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Geflohen vor religiöser Verfolgung. Herausforderungen an den Diskriminierungsschutz in Deutschland Inhalt

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Inhalt

Geflohen vor religiöser Verfolgung.

Herausforderungen an den Diskriminierungsschutz in Deutschland

Dokumentation zur Diskussionsveranstaltung

am 1. November 2016

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Inhalt

1. Vorbemerkung ______________________________________________________ 1

2. Einführungsvortrag__________________________________________________ 2

1. Allgemeine Beobachtungen _____________________________________________ 2 2. Religionsfreiheit ________________________________________________________ 3 3. Verletzung der Religionsfreiheit _________________________________________ 4 4. Herausforderungen für Deutschland _____________________________________ 5

3. Diskussion ___________________________________________________________ 6

4. Mitwirkende Personen ____________________________________________ 10

5. Programm _________________________________________________________ 11

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1. Vorbemerkung 1

1. Vorbemerkung

Religions- und Weltanschauungsfreiheit sind Menschenrechte. Trotzdem werden sie auf der ganzen Welt verletzt, Menschen werden wegen ihrer Religion verfolgt und benachteiligt. Religiöse Verfolgung ist auch eine der wesentlichen Fluchtursachen vieler Menschen, die in Deutschland Schutz vor

Diskriminierung und Asyl suchen. Zugleich stellt sich auch hierzulande die Frage nach dem

Diskriminierungsschutz für Geflüchtete: Welche Herausforderungen stellen sich in Deutschland beim Schutz geflüchteter Menschen vor Diskriminierung wegen der Religion?

Im Themenjahr 2016 „Freier Glaube. Freies Denken. Gleiches Recht.“ hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) den Blick auf beide Problemfelder gerichtet. Die Diskussionsveranstaltung „Geflohen vor religiöser Verfolgung - Herausforderungen an den Diskriminierungsschutz in Deutschland“ gab einerseits einen Einblick in die verschiedenen deutlich sichtbaren sowie die verborgenen Formen der Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer Religion. Außerdem lotete sie aus, welche Diskriminierungen Geflüchtete in Deutschland wegen ihrer Religion erleben. Im Folgenden werden die wesentlichen Beiträge der Veranstaltung zusammengefasst dokumentiert.

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2. Einführungsvortrag 2

2. Einführungsvortrag

Religionsbezogene Diskriminierung.

Einschätzungen aus Sicht der Vereinten Nationen

Prof. Heiner Bielefeldt

Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats von 2010 bis Oktober 2016, Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

1. Allgemeine Beobachtungen

„Mein Eindruck ist, dass wir uns derzeit zurückbewegen, und zwar so, dass man das fast in eine Formel bringen könnte, die Ihnen allen bekannt ist: Cuius regio, eius religio“ (lateinisch für: wessen Land, dessen Religion). Mit diesen Worten begann Prof. Heiner Bielefeldt seine Einführung in das Thema. Er halte die fast 500 Jahre alte Formel, die bedeute, dass Territorium und Religion verklammert würden, für

hochgradig problematisch und nicht hilfreich. Denn sie besage ebenfalls, dass religiöse oder religionskulturelle Markierungen vorgenommen würden.

Als „nicht ermutigende“ Beispiele nannte er die Aufteilung des Sudan mit einem islamischen Norden und einem christlichen Süden sowie Überlegungen zum Irak, die oft darauf hinausliefen, Schiiten und

Sunniten zu trennen, als könnten sie „per se nicht friedlich miteinander leben“. Gegenbeispiele würden ignoriert und auf territoriales Auseinanderrücken unter religiösen Vorzeichen gesetzt. Auch zu der noch völlig unklaren Zukunft Syriens werde gelegentlich ein Rumpfstaat der Alawiten ins Gespräch gebracht, auf Zypern die Frage nach eigenen Mini-Kantonen für die Maroniten im Norden gestellt. Auch die

„Solidaritätsverweigerung“ in der Europäischen Union in der Flüchtlingsfrage sei zum Teil durch das

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2. Einführungsvortrag 3

Territorialprinzip beeinflusst worden. So sei die Aufnahme von Flüchtlingen an den Vorwand und die Bedingung geknüpft worden, diese müssten religiös und kulturell nach Europa passen: „Also mit anderen Worten: nicht Muslime.“ Die religiös-kulturelle Markierung und das Beschwören des

„christlichen Abendlands“ sei in erster Linie eine territoriale Perspektive, auf die religions-kulturelle Begriffe projiziert würden.

