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Kernkraft und Kernbindungsenergie

Im Dokument Grundlagen der Chemie (Seite 42-47)

III. Der Aufbau der Atome

2. Kernkraft und Kernbindungsenergie

Stabilität von Atomkernen

Alle Atomkerne mit Ausnahme der Wasserstoffatomkerne besitzen mehrere positiv geladene Protonen, die sich gegenseitig abstoßen. Trotzdem bleiben diese Atomkerne zusammen. Es muss also neben der abstoßenden elektrischen Kraft eine anziehende Kraft zwischen den Nukleonen geben. Diese Kraft nennt man Kernkraft, manchmal wird auch der Begriff starke Wechselwirkung verwendet. Obwohl die Kernkraft sehr stark sein muss, bemerken wir im Alltag nichts von ihr.

Daraus lässt sich folgern, dass ihre Reichweite26 sehr gering ist und nicht über die Kerne hinaus reicht. Mit diesem Wissen kann man auch verstehen, warum sehr große Atomkerne, z.B. Urankerne, typischerweise radioaktivem α-Zerfall oder spontaner Spaltung unterliegen: Diese Atomkerne sind größer als die Reichweite der Kernkraft, so dass diese sie nur schlecht zusammenhalten kann.

Exkurs: Die drei Kräfte

Nach heutiger Theorie gibt es drei Arten von Kräften. Alle Kräfte sind also Repräsentanten einer dieser drei

„Grundkräfte“:

1. Die Kernkraft (oder starke Wechselwirkung) mit sehr kurzer Reichweite, aber innerhalb dieser Reichweite sehr großen Stärke. Sie tritt zwischen Nukleonen auf.

2. Die elektrische Kraft (oder elektroschwache Wechselwirkung). Ihre Reichweite ist streng genommen unendlich groß, allerdings nimmt ihre Stärke mit größerer Entfernung stark ab. Es gilt nämlich Fel1

r2 . (Siehe auch den Physikunterricht des 2. Semesters.) Die magnetische Kraft ist eine Abart der elektrischen Kraft.

26 Reichweite: Entfernung, über die man die Wirkung von etwas bemerken kann. Beispiel: Sie versuchen mit der Fernbedienung eines Fernsehgeräts aus 15m Entfernung das Gerät abzuschalten. Es funktioniert nicht, weil die Reichweite der Fernbedienung kürzer ist als 15m.

Abbildung 12: Turiner Grabtuch Abbildung 13.

3. Die Gravitationskraft, die zwischen allen Körper mit Masse wirkt. Sie ist beispielsweise die Ursache, dass alle Dinge auf der Erde „nach unten“ fallen, sie ist auch verantwortlich, dass die Erde von der Sonne angezogen wird und so auf ihrer Bahn bleibt. Die Abhängigkeit der Gravitationskraft vom Abstand ist wie bei der elektrischen Kraft, es gilt also

Fgr1

r2 . (Siehe auch den Physikunterricht des 2. Semesters).

Es könnte sein, dass Sie in älterer Literatur von vier Grundkräften lesen. Dies liegt daran, dass früher die so genannte

„schwache Wechselwirkung“ als eigenständige Kraft gezählt wurde, während man sie heute der elektroschwachen Wechselwirkung zuordnet. Zwischenzeitlich wurde auch eine „fünfte Kraft“ intensiv diskutiert; es ist aber bis heute nicht sicher, ob diese nur in denn Köpfen einiger Wissenschaftler existiert.

Will man einen Atomkern in seine Bestandteile zerlegen, so muss man die Nukleonen gegen die Kernkraft bewegen. Man muss also Energie aufwenden (siehe die Definition von Arbeit und Energie im Physikunterricht des 2. Semesters). Umgekehrt wird Energie frei, wenn ein Atomkern aus einzelnen Nukleonen zusammengesetzt wird. Diese Energie nennt man Kernbindungsenergie.

