J. Braess, Klinik für Onkologie und Hämatologie, Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg.
29. September 2020
Paradigmenwechsel bei der AML-Therapie
Nach vielen Jahren der therapeutischen Stagnation entwickeln sich die Therapiemöglichkeiten bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) rasant. Die intensive Therapie des jüngeren Patienten (bis 70 bzw. 75 Jahre) mit kurativem Anspruch wird zunehmend Genotyp-spezifisch ergänzt. Hierbei sind in den letzten beiden Jahren die neu zugelassenen Substanzen Gemtuzumab Ozogamicin, Midostaurin und CPX351 in das therapeutische Portfolio hinzugekommen. Bei den älteren und komorbiden Patienten haben die hypomethylierenden Substanzen (HMA) schon vor Jahren einen neuen Therapiestandard gegenüber dem früher verwendeten niedrig-dosierten Cytarabin (LD-AraC) etablieren können. Zukünftig können potenziell bei älteren Patienten, die nicht mit intensiven Induktionstherapien behandelbar sind, durch die Kombination von HMA mit dem BCL2-Inhibitor Venetoclax in der Erstlinientherapie bisher unerreichte Remissionsraten > 60% und ein
Gesamtüberleben (OS) > 1 Jahr erzielt werden.
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Biologie und Diagnostik
Die Therapie der AML erlebt in den letzten 24 Monaten mehr Veränderungen als in den 20 Jahren zuvor, sodass man mit Fug und Recht von einem stattfindenden Paradigmenwechsel sprechen kann. Die Therapiestandards der Vergangenheit bis ca. 2018 beinhalteten – mit Ausnahme der APL (akute
Promyelozyten-Leukämie, AML M3), die nicht Thema dieser Übersicht ist – im Wesentlichen eine intensive Induktionstherapie mit einer Kombination aus Cytarabin (über 7 Tage) und Daunorubicin (über 3 Tage), das sog. 7+3-Schema, sowie eine „risikoadaptierte“ Postremissionstherapie (PRT) (1). Hinsichtlich dieser Risikostratifikation wurde zwischen 3 prognostischen Gruppen unterschieden (1): Zum einen die Gruppe der prognostisch günstigen genetischen Aberrationen (CBF (core binding factor)-Leukämien, isolierte
NPM1-Mutationen, biallelische cEBPa-Mutationen), welche potenziell Chemotherapie-eradizierbar und damit heilbar waren und die aus diesem Grund eine intensive PRT von üblicherweise 3 Zyklen hoch- oder intermediär dosiertem Cytarabin erhielten. Hingegen wurde bei der Gruppe der prognostisch
ungünstigen genetischen Veränderungen (insbesondere komplexe Karyotypen, FLT3-ITD-Mutationen mit hoher allelischer Ratio u.v.a.m.) davon ausgegangen, dass selbst nach Erreichen einer ersten kompletten Remission (CR1) nach der o.g. 7+3-Induktionstherapie ein Rezidiv unausweichlich wäre, sodass diese Patienten vorzugsweise möglichst schon in CR1 allogen transplantiert wurden. Bei Patienten in der dritten Gruppe mit einem intermediären Risikoprofil war und ist die Situation in der PRT unklarer. Nach einer allogenen Transplantation (alloSCT) in CR1 wurde in dieser Gruppe zwar ein deutlich verbessertes Leukämie-freies Überleben erreicht, jedoch aufgrund der erhöhten therapiebedingten Mortalität nur ein nicht signifikanter Trend beim OS (2).
Therapieziele und Prognose
Bei „fitten“ Patienten bis ca. 70(-75) Jahre, bei denen prinzipiell auch eine alloSCT im Verlauf denkbar erscheint, ist das Therapieziel kurativ. Bei allen anderen war das Ziel bisher palliativ, da eine
entsprechende (kurative) Therapieintensität nicht erreicht werden konnte – dieses Paradigma wird zukünftig durch die neuen Therapiemöglichkeiten potenziell modifiziert werden.
Mit den risikoadaptierten Therapiestrategien war es möglich geworden, langfristige Remissionen und Heilungen bei ca. 50% der < 60 Jahre alten Patienten und von ca. 10% bei den 60+ Jahre alten Patienten zu erreichen. Das mittlere Überleben der Patienten unter 60 Jahre lag in den großen Studiengruppen in den letzten Jahren bei ca. 5 Jahren, bei den Patienten 60+ lag es hingegen weiterhin bei < 12 Monaten (Abb. 1) (3).
Abb. 1: Entwicklung des Gesamtüberlebens (OS) bei Patienten mit AML von 1970 bis 2014. OS- Entwicklung bei Patienten < 60 Jahre (oben) und 60+ Jahre mit AML am Beispiel der britischen Studiengruppe MRC (mod. nach (3)).
Abb. 1: Entwicklung des Gesamtüberlebens (OS) bei Patienten mit AML von 1970 bis 2014. OS-Entwicklung bei Patienten < 60 Jahre (oben) und 60+ Jahre mit AML am Beispiel der britischen Studiengruppe MRC (mod. nach (3)).