In Deutschland habe es mit der Öffnung der Grenzen und der Willkommenskultur eine Ausnahme gegeben, die humanitäre Hilfe habe im Vordergrund gestanden und es sei nicht gefragt worden, wo die Flüchtlinge eigentlich religiös herkämen. Inzwischen sei diese Frage nach den fürchterlichen Ereignissen der Silvesternacht in Köln mit ihren kriminellen Übergriffen gegenüber Frauen jedoch mit Wucht zurückgekehrt. Die Religionsdebatte sei in Deutschland überwiegend eine Islamdebatte, in der Gender- Fragen oder Fragen von Flucht und Migration mit Religion und Kultur verbunden würden und auch noch das Thema Terror hinzukomme. Es sei ein Problem, dass dieses schwierige Gemisch zu eng verstrickt werde. Auch in Deutschland seien inzwischen „Maßnahmen der symbolischen Abstandnahme“ und ein Behüten des „symbolischen Territoriums“ zu beobachten. Dazu werde auch wieder mit dem nicht sinnvollen Begriff der Leitkultur operiert. Es würden „merkwürdige Bindestrich-Begriffe“ geschaffen, die angeblich historisch vollkommen harmonisch seien, wie „jüdisch-christlich-aufklärerisch“ oder „jüdisch- christlich-humanistisch“, denen dann der Islam als das ganz Andere gegenübergestellt werde.

Eine ähnlich symbolische Art der Grenzmarkierung seien Burkini- und Burka-Debatten, etwa in Frankreich. Zwar sei die Traumatisierung des Landes durch die fürchterlichen Terroranschläge verständlich. Dies jedoch an Burkini-tragenden Frauen am Strand oder an Frauen mit Kopftuch und Mantel abzureagieren, sei im Zusammenhang mit effektiver Terrorbekämpfung nicht nachvollziehbar.

2. Religionsfreiheit

Bielefeldt wies darauf hin, dass sich unsere Gesellschaft im Umgang mit dem Thema Religion teilweise schwer tue: „Da gibt es manchmal Unterbetonungen, die dann wieder umkippen in

Überbetonungen.“ Menschen fühlten sich unsicher, wollten mit positiver Intention möglicherweise niemanden stigmatisieren, vielleicht gebe es auch die Angst vor Säkularisierungsverlusten, so dass in der Politik jetzt wieder viel von Religion gesprochen werde. Religion werde dann „die zentrale Markierung von Identitäten, das Kriterium mit dem man meint, kollektive Mentalitäten beschreiben zu können“.

Auch meine man mit einem Mal, Genderfragen einordnen zu können, was manchmal etwas schlicht geschehe. Vor allem für den Nahen Osten werde Religion zum Erklärungsfaktor politischer Krisen und alles werde neuerdings reduziert auf Schiiten und Sunniten und deren angeblich naturgesetzmäßigen Hass aufeinander. Dieses „Einpacken“ von Menschen in kollektive Mentalitäten auf Kosten ihrer Persönlichkeit, der sogenannte Essentialismus, führe zu Entindividualisierung und Entpersonalisierung von Menschen. „Rassismus ist eine Variante von Essentialismus.“

Das Menschenrecht der Religionsfreiheit ermögliche es aber, über das schwierige Thema Religion zu sprechen, und zwar indirekt. „Religionsfreiheit beschäftigt sich, etwas überspitzt formuliert, gar nicht direkt mit Religion. Religionsfreiheit beschäftigt sich mit Menschen, die sich ihrerseits mit Religion beschäftigen.“ Es gehe um die Freiheit, Würde, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Menschen sowie die Möglichkeit der Selbstartikulation. Die Aufgabe bestehe darin, „Raum dafür zu schaffen, dass Menschen selber sagen, wer sie sind, wie sie respektiert werden wollen, was sie brauchen“.

