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Experimentelle Charakterisierung weicher biologischer Gewebe

Es gibt diverse Untersuchungen von Skelettmuskeln und wenige von Faszien und Apo-neurosen. Die meisten Untersuchungen besch¨aftigen sich mit aktiven Muskeleigenschaften, die im Rahmen dieser Arbeit nicht relevant sind. In der Literatur existieren auch Daten passiver Muskeleigenschaften etwa in Form von Kraft-Verschiebungs-Kurven. Diese Daten sind in der Kontinuumsmechanik nicht nutzbar. Des Weiteren gibt es vereinzelt Spannungs-Streckungs-Kurven. Nahezu ausnahmslos erfolgten die Messungen einige Zeit post mortem.

Die mechanischen Gewebeeigenschaften ¨andern sich post mortem deutlich.

Ein kompletter, direkt post mortem gemessener Datensatz zur Charakterisierung transver-sal isotroper, weicher biologischer Gewebe existierte soweit bekannt f¨ur Muskeln und Apo-neurosen der Bauchwand nicht. Daher wurden solche Datens¨atze f¨ur die relevanten Gewebe Rectus, Transversus, Externus, Internus und Rectusscheide im Rahmen dieser Arbeit erst-mals bestimmt. Die Untersuchungen umfassen Zugversuche und einfache Schubversuche parallel und senkrecht zur Faserrichtung, Schubversuche mit ¨uberlagerter Zugvordehnung, Messungen von Querkontraktionen im Zugversuch und Kompressibilit¨aten bei hydrosta-tischer Druckbelastung und die Messung der Gewebevordehnungen im K¨orper. Die Ge-webevordehnungen von Materialien im K¨orper wurden im Rahmen dieser Arbeit erstmals quantifiziert. Des Weiteren wurden auch erstmalig einfache Schubversuche mit ¨uberlagerter Zugvordehnung durchgef¨uhrt.

Die im Rahmen dieser Arbeit erzielten experimentellen Ergebnisse erm¨oglichen erstmals eine auf umfassende, statistisch abgesicherte Daten beruhende Materialmodellierung pas-siver Muskeln und Aponeurosen der Bauchwand.

Zur ¨Ubersicht und zur Unterst¨utzung der eigenen Ergebnisse werden in den folgenden Unterkapiteln Einzelergebnisse anderer Forscher angef¨uhrt.

42 6. Experimentelle Charakterisierung weicher biologischer Gewebe

6.1 Aufbau und Zusammensetzung

Weiche biologische Gewebe bestehen aus kollagenen, elastischen und muskul¨aren Fasern, die in einer Matrix, der Grundsubstanz oder extrazellularen Matrix, eingebettet sind. Im spannungs- und dehnungsfreien Zustand bilden die Fasern oftmals eine weitestgehend un-geordnete, querverbundene, r¨aumliche Faserstruktur aus. Dieses Fasernetzwerk ist f¨ur das nichtlineare Last-Deformationsverhalten weicher biologischer Gewebe verantwortlich. Es handelt sich also um strukturbedingte und weniger um materialbedingte Nichtlinearit¨aten, was auch die großen Unterschiede der mechanischen Eigenschaften verschiedener Proben erkl¨art. Aufgrund der Inhomogenit¨at der Gewebe treten diese nicht nur bei Proben von verschiedenen Lebewesen auf, sondern in verminderter Form auch bei Proben vom gleichen Lebewesen.

Bei Belastung verformt sich das Fasernetzwerk in der Grundsubstanz. Das Gleiten der Fasern verursacht dabei nur einen sehr kleinen Widerstand, so dass die Gewebe bei mode-raten Verformungen nur eine sehr geringe Steifigkeit aufweisen. Erst wenn die Struktur – lokal – maximal ausgerichtet ist, nimmt das Faser-Material Last auf und die Steifigkeit des Faser-Matrix-Verbundes steigt deutlich an.

Im K¨orper haben die Gewebe eine erhebliche Vordehnung, die unter anderem zu einer starken Materialorientierung f¨uhrt. Daher ist das Materialverhalten weicher biologischer Gewebe anisotrop. Die Grundsubstanz weist auch eine Struktur auf, die allerdings von h¨oherer Ordnung ist, so dass die Gewebe als Faserverbundwerkstoffe behandelt werden k¨onnen. Im Rahmen einer kontinuumsmechanischen Betrachtungsweise wird das Gef¨uge aus Fasern und Matrix im Sinne der Homogenisierungstechnik als homogener K¨orper auf-gefasst und damit einer Berechnung zug¨anglich gemacht.