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In der Gruppe 60+ Jahre sind die kurativ angehbaren Patienten im Wesentlichen diejenigen fitten älteren Patienten bis ca. 70(-75) Jahre, welchen auch eine alloSCT als Option zur Verfügung stand. Bei den älteren Patienten 70(-75)+ oder den nicht fitten Patienten bestand de facto keinerlei kurative Chance und das Langzeitüberleben hat sich über Dekaden praktisch nicht verbessert.
Therapiestart wann?
Ein Paradigma der Vergangenheit lautete, dass die AML ein hämatologischer Notfall sei und daher eine kausale (Chemo-)Therapie innerhalb kürzester Zeit nach Diagnosestellung – üblicherweise am gleichen Tag – begonnen werden müsse. Da zu einem so frühen Zeitpunkt außer der morphologischen und ggf.
immunphänotypischen Diagnose noch keine weiteren (zyto- oder molekulargenetischen) Informationen vorliegen, ist ein solches Vorgehen schwer kompatibel mit einer schon frühzeitigen „Genotyp-spezifisch“
stratifizierten Therapie. Prinzipiell konnten und können manche therapierelevanten genetischen
Aberrationen durch (erfahrene) Morphologen schon am Knochenmarkausstrich vermutet werden (Abb. 2):
1. pathologische Eosinophile → Inversion (16) 2. „needle-like Auer rods“ → Translokation (8, 21)
3. pathologische Promyelozyten mit „Faggott Cells“ („Mikado-Stäbchen“) → Translokation (15, 17) 4. „cup-like lesions“ → NPM1-Mutation
Abb. 2: Morphologische Auffälligkeiten, welche auf eine (therapierelevante) genetische Aberration hinweisen (unter Verwendung von Bildmaterial, Download am 23.09.2019).
NPM: www.med4u.org/17695, APL:
www.med4u.org/17696, inv(16):
www.med4u.org/17697
Ganz abgesehen davon, dass diese morphologischen Veränderungen nicht alle hochspezifisch sind und ihr Erkennen sehr erfahrungsabhängig ist, kann eine ganze Reihe weiterer therapierelevanter
Aberrationen (wie z.B. komplexe Karyotypen, FLT3-ITD, cEBPa, IDH1, IDH2, TP53 etc.) nicht
morphologisch erkannt werden. Somit besteht definitiv die Notwendigkeit, zumindest einige Tage bis zum Eintreffen der genetischen Ergebnisse aus den üblicherweise externen Labors zu überbrücken.
Eine ältere Arbeit (4) hatte bei – allerdings sehr heterogen behandelten – Patienten < 60 Jahre einen Prognoseverlust mit jedem Tag Verzögerung der Induktionstherapie gezeigt. Zwei neuere Arbeiten von 2013 und 2020 mit deutlich mehr Patienten, welche einheitlich mit einer 7+3-Induktionstherapie
behandelt worden waren, konnten hingegen keinerlei Unterschiede zwischen sofort und (um einige Tage) verzögerter Therapie feststellen (5, 6). Wie auch in der aktuellsten Arbeit von Röllig et al. 2020 diskutiert, implizieren diese zwar umfangreichen, aber dennoch nur retrospektiven Analysen nicht
notwendigerweise, dass der Zeitpunkt des Therapiebeginns irrelevant ist. Die Befunde sind vielmehr auch
damit kompatibel, dass die Kliniker individuell risikoadaptiert vorgehen, und bei manchen Patienten mit stark proliferativer Erkrankung früher therapieren als bei klinisch unproblematischer erscheinenden Patienten.
Zusammenfassend ist aber festzustellen, dass auch bei jüngeren Menschen (< 60 Jahre) nach der Diagnosestellung einer AML in den meisten Fällen bei klinisch stabilen Patienten eine Phase von ca. 3-7 Tagen verstreichen kann, in der der Patient supportiv behandelt wird und die genetischen Befunde abgewartet werden können. Dieses Vorgehen ist damit jetzt analog zu den Patienten mit 60+ Jahre, bei denen diese Strategie schon seit vielen Jahren etabliert ist. Für den diagnostischen Algorithmus (Abb. 3) bedeutet dies allerdings auch, dass die genetischen Aberrationen nicht erst nach einigen Wochen (zur Planung der PRT) relevant werden, sondern sehr früh – im Idealfall nach 2-3 Tagen – vorliegen müssen.
Der diagnostische Algorithmus beinhaltet jetzt, dass einige Untersuchungen gewissermaßen als Fast- track-Diagnostik frühzeitig zur Verfügung stehen müssen und die dafür notwendige Transport- und Labordiagnostik entsprechend etabliert werden muss.
Abb. 3: AML – Diagnostischer Algorithmus.
BB=Blutbild, pB=peripheres Blut, KM=Knochenmark, FACS=fluorescence activated cell sorting,
FISH=fluorescence in-situ hybridization, LAIP=leukemia associated immune phenotype, APL=akute Promyelozyten-Leukämie, CBF=core binding factor leukemia mit inv(16) oder t(8;21), NPM/FLT3-ITD/FLT3-TKD, IDH1,
IDH2=molekulargenetische Aberrationen bei AML
Eine entscheidende Frage nach der Diagnosestellung lautet also, ob eine sofortige Therapieeinleitung notwendig ist oder eine Zeit von einigen Tagen abgewartet werden kann. Diese Entscheidung ist derzeit nicht formalisiert und orientiert sich an der Krankheitsdynamik, am Allgemeinzustand des Patienten, an Organdysfunktionen etc. Diese Notwendigkeit zur Entscheidung für oder gegen eine sofortige
(notfallmäßige) Therapie findet sich jetzt auch in dem übergeordneten Gesamtalgorithmus zur AML- Therapie der DGHO-Leitlinien (Onkopedia (7)) (Abb. 4).
