• Keine Ergebnisse gefunden

Gut gehalten, altes Haus?

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Gut gehalten, altes Haus?"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Der Verlag, in dem die Ihnen vorliegende Zeitschrift erscheint, ist ein ganz besonderes Unternehmen. Das bezieht sich nicht nur auf seine (selbstredend!) qualitativ hochwertigen Publikationen oder seine (natürlich!) mindestens ebenso hervorragenden Mit- arbeiter, sondern insbesondere auch auf die Lokalität, die all- dem und all denen eine Heimstatt bietet: In Neuhausen am Rheinfall, in alles andere als ruhiger Hanglage am Rosenberg («Rosenfluh») eingepfercht zwischen der Schaffhauserstrasse und den rund 16 000 täglich über sie kommenden Fahrzeugen sowie den Gleisanlagen der Hochrheinbahn, mutet der einst- mals mondäne Vorkriegsbau nebst weitläufigem Garten ebenso wie seine benachbarten Pendants aus selbiger Epoche schon von Weitem an wie seltsam aus der Zeit gefallen – ein Eindruck, der sich bei jedem noch verstärken mag, dem beim Gang durch hohe, die Spuren der vergangenen Jahrzehnte offenbarende Räume die alten Dielen ihr Klagelied von einstmals vielleicht besseren, bisweilen aber sicher auch ungleich schwereren Stun- den zuknurren …

Und doch ist dieses Geräusch nur stoischer Unterton einer eher stillen Haltung dieses Gebäudes, welche sich auf die Menschen darin förmlich überträgt und – was könnte für ein Medienhaus passender sein? – dafür steht, dass es im langen Lauf der Ge- schichte noch immer mehr auf Inhalte denn auf Äusserlichkei- ten ankam. So kann es mitunter auch passieren, dass das eine oder andere der über die Jahre zahlreich eingehenden unzähli- gen Ansichtsexemplare von Büchern aus anderen Verlagen, statt nach vermeintlich angemessener Schonfrist voreilig aus jedem Winkel der an selbigen reichen «Villa Kunterbunt» ver- räumt zu werden, dem einen oder anderen Redaktor in die Hände fällt, welcher zu später Stunde zwischen Kongress - bericht und Gut-zum-Druck nach ein paar Augenblicken der Zer- streuung und der Offline-Inspiration trachtet. Von einer solchen Trouvaille soll hier nun die Rede sein, denn ihr Thema handelt zwar ebenfalls und ganz elementar vom Lauf der Zeit und ist trotzdem oder gerade deshalb zugleich zeitlos wie kaum ein an- deres: Es geht um die Kunst des Alterns – das der Menschen, nicht das von Häusern – und das gleichnamige Büchlein von Fritz Riemann und Wolfgang Kleespies.

Nun ist das Altern an sich gewiss keine Krankheit und trotzdem in vielerlei Hinsicht Gegenstand dessen, womit es auch der All- gemeinpraktiker alltäglich zu tun hat und wobei ihm, wie die Autoren eindrucksvoll verdeutlichen, womöglich eine mitent- scheidende Schlüsselfunktion zukommt. Denn nicht selten sind es in Wirklichkeit nicht die gewiss mit zunehmendem Alter ver- mehrt einhergehenden körperlichen Beschwerden, die einen äl- teren Menschen zum Arzt treiben, sondern vielmehr Einsamkeit und andere seelische Nöte, die Riemann unter den Oberbegrif- fen des Nicht-Loslassen-Könnens einerseits und des Nicht-Vor- bereitet-Seins auf der anderen Seite subsumiert. Der deutsche Psychoanalytiker, über die Fachkreise hinaus bekannt geworden als Autor des Standardwerks «Grundformen der Angst», war 1979 76-jährig in München gestorben und hatte ein Manuskript hinterlassen, welches 1981 erstmals veröffentlicht und für die dritte Auflage 2005 vom ebenfalls deutschen und inzwischen ebenfalls nicht mehr lebenden Facharzt für Neurologie und Psy- chiatrie Kleespies überarbeitet und an den damaligen Stand der Alternsforschung angepasst wurde. Eine der Kernfragen des Buchs lautet: «Sind physische Altersprozesse die Auslöser von seelisch-geistigem Rückgang, oder ist seelisch-geistige Resigna- tion, Teilnahmslosigkeit und Desinteressiertheit Auslöser, zu- mindest Beschleuniger physischer Altersprozesse?»