Dieser sehr weite Raum der Religionsfreiheit schließe nicht nur die klassischen Religionen ein, sondern auch neue religiöse Bewegungen, interne Minderheiten, Agnostiker_innen, Atheist_innen,

Skeptiker_innen und Konvertit_innen. Wie jedes Menschenrecht sei die Religionsfreiheit auch ein

Gleichheitsrecht, das allerdings nicht Uniformität oder Homogenität bedeute, sondern Diversität: „Raum geben, so dass alle die Chance haben, sich zu artikulieren.“ Dies sei für ihn auch der Schlüssel zu einem sinnvollen Verständnis der Säkularität des Staates. Das Prinzip der Säkularität werde oft als funktionale

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2. Einführungsvortrag 4

Trennung von Staat und Religion verstanden. Es bestehe aber auch positiv darin, Raum zu geben, ihn zu öffnen und zu schützen. Dies wiederum verlange aktive Investitionen, in Gestalt von

Antidiskriminierungs-Gesetzgebung, Bildungsangeboten und Dialogprojekten. Es gehe darum, einen Raum zu schaffen, in dem sich Vielfalt angst- und diskriminierungsfrei entfalten könne. Säkularität bedeute: ein offener Raum, aber kein leerer Raum.

3. Verletzung der Religionsfreiheit

Die Verletzung der Religionsfreiheit wird laut Bielefeldt oft sehr eng gefasst. Wie bei einem Eisberg sehe man nur die sichtbare Spitze, nicht jedoch die verborgenen Teile. Deutlich sichtbar seien neben der tatsächlich religiös motivierten Verfolgung durch Staaten oder Terrorgruppen, die Zwang und Gewalt im Namen religiöser Wahrheit ausübten, auch Gesetze gegen den Abfall von der Religion, Anti-Blasphemie- Gesetze oder gegen das Übertreten zu anderen Religionen. Bei dieser restriktiven Gesetzgebung stehe die Religion unübersehbar im Titel. „Wir haben aber auch viele Beispiele dafür, dass Restriktionen stattfinden im Namen von Strafgesetzen, wo Religion nicht draufsteht, zum Beispiel Anti-Terrorismus- Gesetzgebung, Anti-Extremismus-Bekämpfung.“ Als Beispiel nannte er den Umgang mit den Zeugen Jehovas in Russland, deren Infrastruktur derzeit völlig zerstört werde, oder die Auflösung religiöser Gruppen in Kasachstan und Usbekistan. Dies geschehe im Namen der Extremismus-Bekämpfung, wobei aber unklar bleibe, was genau extremistisch sei, die Gesetzgebung gebe dem Staat ein weites Ermessen.

Ein weiteres unsichtbares Hauptmuster der Verletzung der Religionsfreiheit seien „bürokratische Schikanen vielfältiger Art“. Dies könnten Familienrechts-Normen sein, die in vielen Staaten der Welt keinen Raum für bestimmte Konstellationen geben würden, etwa für manche interreligiöse Ehen, oder nach denen Konvertit_innen das Risiko eingehen würden, das Sorgerecht für die eigenen Kinder zu verlieren.

Zudem gebe es das Phänomen der religiösen Verfolgung, die nicht religiös motiviert sei. Etwa im Namen nationaler Identität, die dann aber durch Religion definiert werde, also durch Religionen, die dazu gehörten und die nicht dazu gehören. Diese Art der „religiösen Xenophobie“ und der Markierung Fremder gebe es in Indien mit dem Hindu-Nationalismus, aber auch in Russland mit der orthodoxen Kirche sowie unter buddhistischen Vorzeichen. Dabei gehe es nicht um religiöse Wahrheit: „Es geht in

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2. Einführungsvortrag 5

erster Linie um nationale Identität - cuius regio, eius religio auch hier.“ Noch weiter von Religion entfernt sei die „Kontrollobsession autoritärer Regime“. Vor allem Ein-Parteien-Systeme hätten Schwierigkeiten mit der Religionsfreiheit, weil sie mit jeder Freiheit Schwierigkeiten hätten.

