Alfred Forke
Von Eeich Haenisch, Berlin
Am 9. Juli 1944 ist Alfebd Foeke im 78. Lebensjahr in Hamburg
verstorben. Mit ihm ist einer aus der Reihe der großen Sinologen dahin¬
gegangen, die uns Jüngeren als die Stützen des Faches gelten, ein Ge¬
lehrter, dem man nachsagen kann, daß er einen Abschluß seines Lehens¬
werkes erreicht hat.
Er gehörte zu der ersten und einzigen Generation der deutschen Dol¬
metscher-Sinologen, die mit ihrer sprachlichen Vorbildung einen wissen¬
schaftlichen Geist nach China hinausnahmen.
Geboren am 12. Januar 1867 in Schöningen (Braunschweig), besuchte
und absolvierte er das Magdeburger Gymnasium. Nach juristischem
Studium an den Universitäten Genf und Berlin, dem ersten juristisclien
Staatsexamen und der Promotion zum Dr. juris 1890, — den philoso¬
phischen Doktorgrad ehrenhalber verlieh ihm später die Universität
Leipzig —, sowie nach der sprachlichen Vorbildung an dem neu gegrün¬
deten Seminar für Orientalische Sprachen ging er im Jahre 1890 im
Reichsdienst als Dolmetscher nach China. Dort arbeitete er zunächst
in Peking unter dem Gesandten Herrn von Brandt in dem damals noch
kleinen Kreise des Gesandtschafts vierteis, dem u.a. auch Ed. Chavan¬
nes angehörte. Foeke hat uns noch kürzlich durch den Abdruck alter
Briefe in der ,, Ostasiatischen Rundschau" einen Einblick in das gesell¬
schaftliche Leben der damaligen europäischen Gemeinde in Peking ge¬
boten. — Nach verschiedener Verwendung im Dolmetscher- und Kon¬
sulatsdienst kehrte er im Jahre 1903 heim, um an Stelle seines verstor¬
benen Lelu-ers Kael Aeendt als Professor und Lehrer des Chinesischen
in das Berliner Seminar für Orientalische Sprachen einzutreten. In den
zwanzig Jahren seiner dortigen Wirksamkeit hat er eine große Anzahl
von Schülern für den Dolmetscherberuf vorgebildet, dem damals noch
eine Bedeutung für den auswärtigen Dienst zugestanden wurde. In seine
Berliner Amtszeit fällt eine Lehrtätigkeit als Gastprofessor an der kali¬
fornischen Staatsuniversität in Berkeley, mit einem Vortragszyklus in
den Staaten, ein Auftrag, der ihn während des Weltkriegs von 1914 bis
1918 im Lande festhielt. Bei Otto Fkankes Berufung an die Berliner
Universität im Jahre 1923 übernahm er den Hamburger sinologischen
Lehrstuhl, den er bis zu seiner Entpflichtung im Jahre 1935 behalten hat.
Ein Jahr später führte ihn noch einmal ein Besuch zu seiner in Kalifor¬
nien verheirateten Tochter. Das ist sein äußerer Lehensgang.
Alfeed Foeke war ein klarer und nüchterner Gelehrter, dazu ein
sehr fleißiger und fruchtbarer Arbeiter. Zur Auskunft über seine Schriften
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Alfred Forfce
E. Haenisch, Alfred Forke 5
sei auf die Bibliographie verwiesen, welche die ,,Asia Major" in ihrem
Nachruf bietet. Eine frühere Schriftenliste findet sich im Jahrgang 1937
der „Sinica", der Festnummer zu Fobkes 70. Geburtstag.
Es zeigen sich darin folgende Arbeitsgebiete:
a) Gemischten Inlialts: juristische und unterrichtliche, sprachliche,
schrift- und völkerkundliche, sowie allgemein interessierende Schriften,
aus der Zeit des auswärtigen Dienstes und aus dem Lehrberuf am Se¬
minar für Orientalische Sprachen. Das Handbuch der neuchinesischen
Schriftsprache ,Yamen und Presse', 1911 in den Lehrbüchern des
Seminars erschienen, eine größere Sammlung von Übungstexten mit
Glossar und Übersetzung, zeigt, daß dem Verfasser die eigentliche philo¬
logische Behandlung des Stoffes fern liegt.
b) Dichtung: Hier hat Forke sich durch Übersetzung von Gedichten
der Han- bis zur Tang- und Sungzeit verdient gemacht, aber auch von
Schauspieltexten wie des .Kreidekreises'. Die Übersetzung chinesi¬
scher Poesie ist eine schwierige Aufgabe. Während wir bei E. v. Zach
z. B. einfach philologisch getreue Verdeutschung der Texte finden, hat
Forke seinerseits sich bestrebt, durch Verwendung von Reim und Vers¬
maß zugleich eine Nachdichtung zu schaffen. Das ist ihm nicht recht
gelungen, was wohl z.T. an seiner eben nüchternen Natur lag.
