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Zusammenfassung und Diskussion

Die Ergebnisse der zwei Untersuchungen führen auf den ersten Blick in unterschiedliche Richtungen: Wenn man erstens Lehrkräfte ihre konkreten Planungsüberlegungen einer Unterrichtsstunde ohne Einschränkungen oder Vor-gaben darlegen lässt, dann spielen Ziele eine untergeordnete Rolle. Wenn man zweitens Lehrkräfte aber direkt nach der Bedeutung einzelner Planungsaspekte befragt und ihr theoretisches Wissen in den Blick nimmt, dann sind insbesondere die Ziele des Unterrichts von zentraler Bedeutung. Das erste Ergebnis findet somit Bestätigung in den Forschungen zum Planungshandeln von Lehrkräften (z.B.

Bromme, 1981; Haas, 1992, 1998; Yinger, 1978; Zahorik, 1975): Bei der Erfassung

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konkreter (alltäglicher) Unterrichtsplanungen lassen sich insgesamt nur wenige Zielüberlegungen identifizieren. Den Beginn finden die untersuchten Planungen in rein inhaltlichen Überlegungen, Ziele werden nicht genannt. Scheinbar überraschend berichten die untersuchten Lehrkräfte der Studie 1 im direkt darauffolgenden Inter-viewteil, dass sie die Ziele des Unterrichts als sehr wichtig einschätzen. Sie gehen sogar so weit, dass sie sagen, Planungen ohne Ziele seien sinnlos und würden ins Leere gehen. Sobald Lehrkräfte also auf ihr theoretisches Wissen zurückgreifen müssen, verändert sich die Wahrnehmung des Planungshandelns – das zentrale Er-gebnis von Studie 2. Und damit zeigt sich auf den zweiten Blick, dass Studie 1 und 2 nicht in verschiedene Richtungen laufen, sondern sich gegenseitig ergänzen: Es bestehen Diskrepanzen zwischen dem theoretischen Wissen zum Planungshandeln und dem tatsächlichen Planungshandeln. Wie kommt es zu diesen Diskrepanzen?

Erklärungsversuche und Implikationen für die Praxis

Ein Teil der Diskrepanz zwischen theoretischem Wissen und tatsächlichem Handeln ist unserer Meinung nach auf ein Erfassungsproblem zurückzuführen: Die Unterrichtsplanung ist das tägliche Brot von Lehrkräften. Sie greifen auf Er-fahrungen zurück und haben Abläufe automatisiert. Manche Planungsüberlegungen werden deshalb in konkreten Unterrichtsplanungen nicht (mehr) genannt und müssen auch nicht mehr bewusst getätigt werden. Eine Klassenlehrkraft wird sich nicht bei jeder Unterrichtsstunde explizit Gedanken über die Lerngruppe machen, die ihr sowieso hinlänglich bekannt ist. Bei Inhalten, die eine Lehrkraft bereits mehrfach unterrichtet hat, liegen Schwerpunktsetzungen oder methodische Um-setzung auf der Hand und müssen nicht unnötig reflektiert werden. So ist es dann auch bei den Zielen: Die Ziele, so berichten es auch einige der befragten Lehrkräfte wortwörtlich in den Interviews, sind „im Hinterkopf“ oder „implizit mitgedacht“.

Wenn allerdings neuere Ergebnisse der Schul- und Unterrichtsforschung (z.B.

Hattie, 2013) herangezogen werden, die insbesondere die Klarheit der Lehrkraft und die Transparenz der Ziele hervorheben, dann erscheint es bedenkenswert, ob Ziele

„im Hinterkopf“ oder „implizit mitgedacht“ ausreichend sind. Welche Erklärungs-ansätze kann es vor diesem Hintergrund für die erhobene Diskrepanz zwischen theoretischem Wissen und tatsächlichen Handeln geben?

Um diese Frage beantworten zu können, möchten wir auf das so genannte K3W+ -Modell zurückgreifen (vgl. Zierer, 2015 a). In diesem wird der Versuch unternom-men, aktuelle Ergebnisse der lehrerbezogenen Professionsforschung (vgl. Baumert

& Kunter, 2006) aufzugreifen und mit allgemeinen Resultaten der Experten-forschung (vgl. Gardner, Csikszentmihalyi & Damon, 2005) zu verbinden.

