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Reviewed by Gerulf Hirt. Published on H-Soz-u-Kult (June, 2014)

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Besucher, Zuschauer, Surfer, Gamer – Geschichtsaneignungen in der Mediengesellschaft. DFG-

Forschungsverbund „GAMe – Geschichtsaneignungen in der Mediengesellschaft“, 09.04.2014-11.04.2014.

Reviewed by Gerulf Hirt

Published on H-Soz-u-Kult (June, 2014)

Ob erfolgreiche Spielfilme wie der „Baader- Meinhof-Komplex“ oder PC-Weltkriegsshooter: die (multi- und cross-)mediale Eventisierung und Po‐

pularisierung von Geschichte boomt. Historisie‐

rende bzw. kontrafaktische Medienofferten beein‐

flussen alltäglich massenweise individuelle Ge‐

schichtsaneignungsprozesse. Solche medialen Prägungen zeitigen zweifellos noch unabsehbare Konsequenzen für traditionelle Geschichtsver‐

mittler und dürften sich langfristig auf die politi‐

sche Bewusstseinsbildung innerhalb der deut‐

schen Gesellschaft auswirken.

Vor diesem Hintergrund blieb bisher unbe‐

antwortet, inwiefern und mit welchen Konse‐

quenzen sich mediale Geschichtsvermittlungs- und Geschichtsaneignungsprozesse vollziehen.

Was bedeutet es für öffentliche Geschichtsbilder, wenn mehrheitlich durch Laien lancierte sowie multi- und/oder cross-medial vermittelte Ge‐

schichtsofferten täglich weitaus mehr Menschen in ihrem Alltag erreichen, als professionelle Histo‐

riker, Museumsfachleute oder Geschichtslehrer?

Angesichts der soziokulturellen und politi‐

schen Relevanz solcher Fragen überrascht, dass bisher weder die Geschichtswissenschaft noch die Medienrezeptionsforschung mehr als bruchstück‐

hafte Antworten gefunden haben. Unklar blieb bisher auch, wer genau die jeweiligen Empfänger, Konsumenten und User medialer Offerten des Historischen sind. In welcher Weise nehmen wel‐

che Besucher, Zuschauer, Surfer oder Gamer wel‐

che medialen Erzählungen, (Ab-)Bilder, Imaginati‐

onen oder Manipulationen von Geschichte/Ver‐

gangenheit wahr und wie gehen sie mit diesen all‐

täglich um? Besonders spannend und öffentlich‐

keitstheoretisch wie politisch höchst relevant ist zudem die Frage nach dem Einfluss medialer Ge‐

schichtsofferten auf zukünftige gesellschaftliche Geschichtsbilder.

Eine theoretisch reflektierte und empirisch fundierte Erforschung dieser so komplexen wie wichtigen Fragen hat sich nun erstmals der inter‐

disziplinäre und internationale DFG-Forschungs‐

verbund „GAMe – Geschichtsaneignungen in der Mediengesellschaft“ zum Ziel gesetzt. DFG-For‐

schungsverbund „GAMe – Geschichtsaneignungen in der Mediengesellschaft“ Homepage: <http://

www.geschichtsaneignung.ovgu.de/> (30.5.2014) Unter der Leitung von RAINER GRIES (Jena/Wien) kooperieren bei dieser transdisziplinären Grund‐

lagenforschung Historiker und Geschichtsdidakti‐

ker, Informations-, Kommunikations- und Medi‐

enwissenschaftler der Universitäten Jena, Magde‐

burg, Leipzig und Wien mit Psychologen der Sig‐

mund Freud PrivatUniversität Wien, mit dem Fernsehsender 3sat sowie mit der Medienanstalt Sachsen-Anhalt.

Zum Kickoff-Workshop dieses interdiszipli‐

nären Forschungsverbundes luden Silke Satjukow und der Lehrstuhl für die Geschichte der Neuzeit an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg im April 2014 ein. Geschichtsdidaktiker, Histori‐

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ker, Kommunikations-, Medien- und Informati‐

onswissenschaftler sowie Psychologen spürten in vier Panels auf hohem theoretischen wie metho‐

dischen Niveau multiplen Rezeptions- und Ge‐

schichtsaneignungsprozessen im Zusammenhang mit (Fernseh-)Spielfilmen, historischen (Ge‐

denk-)Orten und Live-Rollenspielen, Nutzungs‐

mustern einer virtuellen Ausstellung und ge‐

schichtsjournalistischen Online-Contents sowie mit Computerspielen nach. In der ersten Phase des Forschungsverbundes wird der Fokus zu‐

nächst auf jugendlichen Medienrezipienten, -kon‐

sumenten und -nutzern im deutschsprachigen Kultur- und Kommunikationsraum liegen.

