2. Methodik
2.1 Das Screening für Somatoforme Störungen des Kindes- und Jugendalters SOMS-KJ . 42
2.1.5 Zusatzfragen des SOMS-KJ
urogenitalen und sexuellen Bereich, neun Items aus dem gastrointestinalen Bereich, vier Items aus dem kardiorespiratorischen Bereich und ein Item aus dem Bereich Schmerz. Über die Symptomliste des SOMS-2 hinaus wurden zusätzlich zwei Schmerzsymptome und sieben pseudoneurologische Beschwerden genannt, die gemäß der durchgeführten Aktenanalyse bei Kindern und Jugendlichen eine bedeutende Rolle spielen. Aus dem Bereich der Schmerz-beschwerden wurden neun für Kinder und Jugendliche bedeutsame Symptome in die Liste aufgenommen werden, die in der ICD-10 größtenteils gar nicht und im DSM-IV nur teilweise aufgelistet sind. Weiterhin wich die Anzahl zusätzlicher pseudoneurologischer Symptome vom SOMS-2 ab.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass unsere neu erstellte Symptomliste in großen Anteilen mit weiteren, auf das Kindes- und Jugendalter angepassten Beschwerdelisten aus anderen Studien (5, 29, 145) übereinstimmt.
Minimalnennung <1 Monat gewählt, wohingegen im SOMS-2 die kürzeste Dauerangabe bei unter 6 Monaten liegt.
Zusätzlich berücksichtigt wurde das Quantifizierungs-Inventar für Somatoforme Syndrome (QUISS) (12); daraus wurden weitere sechs Fragen zur Lebensqualität und zu krankheits-relevantem Verhalten übernommen. Das QUISS stellt ein Untersuchungsmedium zur Verlaufsdiagnostik bei Patienten mit somatoformer Störung dar, um eine Einschätzung des Schweregrades der bereits diagnostizierten somatoformen Störung sowie des therapeutischen Outcomes zu erhalten. Die Intention des QUISS ist nicht das Screening zur Identifizierung von Patienten mit der Verdachtsdiagnose „Somatoforme Störung“. Deshalb wurden nur einzelne Fragen des QUISS im SOMS-KJ übernommen. In der QUISS-Studie (12) wird aber betont, dass für die Evaluierung somatoformer Syndrome nicht nur die Anzahl von Symptomen von Bedeutung sind, sondern vor allem typische Verhaltensaspekte der Patienten wie z.B. das mangelnde Vertrauen in den eigenen Körper und seine Gesundheit, Alltags-sorgen, körperliche Überempfindsamkeit, ein spezifisches Krankheitsverhalten und die Über-beanspruchung des Gesundheitssystems (12). Aus diesem Grunde bot auch das QUISS eine gute Orientierungshilfe bei der Gestaltung des SOMS-KJ.
Im Detail behandeln die Zusatzfragen folgende Inhalte (siehe auch im Anhang): Die Fragen 1 und 2 befassen sich mit der Frage nach der allgemeinen körperlichen Gesundheit und die Sorge um diese, noch unbeeinflusst durch die nachfolgende umfangreiche Symptomliste. Die Frage 4 bezieht sich auf die Beeinträchtigung des Wohlbefindens durch die angegebenen Symptome, d.h. hier wird versucht, einen möglichen Zusammenhang zwischen Beschwerde(n) und Befindlichkeit herzustellen. Die Fragen 5 bis 8 umfassen die Beeinträchtigung der Lebensqualität in Bezug auf den Tagesablauf, die Schule, die Freizeit-aktivitäten und die Familie. Frage 9 versucht, den Patienten bezüglich eines möglichen sekundären Krankheitsgewinns zu untersuchen. Wie im multiaxialen Klassifikationsschema der ICD-10 für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter beschrieben, besteht bei somatoformen Störungen häufig ein aufmerksamkeitssuchendes, histrionisches Verhalten (55). Diesen Aspekt bestätigt die Feststellung von Wooley et al. (149), wonach das Phänomen des sekundären Krankheitsgewinns auf sozialer und familiärer Verstärkung des Symptoms und auf einer damit verbundenen Suche nach Aufmerksamkeit beruht.