Aus ganzheitlicher Perspektive und in klarer Sprache liefern die Autoren Belege für Letzteres und nehmen den Einzelnen in die Verantwortung, das eigene wie auch das überindividuelle Schicksal der Endlichkeit des Lebens nicht länger lediglich als etwas «Geschicktes», sondern als etwas durchaus Gestaltbares zu begreifen und anzunehmen. Gerade angesichts eines grassie- renden «Jugendwahns» und in aus vielschichtigen Gründen für die «sprechende» Medizin schwierigen Zeiten sehen Riemann und Kleespies den Hausarzt als Lotsen seiner an «inneren Blo- ckaden», «neurotischer Passivität» und mithin symptomatisch an Angst und Depression leidenden älteren Patienten, «… der bei entsprechender Weiterbildung die vorliegenden Probleme erkennen und … zum ‹Fachmann› überweisen könnte». In der Schweiz verfolgen inzwischen nicht nur Vertreter der angespro- chenen Klientel (2), sondern auch interdisziplinär tätige Grup- pierungen (3) ähnliche Ansätze. Ein Verdienst des Textes von Riemann, der seinerseits «das Altern persönlich leidend, letzt- lich aber bejahend angenommen» habe (Nachwort der Heraus- geber zur 1. Auflage), liege, so Kleespies, darin, «nicht auf den Mangel, sondern auf die prospektiven Möglichkeiten des Al- terns und des Alters aufmerksam zu machen, ohne in eine sen- timentale Schwärmerei zu verfallen». Es ist ein höchst lesens- wertes, unverändert aktuelles Buch – eines, das Mut macht, weil seine Verfasser wie eine alte Villa in Neuhausen innere Haltung zeigen, selbst wenn die Fensterflügel hängen und es im Stiegen- haus schon bedrohlich knarzt …

Ralf Behrens

1. Riemann F, Kleespies W: Die Kunst des Alterns: Reifen und Loslassen. 3. Aufl.

2005, Ernst Reinhardt, München, Basel.

2. http://www.dr-walser.ch/anti_aging/

3. https://www.zfg.uzh.ch/dam/jcr:617a290a-145b-4139-a2d3-9308ab057013/

2016_08_29_Altern_als_Lebenskunst.pdf

EDITORIAL

ARS MEDICI 22 | 2018

897

Gut gehalten, altes Haus?

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Enthält alle wichtigen Nähr- und Aufbaustoffe, Spurenelemente und Vitamine für ein gesundes

Neben der Verwendung als Bindemittel in Farben und Lacken werden natürliche Öle stofflich für die Herstellung von Tensiden, als Polymere oder Polymerhilfsmittel sowie

Auch entspricht es vielfach den geschäftlichen Absichten moderner Unterneh- mer' nicht taktvoll sich einem architektonischen Rahmen einzupassen oder ihn sinnreich weiter zu

in den vergangenen Jahren, insbe- sondere als Folge der vielen Stellen- anzeigen im Deutschen Ärzteblatt, konnte 2010 nicht mehr gehalten werden.“ Der Gewinn habe sich auf ein

Nach dem Wegzug des geographischen Instituts, mit dem die Völkerkundesammlung früher mehrere Räume gemeinsam benützte, wurden ihr im Kollegiengebäude einige Zimmer zugewiesen,

„Die Behandlung mit pfl anz- lichen Arzneimitteln wird auch in den nächsten Jahrzehnten eine große Rolle spielen. Mög- licherweise wird sich der Schwerpunkt von der ärztlichen

Eine genau bemes- sene Menge an Flüssigkeit wird über die Paella gegossen und es wird gewürzt – und nun, da sind sich alle Experten einig, darf nicht mehr gerührt wer- den.. Es

1 Klasse bei bis zu 29 Schülerinnen und Schülern 2 Klassen bei 30-56 Schülerinnen und Schülern 3 Klassen bei 57-81 Schülerinnen und Schülern 4 Klassen bei 82-104 Schülerinnen