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Wachstums- und Zerfallsprozesse Ein Kurs für Schüler der Klassen 10-12

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(1)

Wachstums- und Zerfallsprozesse Ein Kurs für Schüler der Klassen 10-12

Prof. Dr. H. Junek, Potsdam 2005

Inhalt

1. Das Grundmodell: Die Evolutionsgleichung 1

2. Wachstum mit Störungen 1. Ordnung 5

3. Das logistische Wachstum – Störungen zweiter Ordnung 10

4. Verzögertes Wachstum 14

5. Gekoppelte Populationen und Räuber-Beute-Modelle 18

6. Anhang 23

7. Lösungen 26

Einleitung

Das vorliegende Material wurde zweimal mit Schülern der Klassen 10-12 zur Gestaltung eines problemorientierten Unterrichts eingesetzt. Als Rahmenthema wurden Wachstums- und Zerfallsprozessen gewählt, denn zu dieser Thematik lässt sich eine facettenreiche Palette von Aufgaben aus den verschiedensten Anwendungsfeldern finden. In der Bearbeitung dieser Aufgaben vom Modell bis zur Interpretation der Lösung bestand ein wesentliches Ziel des Kurses.

Methodische Leitlinie war die gemeinsame Erarbeitung der Modellgleichungen durch schrittweise Erweiterung vom freien Wachstum zu gestörtem und verzögerten Wachstum.

Die Aufgaben wurden zum großen Teil von den Schülern selbständig erarbeitet und vorgetragen.

Als Beispiele werden die Populationsdynamik, die Zinseszins und Rentenrechnung, der Verlauf von Epidemien, die Informationsausbreitung in einer Bevölkerung und elektrische Ladungs- und Entladungsprozesse behandelt. Für die Schüler war es sehr überraschend und anregend, derartig viele verschiedene Fragestellungen mit einheitlichen mathematischen Formeln behandeln zu können. Vorkenntnisse sind kaum erforderlich.

Sollte die Exponentialfunktion noch nicht bekannt sein, so kann man sich auf diskrete Modelle und geometrische Folgen beschränken. Auf einige Aufgaben, für die sich aus rechentechnischen Gründen Exponentialfunktionen empfehlen, muss dann verzichtet werden. Die Benutzung von Grenzwerten erfolgt propädeutisch zur Begründung der Äquivalenz der diskreten und kontinuierlichen Methode, soweit die Exponentialfunktion benutzt werden soll. Diese Teile des Materials sind ab Klassenstufe 11 zugänglich.

Die Lösungen der Aufgaben sind zur Hilfestellung für den Lehrer in §7 angegeben.

(2)

Motto: Differenzen- und Differentialgleichungen sind die Sprache der Mathematik zur Beschreibung von Wechselwirkungen und dynamischen Prozessen, insbesondere von Wachstum und Zerfall.

§1 Das Grundmodell: Die Evolutionsgleichung

Wir stellen uns das Ziel, den Prozess des radioaktiven Zerfalls bzw. des Zellwachstums zu beschreiben. Bereits 1798 hat der englische Geistliche T.J. Malthus versucht, ein mathematisches Modell für das Wachstum der Bevölkerung aufzustellen. Das Interesse für dieses Problem wurde durch das zu dieser Zeit schnelle Wachstum der Bevölkerung in industriellen Städten und die daraus folgende Angst vor der Bevölkerung der zivilisierten Welt hervorgerufen. Dieselben Gleichungen können auch zur Beschreibung des Wachstums von Bakterien- oder Hefekulturen, oder für den radioaktiven Zerfall einer Substanz verwendet werden. Qualitativ sind die folgenden Kurvenverläufe zu erwarten:

Wir wollen nun ein mathematisches Modell zur Beschreibung des zeitlichen Verlaufs finden. Dazu legen wir zuerst Bezeichnungen fest.

Bezeichnungen:

t = Zeit

y = y(t) = Menge des radioaktiven Materials zum Zeitpunkt t (bzw. = Zellmasse zum Zeitpunkt t)

(bzw. = Bevölkerungsanzahl einer Nation [Malthus 1798]) Modellierungsansatz: Wir zerlegen das Zeitintervall [ t0, ] in kleine, gleichlange Zeitabschnitte der Länge t und versuchen, eine Formel für den Zuwachs yim Zeitintervall t zu finden.

