Ausschlusskriterium „Seismische Aktivität“
die örtliche seismische Gefährdung ist größer als in Erdbebenzone 1 nach DIN EN 1998-1/NA 2011-01
§22 Abs. 2 Ziffer 4 StandAG
Was ist Seismizität?
Unter Seismizität versteht man die geographische, historische und energetische Verteilung von Erdbeben in einem Gebiet (Murawski & Meyer, 2004). Informationen zu Erdbebenhäufig- keit und –stärke sowie der zugrundeliegenden Mechanik von Erdbeben lassen sich durch Auf- zeichnungen an seismischen Messstationen gewinnen.
Ursache natürlich ausgelöster Erdbeben sind in erster Linie Bewegungen der Erdkruste.
Durch Verschiebung tektonischer Platten bauen sich Spannungen im Untergrund auf. Solche Spannungen werden entweder durch langsame Kriechbewegungen oder durch eine plötzliche Verschiebung von Gesteinsblöcken entlang von Störungen (bruchhafte Verformung des Ge- steinsverbandes) abgebaut. Letzteres verursacht Erdbeben und die Ausbreitung von Boden- schwingungen (Grünthal, 2004).
Wieso werden Erdbebenzonen von der Endlagersuche ausgeschlossen?
Der Ausschluss von Erdbebenzonen wird im Standortauswahlgesetz (StandAG) mit dem Aus- schlusskriterium „Seismische Aktivität“ geregelt:
Durch das Kriterium werden Gebiete ausgeschlossen, in denen seismische Aktivi- täten zu erwarten sind, die die Sicherheit eines Endlagers beeinträchtigen können.
Bewertungsgrundlage ist, wie von der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Ab- fallstoffe vorgeschlagen, die Norm DIN EN 1998-1/NA 2011-01. Diese wird konkre- tisiert durch die Festlegung in der jeweils dazu geltenden nationalen Anlage.
Quelle: Bundestag-Drucksache 18/11398, S. 68
In der „Karte der Erdbebenzonen in Deutschland“ (siehe Abb. 1) wurden Zonen basierend auf den mit einer Wiederkehrperiode von 475 Jahren (10% Auftretens- oder Überschreitungs- wahrscheinlichkeit in 50 Jahren Standzeit) maximal zu erwartenden Erdbebenintensitäten ab- gegrenzt (probabilistische Erdbebengefährdungsanalyse) (siehe Tab. 1). Die Berechnung der Erdbebengefährdung beruht u.a. auf einer Einteilung in seismische Quellregionen, die auf Ba- sis der Erdbebenaktivität (ca. 27 000 Erdbeben) und der seismotektonischen Gegebenheiten Deutschlands festgelegt werden (Grünthal & Bosse, 1996). Weitere Eingangsparameter sind
u.a. die Intensitäts-Häufigkeitsbeziehung, Dämpfungsrelation und die charakteristische Herd- tiefe (Grünthal & Bosse, 1996).
Karte der Erdbebenzonen
-
Erdbebenzon• 0 Erdbebenzone 1 Erdbebenzone 2
N
50
--- --
25 0 50-
100-
150-
200 KilometerA
Abb. 1: Karte der Erbebenzonen (siehe Tab. 1) in Deutschland mit den Konturen aus DIN EN 1998-1/NA:2011-01 (BGE)
Erdbebenzone Intensitätsintervall Referenz-Spitzenwert der Bo- denbeschleunigung agr [m/s²]
0 6 ≤ I < 6,5 -
1 6,5 ≤ I < 7 0,4
2 7 ≤ I < 7,5 0,6
3 7,5 ≤ I 0,8
Tab. 1: Zuordnung von Intensitätsintervallen und Referenz-Spitzenwerten der Bodenbe- schleunigung zu den Erdbebenzonen (DIN EN 1998-1/NA:2011-01). Farblich markiert sind die Erdbebenzonen, die ausgeschlossen werden (Abb. 1).