Abb. 4: AML – Allgemeiner therapeutischer
Algorithmus. 7+3=Induktionstherapie mit 7 Tagen Cytarabin und 3 Tagen Daunorubicin,
HMA=hypomethylierende Substanz – Azacytidin, Decitabin, VEN=Venetoclax (BCL2-Inhibitor), LDAC=low-dose AraC, BSC=best supportive care
Hyperleukozytose und Leukostase
Ein Grund für eine sofortige Therapieeinleitung kann die Hyperleukozytose mit einer Leukostase sein (8).
Die beiden Begriffe sind nicht synonym: Die Hyperleukozytose bezeichnet letztlich „nur“ einen hohen Leukozytenwert von üblicherweise > 100.000/µl (mitunter werden in der Literatur auch Werte bereits >
50.000/µl verwendet), der bei AML-Erstdiagnose bei 5-13% der Patienten vorliegt, und impliziert noch kein klinisches Bild. Anders die Leukostase, die als Begriff ein schweres Krankheitsbild durch
Mikroperfusionsstörungen bezeichnet, welches durch aus Blasten bestehende weiße Thromben bedingt ist. Am empfindlichsten reagieren hierbei das zentrale Nervensystem (Verwirrtheit) und die Lunge
(pulmonale „leukämische“ Infiltrate mit einer schnell auftretenden und schweren Oxygenierungsstörung).
Typisch ist eine mitunter zeitlich stark schwankende Laktatazidose. Von den Patienten mit
Hyperleukozytose entwickeln ca. 30% eine (schwere) Leukostase, die wiederum mit einer Mortalität bis zu 50% vergesellschaftet ist. Eine Hyperleukozytose mit manifester oder drohender Leukostase zwingt zur sofortigen Therapieeinleitung. Viele Kliniken betreuen solche Patienten in den ersten 24-72 Stunden auf einer Überwachungsstation/Intensivstation, um die häufig sehr schnellen Verschlechterungen inklusive eines möglichen Tumorlysesyndroms unter Therapie möglichst schnell abfangen zu können. Prinzipiell soll auch in einer solchen kritischen Situation eine reguläre Therapie (7+3-Schema) appliziert werden, wobei in den ersten 24-48 Stunden bei einem instabilen Patienten auch eine zytoreduktive Therapie mit Hydroxyurea („Vorphase“) sinnvoll ist und von vielen Zentren bevorzugt wird. Die typische Dosis (50-70 mg/kg/Tag) bei einem 75 kg schweren Patienten liegt bei Verwendung von 500 mg Kapseln bei 4 – 0 – 4 p.o. täglich.
In der manifesten Leukostase sollte die Applikation von Anthrazyklinen vermieden (bzw. erst nach einigen Tagen vorgenommen) werden, da sich durch diese Substanzen die Verformbarkeit der Blasten im
Kapillarbett weiter verschlechtert und damit sich die Leukostase-Symptomatik aggravieren kann (9).
Hinsichtlich der mitunter rasanten pulmonalen Verschlechterung unter Therapiebeginn („acute lysis pneumopathy“) scheint Dexamethason 10 mg alle 6 Stunden zu einer Senkung der Frühmortalität zu führen (von 50% auf 20%) (10).
Nach der ersten Stabilisierung (Laktat normalisiert, Sauerstoffbedarf fallend, Leukozyten im peripheren Blut < 30.000/µl) sollte eine möglichst „normale“ und regulär dosierte Induktionstherapie erfolgen bzw.
vollendet werden.
Therapiestandard des jüngeren Patienten
Jüngere Patienten werden mit einem kurativen Therapieziel behandelt, was eine intensive
Induktionstherapie und eine risikoadaptierte PRT beinhaltet. Solange keine dringliche Therapie-Indikation schon in den ersten Tagen nach Diagnosestellung vorliegt, sollten die wesentlichen genetischen
Informationen (siehe diagnostischer Algorithmus, Abb. 3) abgewartet werden. Liegen diese Daten vor, so wird die Basis der Induktionstherapie (weiterhin das 7+3-Schema) Genotyp-spezifisch ergänzt (Abb. 5).