Experimentelle Erfahrung: Im Fall der Zerfalls- bzw. Wachstumsprozesse zeigt das fachwissenschaftliche Experiment, dass eine Proportionalität

t y y

~

(3)

besteht. Mit einer Proportionalitätskonstanten kR erhalten wir die fundamentale Differenzengleichung der Evolution

t y k y=

mit

>

=

<

um für Wachst 0

Stagnation für

0

l für Zerfal 0

k k k

Diese Gleichung lässt sich nun als diskretes oder als kontinuierliches Modell weiter behandeln.

Das diskrete Modell:

Bezeichnet man mit yj die Materialmenge nach j Zeitschritten t, so folgt aus der Differenzengleichung y=kyt die Gleichung yj yj1 =kyj1t. Die Auflösung nach yj ergibt die

Rekursionsgleichung der Evolution

) 1

1 ( k t

y

yj= j + mit Startwert y0

Hieraus gewinnen wir eine explizite Formel für yj: Aus yj =yj1(1+kt)für alle j folgt )

1

2(

1 y k t

yj = j + , also insgesamtyj =yj2(1+kt)2. Durch Wiederholung des Verfahrens ergibt sich auf diese Weise die

Explizite Evolutionsgleichung (diskretes Modell)

j

j y k t

y = 0(1+ ) mit Startwert y0

Wachstum und Zerfall werden also im diskreten Modell durch geometrische Folgen beschrieben.

Das kontinuierliche Modell:

Wir stellen uns das Zeitintervall [0,t] in immer mehr immer kürzere Zeitabschnitte

tzerlegt. Es sei n die Anzahl der Zeitabschnitte. Dann gilt t=nt. Vom diskreten Modell wissen wir

n n

n n

y kt t k y

y

+

=

+

= 0(1 ) 0 1 .

(4)

Wie verhält sich dieser Ausdruck für n? Wir erinnern uns an die Eulersche Formel

kt n

n e

n kt =

+

1

lim .

Damit folgt für den kontinuierlichen Prozess die

Explizite Evolutionsgleichung (kontinuierliches Modell)

0 0 e mit Startwert y y

yn = kt

Wachstum und Zerfall werden im kontinuierlichen Modell durch Exponentialfunktionen beschrieben. Die Gesamtheit aller Lösungen (auch Startwerte y0 <0 sind mathematisch sinnvoll!) heißt das Phasenporträt der Differentialgleichung. Zeichnet man nur einige Kurven, so erhält man die eingangs dargestellten Kurvenverläufe.

Aufgaben

1. Wachstum einer Fruchtfliegenpopulation: Die Vermehrung von Fruchtfliegen bei unbeschränktem Nahrungsangebot vollzieht sich nach der Evolutionsgleichung.

a) Gib die Evolutionsgleichung an! (Verwende t =1Tag).

b) Bestimme die anfängliche Populationsgröße unter der Voraussetzung, dass die Anzahl der Fruchtfliegen am Ende des zweiten Tages des Experimentes 180 und am Ende des vierten Tages 300 beträgt.

c) Bestimme die Populationsgröße nach 10 Tagen.

2. Die Verzinsung einer Spareinlage (Zinseszinsrechnung): Es seien y0das anfängliche Kapital, yt die Höhe des Kapitals nach einer Laufzeit von n Jahren, und es sei k der jährliche Zinssatz.

a) Gib die Evolutionsgleichung für yn an!

b) Nach wie viel Jahren hat sich das Kapital bei k = 5% mindestens verdoppelt?

c) Wie verändert sich das Modell bei monatlicher Verzinsung? Vergleiche die Erträge der beiden Modelle für eine Laufzeit von t = 1Jahr!

d) Ermittle das Modell für die „kontinuierliche“ Verzinsung!

3. Der radioaktive Zerfall und die Halbwertszeit: Unter der Halbwertszeit λ eines radioaktiven Materials versteht man die Zeit, nach der die Hälfte des Materials zerfallen ist. Diese Werte findet man in Tabellenbüchern. Für Kobalt60 beträgt sie λ= 5.26 Jahre.