Demzufolge basiert beruflicher Erfolg auf „3 E’s“: Exzellenz, Engagement und Ethik. Die Kernthese lautet: Erst, wenn alle drei Aspekte erkennbar sind und

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treten, sind Menschen in ihrem Tun erfolgreich. Übertragen auf die Tätigkeit einer Lehrperson bedeutet dies, dass erfolgreiches Handeln in Schule und Unterricht nicht nur Wissen und Können (in diesem Sinn Exzellenz), sondern auch Wollen (in diesem Sinn Engagement) und Werten (in diesem Sinn Ethik) erfordert. Somit lässt sich folgern, dass erfolgreiche Lehrkräfte Kompetenz (Wissen und Können) und Haltung (Wollen und Werten) benötigen. Interessant ist dabei die Feststellung, dass zwischen diesen Aspekten ein innerer Zusammenhang besteht: Können basiert auf Wissen, das erst abgerufen wird, wenn ein Wollen vorhanden ist. Und dafür gibt es immer Gründe, so dass das Wollen auf einem Werten fußt. Kann eine Lehrkraft auf das nötige Können, Wissen, Wollen und Werten zurückgreifen, wird sie in einer Situation entsprechend handeln. Und, sofern der Kontext günstig ist, wird sie in ihrem Tun auch erfolgreich sein. Fehlt einer der genannten Aspekte, beispielsweise das Wollen, so wird die Lehrperson aller Voraussicht nach mit ihrem Tun scheitern.

Nachstehende Abbildung fasst das Gesagte zusammen (vgl. Zierer, 2015 b):

Abb. 9: Das K3W+-Modell

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Nimmt man das K3W+-Modell als Interpretationsgrundlage, so lassen sich für die Diskrepanz zwischen theoretischem Wissen und tatsächlichem Tun folgende Erklärungsansätze ableiten:

1) Die Diskrepanz kommt zustande, weil die Lehrkräfte zwar das Wissen und Können haben, aber ihnen die Bedeutung und damit der Sinn und der Wert ihres Wissens und Könnens nicht bewusst sind. Wenn beispielsweise Lehr-kräfte wissen, wie wichtig klare Ziele sind, und sie diese auch formulieren können, dies aber in der tagtäglichen Unterrichtsplanung nicht machen, dann kann das daran liegen, dass sie es zwar gelernt haben, die Haltungen jedoch fehlen, das Gelernte umzusetzen. Als Konsequenz wäre hieraus der Schluss zu ziehen, dass in der Lehrerbildung verstärkt auf Aspekte des Wollens und Wertens zu fokussieren ist und insofern nicht nur Kompetenzen vermittelt werden, sondern auch Haltungsarbeit passiert.

2) Die Diskrepanz kommt zustande, weil die Lehrkräfte zwar das Wissen und Können haben und auch das Wollen und Werten, aber der Kontext so un-günstig ist, dass äußere Mechanismen sie daran hindern, ihre Kompetenz und Haltung, also ihre Expertise in die Tat umzusetzen. Im Fall des oben angesprochenen Beispiels zur Zielklarheit wäre dies der Fall, wenn Lehr-kräfte aufgrund zeitlicher Überlastungen gar nicht die Gelegenheit haben, ausführlicher an einer Zielklarheit und -transparenz zu arbeiten, auch wenn sie es wüssten und könnten und noch dazu es wollten und gute Gründe dafür hätten. Als Konsequenz wäre hieraus der Schluss zu ziehen, dass systemisch und strukturell an Schule und Unterricht etwas zu verändern wäre, um Kontexte zu schaffen, die vorhandene Expertise sichtbar werden lassen.

Summa summarum zeigen die vorgestellten Ergebnisse, dass es eine Diskrepanz zwischen theoretischem Wissen und tatsächlichem Tun bei der Bedeutungsbemessung von Zielen bei der Unterrichtsplanung gibt. Die Gründe hierfür sind entweder in der Lehrerbildung oder in den strukturellen Rahmenbedingungen zu suchen. In beiden Fällen ist jedoch Handlungsbedarf geboten, weil angesichts neuerer Ergebnisse der Schul- und Unterrichtsforschung erfolgreiches Lernen ohne klare und transparente Ziele nicht möglich ist.

