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Entscheidungen - Umgliederung niedersächsischer Gerichtsbezirke mit GG Art 12 Abs 1, Art 14 Abs 1 und Art 2 Abs 1 vereinbar - Verhältnismäßigkeit des Umgliederungsgesetzes

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Aktie "Entscheidungen - Umgliederung niedersächsischer Gerichtsbezirke mit GG Art 12 Abs 1, Art 14 Abs 1 und Art 2 Abs 1 vereinbar - Verhältnismäßigkeit des Umgliederungsgesetzes"

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- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Dr. Rüdiger Zuck und Partner, Robert-Koch-Straße 2, Stuttgart -

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3 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BVR 1859/97 -

In dem Verfahren über

die Verfassungsbeschwerden der Rechtsanwälte

1. B..., 2. Dr. S...

gegen das niedersächsische Gesetz zur Umgliederung des Landgerichtsbezirks Göttingen vom 19. Juni 1997 (Nds.GVBl S. 288)

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling,

die Richterin Jaeger und den Richter Steiner am 22. Dezember 1999 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerden betreffen eine landesrechtliche Maßnahme der Ge- richtsorganisation, die nach Überzeugung der beschwerdeführenden Rechtsanwälte zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen führt.

1. Die Verfassungsbeschwerden wenden sich gegen die Verkleinerung des Ge- richtsbezirks des Oberlandesgerichts Celle, zu dessen Bezirk unter anderem das Landgericht Göttingen gehörte (vgl. § 1 Abs. 2 Ziffer 2 des niedersächsischen Geset- zes über die Organisation der ordentlichen Gerichte i.d.F. vom 15. Dezember 1982

<Nds.GVBl S. 498>). Diese Zuweisung ist durch Gesetz zur Umgliederung des Land- gerichtsbezirks Göttingen vom 19. Juni 1997 - im folgenden: Umgliederungsgesetz - (Nds.GVBl S. 288) geändert worden. Nunmehr ist der Bezirk des Landgerichts Göt- tingen mit Wirkung ab 1. Januar 1998 dem Bezirk des Oberlandesgerichts Braun- schweig zugeordnet und aus dem Bezirk des Oberlandesgerichts Celle ausgeglie- dert.

Die Umgliederung soll nach den Gesetzgebungsmaterialien (vgl. LTDrucks 13/

2726) dem ungleichen Zuschnitt der drei Oberlandesgerichte in Niedersachsen ent-

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8 gegenwirken. Deren Größenverhältnisse seien sehr unausgewogen. Das Oberlan-

desgericht Braunschweig sei nur für etwa 950.000, das Oberlandesgericht Celle für etwa 4.500.000 und das Oberlandesgericht Oldenburg für etwa 2.400.000 Gerichts- eingesessene zuständig. Die Umgliederung werde dem Oberlandesgericht Braun- schweig einen Zuwachs von voraussichtlich sieben oder acht Richterinnen und Rich- tern bringen. Die dadurch ausgelöste Verkleinerung des Oberlandesgerichts Celle werde dessen Bedeutung und bundesweites Ansehen nicht nennenswert beeinträch- tigen. Außerdem rücke das Landgericht Göttingen näher an das zuständige Oberlan- desgericht heran (vgl. LTDrucks 13/2726).

2. a) Die Beschwerdeführer sind Rechtsanwälte beim Oberlandesgericht Celle, die nach ihrem Vorbringen bisher einen gewissen Schwerpunkt in der Bearbeitung Göt- tinger Mandate hatten. Beide erwarteten deshalb Umsatzausfälle als Folge der Um- gliederung.

b) Mit ihren am 24. September 1997 eingegangenen, unmittelbar gegen das Um- gliederungsgesetz gerichteten Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdefüh- rer die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.