Wie viel Prozent der Substanz sind nach einem und nach zwei Jahren zerfallen?

(5)

4. Die C14-Methode zur Altersbestimmung (nach W. LIBBY, Nobelpreis 1960): Das Verhältnis der Menge des durch kosmische Strahlung ständig neu gebildeten radioaktiven Kohlenstoffs C14 zur Menge des stabilen Kohlenstoffs C12 ist seit der letzten Eiszeit in der Atmosphäre etwa konstant geblieben. Durch Stoffwechselprozesse wird es daher so im Körper aller Lebewesen reproduziert. Durch Zerfall von C14 bei Erhalt von C12 in den fossilen Resten der Lebewesen verringert sich das Verhältnis mit wachsendem Alter der Fossilien. Wie alt ist ein Fundstück, bei dem dieses Verhältnis auf 30% des Ursprungswertes abgesunken ist? (Halbwertszeit für C14 ist λ = 5570 Jahre)

5. Barometrische Höhenformel: Es sei h die Höhe über der Erdoberfläche und )

(h p

p= der Luftdruck in der Höhe h. Wir setzen idealisiert voraus, dass die Temperatur T in allen Höhen gleich ist. Finde die Differenzengleichung für die Druckabnahme in Abhängigkeit von der Höhe! Finde die explizite Lösung! Dies ist die sogenannte

„Barometrische Höhenformel“. (Hinweis: Man benutze die Gewichtsformel und die thermodynamische Gasgleichung!)

6. Kettenbriefe: Das zurecht verbotene System der Kettenbriefe ("Schneeballsystem") ist wie folgt organisiert: Der Teilnehmer erhält einen Brief mit einer Liste von q = 5 Namen mit Adresse. Der Teilnehmer schickt 100 € an jede dieser Personen, streicht den obersten Namen, setzt seinen eigenen Namen an die fünfte Position und verschickt Kopien dieses Briefes an 5 nicht auf der Liste stehende Personen mit dem Auftrag, obiges Verfahren fortzusetzen.

a) Wie viel € kann man maximal erhalten?

b) Nach wie viel Zyklen müssten 58 Mio Menschen (Bevölkerung Italiens) bereits mitspielen? Wie viel Geld wäre dann im Spiel?

(6)

§2 Wachstum mit Störungen 1. Ordnung

Die Modellgleichungen: Wir wollen jetzt Modellgleichungen für Wachstumsprozesse betrachten, bei denen auch äußere Einflüsse berücksichtigt werden können. Diese Einflüsse kann man als „Störung“ des Wachstumsprozesses auffassen. Solche Einflüsse können sein:

1. äußere Eingriffe durch Wegnehmen oder Hinzufügen, 2. Beschränkter Lebensraum und beschränkte Resourcen.

Der einfachste Ansatz für 1. sind additive/subtraktive Störungen, also a

y t k

y =

Der einfachste Ansatz für 2. ist durch folgende Formel gegeben:

) (B y t K

y =

Diese Gleichungen heißen Wachstumsgleichung mit Störungen 1. Ordnung. Beide Gleichungen sind übrigens äquivalent, denn setzt man a=KBund k =K, so erhält man aus der 2. Formel die erste und umgekehrt. Die Größe a hat die Bedeutung eines äußeren Zu- oder Abflusses, der die Eigendynamik des Systems von außen beeinflusst, also „stört“. Es ist zu erwarten, dass die Lösung der Gleichungen sich eine Überlagerung aus innerer Dynamik und Störung sind. In der 2. Gleichung spielt die Größe B spielt die Rolle eines Sättigungswertes, bei dessen Erreichen der Prozess zum Stillstand kommt.

Typische Beispiele:

1. Populationswachstum mit Störungen durch Abfang: (z.B. Karpfenteich) Es bezeichne y= y(t)die Menge (in kg) aller Karpfen in einem Fischteich, es seien k die Wachstumsrate und a die Abfangrate (Menge pro Zeiteinheit). Dann ist

a y t k

y =

2. Das Abkühlungsgesetz: Der Temperaturverlauf T(t) eines erhitzten Körpers unter Wärmeabgabe an die Umgebung (Umgebungstemperatur = Tamb) wird beschrieben durch

(7)

(

T T

)

t K T

amb

=

.