Abb. 5: AML-Induktion bei „fitten“ Patienten gemäß Genetik. CBF=core binding factor leukemia mit inv(16) oder t(8;21), „7+3“=Induktionstherapie mit 7 Tagen Cytarabin und 3 Tagen Daunorubicin, GO=Gemtuzumab Ozogamizin, Mido=Midostaurin, CPX351=liposomales Cytarabin und Daunorubicin, NPM/FLT3-ITD/FLT3-TKD=molekular-genetische Aberrationen bei AML, WT=Wildtyp,
HIDAC=Hochdosis Cytarabin, IDAC=Intermediär dosiertes Cytarabin, SCT=Stammzelltransplantation, CR1=erste komplette Remission
Die Hinzunahme des Anti-CD33-Antikörper-Toxin-Konjugats Gemtuzumab Ozogamizin (GO) hat in mehreren Studien und einer daraus resultierenden Metaanalyse einen deutlichen Überlebensvorteil für die prognostisch günstigen zytogenetischen Gruppen der CBF-Leukämien (Inversion (16); Translokation (8, 21)) erbracht (OS bei 5 Jahren von 55% auf 77%) (11). Die molekulargenetisch günstige Gruppe der NPM1- mutierten AML scheint mit GO hinsichtlich einer niedrigeren Rezidivrate (nicht jedoch hinsichtlich des OS) zu profitieren (12). Die Applikation erfolgt in relativ niedriger Dosis (3(-6) mg/m2) während der
Induktionsphase und hat – anders als in der Vergangenheit mit höheren Dosierungen – keine signifikante Erhöhung der VOD (veno-occlusive disease)-Rate mehr zur Folge. Der mögliche Nutzen von GO bei
Patienten mit intermediärem genetischen Risiko ist deutlich geringer ausgeprägt (OS bei 5 Jahren von 36%
auf 40%), sodass die Rolle der Substanz hier unsicher ist.
Bei Patienten mit einer FLT3-Mutation – sowohl ITD als auch TKD – konnte durch die Hinzunahme des FLT3-Inhibitors Midostaurin zu einer konventionellen Therapie (Induktion mit 7+3, Hochdosis-Cytarabin- Konsolidierung (HIDAC) bzw. risikoadjustiert alloSCT) eine signifikante OS-Verbesserung bei 4 Jahren von 44% auf 51% erreicht werden (13). Eine Schwierigkeit bei der Umsetzung dieser Strategie ist die
problematische Kombination der einerseits gewünschten FLT3-Inhibition mit Midostaurin mit der andererseits ebenfalls hochgradig indizierten Pilz-Prophylaxe mit Posaconazol (hat ebenfalls eine OS- Verbesserung von 6% durch die Vermeidung von (pilzbedingten) Frühtodesfällen erreicht) (14). Der
CYP3A4-Inhibitor Posaconazol führt potenziell zu einer Erhöhung der Plasmaspiegel von Midostaurin, was wiederum zu QT-Zeit-Verlängerungen mit entsprechenden Rhythmusstörungen, aber auch
Lebertoxizitäten führen kann. Hier könnten Spiegelmessungen von Posaconazol und Midostaurin zu einem frühen Zeitpunkt (nach einer Testdosis) möglicherweise eine höhere Sicherheit bringen (15).
Kasuistik – „Hämatologische Heiserkeit“
Bei einer 75-jährigen Patientin wurde 2009 die Erstdiagnose eines
myelodysplastischen Syndroms (MDS- Subtyp RARS (refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten) nach damaliger WHO- Klassifikation, Karyotyp 46, XX) mit führender symptomatischer Anämie gestellt. Sie war schlank und wirkte bereits zu diesem Zeitpunkt eher gebrechlich. In den folgenden 7 Jahren konnte durch eine regelhafte EPO-Gabe (Darbepoietin) sowie eine
bedarfsgerechte
Erythrozytensubstitution die Anämie ausreichend beherrscht werden. Bei abnehmendem Effekt der EPO-Gabe trotz intermittierend versuchter G-CSF- Applikation wurde die Anämie ab 2016 ausschließlich durch Konserven-Gaben behandelt. In den ersten Jahren war nicht so sehr die Anämie das führende Problem, sondern die wiederholten – auch schwerwiegenden und
hospitalisierungspflichtigen – Weichteilabszesse (Abszess
paravertebral, Abszess autochthone Rückenmuskulatur, Weichteilabszess des Malleolus medialis, Furunkel im Gesichts- und Hals-Bereich u.a.m.).
Diese traten trotz einer zu dieser Zeit noch normalen Leuko- und
Granulozytenzahl auf. Erst mit dem Start einer dauerhaften und über Jahre
applizierten antibiotischen Prophylaxe (teilweise mit Amoxicillin, aber über die meiste Zeit mit Cotrimoxazol) konnten diese sehr belastenden Episoden vermieden werden. Unter der
dauerhaften Erythrozytensubstitution kam es zu einem progredienten Anstieg des Ferritins im Sinne einer
Eisenüberladung, die initial auf Wunsch der Patientin nicht mit einer
Chelatierungstherapie angegangen wurde. Nach einer schweren kardialen Dekompensation 2016 konnte dann mit einer intensivierten
Herzinsuffizienztherapie und einer (eigentlich „zu spät“ begonnenen) Chelatierungstherapie mit Desferasirox eine fast völlige Normalisierung der kardialen Funktion (Ejektionsfraktion von 20-25% auf 45-50%) erreicht
werden, die auch in den Folgejahren nie mehr zu einem limitierenden klinischen Problem wurde.
