• Keine Ergebnisse gefunden

Erkenntnisse aus der Mathematikdidaktik

4.1 Methodik zum Erarbeiten der Systemkonfigurationen

4.1.2 Erkenntnisse aus der Mathematikdidaktik

Die Mathematikdidaktikerin Regina Bruder schreibt: „Es werden im Folgenden acht Aufgabentypen vorgestellt, die sich aus unterschiedlicher Bekanntheit von Anfangs- und Zielsituation und möglichen Lösungswegen ergeben – das sind die drei Komponenten, mit denen jede Aufgabe in ihrer Struktur beschrieben werden kann. Unter den Komponenten einer Aufgabe sollen hier verstanden werden:

1. die Anfangssituation: Voraussetzungen, gegebene Größen, Informationen zu einem Sachverhalt o. Ä.

2. Transformationen, die die Anfangssituation in die Endsituation überführen bzw. die von dem Gegebenen zum Gesuchten hinführen: Lösungsweg(e), mathematische Modelle, Beweiskette …

3. Die Endsituation: Gesuchtes, Behauptung, Schlussfolgerungen, Resultate usw.“

(Bruder, Leuders, Büchter 2008).

Die in Abbildung 28 angegebenen acht Aufgabentypen entstehen, „wenn man alle Möglichkeiten durchspielt, ob die drei Komponenten einer Aufgabe jeweils bekannt/vorgegeben/verfügbar sind (X) oder nicht (-)“ (Bruder, Leuders, Büchter 2008).

Abbildung 28: Acht zentrale Aufgabentypen für nachhaltiges Lernen mit Beispielen (aus Bruder, Leuders, Büchter 2008)

In einem typischen Mathematik-Schulbuchwerk der Sekundarstufe I (Lambacher Schweizer 2006) findet man in jedem Kapitel ein gleiches Vorgehensschema. Einleitend wird an einem Problem ein neuer Lösungsweg für einen neuen Aufgabentyp vorgestellt. An ein bis zwei Beispielen wird dieser neue Lösungsweg dann zunächst beispielhaft an einer Aufgabe vorgeführt.

Beispiel 31:

In Beispiel 31 finden wir eine Aufgabe, in der sowohl die Anfangssituation als auch die Transformation und Endsituation beschrieben sind. Nach Bruder (Bruder, Leuders, Büchter 2008) handelt es sich hier um eine „gelöste Aufgabe“ oder „Musteraufgabe“.

Anschließend folgt in diesem Buch (Lambacher Schweizer 2006) ein Block von Aufgaben, in dem dieser neue Lösungsweg geübt werden soll, siehe Beispiel 32. Charakteristisch ist, dass jeweils der Startzustand gegeben ist. Da ja der neue Lösungsweg dieser Einheit geübt werden soll, ist die Transformation damit ebenfalls vorgegeben. Die Schülerinnen und Schüler sollen jetzt mit dieser Transformation und der gegebenen Anfangssituation das Ergebnis, das Ziel, berechnen. Nach Bruder (Bruder, Leuders, Büchter 2008) handelt es sich dabei um eine „einfache Bestimmungsauf-gabe“.

Abbildung 29: gelöste Beispielaufgabe (aus Lambacher Schweizer 2006)

Beispiel 32:

Die Aufgaben sind natürlich unterschiedlich komplex, teilweise anwendungsorientiert, aber durch die Gliederung der Kapitel immer dem neu zu erlernenden Aufgabentyp des jeweiligen Kapitels zugeordnet. Für einen Großteil der Aufgaben einiger Schulbücher im Mathematikunterricht der Sekundarstufe I gilt also, dass den Schülerinnen und Schülern bei der Suche nach einem Ergebnis die anzuwendende Transformation bekannt ist.