Die stationäre Lösungen: Bei der Untersuchung dynamischer Systeme ist es sowohl für das qualitative Verständnis wie auch für die analytische Lösung des Systems oft hilfreich, die sogenannten stationären Lösungen zu bestimmen. Wir definieren:

Definition: Die konstanten Lösungen einer Differenzengleichung heißen stationäre Lösungen oder Gleichgewichtslösungen. Man erhält sie, indem man ∆y=0 setzt.

Für die obigen Modellgleichungen ergeben sich die stationären Lösungen ystaz durch Einsetzen von ∆y=0 und Auflösen nach y. Das liefert

k

ystaz = a bzw. ystaz =B.

Die allgemeine Lösung: Es sei nun (yn) eine beliebige Lösung der Modellgleichungen, und es sei (zn) die Folge der Abweichungen von yn von der stationären Lösung, also

staz n

n y y

z = .

Dann ist

staz n

n z y

y = + .

Zur Bestimmung von (zn) versuchen wir eine Differenzengleichung für (zn) herzuleiten. Dazu setzen wir yn =zn +ystaz in die Modellgleichung ein. Wegen y=z ergibt sich

(

zn ystaz

)

a k zn a a k zn

t k

z = + = + =

.

Also erfüllt (zn) die aus §1 bekannte, ungestörte Wachstumsgleichung z

t k z =

.

Nach §1 ist die Lösung zn =C(1+kt)n mit einer Konstanten C=z0 =y0 ystaz. Dies setzen wir in die Formel für yn ein und erhalten als theoretisches Hauptergebnis dieses Abschnitts das Resultat:

Satz. Die Lösung der Gleichung

a y t k

y =

ist gegeben durch

(8)

staz n

staz n

n C y y

k t a k C y t k C

y = (1+ ) + = (1+ ) + mit = 0 Die Lösung des kontinuierlichen Modells (t0)ist

staz t

k C y y

k e a C t

y()= + mit = 0

Die Lösungskurven ergeben sich also aus den Lösungskurven des ungestörten Problems durch Verschiebung um die stationäre Lösung ys =ystaz, wie im Bild veranschaulicht.

Aufgaben

1. Populationswachstum mit Störungen: Die relative Gewichtszunahme einer Fischzucht betrage pro Woche 5%. Anfangs sei insgesamt 1t Fisch im Fischteich. Der Fischer beabsichtigt, wöchentlich 55kg Fisch zu entnehmen. Entscheiden Sie, ob damit eine Überfischung gegeben ist und wann gegebenenfalls die Produktion zum Erliegen kommt.

2. Das Abkühlungsgesetz: Nach dem Newtonschen Abkühlungsgesetz ist die Änderungsrate der Temperatur eines Körpers proportional zur Differenz der Körper- und der Umgebungstemperatur. Es sei nun die Umgebungstemperatur konstant 70°C und der Körper kühle sich in 45 Minuten von 350°C auf 150°C ab.

a) Finde die Prozessgleichung!

b) Wie lange dauert es, bis sich der Körper auf 80°C abgekühlt hat?

3. Pärchenaufgabe: Ein Paar bestellt in einem Restaurant Kaffee und Milch. Der Kaffee ist sehr heiß. Die Frau schüttet die kalte Milch sofort in den Kaffee, der Mann erst nach 5 Minuten. Was kann man über die Temperatur vom Kaffee in den beiden Tassen nach diesen 5 Minuten sagen? Man ermittle die Modellgleichungen!

4. Ratensparen und Kredite: Es bezeichne y0 =H einen Kredit (z.B. eine Hypothek aufs Haus). Wir nehmen an, dass pro Jahr eine feste Rate R zurückgezahlt wird, und es sei k der zu entrichtende, konstante Zinssatz pro Jahr t .

(9)

a) Finde die Differenzengleichung für die Höhe des Darlehens yn nach dem n-ten Zeitabschnitt!

b) Ermittle eine stationäre Lösung! Was bedeutet Stationarität inhaltlich?

c) Finde eine explizite Formel für (yn)!