Unabhängige religiöse Gruppen, etwa in China oder Vietnam, seien für das Regime nicht deshalb gefährlich, weil der ideologische Wahrheitsanspruch unterminiert werde. Es gehe dort nicht mehr um den alten Kampf zwischen Kommunismus und Religion. Es sei für die Regime „deshalb gefährlich, weil plötzlich Menschen auf eigene Initiative zusammen kommen und anfangen zu reden“. Deshalb würden in China oder Vietnam die religiösen Gemeinden nicht nur kontrolliert, sondern auch infiltriert und gespalten. Dies sei eine massive religiöse Verfolgung, die aber nicht religiös motiviert sei.

4. Herausforderungen für Deutschland

Zur neuen, durchaus schwierigen Religionsdebatte in Deutschland, die in Verbindung mit Flucht, Terror, Genderfragen und Ängsten diskutiert werde, sagte Bielefeldt, dass für diese überhaupt erst einmal eine angemessene Sprache gefunden werden müsse. Dazu gehöre, „Fehlkommunikation“ über die Geltung des Grundgesetzes zu vermeiden. „Es ist ja klar, das Grundgesetz gilt. Das Grundgesetz gilt auch ohne Religionsvorbehalt. Aber die Geltung des Grundgesetzes zu vermischen mit irgendwelchen Leitkultur- Vorstellungen, unterminiert den Geltungsanspruch. Auf einmal wird dann alles ganz unklar.“ Noch absurder als diffuse Leitkultur-Konzepte in das Grundgesetz hineinzuprojizieren, sei es, das Grundgesetz zu einem zivilreligiösen Text zu erheben und Muslimen die Frage zu stellen, ob der Koran oder das Grundgesetz den Vorrang habe. Damit werde beides auf eine Kategorien-Ebene gestellt, der Koran zum Gesetzestext und das Grundgesetz zur heiligen Schrift erklärt. „Und dann will man ein klares

Vorrangverhältnis, Muslime reagieren irgendwie irritiert und schon sieht man sich bestätigt im Verdacht, irgendwas stimme da nicht.“ Tatsächlich stimme die Frage nicht, weil es um den praktischen

Geltungsvorrang des Grundgesetzes gehe, nicht um einen Dignitätsvorrang (bedeutet: geistliche Würde).

Das Grundgesetz stehe nicht über allem. Diese „Misskommunikation“ irritiere Muslime nicht nur, sondern setze sie auch einer fatalen Logik des Verdachts aus. Muslimen würden dadurch immer wieder Sonderbekenntnisse abverlangt. Diese würden obendrein so schlecht kommuniziert, dass sie zur Zumutung gerieten, und wenn Muslime sich der Zumutung dann verweigerten, gelte das als bestätigter Verdacht.

Als weiteren Punkt hob Bielefeldt hervor, dass das Grundgesetz auch die Religionsfreiheit enthalte.

Dieser hohe Rang bedeute unter anderem, dass von Menschen hierzulande nicht verlangt werden könne, sich völlig stumm in den Status quo einzupassen. Zu dem Menschenrecht gehöre es auch, religiöse Bedürfnisse artikulieren zu können.

Zur Debatte um Religion und beispielsweise Taten, die in ihrem Namen begangen würden, sagte Bielefeldt, dass es wichtig sei, offen miteinander zu reden, nichts zu tabuisieren, aber auch in

angemessenen Kategorien und im Bemühen um Präzision darüber zu sprechen. Bezugnehmend auf die Fortschritte durch das deutsche Antidiskriminierungsgesetz rief er dazu auf, indirekte und versteckte Formen der Diskriminierung stärker zu beachten: „Indirekte Diskriminierungen überhaupt nur zu

erkennen, ist eine Schwierigkeit.“ Er verwies auf das in Deutschland noch kaum bekannte Instrument der

„reasonable accommodation“ (bedeutet: Pflicht zur angemessenen Vorkehrung oder Anpassung beispielsweise eines Arbeitsplatzes, um Diskriminierung zu vermeiden).

Zum Schluss warb Bielefeldt dafür, in der interreligiösen, interkulturellen Kommunikation „neue Formate“ zu schaffen, die den Menschen die Möglichkeit zur Selbstartikulation belasse. Gespräche in Form von Gipfeltreffen ließen zu wenig Raum für Uneindeutigkeit und würden sich bisweilen zu eng an bestehende Repräsentationsstrukturen orientieren. Das sei nicht falsch, aber in den teils emotionalen Fragen der Religion könnten offene Dialogformate helfen, bei denen nicht klar sei, wer wen

repräsentiere.