Verfolgt man die aktuelle Diskussion der Mathematikdidaktik, dann besteht eine Forderung nach mehr offenen Aufgaben im Unterricht. Offene Aufgaben sind dabei so zu verstehen, dass Schülerinnen und Schüler vor ein Problem gestellt werden, das auf unterschiedliche Weise gelöst werden kann und bei dem es oft mehr als eine „richtige“ Lösung gibt. Die Transformation, die Anfangssituation und auch das Ergebnis sind nicht gegeben und müssen von den Lernenden gefunden werden.

Beispiel 33 zeigt eine sogenannte offene Aufgabe (aus Herget, Jahnke, Kroll 2008).

Wilfried Herget (Herget, Jahnke, Kroll 2008) schreibt dazu: „Das Zeitungsfoto mit dem Riesen-schuh dient als Auslöser für die Frage: „Welche Schuhgröße hat dieser RiesenRiesen-schuh?“ Eine solche Aufgabe ist ungewohnt und es ist immer sehr spannend, welche verschiedenen Lösungswege dazu gefunden werden.“

Solche Aufgabenstellungen und Vorgehensweisen sind aber bislang nur sehr vereinzelt bis gar nicht in den aktuellen Schulbüchern zu finden.

Abbildung 30: einfache Bestimmungsaufgabe (aus Lambacher Schweizer 2006)

Beispiel 33:

Der aktuelle Mathematikunterricht ist somit davon gekennzeichnet, dass größtenteils Aufgaben mit bekannter Transformation gestellt werden. Diese Aussage wird auch durch die Arbeiten von Johanna Neubrand unterstützt. Sie klassifiziert (Neubrand 2002) ebenfalls die Aufgabentypen im Mathematikunterricht:

Abbildung 32: Unterschiedliche Aufgabenarten im Mathematikunterricht (aus Neubrand 2002)

Abbildung 31: Beispiel einer offenen Aufgabe (aus Herget, Jahnke, Kroll 2008)

Unter Aufgabenart 3 (Beweisaufgaben) finden wir in Abbildung 32 die Analogie zur Aufgabe bei Bruder (Bruder, Leuders, Büchter 2008), wo Anfangs- und Endzustand gegeben sind und eine Transformation gefunden werden muss, die den Anfangszustand in den Endzustand transformiert.

Johanna Neubrand hat Unterrichtssituationen in Deutschland, den USA und Japan untersucht und kommt zu folgendem Resultat:

In Deutschland finden wir demnach überwiegend Aufgabenstellungen, die im Bruder´schen Schema denen entsprechen, deren Transformation bekannt ist, wie Abbildung 33 zeigt. Außerdem sind nur ungefähr 1% der Aufgaben im Mathematikunterricht in Deutschland Beweisaufgaben, also solche, bei der die Transformation gesucht werden muss.

Das Finden einer Systemkonfiguration im Programmierunterricht „für Alle“ ist in Kapitel 2 als das Finden einer Funktion oder Transformation definiert worden, die Eingabewerte auf Ausgabewerte abbildet. Um die Funktionsweise technischer Systeme zu modulieren, muss nach den Überlegungen aus Kapitel 2 ein Endzustand des Systems detailliert spezifiziert und gegeben sein. Meist sind in den Aufgaben (siehe Beispiel 26) auch Anfangssituationen gegeben. Nach dem Bruder´schen Schema ergibt das die folgende Konstellation:

Abbildung 33: Verteilung der verschiedenen Aufgabenarten im Unterricht in Deutschland, den USA und Japan (aus Neubrand 2002)

Gegebenes Transformation Gesuchtes Bezeichnung des Aufgabentyps X - X Beweisaufgabe, Spielstrategie finden Tabelle 4: Einordnung der Aufgabe, eine Systemkonfiguration zu finden, gemäß Bruder

Also einen Aufgabentyp, der als Beweisaufgabe nach Neubrand (Neubrand 2002) eingestuft wird und in Deutschland nach Abbildung 33 im Mathematikunterricht bislang kaum zu finden ist.