Rainer Gries betonte in seinem Einführungs‐

vortrag, dass das Ziel des Workshops in der inter‐

disziplinären Auslotung erster weiterführender Ansätze zur Untersuchung der Frage bestehe, wie heute verbreitete Geschichtsbilder multi- und/

oder cross-medial beeinflusst werden. Diese histo‐

risierenden Medienofferten könnten bei Rezipien‐

ten die Imagination hervorrufen, sich trotz räum‐

licher, körperlicher und zeitlicher Distanz nah am historischen Geschehen zu befinden, teilweise dieses sogar miterleben oder mitgestalten zu kön‐

nen.

Es müsse daher zunächst darum gehen, die Spannungsverhältnisse zwischen Authentizität und Fiktionalität am konkreten Medium zu analy‐

sieren und deren Wechselwirkungen mit indivi‐

duellen wie kollektiven Aneignungsprozessen von Geschichtsbildern kritisch zu hinterfragen. Frag‐

lich sei schließlich, ob durch historisierende Me‐

dienangebote möglicherweise sogar ein „Zeitzeu‐

ge neuen Typs“ geboren werde, also eine Art kon‐

trafaktischer Medien-Zeitzeuge.

Das für „GAMe“ zentrale Verhältnis zwischen Authentizität und Fiktionalität, zwischen der Ver‐

breitung und Nutzung medialer Geschichtsoffer‐

ten sowie deren individueller wie kollektiver An‐

eignung, griff UDO GÖTTLICH (Friedrichshafen) aus der Perspektive der Medienrezeptionsfor‐

schung virtuos in seinem Abendvortrag auf. Gött‐

lich interpretierte die immer dynamischer und komplexer werdenden Medienrezeptionsprozesse als „untrennbare Elemente des Alltags“ und als

„Sozialisationselemente der (Medien-)Moderne“.

Wenn Fiktionen in diesem Sinne als „gelebte Pra‐

xis“ zutiefst in unseren Alltag eingeschrieben sei‐

en, so könnten etwa konservativ-lineare Modell‐

theorien, wie sie in der Medienrezeptionsfor‐

schung noch immer eine häufige Verbreitung fin‐

den würden, deren Komplexität und Relevanz kaum gerecht werden. Dabei sei der Realitätsge‐

halt von Fiktionen erst einmal zweitrangig – „ficti‐

onality matters!“, so Göttlich. Schließlich handele es sich bei historisierenden Medienofferten um alltäglich (massen-)wirksame „Realitäten der Fik‐

tion“ mit einer kaum überschaubaren Anzahl von Möglichkeitsdimensionen und Aneignungsoptio‐

nen für Rezipienten. Um sich diesen anzunähern müsse viel stärker als bisher reflektiert werden, dass der dynamische Medienwandel zugleich mit einem Publikumswandel einhergehe, was wieder‐

um Auswirkungen auf Kognitionsprozesse, Medi‐

ennutzungsverhalten und gerade auch Aneig‐

nungsgewohnheiten zeitige.

Demzufolge plädierte Göttlich überzeugend für ein interdisziplinär gestütztes und zunächst einmal nicht wertendes bzw. moralisierendes

„Eindenken in mediale Geschichtsrezeptionspro‐

zesse durch unterschiedliche Menschen in ihrem Alltag“. Dabei könnten handlungstheoretische An‐

sätze in Verbindung mit einer systematischen Re‐

flexion der spezifischen Arten, Orte, Anlässe und Kontexte bei der jeweiligen Medienrezeption ein methodisch gangbarer Weg sein.

