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12.1 Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der experimentellen Analyse von Netzmaterialien (I) und Netzen zur Hernienreparation (II), der umfassenden Charakterisierung weicher biologischer Gewebe der Bauchwand (III), der konstitutiven Beschreibung und numerischen Simulation des nichtlinearen anisotropen Materialverhaltens weicher biologischer Gewebe (IV) und der numerischen Optimierung von Netzimplantaten im Bauchraum (V).

(I) Die experimentelle Analyse von Netzmaterialien erfolgt mittels monotoner Zug-versuche. Im Rahmen dieser Arbeit wurden exemplarisch Prolene- und Pronova-F¨aden der Ethicon GmbH untersucht. Erstmals fanden Versuche mit verschiedenen Belastungsge-schwindigkeiten statt. Ebenso erfolgte erstmals die Untersuchung von Fertigungseinfl¨ussen auf die Materialeigenschaften. Die ermittelten Materialeigenschaften der F¨aden dienen als Eingangsdaten der numerischen Simulation des Istzustandes von Implantaten im Bauch-raum. Die Implantate verweilen teilweise 40 Jahre und mehr im K¨orper. Daher sind Betriebsfestigkeitsuntersuchungen der Grundmaterialien sinnvoll. Solche Untersuchungen wurden hier erstmalig durchgef¨uhrt. Die wesentlichen an Netzf¨aden experimentell bestimm-ten Ergebnisse laubestimm-ten:

1. Steifigkeiten und Festigkeiten der untersuchten F¨aden sind f¨ur Polymere ungew¨ohn-lich hoch. Die Steifigkeiten der F¨aden ¨ubertreffen die Steifigkeiten weicher biologischer Gewebe deutlich.

2. Die Eigenschaften der Materialien sind von der Belastungsgeschwindigkeit abh¨angig.

3. Fertigungseinfl¨usse f¨uhren zu querschnittsabh¨angigen Materialeigenschaften. So nimmt die Fadensteifigkeit mit sinkendem Querschnitt zu.

4. Die untersuchten Werkstoffe Prolene und Pronova sind unter dem Aspekt der Be-triebsfestigkeit beide f¨ur Implantate zur Hernienreparation geeignet.

146 12. Zusammenfassung und Ausblick Umfangreiche (II) experimentelle Analysen von Netzen zur Hernienreparation diverser Hersteller erfolgten im Rahmen von Streifenzugversuchen. Sie fanden zur Erfas-sung des Istzustandes der Eigenschaften von Netzimplantaten statt. Aus der Literatur sind von Netzimplantaten bisher nur skalare Kenngr¨oßen in Kett- und Schußrichtung be-kannt. Zur besseren Beurteilbarkeit mechanischer Netzeigenschaften wurden im Rahmen dieser Arbeit erstmals die kompletten Kennwertfunktionen von Implantaten bei verschie-denen Belastungsgeschwindigkeiten bestimmt. Neu ist auch die Ber¨ucksichtigung anderer Pr¨ufrichtungen als der Herstellungsrichtungen. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen textiler Fl¨achengebilde zur Hernienreparation sind:

1. Die mechanischen Eigenschaften der Netze sind von der Belastungsgeschwindigkeit abh¨angig. Bei kleinen Verformungen, wenn vorwiegend die Netzstrukturen deformie-ren, ist diese Eigenschaft wenig ausgepr¨agt. Bei gr¨oßeren Deformationen erfolgen zunehmend auch Deformationen der Netzf¨aden. Dann hat die Belastungsgeschwin-digkeit einen gr¨oßeren Einfluss auf die Netzeigenschaften.

2. Die Netzhersteller decken mit ihrem Warenangebot vergleichbare Steifigkeitsspektren ab.

3. Im Vergleich zu weichen biologischen Geweben sind die Steifigkeiten und Festigkeiten von Netzimplantaten relativ groß.

4. Die Netze besitzen teilweise wesentlich steifere Richtungen als Kett- und Schußrich-tung. Durch die Vernachl¨assigung dieser Richtungen wurden die Nachgiebigkeiten von Netzimplantaten in der Vergangenheit teilweise ¨ubersch¨atzt.