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3. Diskussion 6

3. Diskussion

Teilnehmende

Daniel Abdin Vorsitzender des Rats der islamischen Gemeinschaften in Hamburg SCHURA

Johannes Brandstäter Diakonie Deutschland, Zentrum für Migration und Soziales,

Verantwortlicher für das Arbeitsfeld Migrationspolitische Grundsatzfragen Thomas Kreitschmann Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Referatsleiter

Migrationsanalysen/Reports

Prof. Heiner Bielefeldt Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg

Canan Topçu Moderation, Journalistin

In der von der Journalistin Canan Topçu moderierten Diskussionsrunde ging es zunächst darum, welche Rolle die religiöse Zugehörigkeit für die Flucht von Menschen spielt.

Heiner Bielefeldt sagte, dass die Religion ein Bestandteil eines Bündels vieler Variablen sei. Zwar gebe es Situationen, in denen die religiöse Herkunft klar im Vordergrund stehe, etwa bei den Jesiden, die vom sogenannten islamischen Staat mit „genozidaler Gewalt“ überzogen würden. „Die Opfer werden markiert aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, und da ist der Zusammenhang sehr direkt greifbar.“ Oft sei dieser Bezug aber nicht so klar oder die Religion sei zum Bestandteil einer sehr komplizierten

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3. Diskussion 7

Gemengelage geworden. Man dürfe nicht alle Dinge unter dem Begriff Religion zusammenziehen.

Allerdings sei es beim Thema Diskriminierung wieder sehr wichtig, die Elemente religiöser Diskriminierung separat zu thematisieren.

Daniel Abdin erläuterte, dass er mit seiner Organisation SCHURA keinen Unterschied zwischen

christlichen oder muslimischen Geflüchteten mache. Alle Mitglieder des Vereins hätten im August 2015 beim ersten Flüchtlingsansturm ihre Türen unter der Voraussetzung geöffnet, die humanitäre Hilfe nicht ausschließlich muslimischen oder arabischen Geflüchteten zukommen zu lassen, sondern allen

Menschen, unabhängig von Religion, Herkunft oder Sprache. Wie in anderen Religionsgemeinschaften auch, empfinde man es als religiöse Pflicht zu helfen. Außerdem geschehe das aus der Überzeugung, ein Teil der Gesellschaft zu sein und deshalb auch humanitäre, soziale oder integrative Verpflichtungen zu übernehmen. Abdin hob Patenschaftsprojekte hervor, mit denen die Integration in den Alltag gefördert werden solle. Dies sei auch notwendig, weil in letzter Zeit vor allem Frauen mit Kopftuch immer öfter diskriminiert und sowohl verbal als auch körperlich angegriffen worden seien, was zu deren Rückzug aus der Öffentlichkeit führe. Diese Entwicklung sei beängstigend. Die Islamfeindlichkeit dürfe nicht unter den Teppich gekehrt werden. Zugleich setze sein Verein bei der Betreuung von Geflüchteten auf die breite Zusammenarbeit mit anderen Kirchen und Institutionen. Es gehe darum, den nach Deutschland kommenden Menschen „unser Verständnis von Toleranz und respektvolle Begegnungen vorzuleben“.

Die deutschen Muslime hätten eine Schlüsselrolle bei der Integration. Deshalb wünsche er sich auch mehr Unterstützung.