Dass schon die empirische Analyse von Film‐

rezeptionen eine schwierige Frage ist, wurde im ersten Panel „Geschichte (fern-)sehen“ deutlich:

Vor dem Hintergrund einer sich gerade erst kon‐

stituierenden Aneignungsforschung untersuchte SABINE MOLLER (Berlin) Aneignungsprozesse von Geschichte in erfolgreichen Spielfilmen am Beispiel der Tragikomödien „Good bye, Lenin!“

und „Forrest Gump“ im deutsch-amerikanischen

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Vergleich. Anhand komparativer Sequenzanaly‐

sen, zu denen deutsche wie US-amerikanische Probanden in Interviews befragt wurden, konnte Moller zeigen, dass individuelle Sozialisationser‐

fahrungen für die Wahrnehmung historisierender Offerten in Spielfilmen zentral sind.

Anschließend spürte JULIANE FINGER (Ham‐

burg) auf der Grundlage medienbiographischer Interviews unterschiedlichen Fernsehdarstellun‐

gen des Holocaust und deren Wirkungen auf Erin‐

nerungsprozesse bzw. mentale Repräsentationen nach. Finger betonte, dass gerade auch die indivi‐

duelle Mediensozialisation für Formen des sub‐

jektiven Erinnerns und Interpretationen von Ver‐

gangenheit von zentraler Bedeutung sei. Insbe‐

sondere in den jüngeren Alterskohorten gäbe es schließlich Personen, für die etwa das Fernsehen kaum noch eine Bedeutung habe.

Beide Referentinnen betonten, dass der Spiel‐

film im Fernsehen nur einen begrenzten Teil ei‐

nes viel breiteren Medienrepertoires darstelle.

Zweifellos dürfte die TV-Medienrezeption häufig von Geschichtsvermittlungsofferten in anderen Medienformaten beeinflusst werden und umge‐

kehrt.

Sicherlich ist Geschichtsbewusstsein immer als ein mehrdimensionales Konstrukt zu verste‐

hen. Für die zukünftige Arbeit des Forschungsver‐

bundes erscheint deshalb gerade die Entwicklung neuer Methoden zur Erforschung der wechselsei‐

tigen, einander nicht selten durchdringenden, multi- wie cross-medialen Geschichtsvermitt‐

lungs- und Geschichtsbewusstseinsbildungspro‐

zesse als eine spannende und vielversprechende Herausforderung.

In der anschließenden Diskussion wurde ins‐

besondere die Schwierigkeit thematisiert, empi‐

risch zu ermitteln, welches konkrete Medium bzw. Medienformat originär welche Erinnerung beim jeweiligen Zuschauer erzeugt bzw. diese konstituiert hat. Cross-mediale Einflüsse auf den Rezeptionsvorgang bei Filmen sind im Grunde ständig und an nahezu jedem Ort möglich. Als

plausibler erster Schritt wurde dahingehend ein Konsens erzielt, erst einmal individuelle Aneig‐

nungsprozesse sichtbar zu machen und diese nachzuvollziehen.

Die sich aus diesen Problematisierungen her‐

auskristallisierende Notwendigkeit einer sukzessi‐

ven Entwicklung innovativer und vor allem trans‐

disziplinärer Methoden wurde auch in den Vor‐

trägen von ANDREAS SOMMER (Weingarten) und BJÖRN BERGOLD (Magdeburg) überdeutlich:

Sommer setzte sich aus geschichtsdidakti‐

scher Perspektive mit der Rezeption von in Spiel‐

filmen vermittelten Geschichtsbildern und deren Wechselwirkungen mit inneren bzw. verinner‐

lichten Bildern/Imaginationen bei Geschichtsstu‐

dierenden auseinander. Bergold ging es am Bei‐

spiel der Romanverfilmung „Der Turm“ um indi‐

viduelle Aneignungs- und Authentifizierungsme‐

chanismen (im Sinne kommunikativer und kogni‐

tiver Vorgänge) von Geschichte im Spielfilm bei jugendlichen Rezipienten. Basierend auf offenen Leitfadeninterviews und Gruppendiskussionen zeigte er, wie Samples jugendlicher Zuschauer fil‐

misch transportierte Geschichtsbilder und Au‐

thentizität wahrnahmen. Dabei wurde sehr deut‐

lich, dass die im Fokus stehenden jugendlichen Rezipienten mehrheitlich kaum noch zwischen in‐

szenatorischer Fiktionalität und Realität zu unter‐

scheiden vermochten – selbst Zeitzeuge und Film‐

figur wurden partiell von den jugendlichen Zu‐

schauern miteinander verwoben: „Stories wurden zu History“.

