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Akzente Das Magazin der Pädagogischen

Hochschule Zürich

3/ 17

blog.phzh.ch/akzente

Deutsch –

frühzeitig eigene Zugänge zur

Sprache schaffen

Seite 10

Reportage: Ein bildungshistorisches Grossprojekt erhält die Geschichte unserer Schule für die Nachwelt

Seite 19

Meinungen: Was zwei Lehrer und eine Schulleiterin an ihrem Beruf ärgert

Seite 7

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Inhaltsverzeichnis/Editorial Ausstellung

MATERIAL-ARCHIV Permanent

Anfassen erlaubt! Ob Glas, Holz, Papier, Kunststoff, Stein, Keramik, Metall, Farbpigmente oder auch Leder und Textilien – im Material-Archiv laden unzählige Materialmuster, eine Online-Datenbank, Experimentierstationen sowie eine reich- haltige Schausammlung und ein grosses, dreidimensionales Lehrbuch zum Stöbern, Rätseln, Forschen und Entdecken ein.

Ob im Ausstellungsraum oder im Atelier, in diesem interaktiven Labor für Materialrecherchen können Klassen aller Alters- stufen sämtliche Materialien mit allen Sinnen erleben, Produk- tionsprozesse im Kleinen imitieren oder ausführliches Hinter- grundwissen erfahren.

Angebote für Schulen Die Welt ist Material

Führung für Mittel- und Sekundarstufe Aus Altglas wird Trinkglas Workshop für Mittel- und Sekundarstufe

Was macht Farben farbig? Eine Spurensuche Workshop für Unterstufe bis Sekundarstufe

Raspeln, Hämmern, Schmelzen Workshop für 2. Kindergarten und Unterstufe Magisch-magnetisches Metall Workshop für Kindergarten

Begleithefte & Lehrer/innendokumentation Für alle Stufen für den selbstständigen Besuch mit der Klasse, kostenlos. Erhältlich an der Museumskasse, Download ab www.gewerbemuseum.ch/Museumspädagogik

Öffnungszeiten

Di bis So 10 – 17 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Mo geschlossen Öffnungszeiten Feiertage www.gewerbemuseum.ch

Anmeldung und Informationen Gewerbemuseum Winterthur Kirchplatz 14, 8400 Winterthur Telefon 052 267 51 36 gewerbemuseum@win.ch www.gewerbemuseum.ch

Gewerbemuseum Winterthur

Foto: Michael Lio

Die Botschaft freut alle Eltern, die am Abend Gutenacht-Geschichten vorlesen: Sie bereiten damit den Kindern nicht nur eine Freude, sondern tragen auch zur Entwick- lung der Sprachkompeten- zen ihrer Sprösslinge bei. Das Gleiche wirkt auch im Klassenzimmer:

Heute gelten in der Schule attraktive Leseerlebnis- se als zentral für einen guten Deutschunterricht.

Das Vorlesen bildet dabei ein wichtiges Element.

Gleichzeitig erlebt im Deutschunterricht eine zeitweise verges- sene Form eine Renais- sance: «Der PISA-Schock im Jahr 2000 machte deut- lich, dass wieder syste- matisch geübt werden muss», sagt Deutschdi- daktiker Thomas Dütsch.

Daher werden heute auf Primar- und Sekundar- stufe wieder mehr Lese- und Schreibtrainings in den Unterricht integriert.

Wie bei vielen anderen schulischen Themen zeigt sich auch beim Spracherwerb die hohe Wichtigkeit der Frühförderung. Ebenso bedeutend ist ausserdem der Fokus auf diejenigen Kompetenzen, welche die Jugendlichen später an- wenden müssen. In vielen Berufen sei eine stilis- tisch versierte Sprache wenig hilfreich, sagt Deutsch-Professor Hans- jakob Schneider. Viel- mehr müssten Texte funktionale Aspekte der Sprache berücksichtigen.

Das Bewusstsein, wo man wie kommuniziert, werde beispielsweise durch Twitter oder Whatsapp gestärkt – also ausge- rechnet durch jene Kommunikationsmedien, die in diesem Zusammen- hang immer wieder in der Kritik stehen.

– Christoph Hotz

Inhalt 3/2017

4 Vermischtes

Wie gelingen Innovationen in der Schule?

7 Eine Frage, drei Antworten

Was ärgert Sie an Ihrem Beruf?

9 Seitenblick Innovationen als

Inspirationsquelle

10 Schwerpunkt Deutsch Leitartikel: Sprache als

Schlüssel zum Wissen Porträts: Wie Kinder den

Zugang zur Sprache finden Interview: Pedro Lenz,

Schriftsteller

19 Reportage

Ein Grossprojekt macht die Geschichte unserer Schule zukunftsfähig

24 Studierendenseite

Porträt, Bachelorarbeit, Kolumne 27 PH Zürich

Ausbildung: Neue Wege zum Lehrdiplom für die Sek I Weiterbildung: Kickoff für die

Schulleitungen zum LP 21 Ausbildung /Weiterbildung:

«Das Thema ‹sexuelle Über- griffe› sollte stets präsent sein»

Ausbildung: «Die Vielfalt beim Quereinstieg ist wie in den Anfangsjahren sehr gross»

32 Mein Schulweg «Du kannst mir auch

‹Kursbuch› sagen»

34 Medientipps 37 Unter vier Augen Von Bienen und Gärtnern 38 Instagram #takeover 38 Impressum

Vorlesen und früh üben lohnen sich

Inserate

Titelbild: 2. Primarklasse Schule Männedorf, Foto: Dieter Seeger

Kafi, Gipfeli

3.—

Zmittag 7.—

w w w . h i r s c h l i . n e t

16 Interview: Weshalb Pedro Lenz beim Texten Mundart bevorzugt.

10 Deutsch: Wie der Zugang zur Sprache am besten gelingt.

19 Reportage: Wie alte Schulhaus- pläne restauriert werden.

(3)

Vermischtes

Vermischtes

Wie gelingen Innovationen in der Schule?

Mitte Mai fand an der PH Zürich das 11. Symposium Personalmanagement im Bil- dungsbereich statt. Die Veranstalter thema- tisierten dieses Jahr die Frage, wie Innovation und Führung mit einem stark von vorgegebenen Reformen geprägten Bildungswesen vereinbar sind. Zwei Hauptrednerinnen und ein Haupt- redner beleuchteten das Thema aus ihrer jewei- ligen Perspektive.

Für Matthias Straub-Fischer, Schulleiter der KaosPiloten Bern, sind für Innovationen im Bildungsbereich sieben Elemente von Bedeu- tung: Mut, Integrität, Kreativität und Wert- schätzung auf Seiten der Führungskraft, Ver- trauen, Erfahrungen und Balance auf Seiten des Teams. Das richtige Timing in Bezug auf Pla- nung und Durchführung und das Zusammen- spiel der Teammitglieder führen seiner Ansicht nach zu neuen Horizonten.

Gisela Schultebraucks-Burgkart, Schul- leiterin der mit dem Hauptpreis des Deutschen Schulpreises gewürdigten Grundschule Kleine Kielstrasse Dortmund, legte ihren Fokus auf die Frage der strukturellen Führung zur Einfluss- nahme auf Innovationen. Für die Schulleiterin sind klare Verantwortlichkeiten, eingespielte Prozesse und ein unterstützender organisatori- scher Rahmen Voraussetzungen für Innovation.

Wichtig ist, dass dieses Zusammenspiel dem pädagogischen Hauptanliegen der Schule dient:

eine gute Schule für die Kinder zu sein, die im

herausforderndsten Brennpunkt des Dort- munder Nordens aufwachsen.

Als letzte Hauptrednerin skizzierte Christine Böckelmann – Rektorin der Hoch- schule Luzern, Wirtschaft – Voraussetzungen und Bedingungen für Innovationen aus Sicht der Arbeits- und Organisationspsycho- logie und eines innovativen Unternehmer- tums. Bestimmende Voraussetzungen für Innovationen sind nach ihr die Offenheit von Personen für neue Erfahrungen, adäquate individuelle Lerngelegenheiten, Teams mit geteilten Zielen und Werten, unterstützende Strukturen mit klaren Zuständigkeiten und eine Kultur des Vertrauens und des grenzen- losen Denkens.