Nach Albert Einstein (1879 – 1955) ist Masse und Energie dasselbe. Das heißt, setzt man ein Atom aus seinen Bestandteilen zusammen, und es wird dadurch Energie abgegeben, so ist das entstandene Atom ein wenig leichter als die Einzelteile (Protonen, Neutronen und Elektronen), aus denen es zusammengesetzt ist. Aus diesem Massendefekt kann man die Kernbindungsenergie errechnen, wenn man den genauen Zusammenhang von Masse und Energie kennt. Dieser mathematische Zusammenhang ist als Einsteinformel E = mc2 bekannt. Dabei steht E für die Energie in J, m für die Masse in kg und c für die Lichtgeschwindigkeit. Bei der Geschwindigkeit des Lichts ist zu

beachten, dass diese in unterschiedlichen Medien wie Luft, Wasser oder Glas unterschiedlich ist.

Am schnellsten ist das Licht im Vakuum. In der Einsteinformel muss diese

Vakuumlichtgeschwindigkeit eingesetzt werden, die zur Unterscheidung besser mit c0 ausgedrückt wird. Damit lautet die Einsteinformel genau genommen E=mc02 . Es ist c0 = 2,9979·108 m/s, also etwa 300 000 km/s.

Als Beispiel soll nun die Kernbindungsenergie in einem Atom 1735Cl berechnet werden. Ein solches Atom hat eine Masse von 34,969u = 5,8066·10–26 kg. Die Masse von 17 Protonen und 17 Elektronen und 18 Neutronen beträgt 5,8598·10–26 kg (siehe Tabelle 3). Damit beträgt der Massendefekt zu

m=5,8066⋅10−26kg−5,8598⋅10−26kg=−5,32⋅10−28kg . Setzt man dies in die Einsteinformel ein, so ergibt sich für die Kernbindungsenergie

Eb=m c02=−5,32⋅10−28kg⋅2,9979⋅108m s 

2

=−4,78⋅10−11J . Statt der Einheit Joule ist in der Kernchemie die Energieeinheit Megaelektronenvolt MeV üblich. Zur Herkunft des Namens dieser Energieeinheit sei, mal wieder, auf den Physikunterricht des 2. Semesters verwiesen. Es gilt: 1 MeV = 1,602·10–13 J. Somit ergibt sich die Bindungsenergie eines Atoms 1735Cl in dieser Einheit zu –298 MeV. Interessant ist Kernbindungsenergie pro Nukleon. Es ergibt sich

Eb

A=−298 MeV

35 =−8,5 MeV .

Exkurs: Naturkonstanten und moderne Taschenrechner

Die obigen Rechnungen sind etwas mühsam in den Taschenrechner einzutippen. Allerdings „kennt“ Ihr

Taschenrechner alle für diese Rechnung wichtigen Zahlenwerte, nämlich die Masse von Proton, Neutron und Elektron, die Umrechnung von u in kg und die Vakuumlichtgeschwindigkeit. Diese Werte lassen sich jeweils durch eine Kombination von zwei Tasten abrufen. Wie es jeweils genau geht, ist von Taschenrechnermodell zu

Taschenrechnermodell verschieden. Sie müssen daher die Bedienungsanleitung Ihres Taschenrechners studieren.

Kontrollfragen:

Wie groß ist die Kernbindungsenergie beim Kern eines H11 −Atoms ?

Berechnen Sie die Kernbindungsenergie pro Nukleon bei einem 23592U−Atom . Es hat eine Masse von 235,044 u.

InAbbildung 1327 ist die Kernbindungsenergie pro Nukleon dargestellt in Abhängigkeit der Massenzahl A. Man erkennt, dass die Kernbindungsenergie pro Nukleon am kleinsten

(betragsmäßig am größten) ist für mittelschwere Atome. Zerlegt man ein schweres Atom, z.B. ein Uran-Atom, in mehrere mittelschwere Atome, so wird dabei Energie frei. Diesen Vorgang nennt man Kernspaltung oder Kernfission. Die Kernspaltung wird in Kernkraftwerken und

„Atombomben“ genutzt.

