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4.1 Theorien zur Erklärung generativen Verhaltens

Generatives Verhalten versucht das komplexe Wirkungsgefüge der Bevölkerungsentwicklung zu erfassen und zu beschreiben. Es wird in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen un-tersucht, weshalb an dieser Stelle ein kurzer Überblick zu den wesentlichen Erklärungsansätzen gegeben werden soll, die für die Untersuchung generativer Veränderungen herangezogen werden. Die Theorien der Bevölkerungsentwicklung und die Erklärungsansätze zum genera-tiven Verhalten lassen sich in drei Hauptdisziplinen unterteilen: In die soziologischen, die psychologischen bzw. sozialpsychologischen sowie die ökonomischen Erklärungsansätze (SCHMIDT 2002).

Der soziologische Ansatz geht im Wesentlichen auf die Arbeiten von GERHARD MACKENROTH

(1953) zurück. MACKENROTH ist der Erste, der die enge Verzahnung von Wirtschaftsstruktur und generativer Struktur thematisiert. Das generative Verhalten rekonstruiert sich im sozio-logischen Ansatz entlang gesellschaftlicher Strukturen und der Wandel dieser gesellschaftlichen Strukturen führt zu einem veränderten generativen Verhalten. Die Indikatoren generativen Verhaltens sind hierbei die „Heiratsstruktur“, die „Geburtenrate“ als auch die „Struktur der Sterblichkeit“. Trotz individualpsychologischer Determinanten betont MACKENROTH diese generativen Strukturen. Ihr Einfluss sei aber nicht konstant, sondern je nach historischen und sozialstrukturellen Bedingungen variabel. So ist die vorindustrielle Zeit durch hohe Geburten- und Sterblichkeitszahlen gekennzeichnet. Fehlende Kontrazeption führte zu einer engen Kopplung von Ehe und Geburt von Kindern. Deshalb kam es durch eine hohe Ehelichenquote zwangsläufig zu einer hohen Geburtenhäufigkeit. Der Übergang zur industriellen Zeit war verbunden mit der Aufhebung von Heiratsbeschränkungen, sodass die Geburtenhäufigkeit nicht mehr von den Möglichkeiten zur Heirat bestimmt wurde. Mit zunehmender Industriali-sierung kam es zudem zu einer Angleichung der Geburten- und Sterblichkeitshäufigkeit. Die Ursachen liegen hierbei vor allem im zunehmenden gesellschaftlichen Wohlstand und der besseren Gesundheitsversorgung bzw. Hygiene. Der gesellschaftliche Wohlstand im Industrie-kapitalismus führte dazu, dass die Familiengründung in Konkurrenz zum Konsum trat. Diese

„Aufwandskonkurrenz“ betraf vor allem die unteren und mittleren Schichten der städtischen Bevölkerung, die von einer großen Arbeitsplatzunsicherheit bedroht waren (MACKENROTH

Das sozialpsychologische Erklärungsmodell führt Veränderungen im generativen Verhalten hauptsächlich auf die Prozesse der Individualisierung der Gesellschaft zurück. Der gesellschaft-liche „Wert des Kindes“ und das, was Kinder individuell repräsentieren, hat sich verändert (ROSENSTIEL 1978). Wie bei dem soziologischen Ansatz MACKENROTHS (1953) wurde das verän-derte generative Verhalten auf die Prozesse der Industrialisierung zurückgeführt. In vorindus-trieller Zeit hatten Restriktionen wie z.B. Heiratsbeschränkungen und fehlende ökonomische Voraussetzungen großen Einfluss auf generative Entscheidungen. Diese gesellschaftlichen Restriktionen sind durch die Industrialisierung weggefallen und Elternschaft wird individuell entschieden. Wenn nun aufgrund besserer Verhütungsmethoden eine Entkopplung von Ehe und Elternschaft stattfindet, werde damit die „Selbstverständlichkeit“ von Elternschaft aufge-hoben. So schreibt ROSENSTIEL:

'Der kinderlose Zustand ist der Selbstverständliche. Dagegen wird eine explizite Entscheidung erfor- derlich (Absetzung der Pille), wenn das Paar ein Kind bekommen will. Kein Kind zu bekommen ist somit habituelles Handeln, ein Kind zu bekommen erfordert eine echte Entscheidung'.