Die zwölf als praxisnahe Workshops konzipierten Foren zeigten auf, wie vielfältig Innovationen im Schulfeld sein können und was es dazu an Führung und Personalma- nagement braucht: von der gezielten Perso- nalförderung über Fragen zum Einsatz von ICT und Medien bis hin zu Veränderungen im Schulsystem am Beispiel von Tagesschu- len. Musikalisch begleitet wurde die Veran- staltung durch das Duo Co-Streiff & Tommy Meier. – Frank Brückel

Frank Brückel ist Dozent im Weiterbil- dungsbereich «Schule und Entwicklung»

der PH Zürich.

Kommende Ver- anstaltungen 28. September

Pädagogische Schulführung Referat von Gert Biesta von der Brunel University of London

8. November

Forum Politische Bildung

Was trägt die Volksschule zur Demokratie-Kompe- tenz der Schüle- rinnen und Schüler bei? Diese Frage steht im Zentrum der Veranstaltung.

11. November

Steuerung der Sonderschulung Die Sonderschulung verursacht stei- gende Kosten. Wie diesen finanziellen Herausforderungen begegnet werden kann, ist Thema des Anlasses.

Weitere Infos:

phzh.ch/

veranstaltungen Fot

o: Reto Klink

PHZH in Zahlen

Fotos: Thomas Györffy, Mike Krishnatreya, Christian Wagner

Schulleitende im Gespräch: Matthias Straub-Fischer (Mitte) und Gisela Schultebraucks- Burgkart. Moderator Frank Brückel (links).

Aktuelles

Neue Leitung Sekundarstufe I Christine Bieri Buschor ist zur neuen Leiterin der Ausbildung für die Sekundarstufe I ernannt worden. Die promovierte Psycho- login unterrichtete selber während sechs Jahren als Sekundarlehrerin und war anschliessend als Dozentin tätig. Seit 2008 leitet sie eines der Forschungszentren an der PH Zürich.

400 neue Lehrpersonen

Im Juli haben insgesamt rund 400 Personen ihr Lehrdiplom erhalten – 85 auf der Eingangsstufe, 204 auf der Primarstufe und 106 Personen auf der Sekundarstufe II. Die Di- plomfeier auf der Sekundarstufe I fand bereits im April statt. Die PH Zürich gratuliert allen Lehr- personen herzlich zum erfolgreichen Abschluss der Ausbildung.

Kultur und Spektakel auf der Au Zum vierten Mal veranstalteten das Volksschulamt und die PH Zürich im Juni und Juli gemeinsam die Kulturtage Au. An den insgesamt zwölf Vorstellungen nahmen 72 Klassen mit über 1500 Kindern teil.

Eingebettet in eine Rahmenhand- lung setzten sich die Schülerinnen und Schüler in Workshops mit verschiedenen Künsten auseinan-

Farbenfrohe Choreografie:

Studentinnen der PH Zürich bei ihrem Tanzauftritt.

Strahlende Gesichter: Insgesamt 85 Studierende haben auf der Eingangsstufe ihr Diplom erhalten.

1500 Kinder trafen «Im Labyrinth von Auland» auf Figuren aus der griechischen Mythologie.

der. Beteiligt waren auch rund 150 Studierende.

Neue Publikationen zu Tages- schulen und politischer Bildung Die PH Zürich hat zwei neue Bücher zu aktuellen Themen ent- wickelt: «QuinTaS. Qualität in Tagesschulen/Tagesstrukturen»

unterstützt Schulen unter anderem beim Aufbau von Tagesschulen.

«Gesellschaften im Wandel» ist ein neues Geschichts- und Politiklehr- mittel für die Sekundarstufe I.

Musik- und Performance-Night In einer Werkschau zum Semester- ende zeigten die Studierenden der PH Zürich ihr künstlerisches Können – mit Konzerten, Tanz und Chorgesang.

Nutzungszahlen der Website phzh.ch im Jahr 2016

Zugriffe insgesamt

Anzahl Zugriffe auf die am

häufigsten gelesene

News Durch- schnittliche

Verweildauer auf einer einzelnen

Seite

Anzahl Downloads (PDF, Word

usw.)

Anteil Zugriffe über mobiles Gerät (Tablet oder Smartphone) Anzahl Klicks

auf eine E-Mail- Adresse auf der Webseite

Anteil Zugriffe aus

dem Ausland Zugriffe auf die am meisten genutzte Unterseite

3 196 405

Diplomfeier

1144 1,5 Min.

158 736

27,38 % 6020

8,97 %

Bibliothek

207 411

(4)

FÜR SCHULKLASSEN UND JUGENDGRUPPEN stapferhaus.ch/schulen

FÜR TEAMAUSFLÜGE stapferhaus.ch/gruppen AUSSTELLUNG IM ZEUGHAUS LENZBURG

BIS 25. MÄRZ 2018

SPANNENDE WORKSHOPS Vom gemeinsamen Schabziger-

Suppe-Kochen über das Spiel der Kulturen bis zum Erstellen

der eigenen Radiosendung.

JETZT BUCHEN

Meinungen

Eine Frage, drei Antworten:

Was ärgert Sie an Ihrem Beruf?

Wer sich ärgert, schadet sich selbst. Nach dieser hehren Devise versuche ich – oft vergeblich – zu leben. Im besten Fall gibt mir der Ärger die nötige Energie, etwas zu ändern, was mich stört. Im Alltag sind das zum Bei- spiel technische Pannen. Zum Glück haben wir effiziente Techniker im Haus. Unsolidarische Kollegen gehen mir schon eher auf den Keks, sei es, weil sie vom Stau im Foto- kopierer weglaufen oder sich wei- gern, der Lehrergewerkschaft beizu- treten. Dass Schülerinnen und Schüler stören, Hausaufgaben nicht machen oder zu spät kommen, gehört wohl zum Berufsrisiko. Zum Ärger kommt es, wenn sie mir ein X für ein U vormachen wollen.

Weniger Verständnis habe ich für diejenigen Eltern, die jede Fehl- leistung ihrer Sprösslinge in eine Attacke gegen die Schule ummün- zen. Was mir aber wirklich sauer aufstösst und Angst macht für die Zukunft unserer Bildung, das ist der unbedarfte und gedankenlose Vergleich von Lehrpersonen mit Managern. Wir müssen zwar Mana- gerqualitäten aufweisen, wenn es ums Organisieren und Planen geht.

Wir sind aber kein gewinnorientier- tes Unternehmen, und Lernen ist nun mal – wie die Liebe übrigens –

ein Kind der Freiheit. Dass Lernen

«machbar» und wir Lehrer und Lehrerinnen damit auch messbar und quantifizierbar sind, halte ich für eine Sünde wider den heiligen Geist der Bildung.

Ich liebe meinen Beruf.

Leider steigen viele Lehrpersonen aus, denn der Lehrberuf hat in der Gesellschaft einen geringen Stellenwert. Autoritäten werden heute mehr hinterfragt als früher, das ist auch gut so. Aber mich stört die häufige Pauschalverurteilung unseres Berufsstandes. Alle haben eine Meinung zur Schule. Jeder fühlt sich als Experte. Einzelfälle werden generalisiert. Die Schule muss abfedern, was in der Gesell- schaft nicht optimal läuft. Die Erwartungen an die Schule sind enorm hoch und dementsprechend auch die Gefahr der Enttäuschung.

Diese Entwicklung demotiviert.

Denn sie birgt die Gefahr, dass fä- hige Lehrkräfte weiterhin absprin- gen. Gleichzeitig ist es als Lehrper- son und Schulleitung wichtig zu akzeptieren, dass die Schule ein Brennpunkt ist, in dem sich soziale und politische Probleme manifestie- ren. Aber wir brauchen auch Ver- trauen und Wertschätzung. Eine Ursina Kuster, Schulleiterin/

Lehrerin in Zürich-Wollishofen Jean Pierre Bünter, Lehrer am

Literargymnasium Rämibühl

starke Volksschule baut auf fähige Lehrpersonen – und den Rückhalt der Gesellschaft.

Sie sollen ruhig und konzentriert arbeiten.