Literatur

Bakenhus, S., Wernke, S. & Zierer, K. (eingereicht): Welche Planungsüberlegungen tätigen berufserfahrene Lehrkräfte? Eine qualitative Studie.

Baumert, J. & Kunter, M. (2006): Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehr-kräften. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9 H. 4 (2006), 469–520.

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Bromme, R. (1981): Das Denken von Lehrern bei der Unterrichtsvorbereitung. Eine empirische Untersuchung zu kognitiven Prozessen von Mathematiklehrern.

Weinheim.

Comenius, J. A. (1657): Didactica magna - Große Didaktik: Die vollständige Kunst, alle Menschen alles zu lehren. Herausgegeben und übersetzt von Andreas Flitner.

Gardner, H., Csikszentmihalyi, M. & Damon, W. (2005): Good Work. Stuttgart.

Haas, A. (1992): Lehrern bei der Unterrichtsplanung zugeschaut. Oder: Didaktik zwischen Theorie und Alltag. In: Pädagogik, 45, H.10 (1992), 46–48.

Haas, A. (1998): Unterrichtsplanung im Alltag. Eine empirische Untersuchung zum Planungshandeln von Hauptschul-, Realschul- und Gymnasiallehrern. Regens-burg.

Hattie, J. (2013): Lernen sichtbar machen. Deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning“ besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler.

Heimann, P. (1962): Didaktik als Theorie und Lehre. In: Die Deutsche Schule, 54 H. 9 (1962), 407-427.

Helmke, A. (2010): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität - Diagnose, Eva-luation und Verbesserung des Unterrichts (3. Auflage). Seelze-Velber.

Mayring, P. (2008): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Wein-heim: Beltz.

Meyer, H. (2008): Was ist guter Unterricht?. Berlin.

Scheele, B. & Groeben, N. (1984): Die Heidelberger Struktur-Lege-Technik (SLT):

Eine Dialog- Konsens-Methode zur Erhebung Subjektiver Theorien mittlerer Reichweite. Weinheim.

Scheele, B. & Groeben, N. (1988): Dialog-Konsens-Methoden zur Rekonstruktion Subjektiver Theorien. Tübingen.

Wernke, S. & Zierer, K. (2014): Didaktische Modelle - unbrauchbar, unverständlich, unübersichtlich!? In: Erziehungswissenschaft und Beruf, 14 H. 4 (2015),372-380.

Wernke, S., Werner, J. & Zierer, K. (2015): Heimann, Schulz oder Klafki? Eine quantitative Studie zur Einschätzung der Praktikabilität allgemeindidaktischer Planungsmodelle. In: Zeitschrift für Pädagogik, 61 H. 4 (2015), 427-449.

Yinger, R. J. (1978): A study of teacher planning: description and a model of preac-tive decision making. Research Series, 18. East Lansing: Michigan State Univer-sity, Institute for Research on Teachig.

Zahorik, J. A. (1975): Teachers' planning models. In: Educational Leadership, 33 (1975), 134- 139.

Zierer, K. & Wernke, S. (2013): Völlig unbrauchbar?! Zur Praktikabilität allgemein-didaktischer Modelle – Ergebnisse einer qualitativen Studie. In: Pädagogische Rundschau, 67 H. 2 (2013), 143-160.

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Zierer, K. (2015 a): Nicht nur Wissen und Können, sondern auch und vor allem Wollen und Werten. Das K3W-Modell im Zentrum pädagogischer Expertise. In:

Pädagogische Rundschau, 69 H. 1 (2015).

Zierer, K. (2015 b): Alles eine Frage der Technik? Erfolgreiches Lehren als Symbio-se von Kompetenz und Haltung. In: Friedrich Jahresheft.

Dr. Stephan Wernke

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:

Didaktische Modellbildung, Unterrichtsplanung, Lehr- und Lernstrategien.

Kontakt: stephan.wernke@uni-oldenburg.de Prof. Dr. Klaus Zierer

Professor für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Allgemeine Didaktik / Schulpädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Allgemeine Didaktik und Schul-pädagogik.

Kontakt: klaus.zierer@uni-oldenburg.de

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