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Die Stadt Neckarsulm plant beim Ausbau der bestehenden Bundesstraße B27 im Bereich Neckarsulm zudem eine neue Anschlussstelle im Bereich der Binswanger Straße. Mit diesen Baumaßnahmen soll der ansteigende Verkehrsstrom zu und von den südöstlichen Gewerbe-gebieten der Stadt Neckarsulm zukunftssicher geplant und gestaltet werden. Durch diese baulichen Maßnahmen kann es zu erschütterungsintensiven Bauphasen kommen, wie z. B.

der Abbruch von bestehenden Stützwänden, die Gründungsarbeiten an Widerlagern für eine neue geplante Brücke und die Bodenverdichtungsarbeiten mittels Vibrationswalzen.

An der Kreuzung Am Mühlrain und der Binswanger Straße befindet sich eine radio-onkologische Praxis der Radio Onkologie Nordwürttemberg GbR, die mittels erschütterungs-empfindlicher Bestrahlungsgeräte Strahlentherapien an Patienten durchführt. Der Hersteller der Bestrahlungsgeräte weist explizit darauf hin, dass eine Positionsgenauigkeit von 100 µm (0,1 mm) beim Patienten eingehalten werden muss, um Schäden an Leib und Leben aus-schließen zu können.

Die Stadt Neckarsulm hat den ö. b. u. v. Sachverständigen Dr. Michael Bellmann beauftragt, die zu erwartenden Erschütterungsimmissionen an der radio-onkologischen Praxis (i) während der erschütterungsintensiven Baumaßnahmen, als auch (ii) während des späteren Betriebs der ausgebauten Bundesstraße B27 inkl. Anschluss B27/Binswanger Straße zu untersuchen. Sollte es zu Konflikten zwischen den erschütterungsintensiven Bautätigkeiten oder dem Befahren der erweiterten Bundesstraße B27 mit dem parallelen Betrieb der radio-onkologischen Praxis geben, so sollen schwingungstechnische Maßnahmen vorgeschlagen werden.

Aufgrund der Tatsache, dass der o. g. Ausbau erst in der Planungsphase ist, besteht derzeit noch kein dezidierter Bauablaufplan inkl. Beteiligter, erschütterungsintensiver Baumaß-nahmen und Baumaschinen. Aus diesem Grund werden in diesem Gutachten Standardansätze für derartige Baumaßnahmen aus der Literatur und eigenen Messungen für die Erschütterungsprognose gewählt [8, 9]. Für den späteren Betrieb der ausgebauten Straße inkl. Anschlussstelle wurden Erschütterungsmessungen im Februar 2019 in der radio-onkologischen Praxis durchgeführt und für den Planfall weitergehende Prognosen durchgeführt.

Die Ergebnisse dieses Gutachtens können wie folgt zusammengefasst werden:

Ein paralleler Betrieb der radio-onkologischen Praxis zu bestimmten erschütterungs-intensiven Baumaßnahmen,

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 wie Abbruch der vorhandenen Brücke Binswanger Straße und Gründung der Widerlager für die neue Brücke Binswanger Straße, ist aus erschütterungstechnischer Sicht auszuschließen!

 wie Bodenverdichtungsarbeiten mittels Vibrationswalze, erzeugen Erschütterungen in der radio-onkologischen Praxis, die im Bereich der zulässigen Erschütterungs-einwirkungen auf die Bestrahlungsgeräte laut Hersteller (100 µm) am Fußboden erzeugen, so dass vorsorglich auf einen Betrieb der Bestrahlungsbehandlung zugunsten der Unversehrtheit der Patienten verzichtet werden sollte.

 Durch die spätere Nutzung der ausgebauten Bundesstraße B27 inkl. Anschluss B27/Binswanger Straße ist bei ebenen Fahrbahnen keine Einschränkung des Betriebes der radio-onkologischen Praxis zu erwarten. Allerdings ist dafür Sorge zu tragen, dass keine Fahrbahnunebenheiten oder -absätze entstehen, die insbesondere bei Lkws zu nicht unerheblichen Erschütterungen bei Überfahrung dieser Fahrbahnunebenheiten führen können. Dies gilt insbesondere für die Binswanger Straße und den Anschluss B27/Binswanger Straße.

