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Zusammenfassende Diskussion: TEL-AML1 positive ALL

Anfänglich publizierte Studien des Dana Farber Cancer Institutes (DFCI) und des St. Jude Children’s Research Hospitals (SJCRH) zeigten sehr gute Langzeitheilungschance von Kin-dern mit TEL-AML1 positiver ALL-Ersterkrankung (100 % 8-Jahres EFS bzw. 92 % 5-Jahres EFS; Tabelle 6).29,115 Diese günstigen Berichte wurden jedoch durch unsere Auswertungen von ALL-Rezidiven (BFM-Studiengruppe) gedämpft.23-26,30 Wir fanden eine ähnliche Inzi-denz von TEL-AML1 Positivität (ca. 20 %) in den Leukämiezellen von Kindern mit BVZ-ALL-Rezidiv, die entsprechend der Protokolle ALL-REZ BFM behandelt wurden. Diese Er-gebnisse stehen im Widerspruch zu den retrospektiven Analysen - allerdings an einer kleinen Patientenzahl - der Pediatric Oncology Group (POG) und des DFCI (s. Tabelle 6).163,165 An-hand dieser sich anscheinend widersprechenden Datenlage lassen sich einige wichtige Punkte hervorheben, die einen Einfluss sowohl auf die Effektivität der Therapie als auch der Auswer-tung und Interpretation der Ergebnisse haben.

Tabelle 6: Zusammenstellung der Ergebnisse internationaler Behandlungsstudien über Prävalenz und prog-nostischer Bedeutung der TEL-AML1 Fusion bei Kindern mit ALL-Ersterkrankung und -Rezidiv

Gruppe Jahr Anzahl (n) TEL-AML1+

%

3.1.4.1 Therapiestratifizierung und Intensität der Behandlung

Die Heterogenität des Behandlungserfolges von Kindern mit ALL steht in direktem Zusam-menhang mit der Therapiestratifizierung, die von den berücksichtigten Risikofaktoren und der Intensität der Behandlung abhängt. Bisher stellte die Zuordnung der Patienten in bestimmte Risikogruppen zum Zeitpunkt der Diagnose den wichtigsten Parameter zur Festlegung der Intensität der applizierten Therapie dar. Die Kriterien, die von den kooperativen Studiengrup-pen zur Risikostratifizierung angewandt werden, variieren jedoch national und international erheblich. Zur Vereinheitlichung der Therapiestratifizierung wurde in den 90er Jahren eine Risikoabschätzung anhand des Alters, der Leukozytenzahl, des ALL-Immunphänotyps, gene-tischer Merkmale und, in einigen Studien, das Ansprechen auf Prednison (prednisone respon-se) vorgenommen (s. Abschnitt 2.1.1.1). Während Patienten mit TEL-AML1 positiver ALL, die entsprechend den Protokollen des DFCI115bzw. des SJCRH29behandelt wurden, aufgrund dieser Kriterien häufig dem Hochrisikozweig mit einer intensiveren Therapie zugeordnet

zidiv erlitten hatten, 24-26,30 in der Erstbehandlung zu dem niedrigen bzw. mittleren Risiko-zweig mit geringer Therapieintensität. Diese Beobachtung wird durch Ergebnisse von Studien der Children’s Cancer Group (CCG)169und aus Israel168unterstützt. Die Erhöhung der Inten-sität in diesen Protokollen führte zu einer Verbesserung der Behandlungserfolge von Kindern mit TEL-AML1 positiver ALL.

3.1.4.2 Einfluss der Beobachtungszeitdauer auf die Prognose

Trotz der erheblichen Differenzen bezüglich der Inzidenz von TEL-AML1 beim Rezidiv stimmen alle Rezidivstudien darin überein, dass TEL-AML1 Positivität mit einer sehr langen ersten Remissionsdauer assoziiert ist. Anhand der genetischen Determinante TEL-AML1 wird damit erstmalig deutlich, dass zur Erfassung des tatsächlichen Behandlungserfolges (EFS, Überleben) sehr lange Beobachtungszeiten benötigt werden. Entsprechend müssen alle klini-schen Studien kritisch interpretiert werden, die den prognostiklini-schen Stellenwert der TEL-AML1 Fusion untersuchen. Diese Erkenntnis gilt auch für die Wertigkeit anderer prognosti-scher Faktoren, wie am Beispiel der häufigen homozygoten Deletionen der Tumorsuppressor-gene p15INK4b und p16INK4a dargelegt wurde (s. Abschnitt 3.4.2). Folglich erlauben besonders die zum Zeitpunkt des ALL-Rezidivs erhobenen genetischen und klinischen Parameter deren prognostische Relevanz bei der Erstdiagnose und deren Einfluss auf die Therapieeffektivität zu validieren.