Johannes Brandstäter verwies darauf, dass sich die evangelische Kirche selber als eine

Religionsgemeinschaft von vielen in einer pluralen Gesellschaft sehe. Diesen Anspruch habe als ihr Wohlfahrtsverband auch die Diakonie bei allen ihren Hilfsangeboten. In der Praxis kämen in die Migrationsberatungsstellen der Diakonie zurzeit viele geflüchtete Muslime, aber auch Angehörige anderer Religionsgemeinschaften. „Die werden dort genauso beraten, wie wenn christliche Angehörige kommen.“ Das gelte natürlich auch für Krankenhäuser, Suchtberatungsstellen,

Schwangerschaftsberatungsstellen. Es könne aber vielleicht notwendig sein, diese Offenheit gegenüber Angehörigen anderer Religionen noch auszubauen. Brandstäter sagte, dass durch den enormen

zusätzlichen Zulauf von Geflüchteten die Migrationsberatungsstellen, auch die vom Bund geförderten, überlastet seien. Sie seien vom Bundestag mit zu wenig Mitteln ausgestattet worden, die zusätzlich bewilligten Mittel aufgrund des Zulaufs reichten bei weitem nicht aus. Wie die SCHURA profitiere auch die Arbeit der Diakonie von den vielen freiwillig Engagierten. Allerdings benötigten die Geflüchteten auch professionelle Hilfe, etwa wenn es um Behandlung von Traumatisierung, Arbeitsmarktzugang, Zugang zu Ausbildung oder die Einschulung von Kindern gehe. Er sprach sich für eine zusätzliche finanzielle Förderung der bestehenden Strukturen aus, jedoch gegen die Schaffung neuer.

Thomas Kreitschmann betonte, dass es sich beim Asylrecht um ein individuelles Recht und die Prüfung individueller Fälle handele. Es gebe nicht den eindimensionalen Asylgrund Religion, sondern immer eine vielschichtige Gemengelage. Es sei daher auch nicht zielführend, nach Fluchttatbeständen zu

unterscheiden, sondern nach verschiedenen Schutzarten. Daher gebe es auch keine Statistik, mit der die Religion als Fluchtgrund eindeutig ausgemacht werden könne, Kategorisierungen dieser Art wären willkürlich. Kreitschmann erläuterte außerdem die Grundlagen für die individuellen Asylentscheidungen.

Sie stützten sich neben dem Gespräch auf Erkenntnisse eigener Analyseeinheiten. Es würden unter anderem Informationen aus der Wissenschaft, aus Zeitungen, von Nichtregierungsorganisationen und der deutschen Botschaft ausgewertet und an die Entscheider gegeben, die sich dann mit dem konkreten Fall auseinandersetzten. Natürlich könne es dabei zu unterschiedlichen Auffassungen beispielsweise mit einzelnen Menschenrechtsorganisationen kommen, weil es unterschiedliche Interessen und Sichtweisen gebe. Sowohl die Analyse der Situation als auch die Beurteilung des Einzelfalls erfolgten dabei nach bestem Wissen und Gewissen. Für das Gesamtbild würden auch Informationen aus dem gesamten Spektrum der Sichtweisen bewertet.

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3. Diskussion 8

Neben den Fluchtursachen ging es in der Diskussion um die Situation in Deutschland und Diskriminierungen hierzulande. Johannes Brandstäter nannte das Menschenrecht auf Asyl in Deutschland „sehr bedroht“. Die „Wir schaffen das“-Zusage der Bundeskanzlerin befinde sich im Moment „eher auf dem Rückzug“. Er führte an, dass weniger als die Hälfte der zurzeit in Deutschland lebenden Geflüchteten einen sicheren Schutzstatus hätten – dies beeinflusse natürlich auch Fragen der Religionsfreiheit. Hinzu komme eine breite Muslimfeindlichkeit, die einer vorbehaltlosen Aufnahme von Geflüchteten entgegenstehe. Die Mehrzahl der Geflüchteten sei zurzeit muslimisch, es gebe aber auch verschiedene Christ_innen aus Ländern wie Syrien, der Türkei, dem Irak oder Ägypten.

Die Diskussionsrunde befasste sich auch mit Studien1, nach denen christliche Geflüchtete in

Asylunterkünften diskriminiert und verfolgt würden. Johannes Brandstäter sagte, dass diese Fälle nicht genau zu quantifizieren seien, es gebe aber nicht nur ein paar wenige Einzelfälle, allerdings auch keine systematische Diskriminierung. Diese Fälle müssten unabhängig von ihrer Zahl unbedingt

wahrgenommen und bearbeitet werden. Die christlichen Kirchen wehrten sich aber dagegen, einen künstlichen Gegensatz von Muslimen und Christen zu schaffen2. Heiner Bielefeldt unterstrich, dass das Problem unbedingt zur Kenntnis zu nehmen und dafür interne Schutzmechanismen zu entwickeln seien.