Im Frühjahr 2018 – 9 Jahre nach der Erstdiagnose MDS-RARS – kam es zu einem allmählichen Blastenanstieg im peripheren Blut und der Erstdiagnose einer sekundären AML (sAML) mit einem veränderten Karyotyp (u.a. Monosomie 5 und 7, TP53-Deletion). Bei allerdings unverändertem stabilen klinischen Allgemeinzustand ohne B-Symptomatik wurde eine Watch-and-wait-Strategie verfolgt. In den folgenden 16 Monaten ohne kausale Therapie kam es zwar zu einem allmählichen Anstieg der
Leukozyten- und Blastenzahl, die Thrombozyten waren allerdings nie substitutionsbedürftig und die
regelmäßige Erythrozytensubstitution unterschied sich in der Frequenz (ca. alle 2-3 Wochen) nicht wesentlich von den Jahren zuvor.
16 Monate nach der Diagnose sAML kam es zu einer progredienten Heiserkeit mit dem Nachweis einer nicht ulzerierten Raumforderung nahe am linken Stimmband (Abb. 6), welche sich histologisch als Chlorom der sAML erwies (Abb. 7). Unter einer
abschwellenden Steroidtherapie sowie einer dann bei weiter steigenden Blastenzahlen begonnenen zytoreduktiven Therapie mit
Hydroxyurea kam es zu einer völligen Normalisierung dieser
Beschwerdesymptomatik. Weitere 3 Monate später kam es zu einer
deutlichen klinischen Verschlechterung mit einem rasanten Anstieg der
Blastenzahl im Sinne einer
Hyperleukozytose mit > 100.000/µl Leukozyten. Erstmals nach mehreren Jahren wieder stationär erfolgte bei der Patientin unter Fortführung von
Hydroxyurea eine Therapie mit
Decitabin, was zu einem rasanten Abfall der Leukozyten innerhalb von einer Woche führte mit einer deutlichen Besserung des Allgemeinzustands. Die Patientin konnte nach einem 7-tägigen Krankenhausaufenthalt deutlich
gebessert, jedoch nach langer Krankheit gezeichnet zu ihrer Familie nach Hause entlassen werden. 10 Tage später kam es im häuslichen Umfeld zu Fieber und Sepsis – die Patientin verstarb zu Hause 10 Jahre nach der Erstdiagnose MDS- RARS sowie 19 Monate nach der Erstdiagnose sAML.
Abb. 6: „Hämatologische Heiserkeit“. Schwellung der linken Glottis (auf dem Bild rechts).
Dank für das Bildmaterial an Herrn Prof. Dr. Jürgen Ußmüller, HNO Zentrum, Regensburg.
Abb. 7: Chlorom an der linken Glottis. Biopsie der linken Glottis mit Nachweis myeloischer Blasten, welche CD117+ sind und eine hohe
Proliferationsaktivität zeigen (hoher Ki67-Anteil).
Dank für das Bildmaterial an Herrn Prof. Dr. Jozef Zustin, Gemeinschaftspraxis für Pathologie, Regensburg.
Der sicherlich ungewöhnliche, aber instruktive Verlauf verdeutlicht uns mehrere klinische Punkte:
1. Auch ein „Niedrigrisiko“-MDS kann in eine sAML übergehen, insbesondere wenn die überlebte Zeit mit MDS sehr lang ist.
2. Eine langandauernde Erythrozytensubstitution führt
zwangsläufig zu einer Eisenüberladung und sollte schon vor Erreichen kritischer Ferritinwerte (üblicherweise > 1.000- 3.000 ng/ml) mit einer
Chelatierungstherapie angegangen werden. Diese Therapie kann aber auch nach schon stattgehabter kardialer Dekompensation für den Patienten hilfreich sein.
3. Eine ausgeprägte Infektneigung kann mitunter durch eine konsequente antibiotische Prophylaxe gebessert werden.
4. Eine (sekundäre) AML muss nicht zwangsläufig „akut“ verlaufen – eine Watch-and-wait-Strategie kann wie in diesem Fall mit einer Überlebenszeit assoziiert sein, die diejenige von kausalen Therapien überschreitet.
5. Bei einer Hyperleukozytose (bei einem gebrechlichen Patienten) kann auch eine HMA-Therapie zu einer rasanten Blastenreduktion führen.
6. Eine konsequente symptomatische Therapie kann mitunter mehr
Lebenszeit ermöglichen als eine
„kausale“ (antileukämische) Therapie.
7. Bei alten und gebrechlichen Patienten gilt ganz besonders: Nil nocere!
Eine weitere (Hochrisiko-)Gruppe mit einer neuen „spezifischen“ Therapieoption in der Induktion ist die Gruppe der AML-MRC (Myelodysplasia Related Changes) nach WHO. In der Gruppe der AML-Patienten zwischen 60 und 75 Jahren mit für Myelodysplastische Syndrome (MDS) typischen genetischen
Veränderungen bzw. einer MDS-Vorgeschichte (sekundär, sAML) oder therapieassoziierter AML (tAML) konnten die Ergebnisse einer 7+3-Therapie in einem prospektiv randomisierten Vergleich durch eine liposomal verpackte und dadurch u.a. pharmakokinetisch optimierte Cytarabin/Daunorubicin-
Formulierung (CPX351) signifikant verbessert werden (mittleres OS von 6,0 Monaten auf 9,6 Monate) (16).