(Diese Formel heißt in der Finanzmathematik auch „Finanzfunktion“. Sie ist die Grundlage zur Berechnung von Bausparverträgen, Lebensversicherungen etc. und wird von Versicherungsvertretern benutzt.)

d) Wann ist die Hypothek abgezahlt bei k=7%, H=300000€ und R=24000€ ?

e) Beschreibe einen Ratensparvertrag (z. B. Bausparen) und finde die Formel für die Höhe yn des Guthabens im n-ten Jahr.

5. Verbreitung einer Nachricht durch Rundfunk/Fernsehen: Ein Werbespot werde durch Fernsehen ausgestrahlt.

a) Ermittle eine Modell zur Beschreibung der Informationsausbreitung in einem Land mit B Einwohnern.

b) Nach welcher Zeit haben 90% der Bevölkerung den Werbespot gesehen, wenn er einmal täglich ausgestrahlt wird und jeder Einwohner im Mittel täglich 30min diesen Sender sieht?

6. Auflösung fester Stoffe und chemische Reaktionen 1. Ordnung (Monomolekulare Reaktionen): Die Sättigungskonzentration cs bei der Auflösung (Dissoziation) von Kalkstein (CaCO3) in Wasser beträgt 5109mol/l.

a) Finde die Gleichung zur Beschreibung der Konzentration c=c(t) der Ca++-Ionen, wenn folgende Messwerte vorliegen: c(0)=0undc(1h)=1012mol/l.

b) Berechne c(12h) .

7. Aufladung eines Kondensators: Ein Kondensator der Kapazität C sei über einen Widerstand R an eine Gleichspannungsquelle mit Spannung U0 angeschlossen.

a) Finde die Gleichung zur Beschreibung der am Kondensator anliegenden Spannung UC(t). b) Wir nehmen an, dass der Kondensator zu Beginn

des Versuches entladen ist. Nach welcher Zeit ist 5 0

.

0 U

UC = ?

(Hilfe: I U R I

t U Q

C

Q C = R =

= , , .)

(10)

8. Für Kenner der Differentialrechnung: Noch ein elektrischer Schaltkreis:

Berechne den Spannungsverlauf am Kondensator für den Fall, dass U0 keine Gleichspannung, sondern eine Wechselspannung der Form U0(t)=3sinωtist!

(Hinweis: Betrachte statt der Differenzengleichung die daraus entstehende Differentialgleichung

(

für t0

)

. Zeige, dass eine Lösung der Form

(

t a

)

A t

UC*()= sinω + existiert und dass die Funktion U (t) B e RC UC*(t)

t

C = + für

beliebige Konstanten B eine Lösungen ist. Wie sehen diese Kurven aus?)

(11)

§3 Das logistische Wachstum – Störungen zweiter Ordnung

Die aus §1 bekannte Wachstumsgleichung führt zu ungebremstem exponentiellen Wachstum. Dieses ist in realen Systemen für kürzere Zeitabschnitte durchaus zu beobachten, langfristig aber kaum möglich auf Grund begrenzter Ressourcen oder vermehrten Parasitenbefalls. Zur Modellierung eines realistischen Bevölkerungswachstums hat der flämische Versicherungsmathematiker J. F. VERHULST dem Wachstumsfaktor k in der Evolutions-gleichung aus §1 zwecks Berücksichtigung begrenzter Ressourcen einen ergänzenden Faktor Ry, also "Ressourcen minus Bestand" hinzugefügt: Dies führt auf die beiden äquivalenten Versionen der sogenannten

Logistischen Differenzengleichungen

) (R y y

t k

y =

ressourcenkontrolliertes Wachstum

y2

k y t K

y =

parasitenkontrolliertes Wachstum

Durch die Formel kR=K gehen beide Gleichungen ineinander über.

Stationäre Lösungen: Wir setzen ∆y=0. Dann ist 0=kys

(

Rys

)

. Dies liefert die beiden stationären Lösungen ys =0bzw.ys =R. Diese beiden Lösungen entsprechen den Situationen, dass kein Bestand vorhanden ist bzw. dass die Ressourcen voll ausgeschöpft werden und kein weiterer Zuwachs möglich ist.