Sie sollen in Gruppen Lösungen entwickeln. In der Realität aber arbeite ich mit 25 bis 30 Kindern in einem Zimmer, welches eigentlich für 20 Schüler konzipiert ist. Das Resultat: Die Enge bringt Unruhe und fördert Streit. An Gruppenar- beiten ist kaum zu denken. Es sind solche Situationen, die mich in den 26 Jahren als Lehrer am meisten ärgern. Situationen, in denen das Wohl des Kindes vergessen geht;

in denen Entscheidungen gefällt werden, weil sie politisch oder wirt- schaftlich opportun sind. Oder – so viel Selbstkritik muss sein – weil sie für uns Lehrer weniger Aufwand bedeuten. Etwa wenn wir kein Lager durchführen. Kinder haben keine Lobby. Deshalb müssen wir Lehrpersonen, Schulpfleger und Bildungspolitikerinnen immer wie- der versuchen, deren Perspektive einzunehmen. Ansonsten ver- kommt der Satz «zum Wohle des Kindes» zu einer leeren Worthülse.

Zu einem unerfüllten Versprechen.

Inserate

Peter Heggli, Primarlehrer in Ottenbach

focusTerra

Erdbeben im Simulator

Wieso bebt die Erde und wo?

Wie fühlt sich ein Erdbeben an?

Wie kann ich mich schützen?

Führungen für Schulklassen

Unterrichtsmaterial und Aufgabenblätter Weiterbildungen für Lehrpersonen Informationen und Buchung unter www.focusterra.ethz.ch

focusTerra – ETH Zürich Sonneggstrasse 5, 8006 Zürich Telefon +41 44 632 62 81 info_focusterra@erdw.ethz.ch Montag bis Freitag 9.00 − 17.00 Uhr Sonntag 10.00 − 16.00 Uhr

Erdwissenschaftliches Forschungs- und Informationszentrum der ETH Zürich

Peter Rüegg, HK ETH Zürich

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Seitenblick

Illustration: Elisabeth Moch

Silke Fischer – Seitenblick

Innovationen als Inspirationsquelle

Inserate

Seit Beginn der 2000er-Jahre haben sich die Schulen vielen Neu- erungen, welche vorwiegend im organisationsbezogenen Bereich zu verorten sind, stellen müssen. Ziel dieser Neuerungen ist es, sich kon- tinuierlich zu verbessern. Im Zuge dessen wurde auch den Lehrper- sonen in der Vergangenheit einiges abverlangt. Wenn ich an meine Lehrtätigkeit als Berufsfachschul- lehrerin denke, dann waren Inno- vationen für die Lehrerschaft vor allem mit einem verbunden – mit viel Arbeit. Wenn der Nutzen solcher Innovationen nicht direkt erfahrbar ist, ist es verständlicher- weise oftmals schwierig, Lehrper- sonen neben der ohnehin hohen Unterrichtsverpflichtung zusätzlich in Pilotprojekte zu involvieren.

Eine der bedeutsamsten Innovationen im Bildungsbereich war in den letzten Jahren die Um- setzung der Kompetenzorientie- rung. Für meine Tätigkeit an der PH Zürich bedeutet dies, meinen Studierenden das notwendige Wissen und die Fertigkeiten so zu vermitteln, dass sie dieses Wissen flexibel in konkreten Situationen einsetzen können. Konkret be- deutet dies beispielsweise, Fach-

wissen in einen Anwendungszu- sammenhang einzubetten.

Darüber hinaus muss ich meine Studierenden darauf vorbe- reiten, selber kompetenzorientiert zu unterrichten. Dies bedeutet oftmals, dass sie sich verabschieden müssen von bekannten, eher in- haltsorientierten Unterrichtsmetho- den, welche sie selbst in ihrer Schul- zeit erlebt haben. Dies stellt sowohl für die Studierenden als auch für uns Dozierende eine besondere Herausforderung dar.

Um diese Aufgabe zukünftig noch besser meistern zu können, haben wir uns in einem unserer Studiengänge auf der Sekundarstu- fe II dafür entschieden, den Studie- renden ab dem Herbstsemester 2018 ein begleitetes Selbststudium anzubieten. Dabei erarbeiten, ver- tiefen und reflektieren die Studie- renden alleine oder in Gruppen selbstgesteuert und -organisiert Wissen und Kompetenzen. Gleich- zeitig soll ihnen diese Lernform Kooperation, Kommunikation, Kreativität und kritisches Denken ermöglichen. Der Dozent oder die Dozentin ist während dieser Zeit anwesend und beantwortet auf- kommende Fragen. So können die

Studierenden von uns individuell beraten und unterstützt sowie ziel- gerichtet darauf vorbereitet werden, die Kompetenzorientierung in ihrem Unterricht auch wirklich adressaten- und themengerecht umzusetzen. Unser Ziel ist es, das Prinzip der Kompetenzorientierung für die Studierenden auf diesem Weg fassbarer zu machen.

Wenn ich an diese bevor- stehende Aufgabe denke, erhalten Innovationen eine andere Bedeu- tung. Sie bringen zwar immer noch viel Arbeit mit sich, können von uns aber anders als in der Berufs- fachschule unmittelbar umgesetzt werden. Dies macht die Resultate direkt erfahrbar. So werden Inno- vationen nicht zu einer schweren Last, sondern zu einer Inspirations- quelle für weitere Tätigkeiten. Im Sinne meiner eigenen Kompetenz- entwicklung gilt für mich daher in Anlehnung an das altbekannte Sprichwort: «Nur wer sich ändert, Bestehendes kontinuierlich hinter- fragt und neue Wege geht, bleibt sich treu».

Silke Fischer ist Berufsfach- schullehrerin und Dozentin auf der Sekundarstufe II an der PH Zürich.

Zirkus machen können alle Menschen! Buchen Sie jetzt eine freie Zirkusprojektwoche. Für das Jahr 2018 und 2019 suchen wir noch Engagements in der Deutschschweiz an Schulen und anderen Institutionen.

Gerne geben wir Auskunft +41 79 357 88 47 circolino@pipistrello.ch www.pipistrello.ch

Informations­

veranstaltung

Masterstudiengang Sonderpädagogik

mit den Vertiefungsrichtungen:

— Schulische Heilpädagogik

— Heilpädagogische Früherziehung

Mittwoch, 8. November 2017 15.00–17.30 Uhr

Keine Anmeldung erforderlich

Mehr Infos unter www.hfh.ch/agenda, über Telefon 044 317 11 11 oder info@hfh.ch

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Sprache als

Schlüssel zum Wissen

Guter Deutschunterricht schafft heute einen persönlichen Zugang zur Sprache und lässt gleichzeitig Raum für

systematisches Üben. Dies beginnt bereits im Kindergarten.

Auch in anderen Fächern soll in der Schule an der Sprache gearbeitet werden.

Text: Melanie Keim; Fotos: Dieter Seeger hat Lehrerin Barbara Beziak und ihre 2. Primarklasse in Männedorf im Deutschunterricht fotografisch begleitet.

(7)

Schwerpunkt Deutsch

Einst war es das Fernsehen, später waren es die Comics, dann die Anglizismen. Sie alle sollten schuld sein an einem angeblichen Sprachzerfall. Klagen über einen weitreichenden Verlust der Sprachkompetenzen haben in jüngster Zeit wieder Konjunktur. Verantwortlich gemacht werden dabei häufig neue Kommunikationsme- dien. Steckt dahinter mehr als ein kulturpessimistisches Unbehagen gegenüber einem natürlichen Sprachwandel?

«Die Kritik ist durchaus berechtigt. Heute ist es nicht mehr selbstverständlich, dass sich Maturanden und Hochschulabgänger schriftlich korrekt und stilsicher aus- drücken können», sagt Thomas Dütsch, der an der PH Zürich den Bereich Deutsch/Deutsch als Zweitsprache in der Eingangsstufe leitet. Auch bei Studierenden der PH Zürich beobachtet er immer wieder Unsicherheiten be- züglich der Beherrschung der Standardsprache. So wer- den die Coaching-Angebote für Seminar- und Abschluss- arbeiten des Schreibzentrums der PH Zürich sehr rege genutzt. Studierende seien froh um diese Unterstützung, so Dütsch.