(III) Die Charakterisierung weicher biologischer Gewebe der Bauchwand (Rec-tus, Transversus, Externus, Internus und Rectusscheide) fand mit Proben von mehr als 100 Bauchdecken statt. Dabei erfolgten Zugversuche parallel und senkrecht zur Faserrichtung, einfache Schubversuche parallel und senkrecht zur Faserrichtung und einfache Schubver-suche senkrecht zur Faserrichtung an Proben mit Zugvordehnung. Des Weiteren wurden Querkontraktionen im Zugversuch und Kompressibilit¨aten bei hydrostatischer Druckbela-stung ermittelt. Dar¨uber hinaus sind die Gewebevordehnungen der Bauchwandgewebe im K¨orper erfasst worden. Die vorliegende Untersuchung liefert durch deren Umfang statistisch abgesicherte Kennwertfunktionen und Streubreiten. W¨ahrend in der Literatur verf¨ugba-re Untersuchungen nur einzelne Aspekte mechanischer Eigenschaften weicher biologischer Gewebe abdecken, erfolgte im Rahmen der vorliegenden Arbeit erstmals eine vollst¨andige Charakterisierung der untersuchten Gewebe. Hervorzuheben ist auch, dass alle Versuche direkt post mortem statt fanden. Das ist Voraussetzung daf¨ur, dass die ermittelten Kenn-wertfunktionen das Verhalten in vivo korrekt wiedergeben. Da sich die Gewebeeigenschaf-ten post mortem rasch ¨andern, sind Messungen an ¨alteren Pr¨aparaGewebeeigenschaf-ten, wie sie h¨aufig in der Literatur zu finden sind, wenig aussagekr¨aftig bez¨uglich der mechanischen Eigenschaften in vivo. Schubversuche mit ¨uberlagerter Zugvordehnung erfolgten im Rahmen dieser Arbeit

12.1 Zusammenfassung 147 erstmalig. Neu ist auch die Quantifizierung der Gewebevordehnungen f¨ur Materialien des K¨orpers. Wesentliche Ergebnisse der Experimente mit den weichen biologischen Geweben der Bauchwand sind:

1. Die Gewebe weisen eine starke Vordehnung in Faserrichtung auf. Bei Netzen ¨alte-rer Generation fand ein Zusammenschieben der Netze durch Wundkontraktion statt.

Weil die Untersuchungen hierzu in vitro erfolgten, wurde dieser Effekt in der Ver-gangenheit ¨ubersch¨atzt, was im Rahmen dieser Arbeit erstmals gezeigt ist. Aufgrund der Vordehnungen schrumpfen schließlich auch gesunde Gewebe beim Heraustrennen aus dem K¨orper.

2. Die Gewebe weisen hochgradig nichtlineares, transversal isotropes Materialverhalten auf.

3. In vitro sind die Gewebe senkrecht zur Faserrichtung steifer als parallel zur Faser-richtung.

4. In vivo, d. h. unter Ber¨ucksichtigung der Gewebevordehnungen, sind die Gewebe parallel zur Faserrichtung steifer als senkrecht zur Faserrichtung.

5. Die mechanischen Eigenschaften der einzelnen Muskeln unterscheiden sich zum Teil deutlich. Der K¨orper bildet sie durch unterschiedlichen strukturellen Aufbau und unterschiedliche Zusammensetzung funktionsabh¨angig aus.

6. Steifigkeiten und Festigkeiten der Aponeurose in vivo ¨ubersteigen die Kenndaten der Muskeln deutlich.

7. Die Gewebe sind relativ schubweich.

8. Zugvordehnungen erh¨ohen die Schubsteifigkeiten.

9. Die Gewebe sind relativ schwach kompressibel.

(IV) Die konstitutive Beschreibung und numerische Simulation des nichtlinea-ren anisotropen Materialverhaltens weicher biologischer Gewebe erfolgte mit Stoffgesetzen im Rahmen der allgemeinen Theorie finiter transversaler Isotropie (SPENCER [44]). In der Literatur bisher verf¨ugbare Ans¨atze beschreiben andere Materialien und sind zur Beschreibung der Bauchwandgewebe nicht geeignet. Im Rahmen der allgemeinen Theo-rie finiter transversaler Isotropie wurden daher erfolgreich neue Form¨anderungsenergien entwickelt, die es erm¨oglichen die hier erstmals umfassend charakterisierten Materialien Rectus, Transversus, Externus, Internus und Rectusscheide zu beschreiben. Die Parameter-identifikation erfolgte gleichzeitig an Zugversuchen parallel und senkrecht zur Faserrichtung und einem einfachen Schubversuch senkrecht zur Faserrichtung. Der Modellverifikation dienten einfache Schubversuche parallel zur Faserrichtung und einfache Schubversuche senk-recht zur Faserrichtung an Proben mit Zugvordehnung. Die erarbeiteten Materialmodelle

148 12. Zusammenfassung und Ausblick wurden erfolgreich in die Materialschnittstelle Umat des kommerziellen Finite-Elemente-Programms Abaqus 6.4.2 Standard implementiert. Die Ber¨ucksichtigung der Gewebevor-dehnungen bei den anschließenden Berechnungen von Strukturen erfolgte durch multi-plikative Aufspaltung des Deformationsgradienten in Vorverformung und Verformung im K¨orper.

Mit den erarbeiteten Modellen fanden schließlich erstmals umfangreiche(V) numerische Simulationen von Netzimplantaten im Bauchraumstatt. Dabei erfolgte die Untersu-chung der Netzdesignparameter Netzgr¨oße, Porengr¨oße, Fadenquerschnitt, Fadensteifigkeit und Fadenwelligkeit auf die Beanspruchungen der umliegenden Gewebe. Auch wurden die Einfl¨usse von Einbaulage und Fadenwinkel der Netzimplantate untersucht. Des Weiteren fand eine Untersuchung des Einflusses des Verwachsungsgrades von Rectus und hinterem Blatt der Rectusscheide statt. Großporige Netze heutiger Generation bilden nur sehr klei-ne Narbenvolumina um die Filamente des Netzes aus. In den Netzporen befindet sich Fett und lockeres Bindegewebe. Auf diese Netztypen ist hier das Hauptaugenmerk gerichtet.