Die Bausteine weicher biologischer Gewebe sollen kurz n¨aher erl¨autert werden. Die passiven Gewebe des K¨orpers bestehen vorwiegend aus Kollagen- und Elastinfasern in Grundsub-stanz. Die mechanischen Eigenschaften der Materialien werden durch die Volumenanteile von Fasern und Matrix bestimmt.

Die Grundsubstanz als Matrix besteht aus den Mucopolysacchariden Hyaluron-S¨aure und Chondroitin-Sulfat. Das Chondroitin-Sulfat klebt vor allem die kollagenen Fasern zu B¨undeln zusammen. Die Hyaluron-S¨aure dient dagegen als Schmiermittel, was die Fasern bei Ver-formung aneinander vorbeigleiten l¨asst. Die Grundsubstanz hat die Eigenschaften eines Kolloides. Sie ist wasserunl¨oslich, kann aber Wasser binden.

Kollagen ist ein hochfestes, dehnsteifes, fibr¨oses Protein. Die Grundeinheit des Kollagens besteht aus einer aus festen Bindungen bestehenden langen Trippel-Polypeptid-Kette, wel-che f¨ur die große Zugfestigkeit verantwortlich ist.

Das extrazellulare Protein Elastin ist auf seine zwei- bis dreifache Ausgangsl¨ange dehnbar und hat nur etwa 1/25 der Zugfestigkeit von Kollagen. Es besitzt keine ausgezeichnete Materialorientierung, sondern ist ¨ahnlich der Fasern einer Wirrfasermatte in der Grund-substanz verteilt (HARTUNG [30]).

6.1 Aufbau und Zusammensetzung 43 Skelettmuskeln haben auch im entspannten Zustand eine ausgepr¨agte Materialorientierung.

Sie bestehen aus den eigentlichen kontraktilen Muskelfasern und Kollagenfasernetzwer-ken in Grundsubstanz (Faszien). Pr¨aziser ist jede einzelne, lange, zylindrische Muskelfaser von einem feinen Bindegewebsmantel (Endomysium) umgeben. Fasergruppen sind durch st¨arkere Bindegewebssepten (Perimysium) ummantelt. Der Muskel ist schließlich vom Epi-mysium, einer derben Bindegewebshaut umschlossen (BENNIGHOFF [99], LEONHARDT [100], WHITING [101], NORDIN [102], NIGG [103], FUNG [104]). In Abbildung 6.1 ist der Aufbau von Skelettmuskeln graphisch dargestellt.

Die eigentlichen Muskelfasern sind aus Myofibrillen, kontraktilen Eiweißstrukturen, aufge-baut. Die kleinste kontraktile Einheit wird als Sarkomer bezeichnet und ist aus regelm¨aßig angeordneten d¨unnen und dicken Myofilamenten aufgebaut. Die d¨unnen Filamente beste-hen im Wesentlicbeste-hen aus Aktin und die dicken aus Myosin.

Bei einer Muskelverk¨urzung verschieben sich die Aktin- und Myosinfilamente gegenein-ander ohne ihre L¨ange zu ver¨gegenein-andern. Das Aneingegenein-andervorbeigleiten der Filamente (Gleit-filamenttheorie) entsteht durch Bildung von Querbr¨ucken, die die Filamente schrittweise ineinanderziehen. Dabei wird chemische Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP) in mechanische Arbeit umgewandelt. Bei konstanter Muskell¨ange erzeugt die Bewegung der Querbr¨ucken Kraft. Die Muskelt¨atigkeit wird von Calziumionen in der Umgebung der Myosinfilamente gesteuert. Bei steigender Calziumionenkonzentration kontrahiert der Muskel und erschlafft bei sinkender Konzentration. Dabei erfolgt die Regulierung der Io-nenkonzentration von Zellen ¨uber Ionenkan¨ale und -pumpen.

Die passiven Eigenschaften von Skelettmuskeln werden durch die Kollagenfasernetzwerke des Endo-, Epi- und Perimysiums bestimmt. An ihren Enden gehen die Skelettmuskeln in ihre zugeh¨origen Aponeurosen ¨uber, die keine kontraktilen Fasern haben und ausschließlich aus einem in Grundsubstanz eingebetteten Fasernetzwerk bestehen.

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Epimysium

Perimysium Muskel

Gruppe aus