Die Erklärung für diese Entwicklung setzt nicht bei den neuen Kommunikationsmedien an, sondern bei einem auf die 68er-Bewegung folgenden didaktischen Paradig- menwechsel. Im Zuge der sogenannten kommunikativen Wende bewegte sich die Schule damals vom eindimensi- onalen, hierarchischen Frontalunterricht hin zu offene- ren, dialogischeren Lernkonzepten. Das gesprochene Wort wurde gegenüber der Schriftlichkeit aufgewertet.

Im Deutschunterricht verdrängten authentische Schreib- anlässe mit Lebensweltbezug die an grammatikalischen Normen und Repetition orientierte Wissensvermittlung.

Verworfen wurde auch die Annahme, dass lediglich eine einzige korrekte Sprache existiere. Stattdessen baute der Unterricht fortan auf verschiedenen Sprachregistern auf, die je nach Situation gezogen werden können.

Die Abkehr von einem normativen Sprachver- ständnis schlug sich auch in den Rechtschreibereformen zwischen 1996 und 2006 nieder, die neu für bestimmte Wörter orthographische Varianten zulassen. Dass einige Wörter auf verschiedene Arten geschrieben werden kön- nen, während es bei anderen nur eine richtige Schreib- weise gibt, erweckt den Eindruck, dass Rechtschreibung verhandelbar sei, und wurde von vielen keineswegs als Erleichterung für den Grammatik- und Orthographie- Erwerb eingeschätzt.

Schrift erfahrbar machen

«Die Öffnung des Unterrichts zu mehr textueller Vielfalt war wichtig, weil befreiter und mutiger geschrieben wur- de und kreative Aufgabenstellungen einen lustvolleren Zugang zum eigenen Schreiben schufen», so Dütsch. Mit der Ausrichtung auf Anwendungskompetenzen sei aber das Regelwissen ein Stück weit verloren gegangen. Die Resultate der ersten PISA-Studie im Jahr 2000, die den Schweizer Schülerinnen und Schülern erhebliche Män- gel hinsichtlich der Lesekompetenzen attestierte, führte schliesslich zu einem Umdenken in der Deutschdidaktik.

«Der PISA-Schock machte deutlich, dass wieder syste- matisch geübt werden musste», so Dütsch. Heute werden auf Primar- und Sekundarstufe wieder mehr Lese- und Schreibtrainings in den Unterricht integriert, wobei auf

binnendifferenzierte Aufgaben und kollektive Lernfor- men gesetzt wird. So schreiben Kinder etwa gemeinsam an Texten, tauschen sich nach kurzen Leseeinheiten paar- weise über den Inhalt aus oder lesen sich gegenseitig Tex- te vor, womit sichergestellt wird, dass wirklich alle Schü- lerinnen und Schüler die eingeplante Zeit zum Lesen nutzen. Auch die leistungsstärkeren Tandempartner pro- fitieren vom Austausch, wenn sie Grammatikregeln und Wörter erklären müssen oder durch das Nacherzählen von Geschichten ihr Verständnis für Erzählstrukturen verbessern.

Leseerlebnisse attraktiv und persönlich zu gestal- ten, gehört zu den zentralen Merkmalen eines guten Deutschunterrichts. Das Vorlesen durch die Lehrperson ist daher auch auf der Mittelstufe, wenn Kinder bereits automatisiert lesen, pädagogisch wertvoll, da über das Medium Buch ein Raum der kompletten Aufmerksam- keit und sozialen Nähe entsteht. Zudem sollten sich Lehrpersonen ihrer Vorbildrolle bewusst sein und stets eine korrekte, sorgfältige Sprache pflegen und Fehler ver- meiden, die gerade leistungsschwache Schülerinnen und

Schüler nicht richtig einordnen können. Um die Kinder für das freiwillige Lesen ausserhalb der Schule zu moti- vieren, dürfen Lehrpersonen auch einmal von eigenen, positiven Leseerfahrungen erzählen. Dies wird besonders in der dritten und vierten Klasse wichtig, wenn viele Kin- der in eine wertvolle Viellesephase hineinkommen. Ein besonderes Augenmerk soll dabei den Jungen gelten, die oft viel später als Mädchen – oder gar nicht – in eine Viellesephase geraten. Geschlechtergerechte Leseange- bote, die Action-, Fantasy- und technisch ausgerichtete Literatur oder Buch-Game-Verknüpfungen umfassen, können hier ein Stück weit Abhilfe schaffen.

Vorteil literale Erziehung

Guter Deutschunterricht beginnt allerdings nicht erst auf Primarschulstufe, da der erfolgreiche Aufbau von Sprach- und Schriftkompetenzen massgeblich von früh- kindlichen Erfahrungen mit Sprache und Schrift ab- hängt. Deshalb dreht sich in der Sprachdidaktik der Ein- gangsstufe seit einigen Jahren vieles um den Begriff der Literacy (deutsch: Literalität), der frühe umfassende Erfahrungen mit Schrift und dem Medium Buch im Fo- kus hat. Da eine literale Erziehung die Basis für den Er- werb der Schreib- und Lesekompetenz bildet, sollte ein Kind möglichst früh mit Büchern und erzählten Ge- schichten in Kontakt kommen und ein anspruchsvolles Sprachangebot erhalten. Dieses beinhaltet neben einem breiten Wortschatz auch die Konfrontation mit komple- xen Formulierungen und Erklärungen, also einem ar- gumentativen Sprachgebrauch neben alltäglichen, ein- fachen Verständigungsformen. Weil der Erwerb der Mut- tersprache und die Entwicklung des Sprachbewusstseins primär beiläufig, also abseits der Schule, über Abzählrei- me, das Gespräch beim Abendessen oder die Gutenacht- geschichte geschehen, haben Kinder sehr unterschiedli- che Voraussetzungen. Gerade deshalb muss die Schule für mehr Chancengerechtigkeit die Sprachentwicklung im Kindergarten sehr gezielt fördern.

Dabei reicht es nicht aus, mit den Kindern mög- lichst viel in einer elaborierten Sprache zu sprechen. «Die Theorie des sogenannten Sprachbads ist heute überholt.

Zur Stärkung der kindlichen Sprachfähigkeiten sind kon- krete Übungssettings nötig», erklärt Dütsch. Die Sprach- förderung in Kindergarten setzt daher mit Übungen für ein phonologisches Bewusstsein ein, die den späteren Schrifterwerb nachweislich erleichtern. So lernen Kinder etwa Geräusche wie rieselnden Sand oder knackende Nüsse unterscheiden oder über Verse beim Znüniritual Endreime erkennen und Silben klatschen. Neben sol- chen Übungen ist ein handlungsbegleitetes Sprechen für den Wortschatzerwerb zentral. So beschreibt eine Kin- dergartenlehrperson idealerweise gleichzeitig, was sie je- weils tut, sagt, dass sie den Apfel schält oder ein Couvert zuklebt. Auch werden vor dem Erzählen eines Märchens Ich mag Bücher, in denen

es um Fantasy, Zauberei oder griechische Sagen geht. Sie müssen einfach spannend sein. Krimis sind deshalb auch o.k. Im Moment faszinieren mich

«Percy Jackson»-Bände von Rick Riordan. Darin gibt es griechische Göt- ter und echte Menschen, Fantasy-Welten und die echte Welt, richtige Pro- bleme und Probleme, die nur Götter haben. Ich lese etwa drei bis fünf Bücher im Monat. Früher waren es mehr. Ich habe 6350 Antolin-Punkte gesam- melt und über 200 Bücher gelesen. Aber jetzt in der 5. Klasse gibt es mehr für die Schule zu tun und ich gehe auch noch in die Pfadi und ins Fechten.

Beim Lesen kann man viel lernen. Über griechische Götter zum Beispiel oder wie das Leben in einem anderen Land ist. Meinen Wortschatz konnte ich durch das viele Lesen sicher erweitern. Im

Moment schau ich beim Lesen auf die Kommas.

Diese machen mir manch- mal Mühe. Auch beim Schreiben hilft das Le- sen also. Aber nicht nur bei der Rechtschreibung, sondern auch für neue Ideen oder wie man etwas spannend erzählen kann.