Kleinporige Netze ¨alterer Generation bilden große Narbenvolumina aus. Dann erfolgt eine Wundheilung mit nennenswerter Wundschrumpfung, die mit der zeitabh¨angigen Entwick-lung mechanischer Narbeneigenschaften einher geht. Auch dieser Effekt wurde im Rahmen dieser Arbeit erstmals exemplarisch simuliert. Die hier neu entwickelte Methode Tempe-raturfelder in Zusammenhang mit temperaturabh¨angigen Parametern in hyperelastischen Gesetzen zur Simulation von Wundheilung anzuwenden ist erfolgreich angewandt worden.

Wesentliche Ergebnisse der erstmals mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode erfolgten Si-mulationen von Netzimplantaten im Bauchraum sind:

1. An den Netzr¨andern treten hohe Spannungskonzentrationen auf, die auf Steifigkeits-inkompatibilit¨aten zwischen Implantat und umliegendem Gewebe zur¨uckzuf¨uhren sind. Klinische Befunde zeigen, dass nahezu alle Hernienrezidive an den Netzr¨andern auftreten. Simulationsergebnisse und klinische Befunde zeigen in diesem Punkt einen kausalen Zusammenhang. Die Spannungskonzentrationen an den Netzr¨andern sind die Ursache f¨ur Hernienrezidive.

2. Zur Optimierung der Netzimplantate m¨ussen die Steifigkeitsinkompatibilit¨aten er-heblich reduziert werden. Das gr¨oßte Optimierungspotenzial dazu haben Fadensteifig-keit, Netzstruktur und Einbaulage. Alle weiteren untersuchten Netzdesignparameter haben nur geringes Potenzial zur Netzoptimierung.

3. Die Simulationen zeigen eine Einschr¨ankung der Bauchwandbeweglichkeit nach Netz-implantation, was mit den Erkenntnissen aus dem klinischen Alltag ¨ubereinstimmt.

Nachgiebigere Implantate w¨urden die Bauchwandbeweglichkeit weniger behindern.

4. Der bei kleinporigen Netzen auftretende Wundheilungstyp f¨uhrt unter den postu-lierten Voraussetzungen zu einer weiteren Versteifung der Bauchwand und zu ge-ringeren Spannungskonzentrationen als ohne diesen Wundheilungtypen. Das ist ein Erkl¨arungsansatz daf¨ur, dass kleinporige Netze ¨alterer Generation und großporige

12.2 Ausblick 149 Netze vergleichbare Rezidivraten haben. Der Vorteil großporiger Netze mit kleinen Narbevolumina gegen¨uber kleinporigen Netzen ist eine geringere Verformungsbehin-derung der Bauchwand. Die Patientenbeschwerden haben sich durch Einsatz großpo-riger Netze erheblich reduziert.

Die im Rahmen dieser Arbeit durchgef¨uhrten umfangreichen Berechnungen anspruchsvoller Strukturen weisen die Praxistauglichkeit der erarbeiteten Materialmodelle nach.

12.2 Ausblick

Es gibt bereits umfangreiche Forschungsarbeiten zum Thema Hernien, die jedoch alle von Medizinern und Biologen stammen. Die vorliegende Arbeit beleuchtet das Thema zum ersten Mal aus Ingenieurssicht. Es liegt in der Natur der Sache, dass es m¨oglich ist, Ein-zelaspekte der Arbeit weiter zu vertiefen.

Es k¨onnte

eine detailliertere Modellierung von Netzgeometrien erfolgen. Dabei w¨aren etwa run-de F¨arun-den und die Analyse einzelner Knoten m¨oglich. Die komplexen Geometrien run-der heute verwandten meist multifilen Gewirke sind auf dem Rechner mangels Rechen-kapazit¨at kaum nachzubilden. Außerdem ist das Verh¨altnis von Nutzen zu Aufwand fraglich.

eine Verfeinerung der Charakterisierung biologischer Gewebe stattfinden. Sinnvoll w¨are es, einen kompletten Datensatz wie hier an porzinen Proben direkt post mortem bestimmt auch von humanen Geweben zu generieren. Dabei bereitet die Beschaffung frischer Proben Probleme.

eine Verfeinerung der erarbeiteten Materialmodelle f¨ur die Muskeln durch die Mo-dellierung aktiver Muskelspannungen etwa in Anlehnung an das HUXLEY-Modell stattfinden.

eine Untersuchung der h¨aufig vorkommenden Leistenhernie ¨ahnlich der Untersuchun-gen in der vorlieUntersuchun-genden Arbeit stattfinden.

an der Entwicklung neuer nachgiebiger F¨aden als heute verf¨ugbar gearbeitet werden.

150 12. Zusammenfassung und Ausblick

Anhang A