Man müsse über dieses schwierige Thema präzise und angemessen, aber ohne Pauschalisierungen oder Schönfärbereien reden. Thomas Kreitschmann warnte davor, diese Beispiele als Beleg für ‚gute Christen gegen böse Muslime‘ zu nehmen. „Es geht immer um Menschen, die sich falsch verhalten, aus welchen Gründen auch immer.“ Jedem Übergriff müsse entschlossen entgegengetreten werden. Neben den zu verfolgenden justiziablen Fällen handele es sich auch um eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, bei der es um das Aufeinander-Zugehen und Miteinander-Leben gehe.

Alle Teilnehmenden der Runde sprachen sich gegen eine getrennte Unterbringung von Geflüchteten nach Religionen aus, weil dies zu Ghettobildung und Parallelgesellschaften führe. Anhand mehrerer

1 Befragung durch Open Doors zum Ausmaß der Verfolgung von Christen in deutschen Flüchtlingsunterkünften:

https://www.opendoors.de/verfolgung/christenverfolgung_heute/christenverfolgung_in_deutschland/

2 Stellungnahme des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm, zur Situation von Christen und religiösen Minderheiten in Asylbewerberunterkünften, Bonn/Hannover 12. Juli 2016, http://www.ekd.de/download/Gemeinsame_Stellungnahme_Christen_in_Asylbewerberunteruenften.pdf

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3. Diskussion 9

Beispiele wurde ausgeführt, dass es sich bei manchen angeblich religiös motivierten

Auseinandersetzungen zwischen Geflüchteten oft eher um alltägliche Konflikte gehandelt habe.

Johannes Brandstäter forderte zudem, so wenige Sammelunterkünfte wie möglich zu nutzen. Sie könnten das Menschenrecht auf Leben und Wohnen in Würde nicht ausreichend gewährleisten und seien oft Ursache für Konflikte und Diskriminierungen. Daher müsse unter anderem der soziale Wohnungsbau deutlich ausgebaut werden3.

Bei den anschließenden Fragen aus dem Publikum ging es unter anderem um die Diskriminierung von Muslimen durch Muslime in Deutschland nach den Ereignissen in der Türkei. Heiner Bielefeldt und Moderatorin Canan Topçu, die an dieser Stelle aus ihrer Erfahrung als Journalistin zum Thema sprach, über das sie auch schreibt, rieten dazu, sich in solchen Fällen journalistische Verbündete zu suchen, da das Recht hierbei an seine Grenzen stoße. Thomas Kreitschmann wies darauf hin, dass zurzeit niemand in die Türkei abgeschoben und die weitere Entwicklung dort sehr genau beobachtet werde.

In weiteren Beiträgen wurde auf das Problem hingewiesen, dass Geflüchtete und Muslime immer zusammen gedacht würden, obwohl nicht alle aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Islam oder einer anderen Religion geflohen seien. Diskriminierung erlebten sie in Deutschland gleichwohl. Zudem wurde auf die besondere Herausforderung für den Schutz von aus dem Islam Konvertierten hingewiesen.

Heiner Bielefeldt nannte die Konversion den Testfall der Religionsfreiheit schlechthin, weil man ohne das Recht zum Glaubenswechsel den Rest vergessen könne.

Johannes Brandstäter plädierte dafür, nüchtern die Tatsache zu akzeptieren, dass wir in einer Einwanderungsgesellschaft lebten. Dazu gehöre, sich darauf einzurichten, dass das zuweilen anstrengend werden könne. Um diese plurale, durch Einwanderung geprägte Gesellschaft zu

„managen“, bedürfe es auch neuer Strukturen des Diskriminierungsschutzes, gerade für besonders Gefährdete, die in Sammelunterkünften leben müssten. Die Antidiskriminierungsstelle solle sich daher bestärkt fühlen, noch genauer zu untersuchen, was an Antidiskriminierungsstrukturen zusätzlich erforderlich sei und verwies auf die Bundesinitiative zu „Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen“4. Es sei außerdem die Bereitschaft von allen nötig, sich auf neue Konflikte einzulassen, sie auszutragen und auszuhalten: „Das gehört zur Demokratie dazu.“