Ob ich eine Geschichte als Buch, Hörbuch oder Film geniesse, ist mir eigentlich egal. Gute Ge- schichten – wie zum Bei- spiel «Harry Potter» – will ich sowieso in allen Formen erleben. Bei Fil- men fehlen häufig ganze Teile aus dem Buch, ob- wohl sie eigentlich wichtig wären. Manchmal schaue ich mir aber trotzdem nur den Film an oder leihe mir die Hör- CD aus unserer Schulbib- liothek aus. Wenn die Geschichte dann nicht so toll ist, habe ich wenigs- tens keine Lesezeit ver- schwendet, die ich für ein tolles Buch hätte brauchen können.

Liva

11 Jahre, 5. Klasse

Ich lese eigentlich nur Comics. So etwa 15 bis 20 im Monat. Wenn ich endlos viele Comics hätte, wür- de ich mindestens 100 in drei Tagen lesen. Mich interessieren darin Ge- schichten über Gold- schätze, Piraten und das Schwarze Phantom. Bücher ohne Bilder lese ich nicht gerne. Die liest mir Mama vor. Bei Büchern mit Bil- dern und Text schaue ich mir die Bilder an und lese ein bisschen darum her- um, bis ich verstanden habe, worum es geht. Dann gehe ich zum nächsten Bild und versuche heraus- zufinden, was zwischen den beiden Bildern pas- siert sein könnte.

Aus Büchern kann man schon etwas lernen. Ich habe zum Beispiel ein Experi- mentierbuch, eines mit Anleitungen für die bes- ten Streiche und eines mit Donald Ducks 1000 bes- ten Witzen. Das kann ich alles wirklich gut ge-

brauchen. Aber auch aus Comics lerne ich einiges.

Mickey zum Beispiel ist sehr mutig. Was der alles macht, würde ich mich nicht getrauen. Ich habe auch ein Tagebuch. Doch ich habe nur einmal etwas reingeschrieben.

Dann ging der Schlüssel dazu verloren. Das ist mir aber egal. Ich erzäh- le Geschichten sowieso lieber, als sie aufzu- schreiben. Wenn ich die Wahl hätte zwischen Film, Hörbuch und Buch, würde ich sicher zuerst den Film nehmen. Im Film können Geschichten noch viel gruseliger darge- stellt werden, als ich mir sie selber vorstellen kann. Auf Platz zwei würde ich mir das Buch von Mama vorlesen las- sen. Platz drei belegt das Hörbuch und Platz vier das Buch selber le- sen. Ausser es wäre ein Comic. Das wäre eh auf dem ersten Platz.

Mathis

9 Jahre, 3. Klasse

Dass Wörter auf verschiedene Arten geschrieben werden können, erweckte den Ein- druck, Rechtschreibung sei verhandelbar.

Schwerpunkt Deutsch

(8)

zentrale Begriffe wie die Burg oder die Spindel über mit- gebrachte Gegenstände eingeführt, möglicherweise wird zudem die Handlung bereits im Voraus zusammenge- fasst, um die Kinder für die Gliederung der Geschichte zu sensibilisieren.

Deutsch als Zweitsprache

Die schrittweise Heranführung an das Verstehen von In- halten ist für Kinder, die erst bei der Einschulung oder einem Zuzug in die Schweiz Deutsch lernen, besonders wichtig. Für sie stellt der Schulalltag insofern eine mehr- fache Herausforderung dar, als sie nicht nur eine zusätz- liche Sprache lernen, sondern sich alle Unterrichtsinhal- te in einer fremden Sprache aneignen müssen und eigene Bedürfnisse nur schwer mitteilen können. «Für diese

Kinder wäre ein möglichst intensiver Sprachunterricht beim Schuleintritt ideal», sagt Rita Tuggener, Dozentin für Deutsch und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) an der PH Zürich. «Damit sie danach den Anschluss an die Gleichaltrigen finden und sich gut in die Regelklassen integrieren, sollte dieser jedoch nicht länger als ein Jahr dauern.»

Wie umfangreich heute dieser DaZ-Unterricht tatsächlich ausfällt, hängt von der Anzahl Kinder mit An- spruch auf DaZ-Unterricht in einer Gemeinde ab. Über einen Verteilschlüssel mit kantonal bestimmten Min- destansätzen wird ein Lektionenpool berechnet, aus wel- chem sich verschiedene Modelle vom umfassenden Un- terricht in einer reinen DaZ-Klasse bis zu reduzierten DaZ-Wochenlektionen neben dem Besuch des Regelun-

terrichts ergeben. Spätestens ab dem zweiten Jahr treten die Kinder in die Regelklasse ein und der DaZ-Unter- richt reduziert sich stark. Gemäss Tuggener können ein integrierter DaZ-Unterricht in der Regelklasse und die enge Zusammenarbeit zwischen Regel- und DaZ-Lehr- person den systematischen Sprachaufbau und das rasche Überwinden der Sprachhürden unterstützen.

Während DaZ-Lehrpersonen nach ihrer Ausbil- dung zur Klassenlehrperson einen CAS DaZ absolvieren müssen, werden Regelstudierende in der Ausbildung an der PH Zürich in einem obligatorischen Modul für die spezifischen Bedürfnisse von DaZ-Kindern sensibilisiert.

«Klassenlehrpersonen müssen lernen, wie sie binnendif- ferenzierte Aufgabenstellungen konzipieren, die auch Anderssprachige verstehen und lösen können», erklärt Tuggener. Bei Schreibaufgaben können Kinder etwa mit Hilfe raffinierter Textgerüste unterstützt werden: Zuerst werden ganze Textbausteine, später nur noch einzelne Formulierungen zur Verfügung gestellt. Zudem werden Fehler selektiv, nach klaren Kriterien korrigiert. Bei Le- seübungen kann die Komplexität schrittweise über basa- le Fragen mit angebotenen Teilantworten reduziert wer- den. Orientierungshilfen brauchen die Kinder jedoch nicht nur im Deutschunterricht, sondern ebenso bei Ma- thematikaufgaben oder Texten im Bereich Mensch und Umwelt. Damit fehlende Deutschkompetenzen nicht das

Verstehen blockieren, sollen zentrale Begriffe und logi- sche Verknüpfungen wie «je … desto …» sorgfältig einge- führt werden.

Stolperstein Fachtext

Auch Schülerinnen und Schüler mit deutscher Mutter- sprache scheitern in Fachbereichen wie Biologie, Ge- schichte oder Geografie nicht selten an der sprachlichen Komplexität von Fachtexten und Textaufgaben. Hansja- kob Schneider, Professor für Deutsch an der PH Zürich untersuchte das Verständnis von Biologie-Texten bei Se- kundarschülerinnen und -schülern in einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds (SNF). «Im Extremfall verstanden Jugendliche nach dem Lesen der Texte weni- ger vom Thema als zuvor, weil die Lektüre ihr Vorwissen durcheinanderbrachte», sagt Schneider. Verwirrung stif- teten beispielsweise Metaphern, die in naturwissen- schaftlichen Schulbuchtexten der Anschaulichkeit halber häufig verwendet werden, aber zum Teil falsche Assozia- tionen produzieren. So wurden in einem Text Lungen-

bläschen mit Seifenblasen verglichen, was bei einigen Schülerinnen und Schülern die Vorstellung erweckte, in der Lunge werde etwas Ähnliches wie Seife produziert.

Verständnisprobleme entstanden ausserdem, wenn Wort- wiederholungen aus stilistischen Gründen vermieden wurden und Knospen fälschlicherweise als junge Blumen oder als Blüten bezeichnet wurden. Zum Teil verstanden die Jugendlichen auch zentrale wissenschafts- oder fach- spezifische Begriffe nicht.

In neu überarbeiteten Lehrmitteln wird deshalb auf unnötige Stilmittel verzichtet, zudem werden Erklä- rungen von Fachbegriffen und strukturierende Lesean- leitungen integriert. Für ein optimales Leseverständnis sollten die Lehrpersonen mit der Klasse an einem Wort- schatzaufbau von wissenschaftsspezifischen Begriffen arbeiten sowie an Lesestrategien und Techniken wie dem Markieren und Zusammenfassen wichtiger Textstellen.

Dies hilft den Jugendlichen später, in der Berufswelt selbstständig einen Zugang zu Fachtexten zu finden.

