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Zweckorientierter Unterricht mit konkreten eigenen Produkten

4.2 Methodische Überlegungen bzgl. der Unterrichtseinheit „Programmieren“

4.2.1 Zweckorientierter Unterricht mit konkreten eigenen Produkten

Systemkonfigurationen sind per Definition zweckorientiert. In Kapitel 2 wurde gezeigt, dass eine detaillierte Spezifikation als Endzustand oder Aufgabe vorliegen muss und das System, in dem diese Aufgabe platziert ist, intuitiv erfassbar sein muss. Die Schülerinnen und Schüler konfigurieren das System für den angegebenen Zweck und nutzen dabei die in Kapitel 3 angegebenen

Abbildung 34: Aussage einer Schülerin zur Fehlersuche

Beschreibungsmittel. Am Ende steht ein konkretes Produkt.

Beispiel 34:

Die Autorin konnte folgende Beobachtung in einer Grundschule machen, die bereits ab der ersten Klasse den Computer einsetzt: Die Schülerinnen und Schüler arbeiten dort mit einer Software, die sich „Lernwerkstatt“ nennt. Dort kann man zwischen mehreren Programmen auswählen. Wählt der Lernende z. B. das Programm „Rechnen“, dann erscheinen Rechenaufgaben, die der Lernende lösen muss. Die Schülerinnen und Schüler erhalten sofort eine positive oder negative Rückmeldung.

Überspitzt kann man diese Lernmethode folgendermaßen charakterisieren: „Der Computer weiß alles. Die Schülerinnen und Schüler nicht.“

Im Gegensatz dazu verwenden Schülerinnen und Schüler zum Programmieren oder zur Konfiguration technischer Systeme den Computer als Werkzeug. Der Rechner führt dabei die Befehle der Lernenden aus und dient als Befehlsempfänger. In diesem Kontext „wissen die Schülerinnen und Schüler alles, nämlich wie das System zu konfigurieren ist, und der Computer weiß nichts“.

Die Schülerinnen und Schüler müssen den Computer als Werkzeug nutzen, ihre eigenen Ideen umzusetzen. Aber nicht nur dieser Aspekt „entthront“ den Rechner. Das System steht im Mittelpunkt des Interesses, und hier sollten Systeme gewählt werden, die nicht nur virtuell, sondern real sind. Ein Beispiel für solch ein System ist die LEGO-Mindstorms-Umgebung, die in Kapitel 3.5.2.2 vorgestellt wurde. Konfigurieren die Schülerinnen und Schüler das LEGO-System, dann tut sich etwas, es bewegt sich etwas, es werden immer funktionierende lauffähige Produkte erzeugt, was Produktstolz unabhängig vom Urteil des Lehrenden hervorruft. Ein weiteres Beispiel ist das PuMa-System, das in Kapitel 5 näher vorgestellt werden wird. Die Schülerinnen und Schüler, die im Anschluss an die Unterrichtseinheit PuMa ihr Puppenhaus den Eltern vorgestellt und die Konfigurationen erläutert haben, haben den Computer und die benutzte Software mit keinem Wort erwähnt. Der Rechner war nur Mittel zum Zweck, ihre Konfiguration geeignet darzustellen und dem System bekannt zu geben. In der Lernumgebung Kara dient der Computer hingegen nicht nur zur Darstellung der Konfiguration, sondern simuliert gleichzeitig das System mit seinen Eingaben und Ausgaben.

Reale technische Systeme zu konfigurieren lässt den Computer also sinnvoll aus dem Blickpunkt des Interesses verschwinden. Diese zweckorientierte Vorgehensweise ist Leitidee in der Technikdidaktik (vgl. dazu Hartmann, Kussmann, Scherweit 2008), der Informatik als ein Fach mit technischem Bezug entspricht.

Nach Meinung der Autorin ist für Schülerinnen und Schüler das Erzeugen konkreter eigener Produkte wie z. B. einer Alarmanlage im Puppenhaus (siehe Kapitel 5) oder ein Strichcodescanner mit LEGO eine wichtige Erfahrung, gerade in der Sekundarstufe I. Denn nur durch das Sammeln vieler unterschiedlicher konkreter Erfahrungen kann sich eine Basis entwickeln, auf deren Grundlage ein Lernender später Probleme einordnen, klassifizieren und reflektieren kann.

