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Die hohe Erwerbsorientierung zeigt das Selbstverständnis der heutigen Generation an Frauen der neuen Bundesländer als arbeitende Mutter, wie es zur Zeit der ehemaligen DDR im Alltag gelebt werden konnte. Die Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf waren auf-grund der flächendeckenden Betreuungsinfrastruktur als eine parallele Vereinbarkeit lebbar und nicht, wie es in den alten Bundesländern auch heute noch der Fall ist, wo das Vereinbar-keitsmodell als Drei-Phasen-Modell gefördert wird (DORNSEIFF und SACKMANN 2003). Bei die-sem Modell steht nicht die Gleichzeitigkeit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Fokus, sondern das Nacheinander von Erwerbsarbeit, Familiengründung und Wiedereinstieg in den Beruf.

Auch heute ist die Betreuungsinfrastruktur in den neuen Bundesländern besser als in den alten Bundesländern. Dies zeigen BÜCHEL und SPIESS (2002) (Tab.3) als auch die Ergebnisse der

„Kinderwunsch- und Wachstumsstudie“ zur Frage nach der Möglichkeit der Wöchnerinnen mit drei und mehr Kindern, Beruf und Familie zu vereinbaren: Betrachtet man die Diskre-panzen zwischen der Einschätzung der allgemeinen Möglichkeit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Abb. 20) und der persönlichen Möglichkeiten (Abb. 21), so zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern: Während lediglich 8,8% der Wöchnerinnen aus den neuen Bundesländern angeben, dass es ihnen nicht möglich ist, per-sönlich Beruf und Familie zu vereinbaren, geben das dreimal so viele Wöchnerinnen aus den alten Bundesländern an (27,3%).

Die Untersuchungsergebnisse der „Kinderwunsch- und Wachstumsstudie“ lassen sich weiter wie folgt zusammenfassen: Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung unterschieden sich die beiden deutschen Gesellschaften in vielerlei Hinsicht. Bevölkerungspolitisch verfolgten die deutschen Gesellschaften unterschiedliche Ziele: Während in der ehemaligen DDR das sozia-listische Familienbild und die institutionelle Einflussnahme auf Familien politisch gewünscht wurde, versuchte der BRD-Staat wenig Einfluss auf Familien zu nehmen. Hierbei muss aller-dings entschieden betont werden, dass es durchaus zu einer starken Einflussnahme durch den Staat kommt, wie z.B. die Förderung der Familie ausschließlich im Rahmen der Ehe zeigt, wo Alleinerziehende und alternative Lebensformen nicht als potenzielle Familien gefördert werden.

ein Kind, das meistens zusammen mit dem Partner aufwuchs. Die Geburtenförderung kon-zentrierte sich auf eine gezielte Förderung und Unterstützung der Frauen zur Unabhängigkeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Investition des Staates in die Frauen und poten-ziellen Mütter geschah unabhängig vom familiären Status der Ehe.

Anders stellt sich die Situation in den alten Bundesländen dar: Hier zeigt sich, dass Familien-förderung nach wie vor an den Status der Ehe gebunden ist: 81% der Kinder unter 18 Jahren wachsen bei ihren verheirateten Eltern auf. In den neuen Bundesländern ist dieser Anteil mit 62% deutlich niedriger als in den alten Bundesländern. Auch wachsen in den alten Bundes-ländern lediglich 14% bei einem allein erziehenden Elternteil auf. In den neuen BundesBundes-ländern ist dieser Anteil mit 22% allein erziehenden Elternteilen um immerhin 8% höher als in den alten Bundesländern. Der Anteil der Kinder unter 18 Jahren, die bei alternativen, nicht verhei-rateten oder gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften aufwächst, beträgt in den alten Bundesländern lediglich 5%. In den neuen Bundesländern sind es immerhin 16%. (STATISTI

-SCHES BUNDESAMT 2005/ vgl. Kap 4.4). Somit kommt es in den alten Bundesländern zu einer Spaltung der Bevölkerung in Kinderlose und diejenigen, die heiraten und durchschnittlich zwei Kinder zur Welt bringen. Die Fachliteratur bezeichnet dieses Phänomen als Polarisierung der Gesellschaft in Kinderlose und Nicht-Kinderlose (DORBRITZ und GÄRTNER 1999, DORBRITZ

und SCHWARZ 1996). In den neuen Bundesländern ist dieses Phänomen der Polarisierung (noch) nicht so stark ausgeprägt wie in den alten Bundesländern.