 Zudem kann im Vorfeld ebenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass es bei eventuell später anfallenden Ausbesserungen oder Baumaßnahmen an der B27 und der Anschlussstelle zu Konflikten hinsichtlich Erschütterungsimmissionen mit der radio-onkologischen Praxis kommen kann.

Gutachterliche Empfehlung:

 Für temporär stark eingegrenzte Baumaßnahmen, wie z. B. der Abbruch der bestehenden Brücke und die Gründungsarbeiten am Widerlager der neuen Brücke Binswanger Straße, ist der Betrieb der radio-onkologischen Praxis auszuschließen.

Dies könnte u. U. durch eine temporäre Schließung der Praxis gewährleistet werden.

 Jedoch kann eine temporäre Schließung der Praxis für die geplanten Boden-verdichtungsarbeiten nicht zielführend sein, da sich diese Arbeiten über mehrere Tage und Wochen erstrecken kann. Bei Schließung der Praxis sind nicht unerhebliche Ausfallkosten seitens der Praxis zu erwarten. Für diese Art der erschütterungs-intensiven Baumaßnahmen ist eine Umsiedlung der radio-onkologischen Praxis weit entfernt von sehr befahrenen Straßen und erschütterungsintensivem Gewerbe ziel-führend.

 Eine Umsiedlung der Praxis ist für die spätere Nutzung der B27 inkl. Anschlussstelle nicht zwingend erforderlich, allerdings müsste der Träger der Straße einer besonderen Sorgfaltspflicht nachkommen, so dass keine Fahrbahnunebenheiten und -absätze entstehen, die zu nicht unerheblichen Erschütterungsimmissionen innerhalb

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der Praxis führen werden. Zudem sind geeignete, schwingungstilgende Maßnahmen während späterer Ausbesserungsarbeiten an den Straßen zu planen, die eigentlich nur durch temporäre Schließungen der Praxis gewährleistet werden können.

Begründung:

Der Hersteller der Bestrahlungsgeräte gibt einen Positionsfehler von 100 µm am Patienten an, der während der Behandlung mit Strahlen tolerierbar ist, damit Schäden an Leib und Leben ausgeschlossen werden können. In dieser Studie bin ich in erster Näherung davon ausgegangen, dass somit die maximale Schwingungsamplitude am Aufstellungsort (hier Praxisboden) den o. g. Wert von 100 µm nicht übersteigen darf. Da der Hersteller jedoch explizit auf Resonanzeffekte seines Bestrahlungsgerätes im sehr tieffrequenten Bereich (2 bis 10 Hz) hinweist, ist im Vorfeld nicht auszuschließen, dass die geforderten 100 µm Positionsgenauigkeit am Patienten nicht schon bei deutlich geringeren Schwingungsamplituden am Boden der Praxis erreicht werden können, da sich das Bestrahlungsgerät im Resonanzfall ggfs. „aufschwingen“ kann. Genauere Studien über das Schwingungsverhalten der Bestrahlungsgeräte liegen zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung nicht vor.

Schwingungstilgende Maßnahmen, wie z. B. die Aufstellung der Bestrahlungsgeräte auf Schwingungstilger erscheint mir aus technischer Sicht ebenfalls nicht als zielführend, da die Resonanzeffekte des Gerätes bis 2 Hz runter gehen. Unabhängig davon müsste durch ein geeignetes (online) Monitoring-Verfahren gewährleistet werden, dass die Positionstoleranz von 100 µm bei jeder Behandlung gewährleistet werden kann und zudem die Standsicherheit des Bestrahlungsgerätes gewährleistet ist.