Frage 10 und 11 sowie 14 bis 17 behandeln krankheitsspezifische Verhaltensweisen und typische Einstellungen, welche charakteristisch für Patienten mit somatoformen Störungen sind. Dazu gehören Punkte wie z.B. der ständige Wunsch nach somatischen Untersuchungen, das „doctor shopping“ mit häufigen und wechselnden Arztbesuchen, der Wunsch nach neuen
Untersuchungsmethoden, obwohl der Arzt bereits mehrfach bestätigt hat, dass keine organische Ursache vorliegt und das Gefühl, vom Arzt und dem Umfeld nicht ernst genommen zu werden. Frage 12 und 13 behandeln ausschlaggebende Kriterien der somato-formen Störung: Die Frage nach einer organpathologischen Ursache für die Erkrankung sowie die hartnäckige Weigerung, die Versicherung der Ärzte anzunehmen, dass keine für die Symptomatik ursächliche körperliche Erkrankung zu finden ist (53). Die Frage nach Medika-menteneinnahme (Frage 17) kann einen weiteren Hinweis auf die Schwere der bereits voran-geschrittenen Problematik sowie die bisherigen therapeutischen Ansätze geben. Frage 18 berücksichtigt die Dauer der Beschwerden. Zuletzt sind differentialdiagnostische Fragen angefügt, die sich aufteilen in Panikattacken, Hypochondrie und Dysmorphophobie (Frage 19 – 21). Diese orientieren sich ebenfalls am SOMS-2, wurden aber für die Anwendung im Kindes- und Jugendalter modifiziert.
Tabelle 5 zeigt die im SOMS-KJ aufgeführten modifizierten Zusatzfragen zur Lebensqualität, krankheitstypischen Verhaltensweisen und Einstellungen sowie zu weiteren diagnostischen Kriterien im Vergleich zum SOMS-2 (11) und QUISS (12, 40). Im SOMS-KJ entsprechen diese den Fragen 4 bis 8 sowie 10 bis 18; Frage 9 wurde neu hinzugefügt.
Tab. 5: Zusatzfragen im SOMS-KJ im Vergleich zum SOMS-2 und QUISS
SOMS-KJ SOMS-2 QUISS Bedeutung
1.) Hast du dich in den letzten Monaten körperlich gesund gefühlt?
Ø 1.) Wie würden Sie Ihren
Gesundheitszustand (...) einschätzen?
Allg. Ge- sundheits- zustand 2.) Hast du dir in den letzten
Monaten immer wieder Sorgen um deine Gesundheit gemacht?
Ø 17.) Wie oft haben Sie sich
(...) Sorgen um Ihre Gesundheit gemacht?
Allg. Ge- sundheits- zustand 4.) Haben die oben
ange-kreuzten Beschwerden dein Wohlbefinden sehr stark gestört?
57.) Haben die genannten Beschwerden Ihr
Wohlbefinden sehr stark beeinträchtigt?
Ø LQ
(Lebens-qualität):
Wohlbefinden 5.) Wurde dein normaler
Tagesablauf in den letzten Monaten durch die Beschwerden sehr gestört?
58.) Haben die genannten Beschwerden Ihr
Alltagsleben (z.B. Familie, Arbeit, Freizeitaktivitäten) stark beeinträchtigt?
6.) An wie vielen Tagen (...) waren Sie durch Ihre gesundheitlichen Beschwerden so
beeinträchtigt, dass Sie Ihren normalen Tagesablauf nicht oder unzureichend
bewältigen konnten?