Es stellt sich also die Frage, ob es angesichts der Angleichung der Gesetzgebung nach der Wie-dervereinigung der beiden deutschen Staaten zu einer Angleichung des generativen Verhal-tens der neuen Bundesländer an die Strukturen der alten Bundesländer kommen wird. Die Ergebnisse der „Kinderwunsch- und Wachstumsstudie“ zeigen, dass die unterschiedlichen Erwerbs- und Vereinbarkeitsmuster in den neuen und alten Bundesländern Bestand haben.

Das gesellschaftliche System der ehemaligen DDR hat in der Lebensplanung und in den Ein-stellungen der Wöchnerinnen seine Spuren hinterlassen. Diese Einstellungsunterschiede liegen in der starken Integration der Frauen in der ehemaligen DDR in den Arbeitsmarkt begründet.

Diejenigen, die nicht auf Berufsarbeit verzichten wollen, werden die Realisierung ihres Kinder-wunsches auf ein Kind reduzieren, anstatt wie zuzeiten der DDR mit zwei oder mehr Kindern (RICHTER 1996).

Gleichzeitig kann durch die „Kinderwunsch- und Wachstumsstudie“ gezeigt werden, dass die unterschiedlichen Erwerbs- und Vereinbarkeitsmuster in den neuen und alten Bundes-ländern bestand haben. So wird die starke Erwerbsorientierung der Wöchnerinnen mit drei

und mehr Kindern der neuen Bundesländer nach wie vor auch heute noch von einer besseren Betreuungsinfrastruktur aus Zeiten der ehemaligen DDR unterstützt.

Deutschland liegt im europäischen Vergleich mit seinem Angebot an Kinderbetreuung weit hinter den meisten europäischen Ländern zurück, der Anteil privater Familienarbeit ist hier besonders hoch. Ein rechtlicher Anspruch besteht momentan nur für eine Halbtagskindertreuung ab dem Alter von drei Jahren. Das BeHalbtagskindertreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren be-trägt im bundesdeutschen Durchschnitt 10%. Hinzu kommt die regionale ungleiche Verteilung zwischen urbanen und ruralen Räumen sowie zwischen den neuen und alten Bundesländern.

Hier setzten die aktuellen Forderungen der Familienministerin URSULA VON DER LEYEN nach dem Ausbau des Betreuungsangebotes für Kinder unter drei Jahren an; doch selbst wenn die Familienministerin ihre Pläne durchsetzten kann, wird es lediglich für 35% der Kleinkinder Betreuungsplätze geben.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Forderungen der Familienministerin URSULA VON DER

LEYEN, neue Betreuungsplätze für Kleinkinder in Tageseinrichtungen zu schaffen und das Ehe-gattensplitting zu verändern, durchaus zeitgemäß und der heutigen Realität angepasst sind.

Die meisten jungen Menschen wollen nicht mehr wie bisher vor die Wahl Beruf oder Familie gestellt werden. Die gleichzeitige Berufstätigkeit beider Partner ist das heute mehrheitlich ge-wünschte Lebensmodell (DEUTSCHE SHELL-JUGENDSTUDIE 2000). Mitte des 20. Jahrhunderts mag die Devise des Bundeskanzlers Konrad Adenauer „Kinder bekommen die Menschen sowieso“

noch als natürlicher Prozess verstanden worden sein, aber heute gibt es Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die Realisierung der Kinderwünsche, die meistens hinter der gewünschten Kin-derzahl zurückbleibt. Während, wie in Kap. 4.3 dargestellt, die Deutschen im Jahr 1992 in der Regel noch zwei Kinder wollten, ist der Durchschnitt auf 1,7 Kinder gesunken. Wie jedoch in Kap. 4.2.2 gezeigt wurde, liegt die Geburtenrate in Deutschland bei durchschnittlich 1,4 Kin-dern pro Frau. Die Deutschen wollen nicht nur immer weniger Kinder, sie bekommen auch immer weniger (BIB 2004).

Die Frage nach der Finanzierung des Ausbaus der Kindertagesplätze wird in Deutschland wie-der einmal genutzt, um längst überfällige Reformen zu blockieren, wie sie in den europäischen

Ein „Sowohl-als-auch“ beinhaltet selbstverständlich die Wahlfreiheit, sich ausschließlich um seine Kinder kümmern zu können. Aber angesichts der geringen Betreuungsquote für Klein-kinder in ganz Deutschland kann von einer Wahlfreiheit für Familie und Beruf nicht wirklich gesprochen werden. Deshalb sollte man sich die Worte des Bundespräsidenten HORST KÖHLER

bei der Eröffnung der zweiten Konferenz mit dem Titel „Forum Demografischer Wandel“ im Dezember 1999 in Berlin zu Herzen nehmen und endlich den Weg bereiten für ein neues Fami-lienbild, damit Familie kein „Auslaufmodell“ wird.