Das eigenständige Suchen einer Systemkonfiguration erweitert das Spektrum der den Schülerinnen und Schülern gestellten Aufgabentypen und eröffnet ihnen ein Übungsfeld, das z. Zt. durch den Mathematikunterricht nur unzureichend abgedeckt ist.

Damit zeigt diese Arbeit, dass gerade die eigenständige Algorithmensuche die Anforderungen an die kognitiven Leistungen der Schülerinnen und Schüler tatsächlich um einen neuen wesentlichen Aspekt erweitert, der im bisherigen Unterricht anderer Fächer wenig Beachtung findet. Ein Unterricht im Programmieren „für Alle“ ist dann besonders sinnvoll, wenn Kompetenzen vermittelt werden, die in anderen Schulfächern oder Unterrichtseinheiten in dieser Form kaum zu finden sind.

Die Strategie der „Dekonstruktion von Systemen“ kann in das Bruder´sche Schema auch eingeordnet werden. Beim Nachvollziehen fertiger Programme sind Anfangssituation, Transformation und Endsituation gegeben. Nach dem Bruder´schen Schema ergibt das eine Konstellation wie folgt:

Gegebenes Transformation Gesuchtes Bezeichnung des Aufgabentyps X X X Gelöste Aufgabe, Musteraufgabe Tabelle 5: Einordnung der Strategie „Dekonstruktion von Systemen“ nach Bruder

Die Klasse von Aufgaben gehört nach Bruder zu den „einfachen Aufgaben“ und damit Aufgaben, die gehäuft im bisherigen Mathematikunterricht in Deutschland zu finden sind, siehe (Neubrand 2002). Damit ist der Ansatz der „Dekonstruktion von Systemen“ sinnvoll, weil er einen Unterricht

„für Alle“ ermöglicht. Der Anspruch einer eigenständigen Algorithmensuche scheint sehr hoch zu sein, da die Unterrichtserfahrung zeigt, dass viele Schülerinnen und Schüler hier scheitern, obgleich sie in anderen Themengebieten der Informatik erfolgreich mitarbeiten. Nach einigen Beschränkungen der Kapitel 2 und 3, die im folgenden nochmals aufgeführt werden, ist der Weg der eigenständigen Algorithmensuche aber gangbar, wie Unterrichtserfahrungen zeigen.

Zusammenfassend lässt sich Folgendes resümieren: Nach Meinung der Autorin müssen Schülerinnen und Schüler die der Aufgabenstellung entsprechenden Systemkonfigurationen

technischer Systeme eigenständig entwickeln. Es ist eine Anforderung an die Art der Aufgaben, das möglich zu machen. Darauf wird in Kapitel 5 wieder Bezug genommen, wenn die Art der Aufgaben bei Systemkonfigurationen klassifiziert wird. Zwei didaktische Entscheidungen früherer Kapitel ermöglichen die Methode der selbstständigen Algorithmensuche:

1. Ein Ergebnis aus Kapitel 2 ist die Forderung, bei der Beschreibung von Systemkonfigurationen Funktionen beliebig kombinieren zu können, wobei jede Kombination zu einem lauffähigen, wenn auch „falschen“ Ergebnis führt. Da die Anzahl der Funktionen begrenzt ist, können insbesondere schwächere Schülerinnen und Schüler, die Schwierigkeiten mit der gewünschten analytischen Problemlösung haben, auch mit einfachem Experimentieren zu Ergebnissen kommen.

2. Ein Ergebnis aus Kapitel 3 ist die Forderung nach graphischen Programmierumgebungen, in denen keine Syntaxfehler produziert werden können. Damit wird eine eigenständige Algorithmensuche vereinfacht, weil die Schülerinnen und Schüler nicht erst überlegen müssen, ob es sich um syntaktische oder logische Fehler handelt.

Für eine erfolgreiche eigenständige Konfigurationssuche ist der Umgang der Schülerinnen und Schüler mit Fehlern von entscheidender Bedeutung. Deshalb widmet sich der nächste Abschnitt diesem Aspekt.