3 Positionen zur Aufnahme, Wohnraumversorgung und Unterbringung von Flüchtlingen, Diakonie Texte 07.2014, Berlin August 2014, http://www.diakonie.de/media/Texte-07_2014_Positionen_Fluechtlingen.pdf

4 Bundesinitiative „Schutz von Frauen und Kindern in Flüchtlingsunterkünften“, Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften, http://www.diakonie.de/media/Mindeststandards-Schutz-KiJuFrauen-Fluechtlingsheime.pdf

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4. Mitwirkende Personen 10

4. Mitwirkende Personen

Prof. Heiner Bielefeldt

Impulsvortrag und Podiumsgast

Professor Bielefeldt ist Philosoph und Theologe. Er lehrt Menschenrechtspolitik an der Friedrich- Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zwischen 2003 und 2009 war er Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin. Seit 2010 ist er Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über Religions- und Weltanschauungsfreiheit und reist im Rahmen dieser Tätigkeit unter anderem auch immer wieder in Länder, in denen es keine Selbstverständlichkeit ist, seine Religion und seinen Glauben frei zu leben.

Johannes Brandstäter

Podiumsgast

Johannes Brandstäter ist im Zentrum Migration und Soziales der Diakonie Deutschland in Berlin für das Arbeitsfeld Migrationspolitische Grundsatzfragen verantwortlich. 1990 bis 2005 war er in Stuttgart für die Menschenrechtsarbeit des Diakonischen Werkes der EKD in Asien zuständig. Ehrenamtlich war er mehrere Jahre lang Vorsitzender von FIAN Deutschland, der Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren. Er studierte Politikwissenschaft an der Universität Hamburg.

Thomas Kreitschmann

Podiumsgast

Thomas Kreitschmann studierte an der TU München. Seit 1994 ist er Referatsleiter beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg (Migrationsanalysen/Reports). Unter anderem forscht er dort zum DubliNet, dem 2003 errichteten Netz zur elektronischen Übermittlung von personenbezogenen Daten von Asylbewerbern.

Daniel Abdin

Podiumsgast

Daniel Abdin ist im Libanon geboren. Seit 15 Jahren ist er ehrenamtlicher Vorsitzender des Islamischen Zentrums Al-Nour e.V. und seit 10 Jahren Vorsitzender der SCHURA Hamburg und Mitglied des

Bezirksintegrationsbeirats Hamburg Mitte. Er engagiert sich in der Sozial- und Integrationsarbeit und im interreligiösen Dialog. Er ist unter anderem verantwortlich für den Kauf der ehemaligen

Kapernaumkirche in Hamburg Horn sowie den friedlichen Ausgang der Umwandlung zur Moschee durch den Nachbarschaftsdialog.

Canan Topçu

Veranstaltungsmoderation

Frau Topçu lebt seit 1973 in Deutschland. Nach dem Abitur in Hannover absolvierte sie ein

Magisterstudium der Literaturwissenschaft und Geschichte an der Leibniz Universität Hannover. Sie volontierte bei der Hannoverschen Allgemeine Zeitung und war von 1999 bis 2012 Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau tätig. Seit 2012 arbeitet sie als freiberufliche Journalistin für Print, Online und Hörfunk. Ihre Schwerpunkte sind Migration, Integration und muslimisches Leben in Deutschland. Seit 2004 ist sie Dozentin an der Hochschule Darmstadt im Fachbereich Media sowie im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften.

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5. Programm 11

5. Programm

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5. Programm 12

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Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes;

sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt.

Herausgeberin:

Antidiskriminierungsstelle des Bundes 11018 Berlin

www.antidiskriminierungsstelle.de Kontakt Beratung:

Tel.: 030 18555-1865

(Mo. bis Fr.: 9 – 12 Uhr und 13 – 15 Uhr) Fax: 030 18555-41865

E-Mail: beratung@ads.bund.de Besuchszeiten nach Vereinbarung Kontakt Zentrale:

Tel.: 030 18555-1855

E-Mail: poststelle@ads.bund.de Stand: November 2016

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