Hansjakob Schneider weist zudem auf eine weite- re Herausforderung beim Übertritt in die Berufswelt hin:

Eine stilistisch versierte Sprache mit langen, erörternden Sätzen sei in vielen Berufen, in denen zielgerichtete Ar- beitsanweisungen erteilt werden, wenig hilfreich. Des- halb sollten Schreibübungen auf der Oberstufe funktio- nale Aspekte der Sprache berücksichtigen. Texte müssen also situiert werden, was Überlegungen zum Zielpubli- kum beinhaltet, aber auch zum Platz, der zur Verfügung steht, sowie zur Wirkung, die man erzielen will. Laut Schneider wird das Bewusstsein, wo man wie kommuni- ziert, heute durch neue Kommunikationsmedien wie Whatsapp oder Twitter gestärkt.

Abgesehen von diesem Effekt spaltet die Frage, ob die Nutzung von digitalen Medien Lese- und Schreib- kompetenzen schwächt oder stärkt, die Fachwelt. Auf der einen Seite werden eine positivere Einstellung gegenüber Sprache und der kreative Umgang mit Schrift angeführt, auf der anderen Seite eine geringe Sprachqualität und ein Verlust des Regelwissens durch Korrekturprogramme.

«Abwehrende Haltungen verkennen, dass digitale Medi- en schlicht nicht mehr wegzudenken sind», sagt Schnei- der. Damit die Schule Kinder nicht «an der Welt vorbei»

ausbilde, gelte es das Potenzial neuer Medien intelligent für den Unterricht zu nutzen. Als Beispiel dafür, dass die Angst vor digitalen Medien unbegründet ist, nennt Schneider die Internetplattform myMoment, auf der Pri- marschülerinnen und -schüler sich über ihre Erlebnisse austauschen, ohne von Lehrpersonen korrigiert zu wer- den. Wie eine Studie der Pädagogischen Hochschule FHNW zeigte, lernten die Schülerinnen und Schüler da- bei nicht nur, Texte interessanter aufzubauen und Titel attraktiver zu gestalten. Auch verbesserten sie teilweise ihre Rechtschreibung dank der Kommentare von Klas- senkameraden.

Schwerpunkt Deutsch Schwerpunkt Deutsch

Auch Kinder mit deutscher Muttersprache scheitern in Fächern wie Biologie nicht selten an der sprachlichen Komplexität der Texte.

Im Moment liegt «Biss zum Morgengrauen» von Stephenie Meyer auf meinem Nachttisch. Meyer kann so gut und spannend schreiben, dass ich im- mer weiterlesen will.

Solche Bücher liebe ich.

So wirklich zum Lesen komme ich vor allem in den Ferien. Dann kann ich auch mal bis um Mit- ternacht lesen, wenn es gerade spannend ist.

Weil meine Eltern auch regelmässig Bücher lesen, schalten wir in den Ferien manchmal einfach Lesetage ein, wenn wir müde sind oder es draussen regnet.

Ausserhalb der Ferien reicht die Zeit mit Haus- aufgaben, Fussball, Pfadi und Kolleginnen treffen kaum für mehr als ein Buch pro Monat.

Etwas zu lernen, ist mir nicht so wichtig beim Lesen. Es ist ja meine Freizeit, die ich dafür verwende. Man kann seine Deutschnote sicher ver- bessern, wenn man viel liest. Durch das Lesen

habe ich in Aufsätzen zum Beispiel mehr Mög- lichkeiten, mich auszu- drücken oder kriege ein besseres Gefühl dafür, ob ein Satz stimmt oder nicht. Ausserhalb der Schule schreibe ich vor allem Textnachrichten übers Handy. Dort schrei- ben aber eh alle Schwei- zerdeutsch und mit Ab- kürzungen oder Wörtern, die man in einem Schul- aufsatz nie verwenden dürfte. Früher habe ich viele Hörbücher gehört wie «TKKG», «Drei Frage- zeichen» oder «Fünf Freunde». Heute höre ich mir eigentlich keine mehr an, sondern lese immer gleich das Buch. Ich schaue auch gerne Filme.

Wenn mir ein Film ge- fällt, dann suche ich aber nicht unbedingt auch noch das Buch dazu und umgekehrt ebenfalls nicht. Bei «Biss zum Mor- gengrauen» habe ich eine Ausnahme gemacht: Dort bin ich jetzt bei Band 1, bei den Filmen aber schon bei Band 4.

Carla

13 Jahre, 1. Sek

Vom gegenseitigen Vorlesen profitieren stärkere und leistungsschwächere Kinder gleichermassen.

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Akzente: Erinnern Sie sich an prägen- de Spracherlebnisse in Ihrer Kindheit?

Lenz: Als ich sehr klein war, wurde bei uns zuhause nur Spanisch gesprochen. Deutsch lernte ich sozusagen automatisch auf der Strasse. Meinem Vater war aber wichtig, dass mein Bruder und ich korrekt Deutsch lernten, deshalb begann er, uns Verse vor- zulesen, etwa von Wilhelm Busch. Daher hatte ich lange die Idee, Deutsch sei eine Sprache in Versen. Zuhause hatten wir wenig Zugang zum Fernseher, wir entwi- ckelten unsere Filme im Kopf. Dafür hatten wir viele Schallplatten mit Ge- schichten von Karl May, Kasperli, Trudi Gerster. Bei diesen Geschichten faszinierte mich, wie Ordnung in eine offene Aus- gangslage hineinkommt, wie sich beispiels- weise etwas zum Guten entwickelt.

Sie hatten also sehr früh ein ausge- prägtes Bewusstsein für Sprache?

Schon in der frühsten Kindheit musste ich für meine Mutter häufig etwas aus dem Spanischen ins Deutsche übersetzen. Ich merkte, dass Wörter in Mundart einen anderen Klang haben und dass man mit ganz wenig viel sagen kann, statt «sicher nicht» sagt man «äuä». Gerade weil ich zweisprachig aufwuchs, betrachtete ich Sprache früh von aussen her, begann auf Unterschiede zu achten, wenn etwa auf einer Tafel Bienne und Biel angezeigt wurde.

Welche Rolle spielten Bücher in Ihrer Kindheit?

Als Schüler habe ich nicht viel gelesen, es war mir zu anstrengend. Trotzdem war mir das Lesen sehr vertraut, zuhause waren

Texte und Bücher in Hülle und Fülle da, ich sah die Eltern Zeitung lesen. Doch ich hatte eine Buchstaben-Manie. Ich erinnere mich, wie wir in der Schule stundenlang einzelne Buchstaben auf Blätter schreiben mussten, das hat mir wahnsinnig Freude bereitet. Mit zehn bekam ich die alte me- chanische Schreibmaschine meines Vaters geschenkt. Wenn ich die Tastatur mit allen Buchstaben vor mir sah, kam mir mehr in den Sinn. Bis heute schreibe ich besser mit einer Tastatur als von Hand. Eine Tastatur inspiriert mich einfach.

Welche Erinnerungen haben Sie an den Deutschunterricht?

Keine sehr guten. Ich hatte zwar Freude am Sprachunterricht, aber ich erhielt in der Schule nie das Gefühl, ich könne schreiben und Schriftsteller werden. In der Orthogra- phie war ich zwar gut, doch Aufsätze waren für mich ein Problem, weil Wiederholungen von Satzstrukturen oder von Wörtern rot angestrichen wurden. Heute ist das ein Stil- mittel von mir, viermal dasselbe Adjektiv zu verwenden. Vielleicht hätte es neben dem Aufsatzschreiben nach Normen mit Einlei- tung, Hauptteil und Schluss etwas Spieleri- sches wie Creative Writing geben sollen.

Wie stellen Sie sich guten Deutsch- unterricht vor?

Guter Deutschunterricht sollte nicht defizitorientiert sein, sondern bei Schüle- rinnen und Schülern das hervorheben, was bereits vorhanden ist. In Workshops von mir in Schulen sagen viele Schüler bereits zu Beginn: «Ich bin schlecht in Deutsch.»