Bei Erdbeben mit einer Intensität von 7 (> Erdbebenzone 1) treten merkliche Schäden an Gebäuden auf, wogegen Beben mit kleineren Intensitäten nur geringe oder keinerlei Gebäu- deschäden verursachen. Im Vergleich zu Oberflächenbauwerken werden die Auswirkungen von Erdbeben auf Untertagebauwerke im Allgemeinen als geringer eingeschätzt (AkEnd, 2002).
So will die BGE das Ausschlusskriterium Seismische Aktivität anwenden
(Sollte sich auf Grundlage von Fachdiskussionen die Notwendigkeit einer methodischen Anpassung ergeben, kann der hier gezeigte Zwischenstand von dem Ergebnis im Zwischenbericht Teilgebiete abweichen.)
Es werden, wie im StandAG vorgegeben, alle Gebiete mit einer örtlichen seismischen Gefähr- dung (nach DIN EN 1998-1/NA:2011-01) größer als Erdbebenzone 1 ausgewählt. Daraus er- geben sich Flächen mit Erdbebenzonen 2 und 3 (siehe Abb. 1), die in alle endlagerrelevanten Tiefen projiziert werden. Die dadurch entstehenden Volumenkörper stellen den Ausschluss- bereich dar (siehe Abb. 2).
var 300 J•hrt!n Heute A.uuchlu•11b•reich
fmil Erdb•ben1on•n)
Abb. 2: Darstellung der aktuellen Ausschlussmethodik
Der Nationale Anhang der DIN EN 1998-1 wird derzeit novelliert. Wir gehen davon aus, dass für den Zwischenbericht Teilgebiete (Schritt 1 der Phase I des Standortauswahlverfahrens) der aktuell gültige Nationale Anhang der DIN EN 1998-1 die Grundlage für die Anwendung des Ausschlusskriteriums „seismische Aktivität“ sein wird. Für unsere Vorschläge zur Auswahl der Standortregionen (Schritt 2 der Phase I des Standortauswahlverfahrens) und der zu er- kundenden Standorte nach § 14 Absatz 2 und § 16 Absatz 3 StandAG wird voraussichtlich der novellierte Nationale Anhang zum Tragen kommen, der nach unserem gegenwärtigen Kenntnisstand Ende 2020 in Kraft treten wird.
Konsultation zur Anwendung des Ausschlusskriteriums
Gerne möchten wir die Anwendung des Ausschlusskriteriums „Seismische Aktivität“ mit Ihnen diskutieren. Haben Sie Fragen oder Anregungen zum Verfahren oder Erkenntnisse, die uns bei der Anwendung helfen können? Teilen Sie uns diese mit.
Hier geht’s zur Online-Konsultation: www.forum-bge.de
Literaturverzeichnis
AkEnd, 2002. Auswahlverfahren für Endlagerstandorte. Empfehlungen des AkEnd, Dezember 2002.
DIN EN 1998-1/NA:2011-01, Nationaler Anhang – National festgelegte Parameter – Eurocode 8: Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben – Teil 1: Grundlagen, Erdbebeneinwirkun- gen und Regeln für Hochbau.
Drucksache des Deutschen Bundestages 18/11398 vom 07.03.2017: Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein End- lager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze.
Grünthal, G., 2004. Erdbeben und Erdbebengefährdung in Deutschland sowie im europäi- schen Kontext. Geographie und Schule 151, 14-23.
Grünthal, G. & Bosse, C., 1996. Probabilistische Karte der Erdbebengefährdung der Bundes- republik Deutschlands – Erdbebenzonierungskarte für das Nationale Anwendungsdoku- ment zum Eurocode 8: Forschungsbericht, Scientific Technical Report STR96/10, Geofor- schungszentrum Potsdam, Potsdam.
Murawski, H. & Meyer, W., 2004. Geologisches Wörterbuch, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg.
Standortauswahlgesetz vom 5. Mai 2017 (BGBI. I S. 1074), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 16 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBI. I S. 2808) geändert worden ist.