Vergleichsweise unmittelbareren Begegnun‐

gen mit Vergangenheit, nämlich am historischen Ort selbst, widmete sich das zweite Panel. Wieder‐

um stand die Frage nach Authentizität im Fokus:

STEFANIE SAMIDA (Potsdam) setzte sich mit Aus‐

prägungen von „reenactments“ (das Nachspielen konkreter historischer Ereignisse in möglichst au‐

thentischer Weise) am Beispiel des Caracallafeld‐

zuges 2013 einer Gruppe „Freizeitrömer“ zwi‐

schen den Limesorten Aalen und Osterburken auseinander. Die Körper der Teilnehmer dieses

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strapaziösen Römermarsches seien selbst zu ei‐

nem Medium der Geschichtsaneignung avanciert.

Rekonstruierte historisierende Objektwelten (etwa Rüstungen oder römische Sandalen) hätten die Suggestion einer physisch besonders unmittel‐

bar erfahrbaren Nähe zur Vergangenheit unter‐

stützt: Die Teilnehmer des Marsches fühlten den einsetzenden Regen und die Schmerzen der rei‐

benden Sandalenriemen. Schließlich sei es den aktiven Teilnehmern um ein Selbst- wie Gruppen‐

erleben, um das Ausleben von (Wir-)Identität, um die Suggestion eines physischen wie psychischen Nachempfindens gegangen.

YVONNE KALINNA (Magdeburg) präsentierte Ergebnisse aus ihrer Untersuchung der Aneig‐

nungsprozesse von Besuchern der Gedenkstätte Marienborn – situiert am Ort eines ehemaligen Grenzübergangs an der innerdeutschen Grenze.

Deutlich wurde, dass die Gedenkstätte mit ihrer

„arrangierten Raumstruktur der Vergangenheit“

vielfältige Erinnerungsimpulse bei Besuchern auslösen kann. Mithilfe einer innovativen und in‐

tegrativen Synthese aus Encounter- und Dingfor‐

schung gelang es Kalinna eindrücklich zu zeigen, dass Besucher eben nicht nur das historische Are‐

al körperlich und sinnlich erfahren, sondern zu‐

dem auch historischen Objekten in ihren räumli‐

chen Settings mit allen Sinnen begegnen – abhän‐

gig vom jeweils gewählten Zugang zum histori‐

schen Ort, unter Anleitung eines Infosystems und/

oder beeinflusst durch persönliche Erfahrungen und Erwartungen.

Das dritte Panel erweiterte die Workshop-Per‐

spektive um die Dimension der Aneignung media‐

ler Geschichtsangebote in multimedialen Hyper‐

texten. ASTRID SCHWABE (Flensburg) zeigte, dass das Internet Geschichte auf tendenziell lexikali‐

sche Weise vermittelt. Anhand einer Kombination virtueller museologischer Besucherforschung mit Web Usage Mining erforschte Schwabe die Nut‐

zungsweisen und Nutzungsmuster von 100.000 Besuchern/Surfern auf der 1.0-Webseite eines vir‐

tuellen Museums. Anschließend klassifizierte sie

unterschiedliche Usertypen. ANDREA KOLPATZIK (Gelsenkirchen) widmete sich basierend auf ei‐

nem umfangreichen Sample der Frage, wie Ge‐

schichtsjournalisten Aufmerksamkeit und Interes‐

se herstellen bzw. mit welchen Erzählkonzepten diese „Geschichte machen“.

Das vierte Panel bezog zunächst alle Work‐

shop-Teilnehmer aktiv mit ein: Nach einer fach‐

kundigen Einführung von FLORIAN KIEFER (Mag‐

deburg) konnten an zwölf Rechnern der PC-Welt‐

kriegsshooter „Call of Duty 2“ sowie das Strategie‐

spiel „Company of Heroes“ getestet werden. Nach diesem eindrucksvollen Laboratorium problema‐

tisierten TIM RAUPACH (Marburg) und SEBASTI‐

AN KOCH (Leipzig) die Authentizitätsstrategien in Computerspielen mit historischen Settings. Mit ei‐

nem Fokus auf PC-Weltkriegsshooter fragten sie einerseits nach den Wahrnehmungen, der Reich‐

weite und Wirksamkeit dieser Authentizitätsstra‐

tegien im Hinblick auf Gamer. Auf der anderen Seite ging es um eine erste Auslotung der Konse‐

quenzen der Authentizitätszuschreibung für die spielerische Aneignung von Geschichtsbildern.