Das angegriffene Gesetz verletze sie in den gerügten Grundrechten, weil es für die Umgliederung an einer vernünftigen Erwägung des Gemeinwohls fehle. Der Gesetz- geber habe - unter lokalpolitischen Vorgaben - das Oberlandesgericht Braunschweig Schritt für Schritt so aufwerten wollen, daß dieses vor einer Schließung geschützt werde. Das sei jedoch kein gerichtsverfassungsrechtlich zulässiges Ziel, sondern al- lein eine wählerbezogene, parteitaktische Maßnahme. Darüber hinaus verstoße das Umgliederungsgesetz gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Es fehle bereits an der Eignung, weil die Zuordnung von weiteren sieben Richtern dem Oberlandesge- richt Braunschweig keine Größe verleihe, die seinen Bestand über den derzeitigen Zustand hinaus sichern würde. Schon bisher arbeite das Oberlandesgericht Braun- schweig effizient. Von der Verstärkung sei insoweit keine Verbesserung zu erwarten.

Auch die Bürgernähe spreche im Hinblick auf die Göttinger Sachen mehr für die Zu- ordnung zum Oberlandesgericht Celle. Die Umgliederung sei den Betroffenen wegen des historischen Bezugs Göttingens zu Celle, wegen der durch die Umgliederung be- wirkten Beschränkung der Leistungsfähigkeit des Oberlandesgerichts Celle sowie wegen der Nachteile für die berufliche Betätigungsfreiheit der Celler OLG- Anwaltschaft unzumutbar.

Das Umgliederungsgesetz sei in jedem Falle schon deshalb verfassungswidrig, weil es keine ausreichende Übergangsregelung enthalte. Der Regelung des § 227 a BRAO sei der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, daß die Interessen der von einer Umgliederung betroffenen Rechtsanwälte durch angemessene Übergangsre- gelungen gesichert werden müßten. Angemessen sei die dort festgesetzte Über- gangszeit von 10 Jahren. Daher sei es verfassungsrechtlich geboten, das Inkrafttre- ten des Neugliederungsgesetzes 10 Jahre hinauszuschieben.

3. Mit Beschluß vom 4. Dezember 1997 hat die 2. Kammer des Ersten Senats des

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14 Bundesverfassungsgerichts den Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung das

Inkrafttreten des Gesetzes hinauszuschieben, abgelehnt (NJW 1998, S. 891).

4. a) Durch Verfügung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Braunschweig sind die Beschwerdeführer mit Wirkung vom 1. Januar 1998 zusätzlich beim Oberlandes- gericht Braunschweig mit der Einschränkung zugelassen worden, daß Mandate nur übernommen werden dürfen, soweit der für die Zuständigkeit des Oberlandesge- richts Braunschweig maßgebende Gerichtsstand im Landgerichtsbezirk Göttingen begründet ist.

b) Nach Darstellung der Beschwerdeführer hat aber die Doppelzulassung bis Juni 1999 nicht dazu beigetragen, die wirtschaftlichen Folgen der Umgliederung abzumil- dern.

Der Beschwerdeführer zu 1) berichtet, die Zahl der Mandate sei deutlich zurückge- gangen, die zudem nur noch kleine Streitwerte aufwiesen. Mehr als die Hälfte seiner Korrespondenten im Landgerichtsbezirk Göttingen habe seit mehr als einem Jahr nichts mehr von sich hören lassen. Die Terminswahrnehmung in Braunschweig sei sehr zeitaufwendig gewesen und er habe bei jedem Braunschweiger Mandat be- triebswirtschaftlich gesehen Geld zugesetzt.

Der Beschwerdeführer zu 2) führt aus, daß die Auswirkungen ihn nicht so schwer betroffen hätten wie den Beschwerdeführer zu 1). Er führt dies auf seine Mitglied- schaft in einer größeren Sozietät zurück. Die Terminswahrnehmung in Braunschweig habe sich aber eher als Belastung erwiesen. Die Auswirkungen könnten noch nicht endgültig abgeschätzt werden. Ein ihm angekündigtes Mandat mit einem Streitwert von 400.000 DM sei direkt an Braunschweiger Rechtsanwälte vergeben worden.

