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Zwischenmolekulare Kräfte

Im Dokument Grundlagen der Chemie (Seite 74-77)

IV. Die chemische Bindung

4. Zwischenmolekulare Kräfte

Dipol-Dipol-Wechselwirkung und London-Kräfte

Moleküle ziehen sich gegenseitig an. Dies kann man daran erkennen, dass auch molekulare Stoffe bei geeigneten Bedingungen flüssig oder fest vorliegen. Gäbe es keine zwischenmolekularen Kräfte, so müssten molekulare Stoffe bei allen Temperatur- und Druckbedingungen gasförmig sein.

Am leichtesten sind die Dipol-Dipol-Kräfte zu verstehen: Das positive Ende eines Dipols bindet sich an das das negative Ende eines oder mehrerer benachbarter Dipole, wie z.B. in Abbildung 45 angedeutet.

Bei Stoffen, deren Moleküle keine Dipole sind, stellt man sich vor, dass durch vorübergehende ungleichmäßige Verteilungen der Elektronendichte temporäre Dipole entstehen. Diese induzieren in benachbarten Molekülen ebenfalls Dipoleigenschaften. Das negative Ende eines temporären Dipols verdrängt in einem benachbarten Molekül die Elektronen, das positive Ende zieht sie an. Dadurch entstehen kurzzeitig Anziehungskräfte, die kurz darauf wieder verschwinden und dafür an anderer Stelle neu auftauchen. Diese Kräfte nennt man London-Kräfte nach Fritz Wolfgang London (1900 – 1954). Die Stärke der London-Kräfte nimmt zu mit größer werdender Elektronenzahl der Moleküle, da sich in einer großen, leicht polarisierbaren Elektronenhülle leichter Dipole induzieren lassen.

Statt der Anzahl der Elektronen eines Moleküls wird in der Praxis meist vereinfachend die molare Masse betrachtet. Die London-Kräfte, die durch temporäre Dipole zustande kommen, sind nicht so stark wie die Dipol-Dipol-Kräfte aufgrund von permanenten Dipolen, sofern die betrachteten Moleküle nicht stark unterschiedliche molaren Massen haben. Daher schmelzen und sieden Stoffe aus Dipolmolekülen im Normalfall bei höheren Temperaturen als Stoffe, deren Moleküle

vergleichbar schwer sind, aber nicht aus Dipolen bestehen.

Abbildung 43:

Exkurs: Der Begriff der Van-der-Waals-Kräfte

In der chemischen Literatur taucht auch der Begriff der „Van-der-Waals-Kräfte“ auf. Dieser Begriff ist allerdings problematisch, da er nicht einheitlich verwendet wird. In manchen Büchern, vor allem in Schulbüchern, wird mit dem Begriff „Van-der-Waals-Kräfte“ dasselbe gemeint wie oben mit dem Begriff „London-Kräfte“. In anderer Literatur, nämlich eher in der universitären, wird der Begriff „Van-der-Waals-Kräfte“ als Sammelbegriff für

zwischenmolekulare Kräfte verwendet.

Kontrollfrage:

Ordnen Sie den folgenden Stoffen die korrekten Siedetemperaturen zu:

a) Propan, C3H8, b) Ethan, C2H6, und c) Methanal, auch Formaldehyd genannt, H2CO.

Die Schmelztemperaturen in vertauschter Reihenfolge sind: –21°C, –42°C, –89°C.

Wasserstoffbrückenbindung

In Abbildung 46 sind die Siedetemperaturen verschiedener Stoffe bei Normaldruck aufgetragen. Die

untersten Werte gehören zu den Edelgasen der 2. bis 5. Periode, Ne, Ar, Kr und Xe. Alle Stoffe bestehen, da sie atomar vorliegen, selbstverständlich nicht aus Dipolen. Die Anziehungskräfte sind also nur London-Kräfte. Je größer die molare Masse, desto größer die Siedetemperatur. Darüber findet man die Wasserstoffverbindungen der Elemente der 4. Gruppe, CH4, SiH4, GeH4 und SnH4. Da die Moleküle dieser Verbindungen alle symmetrisch sind, handelt es sich ebenfalls nicht um Dipole und es gilt wiederum, dass die Siedetemperatur mit der molaren Masse zunimmt.