c) Philosophie: Auf diesem Gebiet haben wir Forkes größte, seine
eigentlichen Leistungen zu sehen, Leistungen, die seinen Namen bekannt
halten werden. Und zwar stehen hier vor seinen betrachtenden und zu¬
sammenfassenden Schriften wie 'The Worldconception of the Chi¬
nese' (1925) und , Die Gedankenwelt des chinesischen Kultur¬
kreises' (1927) die beiden großen Übersetzungswerke Wang Chungs
Lun-heng (1907) und Me Ti (Moh Tra) (1922), deren erstes ihm den
Stanislas-Julien-Preis einbrachte. Im Skeptizismus dieses chinesischen
Denkers spiegelt sich Forkes eigene philosophische Richtung. Die Über¬
setzung war eine Großtat auf sinologischem Gebiet, nach Ed. Chavan¬
nes' Memoires historiques wieder einmal eine Vorlegung neu geförderten
Literaturstoffes. Darauf lernten wir durch Alfred Forke den so viel
zitierten, gepriesenen und bekämpften Sozialethiker und Altruisten
Moh Tih in seinen oder den unter seinem Namen gehenden Schriften
kennen. Forke zeigt schon in diesen Werken, daß er sich zu den Häre¬
tikern in der philosophischen Literatur hingezogen fühlt. Wie er selbst
den Autoritätsglauben verwarf (s. seine Schrift ,Die nicht idealisierte
Wirklichkeit'), so war ihm auch das konfuzianische Dogma nicht sym¬
pathisch.
Forkes beide Werke haben allein sprachlich schon einen großen Wert .
Eine der größten Schwierigkeiten bei der Lektüre philosophischer Texte
bleibt die Unsicherheit in der Wiedergabe der philosophischen Begriffe.
Wenn man schon für die Wörter tao und teh eine ganze Skala verschie¬
dener Verdeutschungen findet, so liegt der Fall bei manchen anderen Be¬
griffen noch verwickelter. Man ist oft in rechter Verlegenheit, da die
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allgemeinen Wörterbücher nicht ausreichen und das philosophische Spe-
zialwörterbuch eben noch fehlt. Hier gewinnen die Übersetzungen philo¬
sophischer Bücher, welche die Begriffe in einem ganzen Werk einheitlich
bezeichnen, schon darum einen besonderen Wert, zumal wenn sie mit
einem Sachindex versehen sind. Nach Legges und Coüvreubs Über¬
setzungen der kanonischen und klassischen Bücher sind es da eben die
genannten beiden Werke von Fobke, die uns weiter helfen.
Wenn nun auch die Übersetzung und Bearbeitung der beiden Philo¬
sophen für das Fach vielleicht die wertvollste Bereicherung aus der
Feder Alfbed Fobkes darstellt, so wird doch das allgemein bekannteste
und geschätzteste seiner Werke seine dreibändige Geschichte der
Chinesischen Philosophie bleiben, deren Abschluß ihm ein gütiges
Geschick vergönnt hat. In den drei Bänden (1927—1938) sind vom Alter¬
tum his in die Neuzeit herein gegen 150 chinesische Denker in ihrem
Lehen und ihrer Lehre behandelt worden und selbst zu Worte gekommen.
Eine ungemeine Belesenheit spricht aus dem Werk. Zwar könnte sein
Titel vielleicht beanstandet werden. Es ist nicht eine Geschichte der
Philosophie im eigentlichen Sinne — ein solche könnte erst auf Grund
von Forkes Werk unternommen werden — denn es ist keine Entwick¬
lungsdarstellung versucht worden. Die einzelnen Philosophen mit ihren
Systemen sind aneinander gereiht. Aber die Leistung ist bewunderns¬
wert und tritt in ihrer Größe erst recht in Erscheinung, wenn man das
Kompendium mit den bescheidenen Vorarbeiten vergleicht. Der Unter¬
zeichnete, der selbst philosophischen Studien ferner steht und befürchten
muß, dem vollen Wert des Werkes nicht gerecht werden zu können, hat
stets mit größtem Nutzen nach den drei Bänden gegriffen, wo er sie
benötigte, als nach einem unschätzbaren Handbuch.
Neben Gabelentz' Grammatik, Gbubes Literaturgeschichte und
Frankes Geschichte des Chinesischen Reiches steht Forkes (beschichte
der Philosophie als Standardbeitrag der deutschen Forschung an die
Sinologie und verbürgt damit seinem Namen dauernde Geltung in der
Orientalistik.