5. Zu den Verfassungsbeschwerden und zu dem Antrag auf Erlaß der einstweiligen Anordnung haben der Landtag und die Landesregierung von Niedersachsen, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein, die Rechtsanwaltskam- mern Celle und Braunschweig sowie der Advokatenverein Celle Stellung genommen.

a) Der Präsident des Niedersächsischen Landtages hat in Ausführung eines Land- tagsbeschlusses dargelegt, daß die Umgliederung als Maßnahme im Interesse ge- ordneter Rechtspflege sorgfältig vorbereitet und beraten worden sei und daß dabei die Belange der betroffenen Rechtsanwälte am Oberlandesgericht Celle angemes- sen berücksichtigt worden seien. Nach dem übereinstimmenden Willen aller drei Landtagsfraktionen sollten in Niedersachsen auch künftig drei Oberlandesgerichte fortbestehen; sie trügen zur historischen Prägung der städtischen Zentren des Lan- des wesentlich bei. Angesichts dessen sei es notwendig, den Bestand des Oberlan- desgerichts Braunschweig, als des kleinsten der drei niedersächsischen Oberlandes- gerichte durch Ausweitung des Gerichtsbezirks zu sichern. Soweit ein Eingriff in die Berufsfreiheit betroffener Rechtsanwälte gerügt werde, beruhe er auf Bundesrecht.

Im übrigen sei die jetzt beschlossene Umgliederung bereits seit so langer Zeit disku- tiert worden, daß alle betroffenen Rechtsanwälte hinreichend Zeit gehabt hätten, sich

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18 auf die nun eingetretene Zuständigkeitsänderung einzustellen.

b) Namens der Niedersächsischen Landesregierung hat die Niedersächische Staatskanzlei zu dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung Stellung ge- nommen. Sie hält die Verfassungsbeschwerden für offensichtlich unbegründet. Das Umgliederungsgesetz greife nicht in den Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit ein, da es an einer objektiv berufsregelnden Tendenz fehle. Auch die Rüge der Ver- letzung von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sei offensichtlich unbegründet, weil dieses Grundrecht nicht Zukunftshoffnungen oder Verdienstmöglichkeiten schütze. Jeden- falls falle die Folgenabwägung zu Lasten der Beschwerdeführer aus. Der Vollzug des Umgliederungsgesetzes schwäche das Oberlandesgericht Celle kaum. Den abzu- bauenden Richterstellen von sieben oder acht stünde dort gegenwärtig eine Zahl von 100 Richterinnen und Richtern gegenüber.

c) Der Bundesrechtsanwaltskammer ist nicht ersichtlich, daß der niedersächsische Landesgesetzgeber mit der Umgliederungsentscheidung sein Organisationsermes- sen willkürlich oder in sachlich nicht mehr vertretbarer Weise ausgeübt habe. Dage- gen spreche bereits die zahlenmäßige Verteilung der Gerichtseingesessenen der drei Oberlandesgerichtsbezirke. Es sei nachvollziehbar und im übrigen letztlich Teil der Organisationshoheit, wenn sich der Gesetzgeber in dieser Situation für eine we- sentliche Vergrößerung des Oberlandesgerichtsbezirks von Braunschweig entschie- den habe. Es bestehe aber ein Anspruch auf angemessene Übergangsregelungen.

Dafür biete sich eine Analogie zu den §§ 227 a, 227 b BRAO an.

d) Für den Deutschen Anwaltverein hat sich sein Verfassungsrechtsausschuß ge- äußert. Ein Teil seiner Mitglieder ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerden seien unbegründet, weil dem Fehlen einer verfassungsrechtlich gebotenen Über- gangsregelung durch Rückgriff auf die §§ 227 a, 227 b BRAO Rechnung getragen werden könne. Andere Mitglieder sind dagegen der Ansicht, das Fehlen einer verfas- sungsrechtlich gebotenen Übergangsregelung habe zwingend die Verfassungswid- rigkeit des Umgliederungsgesetzes zur Folge. Hingegen sind sich alle Mitglieder ei- nig, daß die Organisation der Landesgerichtsbarkeit Ländersache sei. Die von den Verfassungsbeschwerden gegen die Verfassungsmäßigkeit des Umgliederungsge- setzes geltend gemachten Gemeinwohlbelange seien nicht tragfähig. Die Größe ei- nes Oberlandesgerichtsbezirks sei eine Frage der nach Zweckmäßigkeitsgesichts- punkten ausgeübten Organisationshoheit des betreffenden Landes. Grundrechte der Beschwerdeführer würden hierdurch nicht verletzt.