Darüber findet man die Wasserstoffverbindungen der Elemente der 5. Gruppe (NH3, PH3, AsH3, SbH3), der 6. Gruppe (H2O, H2S, H2Se, H2Te) und der 7. Gruppe (HF, HCl, HBr, HI). Bei allen drei Reihen erkennt man deutlich, dass die jeweils erste Verbindung (also NH3, H2O, HF) eine

unerwartet hohe Siedetemperatur besitzt. Bei Wasser, H2O, würde man beispielsweise eher eine Siedetemperatur von –80°C statt +100°C erwarten, um eine Gerade durch die

Wasserstoffverbindungen der Elemente der 6. Gruppe zu erreichen. Diese Abweichung liegt teilweise in der Tatsache begründet, dass H2O-Moleküle starke Dipole sind, H2S, H2Se und H2Te jedoch nicht. Die Abweichungen sind aber derart deutlich, dass dafür keine normalen Dipol-Dipol-Bindungen verantwortlich sind, sondern Wasserstoffbrückenbindungen. Sie kommen zustande, wenn ein oder mehrere Wasserstoffatome an ein kleines, stark elektronegatives Atom, nämlich F, O oder N, gebunden sind und es an diesem Atom ein oder mehrere freie Elektronenpaare gibt. Zieht nämlich der elektronegativere Partner das einzige Elektron des Wasserstoffatoms stark an, so liegt dessen positiv geladener Atomkern auf der gegenüberliegenden Seite praktisch „nackt“ vor. Von

Abbildung 46: Einfluss von Wasserstoffbrücken auf die Siedetemperatur

Periode

2 3 4 5

Siedetempe-ratur in °C

–273 –200 –100 0 100

Ne

Ar

Kr

Xe CH4

SiH4 GeH4

SnH4 H2O

H2S H2Se

H2Te HF

HCl HBr

NH3 HI

PH3

AsH3

SbH3

dieser positiven Ladung werden die freien Elektronenpaare eines anderen Moleküls gebunden (siehe Abbildung 47; die gestrichelte Linie symbolisiert die Wasserstoffbrücke, also die Bindung zwischen zwei verschiedenen Molekülen).

Die Wasserstoffbrückenbindungen, die durch an F-Atome gebundene H-Atome zustande kommen, sind die stärksten, gefolgt von denjenigen, die durch an O-Atome gebundene H-Atome zustande kommen. Die Wasserstoffbrückenbindungen bei H-Atomen, die an ein N-Atom gebunden sind, sind relativ schwach, da das N-Atom größer und weniger elektronegativ ist als das O-Atom und

insbesondere das F-Atom. Dennoch ist die Veränderung der Siedetemperatur durch die Wasserstoffbrückenbindung bei H2O stärker als bei HF, da es pro Molekül mehr

Wasserstoffbrücken gibt, da jedes H2O-Molekül zwei H-Atome und und zwei freie Elektronenpaare hat, wogegen bei HF die H-Atome knapp sind (nur eines pro Molekül). Bei NH3 wiederum gibt es zwar pro Molekül drei H-Atome, hier sind aber die freien Elektronenpaare knapp (nur eines pro Molekül).

Zusammenfassung: Schmelz- und Siedetemperaturen

Die höchsten Schmelz- und Siedetemperaturen haben gewöhnlich die Ionenverbindungen. Dabei gilt: Je größer die Ionenladungen und je kleiner die Ionenradien, desto höher die die Schmelz- und Siedetemperaturen.

Von den molekularen Stoffen haben, wenn die molaren Massen etwa gleich groß sind, diejenigen Stoffe, die Wasserstoffbrücken zwischen ihren Molekülen ausbilden, die höchsten Schmelz- und Siedetemperaturen, gefolgt von den Dipolen, die durch Dipol-Dipol-Kräfte zusammen gehalten werden. Zuletzt kommen die Stoffe, die sich aus Molekülen aufbauen, die keine Dipole sind. Hier werden die Moleküle nur durch London-Kräfte zusammen gehalten. Da die London-Kräfte mit der Größe der Elektronenhülle zunehmen, haben von diesen Stoffen diejenigen die niedrigsten

Schmelz- und Siedetemperaturen, welche die wenigsten Elektronen besitzen. Statt der Anzahl der Elektronen betrachtet man meist vereinfachend die molare Masse.

Kontrollfrage:

Ordnen Sie den folgenden Stoffen die richtige Siedetemperatur zu. Begründen Sie Ihre Zuordnung.

Magnesiumoxid MgO, Methanol („Methylalkohol“) H3COH, Ethan C2H6, Natriumchlorid („Kochsalz“) NaCl, Propan C3H8, Methanal („Formaldehyd“) H2CO

Siedetemperaturen: –89°C –42°C 64,5°C ca. 3600°C 1440°C –21°C

Abbildung 47: Wasserstoffbrücken

H F H F H F H F

Im Dokument Grundlagen der Chemie (Seite 74-77)