Insbesondere für die Patienten, die im weiteren Verlauf allogen transplantiert wurden, zeigte sich ein sehr deutlicher Überlebensvorteil (eine Hypothese ist eine verbesserte Reduktion der minimalen residuellen Erkrankung (MRD)), sodass CPX351 in dieser spezifischen Gruppe eine belegte Wertigkeit hat. Ob dieser Nutzen auch auf andere Altersgruppen bzw. die Gruppe der AML-MRC übertragbar ist, welche „nur“ durch ihre morphologischen Dysplasien in die Gruppe eingeschlossen werden (waren in der Studie jeweils nicht vorhanden), ist derzeit nicht bekannt.
Die 3 genannten „neuen“ Substanzen (Gemtuzumab Ozogamizin, Midostaurin, CPX351) sind in den oben aufgeführten Indikationen auch in Deutschland zugelassen. Aufgrund der hohen Kosten (zwischen +20.000 € und +45.000 € Extrakosten für die Induktionsphase) ist ein erfolgreicher NUB (neue
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden)-Antrag sicherlich eine entscheidende Voraussetzung für den stationären Einsatz dieser Substanzen.
In den anderen, bisher nicht genannten prognostischen Subgruppen – d.h. insbesondere in der
ungünstigen Subgruppe nach ELN (European LeukemiaNet) sowie der intermediären Gruppe (vor allem, wenn diese negativ für CD33 ist) – bestehen derzeit in der Induktion (noch) keine spezifischen bzw. das 7+3-Regime ergänzenden Therapieoptionen. Standard ist hier bis zum Alter von 60 Jahren die
Doppelinduktion mit 2 Zyklen 7+3-Regime, bei welchem der 2. Zyklus unabhängig vom Ausmaß der residuellen Leukämielast in der Kontroll-Knochenmarkpunktion an Tag 16 ab Tag 22 appliziert wird („mandatorische“ Doppelinduktion). Bei den zwar intensiv behandelbaren, aber schon älteren (60+ Jahre) Patienten wird der 2. Induktionsblock nur appliziert, wenn in der Aplasie-Kontrolle an Tag 16 noch
residuelle AML (≥ 5% Blasten) vorhanden ist („konditionale“ Doppelinduktion). Insbesondere der
„Standard“ der „mandatorischen“ Doppelinduktion bei jüngeren Patienten ist (nur) historisch entstanden und bisher nicht durch prospektiv vergleichende Studien belegt. Daher ist die Frage, ob ein 2.
mandatorischer Induktionszyklus auch bei kompletter Blasten-Clearance in der Aplasie-Punktion notwendig ist oder ob auch bei jüngeren Patienten ein „konditionaler“ 2. Zyklus im Fall von residueller AML zu diesem Zeitpunkt ausreicht, derzeit nicht ausreichend beantwortet. Hier werden die Ergebnisse der DaunoDouble-Studie der SAL-Studiengruppe in 2021 mehr Klarheit bringen.
Unter den aktuell noch bestehenden Gegebenheiten eines „Doppelinduktionsstandards“ (aus 2 Zyklen 7+3-Regime) mit den damit verbundenen sehr langen Aplasie-Dauern und Hospitalisierungszeiten (ab Start der Induktion im Mittel 44 Tage bis Regeneration > 1.000/µl Leukozyten sowie 49 Tage bis
Entlassung) wird auch das mind. äquieffektive dosisdichte Regime S-HAM eingesetzt, welches sowohl die Leukopenie-Dauer als auch die Hospitalisierungsdauer um fast 2 Wochen verkürzt (ab Start der Induktion im Mittel 29 Tage bis Regeneration > 1.000/µl Leukozyten sowie 37 Tage bis Entlassung) (17).
Therapiestandard des älteren und/oder komorbiden Patienten
Bei älteren bzw. komorbiden Patienten, denen keine intensive (Induktions-)Therapie zugemutet werden konnte, galt über lange Zeit eine Therapie mit niedrig dosiertem Cytarabin (20 mg 2x täglich s.c. über 10 Tage) als Therapiestandard, da diese Therapie gegenüber einer (natürlich pragmatischeren) oralen zytoreduktiven Therapie mit Hydroxyurea einen (minimalen) Überlebensvorteil gezeigt hatte (OS bei 1 Jahr 24% vs. 9%, bei 3 Jahren beide Arme 0%) (18). Dieser frühere „Standard“ ist schon seit mehreren Jahren obsolet und ist durch die Therapie mit HMA wie Azacytidin und Decitabin abgelöst worden. Mit beiden Substanzen können CR-Raten von 20-30% erreicht werden (wobei diese häufig erst allmählich und verzögert nach 4-6 Therapiezyklen zu je 4 Wochen erreicht werden). Das mittlere OS liegt unter HMA- Therapie bei 8(-10) Monaten. Die beiden Substanzen sind nur indirekt miteinander verglichen worden, sind aber für die AML hochwahrscheinlich komplett gleichwertig (19).
In den letzten 3 Jahren hat sich gezeigt, dass der BCL2-Inhibitor Venetoclax bei der AML als Monotherapie zwar eine nur geringe Wirkung hat – jedoch in der Kombination mit HMA auch mit niedrig dosiertem Cytarabin insbesondere in der Erstlinientherapie hochwirksam ist. In den Daten der VIALE-A-Studie bei älteren nicht intensiv therapierbaren AML-Patienten konnte beim Vergleich der Erstlinientherapie mit Azacytidin ohne und mit Venetoclax die Remissionsrate (CR plus CRi) von 28% auf 66% gesteigert werden.