In Verbindung mit dem anschließenden Vor‐

trag von ANGELA SCHWARZ (Siegen) wurde deut‐

lich, dass Computerspiele als populärkulturelle Medien der Geschichtsvermittlung eine für die je‐

weiligen Gamer individuell nach-erlebbare, fiktio‐

nale bzw. kontrafaktische Geschichte aufbereiten können. Computerspiele müssen dabei noch weit‐

aus mehr leisten als etwa historische Spielfilme, da der Spieler physisch mit dem Spiel vernetzt ist.

Fraglich bleibt jedoch, ob und inwiefern die dabei von Entwickler- und Produzentenseite verfolgten Authentizitätsstrategien tatsächlich die subjekti‐

ven Realitätsvorstellungen der Gamer zuneh‐

mend einer fiktionalen Spielweltenrealität anglei‐

chen.

In der Diskussion wurde angeregt, stärker da‐

nach zu fragen, wie welche User geschichtliche Darstellungsformen in unterschiedlichen Compu‐

terspiel-Genres wahrnehmen und inwiefern es einen Unterschied mache, wenn diese Spiele in

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Einzel- und/oder Multiplayer-Modi oder gar als Online-Netzwerke betrieben würden. Wie sehen sich die jeweiligen Gamer selbst in der erspielten Geschichte eines Computerspiels?

In der Abschlussdiskussion des Workshops gab zunächst JOHANNES DICKE (Mainz) auf‐

schlussreiche Einblicke in aktuelle Trends der TV- Geschichtsvermittlung aus seiner Berufspraxis bei 3sat und beim ZDF: Der Trend gehe immer stär‐

ker hin zu Personalisierungen und zu nacherzähl‐

ten Biographien in Spielfilmen, die häufig parallel durch Foren begleitet würden.

GERHARD BENETKA (Wien) plädierte dafür, im Fiktionalen eine Erkenntnismöglichkeit zu se‐

hen. Dazu könne die Einbeziehung psychologi‐

scher Methoden („dokumentarische Methode“

oder „szenisches Verstehen“) weiterführend sein – insbesondere um „Erinnerung“ und ihre Dimensi‐

onen näher bestimmen zu können.

JOHANNES FROMME (Magdeburg) regte an, die Dimensionen der Geschichtsaneignungen (psychisch wie physisch) genauer in den Blick zu nehmen und diese mit den jeweiligen Lebens- und Wahrnehmungsformen der spezifischen Rezi‐

pienten in Bezug zu setzen.

Silke Satjukow, Leiterin des Magdeburger DFG-Projektes „Personalisierungsstrategien des Historischen“, ergänzte, dass solche Fragen mit‐

hilfe eher konventioneller Methoden wohl kaum hinreichend beantwortet werden könnten. Gera‐

de um sich der sinnlichen Mannigfaltigkeit bei Prozessen der Geschichtsaneignung zu nähern, bedürfe es einer grundlegenden transdiszipli‐

nären Methodenentwicklung.

In diese Richtung argumentierte auch Udo Göttlich: Vielleicht bestehe ein denkbarer Zugang darin, Methoden aus dem Bereich der Autoethno‐

graphie miteinzubeziehen – gerade auch um das Verhältnis von informellen und formellen Ge‐

schichtsaneignungsprozessen besser in den Blick zu bekommen.

Mit dem Workshop hat sich „GAMe“ bereits eindrucksvoll auf den Weg hin zu einer transdis‐

ziplinären Erforschung der komplexen Wechsel‐

wirkungen zwischen Ansprüchen, Inszenierun‐

gen und Suggestionen sowie Imaginationen und Wahrnehmungen von Authentizität und Fiktiona‐

lität in bzw. bei medialen Geschichtsofferten ge‐

macht. Von großem Interesse dürften zukünftig Antworten auf die Frage sein, wie traditionelle Geschichtsvermittler mit den facettenreichen multi- und cross-medialen Herausforderungen umgehen. Zudem sind erste empirische Annähe‐

rungen zur Beantwortung der schwierigen Frage zu erwarten, wie mediale Geschichtsofferten die Geschichtsbilder innerhalb der deutschen Gesell‐

schaft nachhaltig beeinflussen.