Die allgemeine Lösung: Die logistische Gleichung

)

1 (

n n

n

n k y R y

t y

y =

+ . ()

ist i.a. recht schwierig zu behandeln. Im Falle eines schwachen Wachstum, genauer 1

|

|kRt < , ändert man nicht viel, wenn statt () die modifizierte Gleichung )

( 1

1 +

+ =

n n

n

n k y R y

t y

y . ()

untersucht wird. Die strenge Begründung wollen wir hier übergehen. Den Fall starken Wachstums betrachten wir später. Es sei nun ( )yn eine beliebige Lösung der Gleichung (). Wir verwenden diesmal den Ansatz

n n

n R y

z y

= . ()

(12)

Dann ist

n

n z

z +1

n n n

n

y R

y y

R y

=

+ +

1 1

) )(

( 1

1

n n

n n

y R y R

y R y R

=

+ +

n n

n n

y R

R y

R y y

=

+ +

1 1

n n

n t k R t z

y R R y

k =

= .

Die Folge ( )zn erfüllt also die Evolutionsgleichung zn

t kR z =

mit der Lösung zn =C(1+kRt)n ()

Durch Auflösen von () nach ( )yn folgt 1 1

1= +

= +

n n n

n z

R z

y Rz .

Wir setzen die für

( )

zn gefundene Lösung () ein hier und verwenden als neuen freien Parameter b=C1. Das ergibt endgültig:

Allgemeine Lösung (diskretes Modell):

(

+

)

= + mit b

1

1 n

n b kR t

y R R beliebig.

Für t0undnt=t folgt wieder:

Allgemeine Lösung (Kontinuierliches Modell):

( )

= + mit b 1 b e kRt

t R

y R beliebig.

Der freie Parameter b ist durch y0bestimmt. Für n=0 folgt nämlich

b y R

= +

0 1 , also ist

0 0

y y

b= R . Zur graphischen Darstellung dieser Wachstumskurven beschränken wir

(13)

uns auf den für Anwendungen wichtigen Fall 0< y0 <R,alsob>0. Für n folgt dann yn R (R ist also ein Sättigungswert), und für die Reise in die Vergangenheit,

−∞

n , folgt yn 0. Die Lösungskurven sehen daher S-förmig aus.

Aufgaben:

1. Reiskäferpopulation: Für eine Reiskäfer- population, die unter Laborbedingungen mit beschränktem Nahrungsangebot auskommen muss, wurden folgende Bestandswerte gemessen: y0 =50Tiere,y20 =311Tiere. Dabei bedeutet yn den Bestand am n-ten Tag.

Mit anderen Experimenten wurde der Wachstumskoeffizient K =kR=0.1/Tag ermittelt. Wie groß kann die Population maximal werden?

2. Ausbreitung einer Epidemie oder Verbreitung eines Gerüchtes: In einer Population P breche eine Epidemie aus. Es bezeichne E=E(t) die Anzahl der zum Zeitpunkt t bereits infizierten Individuen. Man finde ein Modell für die Ausbreitung der Epidemie unter folgenden Bedingungen:

a) Kein Mitglied der Population ist immun gegen die Krankheit.

b) In der betrachteten Zeitspanne gibt es keine Todesfälle und keine Heilungen.

c) Jeder Kontakt eines Infizierten mit einem Gesunden führt zu dessen Infektion.

d) Pro Zeiteinheit t hat jeder Infizierte K Kontakte mit anderen Mitgliedern der Population.

3. Ausbreitung eines Gerüchtes: Potsdam hat 130000 Einwohner. Jede Person hat täglich 10 Kontakte mit anderen. Von einer Person geht ein Gerücht aus. Nach welcher Zeit sind 90% aller Einwohner informiert?

(14)

Starkes Wachstum führt zum Chaos!!