LQ:
Alltags- funktion
6.) Hattest du in den letzten Monaten durch deine Be-schwerden Schwierigkeiten im Schulalltag?
s. Frage 58.) 7.) Fühlten Sie sich (...) durch die Beschwerden im beruflichen Bereich eingeschränkt?
LQ: Schul-bereich
7.) Hattest du in den letzten Monaten durch deine Be-schwerden Schwierigkeiten bei deinen Freizeitaktivitäten (beim Sport, Musik, Treffen mit
s. Frage 58.) 8.) Fühlten Sie sich (...) durch die Beschwerden im sozialen Bereich oder in der Freizeit eingeschränkt?
LQ:
Freizeit- aktivitäten
Freunden etc.)?
8.) Hattest du in den letzten Monaten aufgrund deiner Beschwerden Schwierigkeiten, wie gewöhnlich am
Familienleben teilzunehmen (Konntest du z.B. bei familiären Aktivitäten nicht mitmachen)?
s. Frage 58.) 9.) Fühlten Sie sich (...) durch die Beschwerden im familiären Bereich eingeschränkt?
LQ:
Einschränk-ung im Familien- leben
9.) Gab es in deiner Familie durch deine Beschwerden Veränderungen im Umgang miteinander (haben sich z.B.
deine Eltern mehr mit dir beschäftigt)?
Ø Ø Sekundärer
Krankheits-gewinn
10.) Hattest du in den letzten Monaten immer wieder den Wunsch, dich wegen deiner Beschwerden vom Arzt untersuchen zu lassen?
Ø 12.) Wie oft hatten Sie (...)
den Gedanken, dass es aufgrund Ihrer Be-schwerden besser wäre, einen Arzt aufzusuchen?
Wunsch nach Unter- suchungen
11.) Wie oft warst du wegen der oben angekreuzten
Beschwerden beim Arzt?
54.) Wie oft waren Sie wegen der genannten Beschwerden beim Arzt?
Ø KRV:
Häufigkeit Arztbesuche 12.) Konnte der Arzt für die
Beschwerden, die du oben angekreuzt hast, eine genaue körperliche Ursache feststellen?
55.) Konnte der Arzt für die genannten
Beschwerden eine genaue Ursache feststellen?
Ø KRV:
Organpatho-log. Ursache 13.) Wenn der Arzt keine
Ursache für deine Beschwerden finden konnte, konnte er dich davon über-zeugen, dass du körperlich gesund bist?
56.) Wenn der Arzt Ihnen sagte, dass für Ihre Beschwerden keine Ursachen zu finden seien, konnten Sie das
akzeptieren?
14.) Glauben Sie, dass Ihr Arzt irrt, wenn er Ihnen sagt, es bestehe kein Grund zur Besorgnis?
KRV:
mangelnde Akzeptanz der negativen Befunde 14.) Hast du dir in den letzten
Monaten gewünscht, dass dein Arzt mit weiteren, neuen Untersuchungen nach den Ursachen für deine Beschwerden sucht?
Ø 11.) Hatten Sie (...) den
Wunsch, dass Ihr Arzt mit weiteren, neuen
Untersuchungsmethoden nach den Ursachen für Ihre Beschwerden sucht?
KRV: Wunsch nach neuen Untersu-chungen
15.) Musstest du in den letzten Monaten wegen deiner Beschwerden Hilfe durch Dritte, z.B. Eltern, Freunde, annehmen, um deine Aufgaben erledigen zu können?
Ø 15.) Waren Sie (...) aufgrund
Ihrer Beschwerden darauf angewiesen, Hilfe durch Dritte anzunehmen, um Ihre Aufgaben erledigen zu können?
KRV: Auf Hilfe angewiesen sein
16.) Hattest du in den letzten Monaten das Gefühl, dass andere Personen deine Beschwerden nicht ernst genommen haben?
Ø 16.) Hatten Sie (...) das
Gefühl, dass andere Personen Ihre Beschwerden nicht ernst genommen haben?