Wenn einer als Erklärung anbringt, er sei eben Türke, zeige ich ihm, dass er sogar

Schwerpunkt Deutsch

«Ich hatte als Schüler eine Buchstaben-Manie»

Der Schriftsteller Pedro Lenz entwickelte dank seiner Zweisprachigkeit früh ein ausgeprägtes Sprachbewusstsein. In Mundart kann er die sprachlichen Eigenheiten eines Milieus besser beschreiben als auf Hochdeutsch. Aus Angst vor Fehlern auf Mundart auszuweichen, hält er allerdings für keine gute Idee.

Text: Melanie Keim, Foto: Nelly Rodriguez

Über Pedro Lenz

Pedro Lenz kam 1965 als Sohn einer Spani- erin und eines Thur- gauers in Langenthal zur Welt. Nach einer Lehre als Maurer arbeitete er einige Jahre auf seinem Be- ruf, bevor er die Erwachsenenberufs- maturschule besuch- te und 1995 die Matura machte. An der Univer- sität Bern studierte er einige Semester spanische Literatur.

Seit 2001 ist er voll- beruflich als Schrift- steller tätig. Lenz thematisiert in seinen Mundart-Ge- schichten und -Ge- dichten, Spoken-Word- Auftritten und Ko- lumnen oft Sprach- und Alltagsbeobach- tungen. Der Wahl- Oltner schreibt auch regelmässig für Theatergruppen und das Schweizer Radio.

Grosse Bekanntheit erlangte Lenz 2010 mit seinem Mundart- Roman «Dr Goalie bin ig», der verfilmt und in sieben Spra- chen übersetzt wurde.

Für seine Arbeit erhielt Lenz zahl- reiche Auszeichnun- gen.

Ein Hobby als Aus- gleich zur Arbeit kennt Lenz nicht, allerdings ist er gerne zu Fuss in

«seinem Gebirge», dem Jura, unterwegs.

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eine Sprache mehr als die meisten kann und sich dies zu Nutzen machen soll. Auch bei der Arbeit mit Legas- thenikern ist eine Defizitorientierung schädlich: Für sie wirkt es oft sehr befreiend, wenn sie ihre Texte nur vorlesen und kein Blatt abgeben müssen. Wenn sie einen Text voll mit rot markierten Fehlern zurückerhal- ten, sagen sich viele: Das ist nicht meine Welt. Ich bin jedoch sicher, dass die Pädagogik heute weiter ist als damals.

Wie kamen Sie zur Mundart-Literatur?

Als ich etwa zehn war, nahm ich Schweizer Lieder wie

«Kiosk» auf Kassetten auf und transkribierte sie auf der Schreibmaschine. Da merkte ich, dass die Schreibweise in Mundart freier ist. Später, als ich bereits Texte in Hochdeutsch veröffentlicht hatte, erfand ich für «Das kleine Lexikon der Provinzliteratur» fiktive Mundart- autoren mit Textbeispielen und erkannte, dass mir das Spass machte. Doch ich hatte der modernen Mund- art-Literatur gegenüber Vorbehalte. Ich hatte das Ge- fühl, dass Autoren Begriffe, die kein Mensch mehr brauchte, auf dem Tablett präsentierten, um zu zeigen, wie toll diese Sprache ist. Zudem dachte ich, Mundart sei für Ausländer nicht verständlich und es bestehe kein Markt dafür.

Wie kam es trotzdem zu Ihren Mundart-Veröffent- lichungen?

Den Ausschlag gab ein längerer Aufenthalt in Schott- land, wo mich die Leute ermutigten, in meiner Alltags- sprache zu schreiben. Sie verglichen meine potenziellen Leser mit der Anzahl Letten, Finnen oder Esten, die ihre eigene Literatur haben. Das ermutigte mich. Als mein erster Roman «Dr Goalie bin ig» herauskam, er- kannte ich, dass Mundart für die Leser keine Hürde darstellt. Natürlich sagen einige Leute, sie hätten Mühe gehabt beim Lesen. Doch Mühe ist kein Argument bei Literatur.

Wie steht es um Ihr Verhältnis zur hochdeutschen Sprache? Sind Sie in der Standardsprache ein anderer Pedro Lenz?

Wenn ich Hochdeutsch schreibe, bin ich etwas distan- zierter, aber nicht eine andere Person. In beschreiben- den Texten und in indirekter Rede fällt es mir leicht, Hochdeutsch zu schreiben. Sobald es aber um die Sprache einer Figur in einem bestimmten Milieu geht, fühle ich mich in Mundart wohler. Ich habe ja zum Beispiel keine Ahnung davon, wie ein Arbeiter auf Hochdeutsch ein Bier bestellt. Da ich lange auf dem Bau gearbeitet habe, weiss ich, welche Wörter ein Arbeiter braucht und ich kenne die Eigenheiten seiner Sprache. Wenn ich weiss, wie eine Figur spricht, sehe ich sie klar vor mir.

Mundart liegt generell im Trend, in Chats, in der Werbung, in der Musik. Woher kommt das?

Ein Grund, weshalb in Chats und SMS Mundart be- nutzt wird, ist die Bequemlichkeit. Man will sich auch nicht blamieren, etwas falsch zu schreiben. Das ist ein

grosses Problem. Ich kenne Erwachsene, die machen in einem Mail zehn Orthographiefehler. Sie sind sich dessen bewusst und zeigen das Mail jemandem, wenn es wichtig ist. Sonst schreiben sie eben in Mundart.

Ist das nicht eine negative Entwicklung?

Doch. Dass so viel in Mundart geschrieben wird, ist per se zwar keine schlechte Entwicklung. Der Grund dafür ist aber bedenklich. Ich finde, dass man zumindest eine Sprache sattelfest beherrschen sollte, bevor man Varian- ten ausprobiert. Will man ein Spiel abändern, sollte man die Grundregeln kennen. Das ist meiner Ansicht nach die Aufgabe der Schule.

Wie erleben Sie den Umgang der Jugendlichen mit Sprache?

Ich bin kein Kulturpessimist. Die Jungen sind aufmerk- sam, kreativ und haben eine gewisse Offenheit gegen- über Sprache, sprechen etwa besser Englisch als unsere Generation, von der Aussprache her auch besser Hoch- deutsch. Wenn Jugendliche in einem Balkan-Slang sprechen und merken, dass Leute wie ich diesen auf- nehmen, gehen sie schnell wieder davon weg. Um auf die Schule zurückzukommen: Sie dürfte dem Sprach- wandel gelassener begegnen, Wörter, die unschön klin- gen oder falsch ausgesprochen werden, spielerischer thematisieren. Bei Kindern in der Nachbarschaft beob- achte ich, dass sie Wörter plötzlich anders betonen.

Die Mehrheit sagt jetzt «Kólleg» statt «Kollég». Das finde ich nicht schlimm. Wäre ich Lehrer, würde ich fragen, wer «Kollege» wie ausspricht und gemeinsam einen Text entwerfen, in dem wir diese Varianten gegenüberstellen.

Es hilft, wenn man sprachliche Veränderungen benen- nen kann. Je weniger man weiss, desto eingeschränkter ist man. Ich plädiere also für einen bewussten, sorgfälti- gen Umgang mit der Sprache.

Reportage

«Ich bin kein Kulturpessi- mist. Die Jungen sind aufmerksam, kreativ und haben eine gewisse Offen- heit gegenüber Sprache.»

Schwerpunkt Deutsch

Die Geschichte

zukunftsfähig machen

Ob 50 000 Kinderzeichnungen aufwändig digitalisieren oder alte Schulhauspläne sorgfältig restaurieren: Kulturgüter zu erhalten, geht auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Mit einem grossen Projekt werden die wertvollen Bestände der

Stiftung Pestalozzianum erschlossen – nun sind die ersten Teilprojekte gestartet.

Text: Stefanie Rigutto und Monique Rijks, Fotos: Reto Klink

Ein schmuckloser Bau im Industrieviertel Churs, der Lift führt in den zweiten Stock, man läuft durch eine Glastüre und landet in einem langen Gang voller Türen.

Von weit hinten ruft jemand: «Hier sind wir!» Michel Pfeiffer steht in seinem «DigiLab». Es ist angenehm kühl.