Wir haben oben gesehen, dass im Fall |kRt|<1 das Langzeitverhalten der Lösungen

( )

yn der logistischen Gleichung

( )

wohl bestimmt ist, es gilt nämlich

R n

yn für . Für |kRt|>1 kann

( )

jedoch nicht mehr näherungsweise durch

( )

ersetzt werden. Tatsächlich wird das Langzeitverhalten dieser Systeme mit wachsendem |kRt| zunehmend komplizierter. Wir wollen diesem Seitenpfad ein wenig folgen. Aus

( )

folgt für t=1

( )

(1 )

1 n n n n n

n y ky R y y kR ky

y + = + = + .

Mit den Substitutionen a=1+kR und y a

z= k erhält man daraus die vereinfachte Rekursionsgleichung für die neue Variable z :

) 1

1 n( n

n az z

z + = .

Diese Gleichung heißt ebenfalls logistische Gleichung und sie ist das bevorzugte Übungsgerät der Chaosforscher. Man kann leicht zeigen, dass die quadratische Funktion

( )z az( z)

f = 1 für 0a4 eine Abbildung von

[ ]

0,1 in

[ ]

0,1 ist. Aus z0

[ ]

0,1 folgt daher zn

[ ]

0,1 für alle nN. Der Prozess bleibt also wenigstens beschränkt. Für a>3 wird aber das Langzeitverhalten zunehmend unbestimmter. Die Mengen Aa der möglichen Limespunkte der Folge ( )zn zum Parameter a heißen der Attraktor zum Parameter a, und für a>3 sind diese Mengen „chaotisch“. Der Mathematiker Feigenbaum hat diese Mengen erstmals systematisch untersucht und die nachfolgende Abbildung heißt daher auch Feigenbaum-Diagramm.

(15)

§4 Verzögertes Wachstum

Die Fibonacci-Zahlen: Im Jahr 1202 hat Fibonacci (=Leonardo von Pisa, Sohn des Bonacci) in seinem Buch „Liber abaci“ folgende Aufgabe gestellt:

Ein Kaninchenpaar wirft vom 2. Monat an in jedem Monat ein junges Paar und die Nachfahren verfahren ebenso. Wie viele Kaninchenpaare yn leben nach n Monaten, wenn zu Beginn der Zählung genau ein Paar vorhanden war?

Im Unterschied zu den bisherigen Prozessen treten hier zusätzliche, über zwei Generationen reichende Verzögerungen des Populationswachstums auf. Die früheren Wachstums-gleichungen sind daher nicht zur Beschreibung geeignet. Wir verschaffen uns mittels einer Wertetabelle ein ersten Überblick.

n 0 1 2 3 4 5 6 ....

yn 1 1 2 3 5 8 13 ....

Die auf diese Weise entstandene Folge heißt Fibonacci-Folge. Fibonacci war nun ebenso wie wir an einer expliziten Formel zur Bestimmung der yn interessiert.

Die Modellgleichung:

n n

n y y

y +2 = +1+ . (Fibonacci-Gleichung)

Wir suchen Lösungen dieser Gleichung, die zusätzlich noch die Anfangsbedingungen 1

und

1 1

0 = y =

y erfüllen. FIBONACCI selbst war nicht in der Lage, die Lösung anzugeben. Das gelang erst dem Mathematiker BIZET etwa 500 Jahre später. Wir wollen die BIZETsche Lösung finden.

Ein Ansatz: Da die Fibonacci-Gleichung der Evolutionsgleichung ähnlich sieht, versuchen wir den Ansatz:

n

n q

y =

mit unbestimmtem q. Wir setzen dies in die Fibonacci-Gleichung ein und erhalten nach Division durch qnund Umstellen der Reihe nach die Gleichungen

n n

n q q

q +2 = +1+ ,

(16)

q2 =q1+1, 0

2 q1=

q .

Diese quadratische Gleichung hat die Lösungen

2 5 1 1

4 1 2 1

2 , 1

= ± + +

=

q .

Die Zahl q1 ist übrigens der aus der Antike bekannte Goldene Schnitt, wir kommen darauf zurück. Nach Konstruktion nun sind die Folgen (un) und (vn) mit

n n

n q v q

u = 1 und n = 2

Lösungen der Fibonacci-Gleichung. Nur leider erfüllen sie nicht die Anfangsbedingungen für n=0 und n=1. Nun die entscheidende Beobachtung:

Satz: Für alle Zahlen r,sR ist auch die Folge ( )yn mit yn =run +svn eine Lösung der Fibonacci-Gleichung.