Das OS als primärer Endpunkt wurde hochsignifikant gesteigert von 9,6 auf 14,7 Monate. Das sind in dieser Patientengruppe bisher unerreichte Ergebnisse. Insbesondere auch das frühere Erreichen der Remission nach im Durchschnitt nur 1,3 Monaten unterscheidet sich sehr positiv von der deutlich späteren Remission (nach im Schnitt 2,8 Monaten) nach der Monotherapie mit Azacytidin. Diese Studie wird sicherlich helfen, einen neuen Therapiestandard bei der AML des älteren Menschen zu etablieren (20).
Berücksichtigt werden muss sicherlich, dass auch bei der AML (wenn auch seltener als bei der CLL) eine Tumorlyse in den ersten Tagen der Venetoclax-Therapie auftreten kann. Hier sind offensichtlich
insbesondere die auch hinsichtlich dieser Therapiemodalität „sensiblen“ Subgruppen mit NPM1- oder IDH1/IDH2-Mutationen gefährdet. Ein „Ramp up“ (unter stationären Bedingungen) wird daher in den meisten Fällen notwendig sein. Darüber hinaus ist mit einer durchaus tiefen und damit potenziell lebensbedrohlichen Zytopenie zu rechnen, die häufig dazu führt, dass die eigentlich kontinuierliche Therapie mit Venetoclax (400 mg p.o. täglich) intermittierend pausiert werden muss und im weiteren Verlauf beispielsweise je nach Verlauf des Blutbildes ein „3 weeks on, 1 week off“ oder gar ein „2 weeks on, 2 weeks off“ Regime angewandt wird (21). Inwieweit insbesondere der erste Zyklus und die
folgende(n) Woche(n) der Zytopenie mit den daraus resultierenden supportiven Notwendigkeiten
(Transfusionen, Antibiose etc.) eine länger als bisher gewohnte stationäre Betreuung erfordert, wird sich erweisen. Darüber hinaus muss bedacht werden, dass auch Venetoclax eine durch CYP3A metabolisierte
Substanz ist. Wenn aber tiefere Zytopenien auftreten und eigentlich daher eine antifungale Prophylaxe oder Therapie mit Posaconazol indiziert wäre, werden derzeit regelhafte Dosisreduktionen (von
Venetoclax) auf z.B. 25% bei konkomitanter Gabe empfohlen (21). Die Datenlage hierfür ist jedoch sehr spärlich, sodass sich ein TDM (therapeutic drug monitoring) insbesondere in der frühen Phase der Erfahrungssammlung ähnlich wie bei Midostaurin (s.o.) anbietet (15).
Aktuell ist Venetoclax zwar noch nicht für die Indikation AML zugelassen, kann aber mit den jetzt
verfügbaren Studiendaten mit hohen Erfolgschancen für eine Kostenübernahme bei den Krankenkassen beantragt werden. Im Therapiealgorithmus ist die Kombination mit Venetoclax aus diesem Grund in Klammern gesetzt.
Eine weitere – jetzt auch zugelassene – Therapieoption bei älteren unfitten AML-Patienten in der ersten Linie ist eine Kombination aus niedrig-dosiertem Cytarabin s.c. (wie üblich 20 mg 2x täglich an Tag 1-10) in Kombination mit dem oral applizierbaren Hedgehog-Inhibitor Glasdegib. Diese Kombination war in einer randomisierten Phase-II-Studie dem Vergleichsarm niedrig-dosiertes Cytarabin (LD-AraC) überlegen – das OS konnte von 4,9 auf 8,8 Monate gesteigert werden (22). Der zukünftige Stellenwert dieser
Therapieoption ist dennoch unklar in Anbetracht der jetzt vorliegenden Daten zu den Venetoclax- Kombinationen und der Tatsache, dass LD-AraC als Vergleichsarm heutzutage mit hoher
Wahrscheinlichkeit nicht mehr gewählt würde. Andererseits muss festgehalten werden, dass das in dieser Studie behandelte Kollektiv eine sehr realistische alte und unfitte Patientengruppe umfasst hat. Ein weiterer praktischer Vorteil ist die Tatsache, dass die Cytarabin-Spritzen im Kühlschrank längerfristig haltbar sind, und die Patienten auch die Injektionsphase (von immerhin 10 Tagen) nach Anlernen zuhause vornehmen können. Das ist anders als z.B. bei Azacytidin, bei dem die Spritzen nur ca. 8 Stunden haltbar sind und damit auch bei gut angelernten Patienten eine Applikation in der Ambulanz/Praxis über 5-7 Tage notwendig bleibt.
Behandlung im Rezidiv
Kommt es zu einem Rezidiv, besteht auch heutzutage nur noch eine kleine kurative Chance bei
denjenigen (fitten) Patienten, die einer alloSCT zugeführt werden können. Ob es sinnvoll ist, Patienten zuvor durch eine erneute intensive Chemotherapie in eine 2. CR zu bringen oder ob man ihnen die möglichen Toxizitäten ersparen und nur eine zytoreduktive Therapie mit z.B. Hydroxyurea oder einem HMA durchführen sollte, ist unklar und wird aktuell in der ETAL-3-ASAP-Studie geprüft.