Für die Autorin stellen sich die Unterschiede zwischen einem Unterricht in der Sekundarstufe I und Oberstufe ganz allgemein folgendermaßen dar:

Sekundarstufe I Sekundarstufe II

Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I müssen im Informatikunterricht eigene Algorithmen entwerfen, Fehler machen und eigene Strategien entwickeln. Sie müssen selbstständig program-mieren, um dann in der Oberstufe über die Eigenschaften von Algorithmen nachdenken zu können.

Nur mit einem Erfahrungsschatz und der nötigen Reife zur Abstraktion und Reflexion kann der Lernende in der Oberstufe z. B. über die Komplexität oder die Korrektheit von Algorithmen reden.

Beispiel 35:

Eine in der Mittelstufe erfolgreich eingesetzte Unterrichtssequenz „Datenbanken“ (Bartels 2009) sieht vor, dass die Lernenden konkrete SQL-Anfragen an eine bestehende Datenbank „Welt“ stellen.

Die Lernenden müssen die Berge nach ihrer Höhe ordnen, die größten Städte der Welt nach Einwohnerzahl auflisten oder die fünf längsten Flüsse anzeigen. In der Oberstufe können die Erfahrungen im Umgang mit Datenbanken und Datenbankabfragen dann in eine Modellierung einer eigenen neuen Datenbank einfließen, oder die Grundstruktur von SQL-Kommandos kann in einem Syntaxdiagramm formuliert werden.

Reflexion der gemachten Erfahrungen.

Abstraktion, Strukturierung, Analyse und Bewertung

der Verfahren und Vorgehensweisen.

vom Konkreten zum Abstrakten

Selbstständig konkrete Erfahrungen sammeln.

Beginn einer Strukturierung

Beispiel 36:

In der Mittelstufe erzeugen Schülerinnen und Schüler gerne eigene Geheimtexte für ihre Klassenkameraden mit Stift und Papier. Sie versuchen monoalphabetische Verschlüsselungen zu knacken, indem sie Geheimbuchstaben zählen und entsprechend den Häufigkeiten im deutschen Alphabet ersetzen. Oberstufenschüler können mit dem Erfahrungsschatz über sprachliche Redundanzen auch über polyalphabetische Verschlüsselungen nachdenken und die mathematischen Grundlagen z. B. des Friedmann-Tests durchdringen.

Beispiel 37:

Ein Mittelstufenschüler sollte konkrete Produkte erzeugen, z. B. eine Rechenschaltung mithilfe digitaler Elektronikbausätze zusammenstecken und sich dabei mit Kabelbrüchen und zu niedrigen Spannungen auseinandersetzen, während ein Oberstufenschüler das Abstraktionsniveau erreicht hat, z. B. programmierbare Schaltwerke zu modellieren und zu entwickeln.

Diese Trennung gilt aber nicht nur für die Sekundarstufe I und II. Auch Unterricht in der Sekundarstufe I sollte nach Meinung der Autorin entsprechend dem Schema den Schülerinnen und Schülern zunächst ohne lange Lehrervorträge und Erarbeitungsphasen konkrete Erfahrungen ermöglichen. Dies sollte in ganz unterschiedlichen Lernumgebungen geschehen, die semantisch äquivalent sind. Aufgrund der vielfältigen Erfahrungen sind die Schülerinnen und Schüler anschließend in der Lage, durch einen Vergleich der Gemeinsamkeiten der Lernumgebungen die Grundideen und Grundbausteine z. B. von Algorithmen zu identifizieren. Diese Grundlagen können dann sinnvoll systematisiert werden. Dieser Aspekt unterstützt wieder das zweckorientierte Schema.

Unterrichtserfahrungen der Autorin zeigen, dass Schülerinnen und Schüler den Zweck einer Systematisierung nach einer Phase eigenen Ausprobierens als sinnvoll empfinden. Kapitel 6 beschreibt eine Unterrichtssequenz, die nach diesem Schema aufgebaut ist.