Beweis: Tatsächlich ist

(

n n

) (

n n

)

n n

n n

n r u sv r u u s v v y y

y +2 = +2 + +2 = +1+ + +1+ = +1+ .

Da r und s frei wählbar sind, haben wir eine große Menge neuer Lösungen erhalten. Wir brauchen jetzt die Koeffizienten r und s nur so zu bestimmen, dass y0 = y1 =1 gelten.

Das ergibt das Gleichungssystem

1 1 1 1

2

1 + =

=

+

q s q r

s r

Die Lösungen sind

. 5 2

1 1 5

, 5 2

5 1 1

2 1

2 = + = =

= s r

q q r q

Daraus ergibt sich die Lösung des Originalproblems:

n n

n q q

y 1 2

5 2

1 5 5

2 5

1+ +

= (Formel von BIZET)

Irrationale Zahlen wie 5 wären wohl nicht in der Lösung vermutet worden! Wir untersuchen kurz das Langzeitverhalten der Folge. Es sind

(17)

61 . 2 1

5 1

1 = +

q und 0.62

2 5 1

2 =

q .

Daher gilt q2n 0 für n. Das ergibt

n n

n r q

y 1 0.72(1.61) für große n.

Für große n verhält sich die Fibonacci-Folge also näherungsweise wie die geometrische Folge

( )

q1n mit q1 =Goldener Schnitt. Es gilt also

nlim +1 =q1 1.61 y

y

n

n .

Der Goldene Schnitt ist ein geometrisches Teilungsverhältnis, ästhetisch ansprechend und mit viel Mystik (auch Astrologie) umgeben. Viele Bauwerke sind nach dem Goldenen Schnitt konzipiert. Überraschend, dass die Fibonaccizahlen etwas damit zu tun haben sollen?

Definition: Man sagt, dass eine Strecke der Länge 1+x im Verhältnis des Goldenen Schnittes geteilt, wenn

1

1 x

x x =

+ .

gilt. Die Auflösung nach x ergibt

2 5 , 1

0 1 ,

1 2 1,2

2 = +x x x = x = ±

x . Wir finden

unsere Zahlen q1,2 wieder! Dies ist aber eigentlich nicht so sehr verwunderlich, da es ja nur wenige quadratische Gleichungen mit Koeffizienten 1± gibt! Aus dieser Sicht ist das Phänomen, das die Quotientenfolge der Fibonaccizahlen gegen den Goldenen Schnitt konvergiert, eigentlich gar nicht so überraschend.

Abschließend betrachten wir die folgende Verallgemeinerung der Fibonacci-Gleichung:

Definition: Differenzengleichungen der Form

n n

n ay by

y +2 = +1+

(18)

heißen Lucas-Gleichungen

(

füra2+4b0

)

, und ihre Lösungen werden Lucas-Folgen genannt.

Die für die Fibonacci-Gleichung angewandte Methode lässt sich auch hierauf anwenden.

Gleichungen dieser Form sind Beispiele von Differenzengleichung 2. Ordnung, da sie eine Kopplung der Folgenglieder über zwei Stufen beschreiben.

Zu den Fibonacci-Zahlen und verwandten Dingen gibt es viel schönes Material unter http://www.mcs.surrey.ac.uk/Personal/R.Knott/Fibonacci/fib.html.

Aufgaben

1. Fruchtbare Kaninchen: Wir nehmen an, dass das Elternpaar jeweils zwei Paare Junger gebärt. Welchen Verlauf nimmt die Population dann?

2. Berücksichtigung der Sterberate: Ein Kaninchenpaar wirft vom 2. Monat an in jedem Monat ein junges Paar und die Nachfahren verfahren ebenso. Die Lebensdauer der Kaninchen ist jedoch beschränkt.: In

(

n+2

)

-ten Monat leben alle Kaninchen des Vormonats, während ¼ der Kaninchen des n-ten Monats sterben. Wie viele Kaninchenpaare yn leben nach n Monaten, wenn zu Beginn der Zählung genau ein Paar vorhanden war?

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