e) Die Rechtsanwaltskammer Celle sieht in der Umgliederung eine Beeinträchti- gung des Prinzips der Singularzulassung, weil diese Maßnahme die materielle Basis der singular tätigen Rechtsanwälte am Oberlandesgericht Celle mindere. In gleicher Weise werde die Rechtsanwaltskammer tangiert, da die Göttinger Rechtsanwälte mit etwa 250.000 DM zum Kammerhaushalt beitrügen. Überzeugende Gründe für die Umgliederung gebe es aus Sicht der Kammer nicht. Jedenfalls sei eine Übergangs- frist von 10 Jahren erforderlich. Eine Übergangsregelung in der Form einer Doppelzu-

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25 lassung scheitere am eindeutigen Gesetzeswortlaut.

f) Die Rechtsanwaltskammer Braunschweig hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet. Art. 14 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil nicht in die Substanz der be- troffenen Anwaltssozietäten eingegriffen werde. Auch Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht ver- letzt, weil das Umgliederungsgesetz eine geeignete, erforderliche und verhältnismä- ßige Berufsausübungsregelung darstelle. Schließlich diene die Umgliederung einem zureichenden Gemeinwohlbelang.

g) Der Advokatenverein Celle hat auf Anfrage mitgeteilt, daß von den 90 beim Ober- landesgericht Celle zugelassenen Rechtsanwälten 79 erklärt hätten, sie würden eine überörtliche Sozietät nicht anstreben. Demgegenüber habe nur ein Einzelanwalt die Absicht mitgeteilt, eine überörtliche Sozietät einzugehen.

II.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerden (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.

1. Den Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtli- che Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die maßgeblichen verfas- sungsrechtlichen Fragen zur berufsregelnden Tendenz von Berufsausübungsrege- lungen, zur Organisationshoheit der Länder, zum Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes oder einer Anwaltspraxis durch Art. 14 Abs. 1 GG und zum Umfang des Schutzbereiches von Art. 2 Abs. 1 GG sowie zu den Anforderungen an verfassungsrechtlich unbedenkliche Beschränkungen der allgemeinen Hand- lungsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht bereits wiederholt entschieden (vgl.

BVerfGE 24, 155 <166 ff.>; 45, 272 <296>; 45, 142 <173>; 70, 191 <214>; 74, 129

<151 f.>; 80, 137 <152 ff.>; 95, 267 <302>).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Gesetz zur Umgliederung des Landge- richtsbezirks Göttingen vom 19. Juni 1997 ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

a) Die Beschwerdeführer werden nicht in ihrem Grundrecht auf freie Berufsaus- übung verletzt.

aa) Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit der beruflichen Betätigung. Der Schutz dieses Grundrechts ist einerseits umfassend angelegt, andererseits schützt es aber nur vor solchen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind. Es genügt nicht, daß eine Rechtsnorm oder ihre Anwendung unter be- stimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit entfaltet. Das ist bei vie- len Normen der Fall. Ein Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit liegt vielmehr erst dann vor, wenn die Norm, um deren Auswirkungen es geht, berufsregelnde Ten- denz hat (vgl. BVerfGE 70, 191 <214>; 95, 267 <302>; stRspr). So liegt es auch, wenn die Norm mit Blick auf den Beruf die Rahmenbedingungen verändert, unter de-

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32 nen er ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 95, 267 <302>).

bb) Das Gesetz zur Umgliederung des Landgerichtsbezirks Göttingen berührt die Freiheit der Berufsausübung nicht, die Art. 12 Abs. 1 GG schützt. Ihm fehlt die dazu erforderliche berufsregelnde Tendenz.