Man darf daher gespannt sein, wie sich der vielversprechende Forschungsverbund in den kommenden Jahren mithilfe transdisziplinärer Methoden den multidimensionalen Geschichtsan‐

eignungsprozessen in ihren individuellen wie kol‐

lektiven, räumlichen, situativen sowie zeitlichen und medialen Settings nähern wird.

Konferenzübersicht:

Eröffnung und Einführung

Jens Strackeljan (Magdeburg), Grußwort des Rektors der Otto-von-Guericke-Universität

Konrad Breitenborn (Halle), Grußwort durch den Vorstand der Medienanstalt Sachsen-Anhalt

Silke Satjukow (Magdeburg), Begrüßung Rainer Gries (Jena/Wien), Einführung in den Forschungsverbund

Udo Göttlich (Friedrichshafen), Abendvortrag:

Medienrezeption im Wandel? Zur Realität der Fik‐

tion in der Medienaneignung Panel I: Geschichte (fern-)sehen Moderation: Ilona Wuschig (Magdeburg)

Sabine Moller (Berlin), Zwischen Hollywood und Historik: Zur Aneignung von Geschichte im Erfolgsfilm

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Juliane Finger (Hamburg), Was bewirken Fernseh-Darstellungen des Holocaust? Subjektive Rekonstruktionen der Konsequenzen von Fern‐

sehnutzung aus Rezipientenperspektive

Fortsetzung Panel I: Geschichte (fern-)sehen Moderation: Gerhard Benetka (Wien)

Andreas Sommer (Weingarten), Die Rezeption fiktionaler Geschichtsbilder bei Geschichtsstudie‐

renden

Björn Bergold (Magdeburg), Wie Stories zu History werden: Authentifizierung von Geschichte im Spielfilm bei jugendlichen Zuschauern

Panel II: Vom historischen Ort in die Vergan‐

genheit

Moderation: Silke Satjukow (Magdeburg)

Stefanie Samida (Potsdam), „Wir sind nicht nur Schönwetter-Römer“: Körperliches Erleben als geschichtskulturelle Praxis

Yvonne Kalinna (Magdeburg), Über die Aneig‐

nung eines Erinnerungsortes: Besucher in der Ge‐

denkstätte Marienborn

Panel III: Durch die Geschichte surfen Moderation: Andreas Nürnberger (Magdeburg)

Astrid Schwabe (Flensburg), Netz-Geschichten – Zur Rezeption historischer Darstellungen im multimedialen Hypertext

Andrea Kolpatzik (Gelsenkirchen), „Wo waren Sie, als die Mauer fiel?“: Exemplarische Analyse von „EinesTages“ (Spiegel Online) und „Unsere Geschichte: Das Gedächtnis der Nation“ (ZDF/

Stern) als Beispiele für Konstruktion, Vermittlung und Aneignung einer Erinnerungskultur neuen Typs

Laboratorium: Geschichte(n) erspielen – Wis‐

senschaftlerInnen erproben PC-Games Florian Kiefer (Magdeburg), Einführung Panel IV: Geschichte(n) erspielen

Moderation: Johannes Fromme (Magdeburg) Tim Raupach (Marburg) / Sebastian Koch (Leipzig), „Good luck, soldier!“: Authentifizie‐

rungsstrategien und Transferprozesse von Com‐

puterspielen mit historischem Setting

Angela Schwarz (Siegen), „… an added Versi‐

on of real History“?: Computerspiele und der Zu‐

gang zur Geschichte

Abschlussdiskussion: Quo vadis Geschichtsa‐

neignung?

Leitung: Rainer Gries (Jena/Wien)

Johannes Dicke (Mainz), Gerhard Benetka (Wien), Johannes Fromme (Magdeburg), Udo Gött‐

lich (Friedrichshafen), Andreas Nürnberger (Mag‐

deburg), Silke Satjukow (Magdeburg).

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If there is additional discussion of this review, you may access it through the network, at http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/

Citation: Gerulf Hirt. Review of Besucher, Zuschauer, Surfer, Gamer – Geschichtsaneignungen in der Mediengesellschaft. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. June, 2014.

URL: https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=42059

This work is licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License.

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