Kinder zu bekommen bedarf somit eines bewusst motivierten Handlungsplans. Die Motiva-tion zu Gunsten der generativen Entscheidung hängt von unterschiedlichen Aspekten ab. So nennt ROSENSTIEL soziale, materielle als auch emotionale Faktoren sowie das Abwägen zwi-schen Vor- und Nachteilen, die eine Elternschaft mit sich bringt. Ganz entscheidend ist hier-bei die Frage, welche Ziele mit Kindern erreicht werden sollen und inwieweit Kinder zur Realisierung der Lebenspläne der Eltern beitragen. Als das angestrebte Ziel im Hinblick auf generatives Verhalten nennt der sozialpsychologische Ansatz von den Eltern erhoffte Vorteile durch Kinder, wie z.B. Glück, Liebe, Vorteile für die familiäre Bindung oder die persönliche Erfüllung durch Kinder. Als Nachteile einer Familiengründung werden Aspekte angeführt, wie z.B. die materielle, die psychische und die emotionale Belastung der Eltern, der Verzicht auf eigene Interessen oder schlechte Zukunftsaussichten für Kinder (ROSENSTIEL 1978).

Als dritter Ansatz zur Erklärung generativen Verhaltens darf an dieser Stelle die ökonomische Theorie nicht fehlen. Diese geht maßgeblich auf den Amerikaner GARY BECKER (1982) zurück.

Die Ausgangsthese des Ansatzes ist, dass Handlungen erstens rational begründet sind und zweitens, dass Handlungen sich an der Maximierung des Nutzens orientieren. Nutzenmaxi-mierung heißt hierbei die Summe des Nutzens aus verschiedenen Lebensbereichen, die ein-ander überlagern oder auch in Konkurrenz stehen können. Hierbei werden aber nicht nur materielle Faktoren genannt, sondern auch immaterielle Güter wie z.B. Emotionen. Kinder werden jedoch zunächst als Konsumgüter verstanden (SCHILP 1984):

'Von ihnen empfangen die Eltern Befriedigung und Dienstleistungen, andererseits aber ist die Geburt und Erziehung von Kindern mit Opfern – elterliche Zeit, Marktgüter und öffentliche Dienstleistungen – verbunden. Aus diesem Grund müssen Eltern bei der Planung von Kindern allokative Entscheidungen treffen, die ökonomische Entscheidungskomponenten enthalten und mithin prinzipiell ökonomische Entscheidungen sind'.

Die These, dass Kinder ein Konsumgut sind, bringt es mit sich, dass sie in Konkurrenz zu an-deren Konsumgütern stehen.Nimmt der Nutzen anderer Güter zu bzw. sinkt er oder steigen die Kosten für Kinder, so wirkt sich das negativ auf die Geburtenrate aus. Höhere Kosten werden z.B. durch den Zeitaufwand für Erziehung und Ausbildung der Kinder verursacht.

Gleichzeitig haben Kinder im Zuge der Industrialisierung ihren Nutzen als Arbeitskraft und Altersvorsorge verloren. Darüber hinaus beschreibt der ökonomische Ansatz einen schicht-spezifischen Effekt: Aufgrund der besseren Berufsausbildung von Müttern sei bei der Geburt von Kindern potenziell ein höherer Einkommensverlust zu erwarten, wenn die Mütter zu-gunsten der Kinderbetreuung aus der Erwerbsarbeit ausscheiden (LOY 1981).

Es mag zunächst befremdlich klingen, von Kindern als Konsumgütern zu sprechen, da man sie ja nicht nach Lust und Laune „entsorgen“ kann, aber die ökonomische Theorie findet heute auf zwei Arten Eingang in die Diskussion zum generativen Verhalten; zum einen bei der Frage nach einem Verzicht, z.B. auf Urlaub, freie Zeiteinteilung und Unabhängigkeit aufgrund der elterlichen Verantwortung für das Kind und zum anderen im Sinne der Frage nach der gestie-genen Erwerbsorientierung der Frauen und somit nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle drei dargestellten Ansätze zur Erklärung generati-ven Verhaltens doch gewisse Übereinstimmungen aufzeigen. So sind der Einfluss der Indus-trialisierung und der damit einhergehende gesellschaftliche Wandel vom Übergang von der vormodernen, vorindustriellen Zeit zur Moderne mit ihren Freisetzungsprozessen aus stän-dischen Rahmenbedingungen verbunden: In der soziologischen Theorie wird das durch die Entkopplung von Heiratschancen und Geburtenhäufigkeit beschrieben, in der sozialpsycholo-gischen tritt die stärkere Bedeutung individueller, motivationaler Entscheidungsprozesse im

ökonomischen

Unterschiede zeigen sich vor allem in der gewählten Perspektive. So ist MACKENROTHS (1953) Beschreibung des generativen Verhaltens mittels Geburten-, Sterblichkeits- und Heiratshäufig-keit eine stark makrosoziologische Perspektive, wohingegen die sozialpsychologischen und die ökonomischen Theorien eher aus der mikrosoziologischen Perspektive versuchen, indivi-duelle generative Entscheidungsprozesse zu erklären.

4.2 Die Untersuchung generativer Strukturen bei der Familiengründung