Bei den meisten Patienten wird jedoch (schon allein altersbedingt) eine alloSCT in diesem Setting nicht möglich sein, sodass de facto eine palliative Situation vorliegt. Dennoch sollte auch hier eine erneute Knochenmarkdiagnostik inklusive der (gesamten) (Molekular-)Genetik erfolgen. Grund hierfür ist, dass es zu klonalen Veränderungen kommen kann und molekulare Targets für eine gezielte Therapie sowohl
verschwinden als auch – als neue therapeutische Option – auftauchen können. Ein – jetzt auch zugelassenes – Beispiel ist die Therapie einer rezidivierten FLT3-mutierten AML mit dem neuen oral applizierbaren FLT3-Inhibitor Gilteritinib. Dieser hat auch gegenüber intensiven
Reinduktionschemotherapien einen Überlebensvorteil erbringen können (OS von 5,6 auf 9,3 Monate verlängert) (23).
Prinzipiell existieren weitere genetische Aberrationen, welche (im Rezidiv) spezifisch bei der AML
angegangen werden können. Dieses gilt insbesondere für die nicht seltenen IDH-Mutationen (10-20% bei der AML) – 2 Substanzen (Ivosidenib für IDH1 und Enasidenib für IDH2) sind in den USA – nicht jedoch in Europa – für die AML zugelassen. Beide (oralen) Substanzen führen ähnlich wie ATRA bei der APL zu einem Ausdifferenzieren der Blasten hin zu Granulozyten mit dann konsekutivem Zelltod. Tatsächlich kommt es ebenfalls analog zur APL-Situation nicht selten zu einem „Differenzierungssyndrom“ (mit unerklärtem Fieber, Ergüssen, pulmonalen Infiltraten), welches mit Steroiden erfolgreich behandelt werden kann.
Ausblick: Stationäre und ambulante Behandlung
Eine interessante Frage ist die nach dem zukünftigen Bedarf an stationärer und ambulanter Versorgung von AML-Patienten. Auf der einen Seite existieren Daten, dass bei guten ambulanten und tagesklinischen Ressourcen auch intensive Induktionstherapien potenziell „ambulantisiert“ werden können – d.h. dass nach der Applikation z.B. eines 7+3-Regimes der Patient an Tag 8 von der Station entlassen wird und engmaschig (d.h. alle 2(-3) Tage tagesklinisch gesehen und ggf. mit Blutprodukten substituiert wird. Die Frühmortalität war bei diesem Vorgehen nicht höher als bei einer rein stationären Versorgung (24, 25).
Inwieweit diese Ergebnisse aus den USA (sehr teure stationäre Versorgung, tagesklinische Versorgung jedoch auch am Wochenende etc.) auf deutsche Verhältnisse übertragbar sind, ist derzeit unklar.
Auf der anderen Seite werden bei vielen Patienten bisher gut ambulant durchführbare Therapien („Monotherapien“ mit HMA) jetzt durch die Hinzunahme von Venetoclax (und zukünftig potenziell weiteren Substanzen wie IDH- oder FLT3-Inhibitoren) zunehmend „intensiviert“, sodass aufgrund von Tumorlyserisiken und verlängerten und tieferen Zytopenien in der frühen Phase ein vermehrt stationärer Bedarf entstehen könnte. Dies ist auch deshalb relevant, da diese Entwicklung die große Gruppe der älteren und bisher weniger behandelten AML-Patienten betrifft (21).
Mittel- und langfristig werden die derzeitigen sehr kategorischen Unterscheidungen zwischen „intensiven + kurativ intendierten“ und „wenig intensiven + palliativ intendierten“ Therapien vermutlich verschwinden.
Es besteht kein Interessenkonflikt.
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(verfügbar bis zum 24.01.2022)
Prof. Dr. med. Jan Braess
Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg Klinik für Onkologie und Hämatologie
Onkologisches Zentrum nach DKG Zentrum für hämatologische Neoplasien Prüfeninger Straße 86
93049 Regensburg
Tel.: 0941/3692151 Fax: 0941/3692155
E-Mail: jan.braess@barmherzige-regensburg.de
ABSTRACT
J. Braess, Klinik für Onkologie und Hämatologie, Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg.
After many years of stagnation medical therapy of AML is undergoing a transformation. Intensive therapy of younger patients (< 70(-75) years of age) with curative intent is now being complemented by genotype specific therapy. In this setting several new drugs (gemtuzumab, midostaurin, CPX351) have been
approved in Europe. In elderly patients or in those with severe comorbidities hypomethylating agents (HMA) have become a new standard of care for several years and have replaced the former standard low- dose cytarabine. In the near future combinations of HMAs and the bcl2 inhibitor venetoclax will bring unprecedented remission rates of > 60% and an overall survival > 1 year into reach for elderly patients, who have no option for intensive induction therapy.
Keywords: Acute myeloid leukemia, therapy, review, prognosis, hyperleukocytosis, new agents, transplantation