Zwar verändert es mit der Größe des Gerichtsbezirks, auf den sich die Zulassung der Beschwerdeführer bezieht, die Rahmenbedingungen ihrer Berufsausübung. Die- ser Veränderung fehlt indessen die finale Bezogenheit auf die anwaltliche Berufsaus- übung. Die Auswirkungen dieses Gesetzes sind nicht anders zu beurteilen, als dieje- nigen einer Erhöhung der Streitwertgrenzen oder einer Neugliederung des Instanzenzuges oder der Einführung eines besonderen Verfahrens zur Rechtsmittel- zulassung. Das Gesetz zielt auf die Verringerung der Größenunterschiede zwischen den Oberlandesgerichtsbezirken in Niedersachsen ab und ist getragen von der Sorge für den weiteren Bestand des Oberlandesgerichts Braunschweig. Außerdem soll an diesem Gericht ein höherer Grad an Spezialisierung ermöglicht werden. Die Be- schwerdeführer werden hiervon nur rein tatsächlich betroffen, weil sie bisher Manda- te aus dem Landgerichtsbezirk Göttingen vertreten haben.

b) Auch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht berührt.

Ungeachtet der Reichweite dieses Schutzes bei Gewerbebetrieben (vgl. BVerfGE 51, 193 <221 f.>) oder bei Anwaltspraxen (vgl. BVerfGE 45, 272 <296>) steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fest, daß die Gegebenheiten und Chancen, innerhalb derer der Unternehmer seine Tätigkeit entfaltet, von der Ei- gentumsgarantie nicht erfaßt werden. Hierzu gehören bei Rechtsanwälten gemäß

§ 27 BRAO der Ort der Kanzlei am Ort des Gerichts der Zulassung und damit auch die Größe des für die Niederlassung gewählten Gerichtsbezirks sowie die Zahl der Gerichteingesessenen. Diese Faktoren sind dem Standortfaktor eines Wirtschaftsbe- triebes vergleichbar. Der Anwalt kann sie selbst nicht beeinflussen, sondern nur die Wahl des Ortes der Niederlassung von ihnen abhängig machen. Der Fortbestand ei- nes Gerichtsbezirks wird - bezogen auf den dort zugelassenen Rechtsanwalt - nicht vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG erfaßt.

c) Die Umgliederung verletzt die Beschwerdeführer auch nicht in ihrer von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit. Das Gesetz steht formell und materiell in Einklang mit den Normen der Verfassung.

aa) Die Organisation der Gerichte, speziell die Errichtung der Gerichte sowie die Veränderung ihrer Bezirke, gehört zur Kompetenz des Landesgesetzgebers (vgl.

BVerfGE 24, 155 <166 f.>).

bb) Die angegriffene Regelung entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und begegnet - jedenfalls nach der Doppelzulassung der Beschwerdeführer - auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

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39 (1) Die Ziele des Gesetzes - Ausgleich der Größendifferenz, Ermöglichung einer

Spezialisierung in Braunschweig, Gegensteuerung einer drohenden Auflösung des Oberlandesgerichts Braunschweig und größere Bürgernähe - stellen legitime Ge- meinwohlzwecke dar. Die Entscheidung des Landes, drei Oberlandesgerichte beizu- behalten und die Tatsachenbewertung, wonach der Bestand des Oberlandesgerichts Braunschweig ohne Vergrößerung des Bezirks in der Zukunft gefährdet sein könnte, ist Gegenstand der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und vom Bundes- verfassungsgericht wegen der Organisationshoheit der Länder nicht zu überprüfen.

(2) Das Gesetz ist auch geeignet, den genannten Zwecken zu dienen. Mit Rücksicht auf die prognostischen Elemente der Eignungsbeurteilung ist die Entscheidung des Landesgesetzgebers zumindest vertretbar (vgl. BVerfGE 50, 290 <332 f.>).

Der Gesetzgeber hat sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials orientiert und die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausge- schöpft, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie möglich abzuschätzen. Die vorhersehbaren günstigen und ungünstigen Auswirkun- gen des Gesetzentwurfs sind Gegenstand umfassender Anhörungen einer großen Anzahl möglicher Betroffener im Ausschuß für Rechts- und Verfassungsfragen gewe- sen (vgl. Niedersächsischer Landtag, 13. WP, Niederschrift über die 89. Sitzung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen am 16. April 1997; Niederschrift über die 90. Sitzung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen am 17.