KRV:
Nicht ernst genommen werden 17.) Hast du in den letzten
Monaten Medikamente gegen deine Beschwerden
eingenommen?
59.) Nahmen Sie wegen der genannten
Beschwerden Medikamente ein?
18.) Wie oft haben Sie (...) Medikamente gegen Ihre Beschwerden eingenommen, die ein Arzt verschrieben hat?
KRV:
Medikation
18.) Wie lange halten diese Beschwerden schon an?
63.) Wie lange halten diese Beschwerden schon an?
Ø
Beschwerde-dauer 19.) Hattest du schon einmal
Panikattacken, bei denen du furchtbare Angst hattest und dabei viele körperliche
60.) Hatten Sie jemals Panikattacken, bei denen Sie furchtbare Angst bekamen und zahlreiche
Ø DD Panik-
attacke
Beschwerden empfunden hast, die aber nach einigen Minuten oder Stunden wieder
verschwunden waren?
körperliche Beschwerden empfanden, und die nach einigen Minuten oder Stunden abklangen?
20.) Hast du in letzter Zeit Angst oder bist du davon überzeugt, dass du eine schwere körperliche Krank-heit hast, ohne dass ein Arzt dir bisher eine ausreichende Erklärung geben konnte?
64.) Haben Sie Angst oder sind Sie fest über-zeugt, eine schwere Krankheit zu haben, ohne dass bisher von Ärzten eine
ausreichende Er-klärung gefunden wurde?
10.) Haben Sie sich (...) Sorgen gemacht, dass hinter Ihren Beschwerden eine ernsthafte Krankheit steckt?
DD Hypo-chondrie
21.) Hältst du bestimmte Körperteile von dir für missgestaltet, obwohl andere Personen diese Meinung nicht teilen?
68.) Halten Sie bestimmte Körperteile von sich für missgestaltet, obwohl andere Personen diese Meinung nicht teilen?
Ø DD
Dysmor-phophobie
20 Fragen 10 Fragen 13 Fragen
LQ=Lebensqualität, KRV=Krankheitsrelevantes Verhalten, DD=Differentialdiagnostische Fragen (...) = in der letzten Woche
In der Diskussion um die Eingrenzung auf bestimmte Altersstufen für den Einsatz des SOMS-KJ beschränkten wir uns auf die Altersklassen von 11;0 bis 17;11 Jahren. Diese Altersspanne stellt einen bedeutenden Zeitraum für die Entstehung somatoformer Störungen dar (siehe unter Punkt 1.2.2). In anderen Studien wurde aufgezeigt, dass mit Beginn der Pubertät die somatoformen Beschwerden zunehmen, außerdem besser von somatisch begrün-deten Symptomen abgrenzbar sind und eine weit bedeutendere Rolle im Alltag spielen als im Kindesalter (20). Offord et al. (93) konnten feststellen, dass somatoforme Störungen im Alter von 4 bis 11 Jahren eher selten vorkommen. In einer weiteren Studie wird ein ähnliches Ergebnis aufgezeigt, dass somatoforme Beschwerden mit Beginn der Pubertät und steigendem Alter zunehmen (29). Die Eingrenzung auf das Pubertätsalter ermöglicht gleichzeitig die praktikable Anwendung einer einzigen Ausführung des Fragebogens für alle genannten Altersstufen, da die Voraussetzung für ein ausreichendes Textverständnis und die Fähigkeit einer selbständigen Bearbeitung in diesem Altersspektrum gegeben sind. Die Möglichkeit der selbständigen Beantwortung der Fragen hat außerdem zum Vorteil, dass der Patient sich möglichst unbeeinflusst durch den Untersucher oder die Eltern den Fragen widmen kann.
Durch Berücksichtigung dieser Kriterien zur Gestaltung des Fragebogens wird neben einer zeitökonomischen, kostengünstigen und einfachen Anwendbarkeit im klinischen Alltag insbe-sondere eine zufrieden stellende Differenzierungsfähigkeit erwartet.