«Genau 20 Grad», schmunzelt der Professor, «die ideale Temperatur für unsere Arbeit.» Wir sind an der Hoch- schule für Technik und Wirtschaft in Chur, die viel Erfah- rung hat im Bereich der Digitalisierung von Kulturgü- tern. Deshalb hat sie den Zuschlag erhalten, die 50 000 Kinderzeichnungen aus dem Bestand der Stiftung Pesta- lozzianum (siehe Box am Ende des Textes) zu digitalisie- ren und für die Forschung zugänglich zu machen.

Michel Pfeiffer ist Professor für «Digital Asset Ma- nagement» und dafür zuständig, dass die Kinderzeich- nungen für die Nachwelt erhalten bleiben. «Digitale

Langzeitarchivierung» nennt sich das. «Manchmal sagen meine Kollegen: Digitalisierung, das ist doch langweilig!

Dabei braucht es unglaublich viel, damit die Qualität stimmt», findet Pfeiffer. Er holt seinen Mitarbeiter Vin- cenzo Francolino hinzu. Dieser trägt ein schwarzes Hemd, schwarze Hosen, schwarze Schuhe – er ist heute daran, die Kinderzeichnungen zu digitalisieren. «In der Dunkelkammer würde helle Kleidung stören», erklärt Pfeiffer. Dunkelkammer? Werden die Kinderzeichnungen denn nicht gescannt? Pfeiffer schüttelt den Kopf und zeigt auf eine Digitalkamera, die an einer Vorrichtung hängt. «Die Digitalisierung ist viel genauer, der Blitz schonender, die Zeichnung wird nicht erwärmt und flachgedrückt wie beim Scannen.»

Bislang haben er und sein Team etwa 4000 der Kinderzeichnungen digitalisiert. Pro Tag schaffen sie der-

Vincenzo Francolino digitalisiert die rund 50 000 Zeichnungen (l.), Maja Stein restauriert die alten Schulhauspläne.

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Reportage Reportage zeit 150 Zeichnungen, Ende Jahr sollen es 200 sein. «Die

Qualität ist relevant, nicht die Geschwindigkeit», betont Pfeiffer. Hat er Spass am Projekt? Er sagt: «Ja – es ist vol- ler Herausforderungen.» Da gehe es nicht einfach um ein Gemälde, das man digitalisieren müsse, sondern um 50 000 Zeichnungen. «Für ein Projekt dieser Grössenord- nung, das drei Jahre dauert, mussten wir zuerst stabile Prozesse definieren.»

Wir treten in die Dunkelkammer. Sogar die Decke ist schwarz. Pfeiffer zieht den schweren schwarzen Vor- hang, jetzt spendet nur noch die Blitzanlage Licht. Vin- cenzo Francolino, der wissenschaftliche Mitarbeiter, streift sich hellblaue Gummihandschuhe über. Aus einer Kartonschachtel nimmt er vorsichtig eine Kinderzeich- nung heraus. Sie stammt von 1968 und zeigt ein Fanta- siemännchen. Er legt das Bild auf die schwarze Platte unter der Kamera und drückt den Knopf für die Vaku- umpumpe – damit wird das Foto von unten angesaugt und ist schön flach. Pfeiffer betätigt am Computer den Auslöser und nur Sekunden später erscheint das Foto auf dem Bildschirm. Der Professor zeigt auf feine Striche in der Zeichnung: «Hier sieht man schön, dass das Kind das Bild mit Bleistift skizziert hat.» Die digitale Qualitätskon- trolle kommt mit grünen Häkchen zurück, anders gesagt:

Das Foto kann jetzt in die Bilddatenbank hochgeladen werden. Und ist bereit für den nächsten Schritt.

Zeitdokumente aus Kinderhand

Szenenwechsel. Ein grauer Dienstagmorgen. Treffen mit Anna Lehninger in einem Sitzungszimmer im 7. Stock der PHZH. Die Kunsthistorikerin betreut das Archiv der Kinder- und Jugendzeichnung der Stiftung Pestalozzia- num und ist daran, mit ihrem Team die digitalisierten Zeichnungen, die sie von der HTW Chur fortlaufend er- hält, zu katalogisieren. Warum ist es eigentlich so wichtig, Kinderzeichnungen für die Nachwelt zu erhalten? Sind es nicht einfach – ja, eben – Kinderzeichnungen? Anna Lehninger schüttelt den Kopf: «Es sind Zeitdokumente aus Kinderhand. Man sieht, wie Kinder und Jugendliche die Welt wahrnehmen. Sehr schön sieht man auch, wie sich der Zeichenunterricht und der Lehrauftrag mit der Zeit verändert haben.» Die Zeichnungen seien so etwas wie ein Querschnitt des Bildgedächtnisses des 20. Jahr- hunderts – aus Sicht der Kinder. Für die historische For- schung ist dies enorm wertvoll, denn die Wahrnehmung der Kinder ist oft ein blinder Fleck.

Bereits hat Lehninger erste Zeichnungen gesich- tet. «Es ist erstaunlich, wie stark sich der Einfluss der Ge- schichte, aber auch gesellschaftliche Veränderungen in den Kinderzeichnungen widerspiegeln», sagt sie. «Ab den 30ern zum Beispiel entdeckt man in den Zeichnungen immer seltener Frauen, die von Hand die Wäsche wa- schen.» Und in den 60ern wurde plötzlich der Natur-

schutz ein Thema, die Kinder zeichneten kranke Bäume und dreckige Flüsse. Auch die Darstellung der Familie änderte sich über die Jahrzehnte markant: Plötzlich ist der Vater nicht mehr nur die Person im Hintergrund, die in einem Sessel sitzt und liest, sondern aktiv etwas unter- nimmt mit den Kindern.

Derzeit analysiert Lehninger im Rahmen des Pro- jekts, wie sich der Zweite Weltkrieg auf Schweizer Kinder und ihre Zeichnungen ausgewirkt hat. «Das ist teilweise sehr berührend», sagt sie. Da gibt es Zeichnungen von

Luftschlachten, Brüder, die eingezogen wurden, das Le- ben ohne Vater, Flüchtlingszüge, Verdunkelung, Kartof- felanbau und Rationierungen – «man kann in den Zeich- nungen sogar teilweise den Kriegsverlauf ablesen», sagt Lehninger. Aber nicht nur die Geschichte zeigt sich in den Zeichnungen, auch der technische Fortschritt. «In den 20ern und 30ern zeichnete man mit Bleistift, Tusche, Kreide und Aquarell, und die Formate waren sehr klein», sagt Lehninger. Danach kamen Farbstifte auf, in den 50ern Neocolor, dann Filzstifte, in den 70ern Collagen und die Masse wurden immer einheitlicher zu A4 und A3. «Das Schöne ist», freut sich die Kunsthistorikerin, «je mehr ich eintauche in die Welt der Kinderzeichnungen, umso mehr entdecke ich!»

Schulhauspläne aus dem 19. Jahrhundert

Wertvolle Kulturgüter für die Nachwelt zu erhalten, heisst nicht zwingend, dass sie digitalisiert werden. Für die zwei Bände «Plans des Maisons d’Ecole» beispielswei- se ist eine ganz andere Technik gefragt – ohne Kamera und Computer, aber nicht minder aufwändig und präzi- se. Wir besuchen die Buch- und Papierrestauratorin Maja Stein in der Nähe von Baden. Ein idyllisches Dörf- chen, ein Brunnen plätschert, alte Bauernhäuser reihen sich aneinander. Im Atelier der Restauratorin stehen die Jahrhunderte dicht an dicht. Eine hebräische Bibel aus dem Jahr 1520 liegt neben Gesangsbänden aus dem Mit- telalter, ein 200-jähriges Gesetzbuch neben einer Samm- lung Ledereinbände aus dem Kloster Sarnen. Im Mo- ment stehen aber vor allem zwei Bücher im Fokus der

«Man kann in den Kinder- zeichnungen teilweise den Verlauf des Zweiten Welt- kriegs ablesen. Das ist sehr berührend.»

Am Computer wird die Digitalkamera ausgelöst, Sekunden später erscheint die Zeichnung auf dem Bildschirm.

Pro Tag werden rund 150 Bilder digitalisiert.

Diese Zeichnung von 1968 ist eine davon.

Die Feinabstimmung erfolgt am Computer.

Die Zeichnungen werden fotografiert – dies ist genauer als scannen.

Anna Lehninger, Kunsthistorikerin

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