April 1997; Niederschrift über die 91. Sitzung des Ausschusses für Rechts- und Ver- fassungsfragen am 30. April 1997). Zahlreiche Eingaben wurden in die Abwägung mit einbezogen. Auch ein Gutachten des Advokatenvereins Celle hinsichtlich der haushaltsmäßigen Auswirkungen wurde umfassend erörtert. Wenn sich der Landes- gesetzgeber auf dieser Grundlage für die Umgliederung entschieden hat, so ist die damit verbundene Beurteilung der Gesetzesauswirkungen als zumindest vertretbar anzusehen.

(3) Das Umgliederungsgesetz genügt auch dem Gebot der Erforderlichkeit. Ein mil- deres Mittel, mit welchem die genannten Ziele, insbesondere der Ausgleich der Grö- ßendiskrepanz in einer vergleichbar wirksamen Weise erreicht werden könnten, ist weder von den Beschwerdeführern vorgetragen worden noch erkennbar.

(4) Das Umgliederungsgesetz ist auch im engeren Sinne verhältnismäßig.

Dem Ziel und erwarteten Nutzen, durch den Erhalt von Oberlandesgerichten in Nie- dersachsen Traditionen beizubehalten, die Bürgernähe zu verstärken, die Funktions- fähigkeit der Rechtspflege durch bessere Spezialisierungsmöglichkeiten zu fördern, stehen Anpassungsdruck und vorübergehende Einkommenseinbußen der beschwer- deführenden Rechtsanwälte gegenüber.

Daneben fallen die - ebenfalls geltend gemachten - Auswirkungen auf das Oberlan- desgericht Celle nicht erkennbar ins Gewicht. Bei einem verbleibenden Bestand von etwa 90 Richtern bleiben in diesem Oberlandesgericht Spezialisierungen offensicht-

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45 lich möglich; eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege ist inso-

weit nicht ersichtlich.

Im Verhältnis zu einer leistungsfähigeren Rechtspflege im Oberlandesgericht Braunschweig wiegen die Nachteile der Beschwerdeführer nicht schwer. Ihnen wird zugemutet, sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Solche Anpas- sungsleistungen gehören zu den ständigen Herausforderungen freiberuflicher Rechtsanwälte.

Die von den Beschwerdeführern geforderte Verzögerung der Umgliederung um zehn Jahre würde dem Verhältnismäßigkeitsgebot demgegenüber nicht besser ge- recht. Mit einem Aufschub könnten Härten dann, wenn das Gesetz schließlich in Kraft treten würde, nicht gemildert werden. Auf diesen Gesichtspunkt ist der Beschluß, mit dem die einstweilige Anordnung abgelehnt worden ist, bereits ausführlich eingegan- gen.

(5) Das Gesetz begegnet auch nicht deshalb verfassungsrechtlichen Bedenken, weil es an einer Übergangsregelung fehlt.

Ob das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot des Vertrauensschutzes ei- ne Übergangsregelung zur Verhinderung individueller Unzumutbarkeit auch in den Fällen gebietet, in denen lediglich eine faktische Erwerbschance beseitigt wurde, kann dahingestellt bleiben. Durch die Doppelzulassung wurde für die Beschwerde- führer jedenfalls ein angemessener Ausgleich zwischen privatem Bestandsinteresse und staatlichem Änderungsinteresse hergestellt. Sie erhält den bei zwei Oberlandes- gerichten zugelassenen Rechtsanwälten für zehn Jahre die Chance, Göttinger Man- date weiterhin wahrzunehmen. Die Entscheidungen der Mandanten, die von vielfälti- gen Einflüssen abhängen, werden allerdings hierdurch nicht vorgegeben. Ob es sich für die Beschwerdeführer lohnt, ihre Beziehungen zu den am Landgericht Göttingen zugelassenen Anwälten fortzusetzen, unterliegt allein ihrer Beurteilung.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abge- sehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Kühling Jaeger Steiner

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. Dezember 1999 - 1 BvR 1859/97

Zitiervorschlag BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. Dezem- ber 1999 - 1 BvR 1859/97 - Rn. (1 - 45), http://www.bverfg.de/e/

rk19991222_1bvr185997.html

ECLI ECLI:DE:BVerfG:1999:rk19991222.1bvr185997

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