Exkurs: Die Entdeckung der Kernspaltung

Im Dezember 1938 konnte der Chemiker Otto Hahn (1879 – 1968) zusammen mit seinem Assistenten Fritz Straßmann (1902 – 1980) in einer mit Neutronen bestrahlten Probe von Uran Spuren von Barium nachweisen. Hahn vermutete, dass Uranatome durch die Bestrahlung „zerplatzen“ und dabei das Barium entsteht. Er teilte seine Entdeckung per Brief seiner langjährigen Mitarbeiterin, der Physikerin Elise („Lise“) Meitner (1878 – 1968) mit, die kurze Zeit vorher aufgrund ihrer jüdischen Abstammung aus Nazi-Deutschland nach Schweden geflohen war, und fragte sie, ob diese Erklärung richtig sein kann. Meitner veröffentlichte nach weiteren Experimenten 1939 zusammen mit ihrem Neffen, dem Physiker Otto Robert Frisch (1904 – 1979) eine Arbeit, in der sie die Theorie von der „Kernspaltung“ theoretisch begründen konnte. 1945 wurde Otto Hahn für die Entdeckung der Kernspaltung mit dem Nobelpreis für Chemie des Jahres 1944 geehrt, der wegen des 2. Weltkriegs nicht pünktlich vergeben werden konnte. Die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees, Elise Meitner leer ausgehen zu lassen, gab Anlass zu Kritik.

27 Für die Erstellung des Diagramms wurde von jedem Element ein Isotop ausgewählt, im Normalfall das in der Natur häufigste oder das stabilste. Wählt man andere Nuklide aus, so sieht die Kurve in Details anders aus.

Abbildung 13: Kernbindungsenergie pro Nukleon als Funktion der Massenzahl

0 50 100 150 200 250 300

-10 -9 -8 -7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 0

Masse in u Wb pro Nukleon in MeV E b

Kernspaltung

Natürliches Uran besteht vorwiegend aus dem Isotop 23892U , das relativ schwer zu spalten ist.

Leichter zu spalten ist das Isotop 23592U . Für kerntechnische Anwendungen muss der Anteil an

92U

235 daher üblicherweise vergrößert werden. Diesen Vorgang nennt man Anreicherung. Da sich die verschiedenen Uran-Isotope nicht chemisch, sondern nur durch ihre Masse unterscheiden und dies auch nur um weniger als 1,3%, ist die Anreicherung ein komplizierter Vorgang, der

ausgefeiltes technisches Gerät erfordert. Daher wird die Verbreitung von Kernwaffen vor allem dadurch eingeschränkt, dass nur wenige Länder die technischen Möglichkeiten besitzen, Uran anzureichern. Geräte zur Anreicherung von Uran unterliegen strengen Exportbeschränkungen.

Spaltbare Atome, z.B. 23994Pu werden dadurch gespalten, dass man sie mit Neutronen beschießt.

Bei der Spaltung entstehen weitere Neutronen. Die Spaltung kann beispielsweise folgendermaßen erfolgen: 23994Pu01n14456Ba3894Sr2 n01 . Die entstehenden Neutronen können dazu verwendet werden, weitere Atome zu spalten. Bei einem Kernkraftwerk muss man erreichen, dass durch die bei der Spaltung eines Atoms entstandenen Neutronen im Durchschnitt wieder genau ein weiteres Atom gespalten wird, so dass die Kettenreaktion kontrolliert mit konstanter Geschwindigkeit abläuft, siehe Abbildung 14.

Bei einer „Atombombe“ muss ein gespaltenes Atom im Durchschnitt mehr als ein weiteres Atom zur Spaltung bringen, damit es zur Explosion kommt, siehe Abbildung 15.

Wie die Kettenreaktion abläuft, hängt ab von

der Menge des spaltbaren Materials

der geometrischen Anordnung des spaltbaren Materials

der Anwesenheit von Stoffen, die Neutronen absorbieren und

der Anwesenheit von Stoffen, die Neutronen abbremsen (sogenannte Moderatoren), da die meisten spaltbaren Atome leichter durch langsame als durch schnelle Neutronen gespalten werden können. Typische Moderatoren sind Wasser, schweres Wasser oder Grafit (Kohlenstoff).

Neutronenabsorber und Moderatoren werden in Kernkraftwerken zur Steuerung benutzt.