3.1.4.3 Einfluss der Chemotherapeutika auf die Therapieeffizienz

In in vitro Analysen zeigten TEL-AML1 positive Zellen eine hohe Sensitivität gegenüber Ste-roiden, Vincristin und Asparaginase.175 Ebenfalls wurde eine geringere intrazelluläre Akku-mulation an Methotrexat-Polyglutamat gemessen.176 Aufgrund dieser in vitro Ergebnisse und durch den Vergleich der eingesetzten Chemotherapeutika sowie deren Dosierungen in den verschiedenen Protokollen, ist es vorstellbar, dass TEL-AML1 positive ALL besser durch ma-ximale Dosierungen von Asparaginase und Antimetaboliten (6-Mercaptopurin, Methotrexat) zu behandeln sind.175,176

3.1.4.4 Einfluss von wirtseigenen Faktoren

Zusätzlich zur Beobachtung, dass TEL-AML1 Positivität mit einem jüngeren Erkrankungsalter und mit niedrigen Leukozytenzahlen assoziiert ist, weisen einige ethnische Gruppen (Spanier, Koreaner) eine geringere Inzidenz von TEL-AML1 positiven ALL auf. Es ist vorstellbar, dass hereditäre Faktoren das Auftreten des (genetischen) ALL-Subtyps mitbestimmen. Obwohl Polymorphismen der Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR) mit der Entwicklung von Leukämien mit einer MLL-Rekombination (11q23) assoziiert sind, konnte kein Zusammen-hang mit der TEL-AML1 Fusion gefunden werden.177 Andere Polymorphismen, einschließlich der die Zytochrom-P450-Familie und Glutathion-Transferasen betreffenden (s. Abschnitt 3.6, Projekt 6), sind ebenfalls mit einem erhöhten ALL-Risiko verbunden, jedoch nicht spezifisch mit TEL-AML1 positiver ALL. Außerdem ist es denkbar, dass weitere Wirtsfaktoren unab-hängig von der behandelten Leukämie oder der angewandten Therapie die Chemosensitivität determinieren (s. Abschnitt 3.6).

Trotz aller Differenzen stimmen die klinischen Studien darin überein, dass TEL-AML1-positive ALL spät rezidivieren und sich auffallend sensitiv gegenüber einer erneuten Chemo-therapie verhalten. Kinder mit erstem Rezidiv einer TEL-AML1-positiven ALL haben eine signifikant bessere Überlebenswahrscheinlichkeit als solche mit TEL-AML1-negativen ALL-Rezidiven.24-26,30,163,165 In einer match-pair Analyse konnten wir zeigen (ALL-REZ BFM), dass der genetische Parameter TEL-AML1 im Rezidivfall zwar keinen unabhängigen prognos-tischen Faktor darstellt, jedoch ein statistisch grenzwärtig signifikanter Trend zu einer besse-ren Prognose von Kindern mit TEL-AML1 positiven ALL-Rezidiv zu beobachten war.30 Ein-schränkend muss erwähnt werden, dass die Beobachtungszeit in dieser Analyse noch sehr kurz war. Eine Analyse zu einem späteren Zeitpunkt wird möglicherweise die Unterschiede klarer hervorheben. Match-Kriterien waren Zeit und Lokalisation des Rezidivs, Leukozyten-zahl, BCR-ABL Negativität und Alter beim Rezidiv. In anbetracht der exzellenten pEFS von über 50 %, die durch alleinige Chemotherapie erreicht werden, zeigen unsere Analysen, dass Kinder mit TEL-AML1 positiven ALL-Rezidiven keiner Therapie, die mit einem nicht ver-tretbaren höheren Risiko assoziiert ist (z.B. allogene Stammzell-Transplantation) zugeführt werden sollten.

Sensitive und spezifische molekulare Verfahren, die das individuelle Ansprechen auf die In-duktionstherapie besser zu quantifizieren vermögen, sind möglicherweise fähig, zusätzliche Informationen zu liefern, die eine adäquatere Risikoabschätzung und der damit assoziierten

Intensität der Therapie erlauben (s. Abschnitt 3.2.2). Entsprechend haben einige kleinere Stu-dien die prognostische Signifikanz der TEL-AML1 Fusion in Abhängigkeit der molekularen Response analysiert. In diesen Analysen korrelierte die Menge der TEL-AML1 Fusi-onstranskripten während der frühen Phasen der Therapie mit einer höheren Resistenz und letztlich mit einem Rückfall.178,179 Diese Ergebnisse stimmen mit denen größereR Studien überein. In den gegenwärtigen ALL-Ersterkrankungs- und –Rezidiv-Therapieoptimierungs-studien in Europa (BFM, AEIOP, DCLSG, UKALL) wird die quantitative molekulare Be-stimmung der Reduktion der Leukämiezelllast (MRD) während der Induktionstherapie als ein wesentliches Kriterium zur frühen Erfassung des Rezidivrisikos und zur Bestimmung der Do-sisintensität (Therapiestratifizierung) angewandt (s. Abschnitte 2.1 und 3.2).