2018 in der neuen VODV I (BASS 1041 Nr. 4).
Achtung: Am 25. Mai 2018 endet die Übergangszeit der europäischen Daten
schutzGrundverordnung (DSGVO), die am 25. Mai 2016 in Kraft getreten ist. Das zieht eine Änderung des aktuellen Bun
desdatenschutzgesetzes nach sich.
Damit ist klar, dass es für die Datenverar
beitung gesetzliche Grundlagen gibt, um das Recht des Einzelnen auf informatio
nelle Selbstbestimmung unter ganz be
stimmten Bedingungen einzuschränken.
§ 3 Abs. 2 DSG NW erläutert, was Datenverarbeitung bedeutet:
„Datenverarbeitung ist das Erheben, Speichern, Verändern, Übermitteln, Sper
ren, Löschen sowie Nutzen personenbe
zogener Daten.“
■
■ Erhebung ist das Beschaffen von Daten über die betreffende Person (§ 3 Abs. 2 Nr. 1).
■
■ Speicherung ist das Erfassen, Auf
nehmen oder Aufbewahren von Daten auf einem Datenträger zum Zwecke ihrer weiteren Verarbeitung (§ 3 Abs. 2 Nr. 2).
■
■ Veränderung ist das inhaltliche Umge
stalten gespeicherter Daten (§ 3 Abs. 2 Nr. 3).
Datenschutzgesetz –
Endlich auch an Schulen angekommen?
Carola Dehmel