Abbildung 14: Kontrollierte Kettenreaktion im Kernkraftwerk

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Abbildung 15: Kettenreaktion bei einer "Atombombe"

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4 n01

Exkurs: Vor- und Nachteile der Kernenergie

Beim Betrieb eines Kernkraftwerks entstehen weder das Treibhausgas Kohlendioxid, noch andere Luftschadstoffe. Die Energiedichte von Uran ist sehr hoch, das heißt, ein relativ kleines Uranlager enthält mehr Energie als ein

vergleichbares Lager eines fossilen Brennstoffs, z.B. Kohle. Auf der anderen Seite sorgt ein Unfall in einem Kernkraftwerk für eine verheerende radioaktive Verseuchung. Ein Unglück vergleichbar wie jenes 1986 im Reaktor Tschernobyl würde in der dicht besiedelten Bundesrepublik Deutschland noch weit schlimmere Folgen haben. Im Normalbetrieb produziert ein Kernkraftwerk etwa 3 mg radioaktiven Abfall pro erzeugter Kilowattstunde elektrischer Energie. Dies macht für einen typischen deutschen Haushalt mit einem jährlichen Verbrauch von

4000 Kilowattstunden also 12 g radioaktiven Abfall im Jahr, wenn die gesamte elektrische Energie aus Kernenergie stammen würde. Die sichere Lagerung des Abfalls stellt ein Problem dar.

Kernfusion

Viel mehr Energie kann man gewinnen, wenn man sehr leichte Atomkerne z.B. des Wasserstoffs, miteinander verschmilzt, da die Kurve in Abbildung 13 hier sehr steil ist. Diesen Vorgang nennt man Kernfusion. Die Kernfusion ist die Energiequelle der Sonne und aller anderen Sterne. Die Wasserstoffbombe beruht ebenfalls auf dem Prinzip der Kernfusion.

An der Nutzung der Kernfusion zur Stromerzeugung wird intensiv geforscht. Gelänge es, Kraftwerke mit Fusionsreaktoren zu bauen, so wären die Probleme der Energieversorgung weitgehend gelöst. Allerdings wurden die Schwierigkeiten stets unterschätzt und auch heute ist nicht absehbar, ob und wann Kernfusion zur Stromerzeugung genutzt werden kann. Um zwei Atomkerne miteinander zu verschmelzen, müssen sie mit extrem hohen Geschwindigkeiten aufeinander geschossen werden, da zunächst die abstoßenden elektrischen Kräfte überwunden werden müssen, bis die Kerne sich schließlich so weit genähert haben, dass die anziehende

Kernkraft wirksam wird. Diese Geschwindigkeiten werden z.B. in der Sonne durch die große Hitze (mehrere Millionen Kelvin) erreicht. Es gibt aber keinen Werkstoff, aus dem man auf der Erde einen Fusionsreaktor bauen könnte, der diesen Temperaturen standhalten könnte. Man versucht daher, das zu verschmelzende Material durch elektrische und magnetische Felder „festzuhalten“.

e-DaF: Passiv/Partizip 2 mit Wortschatz aus dem Bereich Kernenergie.

Exkurs: Herkunft der Elemente

Nach dem Urknall28 vor ca. 14 Milliarden Jahren waren alle Atome des Universums Wasserstoffatome. In Sternen werden Wasserstoffatome zu Heliumatomen fusioniert. Wenn der Wasserstoff des Sterns zu Neige geht, so zündet die Heliumfusion, bei der schwerere Atome wie Kohlenstoff und Sauerstoff erzeugt werden. Bei sehr massereichen Sternen können diese durch weitere Kernreaktionen zu noch schweren Atomen bis hin zu Eisenatomen (Massenzahl ca. 56, je nach Isotop leicht unterschiedlich) fusioniert werden. Dabei wird soviel Energie frei, dass diese Atome unter Energieverbrauch (siehe Abbildung 13) zu den übrigen, noch schwereren Atomen fusioniert werden. Wenn der Stern dann als Supernova explodiert, so werden diese schweren Atome ins Weltall geschleudert. Aus solchen

Hinterlassenschaften einer Supernova hat sich vor ca. 4,6 Milliarden Jahren unsere Erde gebildet, die, gemessen an den Durchschnittswerten des Universums, einen sehr hohen Anteil schwerer Atome besitzt.

28 englisch: the big-bang, französisch: le Big Bang

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