Unabhängig davon wurden in einer Studie von Hindmarsh & Smith (2018) die Einwirkungen von Baumaßnahmen (hier Bodenverdichtungsmaßnahmen mittels Vibrationswalze) auf ver-gleichbare Bestrahlungsgeräte gemessen und untersucht. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es selbst bei deutlicher Unterschreitung der Mindestanforderungen von 100 µm Schwingamplitude / Positionsgenauigkeit der Bestrahlungsgeräte bei Patienten zu

„unsicheren Empfindungen“ oder zu „weniger Vertrauen in die Behandlungsmethode“

gekommen ist. Die behandelnden Ärzte habe in Abstimmung mit der Klinikleitung somit entschieden, dass eine parallele Behandlung mit vergleichbaren Bestrahlungsgeräten zu den Verdichtungsarbeiten nicht möglich ist. Daraufhin wurden die Verdichtungsarbeiten mittels Vibrationswalze eingestellt.

In einer Studie von Amick & Gendreau [14] wurde der Einwirkungsbereich von Vibrations-walzen auf derartige Bestrahlungsgeräte gemessen und modelliert. Die Autoren kommen zu

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dem Ergebnis, dass je nach Vibrationsfrequenz und Art der Vibrationswalze ein paralleler Betrieb der Bestrahlungsgeräte im Bereich zwischen 65 und 165 m nicht sicher gewährleistet werden kann. Die radio-onkologische Praxis befindet sich in weniger als 20 m Entfernung zur Binswanger Straße und zum Anschluss B27/Binswanger Straße der Bundesstraße B27.

Unabhängig aller o. g., technischen Argumente sollte im vorliegenden Fall sowohl eine Risikobewertung hinsichtlich Personenschaden, als auch eine wirtschaftliche Bewertung erfolgen. Sollte es durch Erschütterungsimmissionen zu einem Behandlungsfehler an einem Patienten kommen, so können die Folgen für Leib und Leben verheerend sein. Unabhängig von einem Behandlungsfehler verfolgt die Radio-Onkologie Nordwürttemberg GbR wirtschaftliche Interessen. Sollten sich kurzfristige Schließungen der Praxis durch die anliegenden Bauarbeiten ergeben oder sich die Patienten bei vorhandenen Erschütterungsimmissionen während der Behandlung „unsicher“ oder „unwohl“ fühlen, so sind die wirtschaftlichen Folgen für die Radio-Onkologie Nordwürttemberg GbR sehr hoch.

Fazit: Um planungssicher und langfristig einem Konflikt zwischen der ausgebauten Bundesstraße B27 inkl. Anschluss B27/Binswanger Straße und der radio-onkologischen Praxis entgegen zu wirken, ist die Umsiedlung der Praxis aus gutachterlicher Sicht empfehlenswert und die einzige realisierbare Möglichkeit.

Bei einer Umsiedlung der radio-onkologischen Praxis sind keine zusätzlichen, schwingungstechnischen Maßnahmen, wie Schwingungstilger oder ein entkoppeltes Fundament zwingend erforderlich, um die Anforderungen des Herstellers hinsichtlich Erschütterungsimmissionen auf die Bestrahlungsgeräte zu gewährleisten. Es sollten aber den Empfehlungen des Herstellers Folge geleistet werden, dass sich die Praxis nicht in unmittelbarer Nähe zu erschütterungsintensivem Gewerbe, geplanten erschütterungs-intensiven Baumaßnahmen oder sehr stark befahrenen Straßen und Schienen befindet.

Zudem sollte die direkte Nähe zu Kompressoren und Fahrstühlen, etc. vermieden werden.

Sollte eine unmittelbare Nähe zu den o. g. Erschütterungsquellen nicht gänzlich vermieden werden, ist die Aufstellung der Bestrahlungsgeräte auf einem separaten, schwingungs-entkoppelten Fundament aus gutachterlicher Sicht zu empfehlen. D. h., dass das

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Bestrahlungsgerät sich auf einem schwingungsentkoppelten Fundament befindet und keinen direkten Kontakt zum restlichen Gebäude besitzt.

Oldenburg, den 15. Mai 2019

Dr. Michael A. Bellmann

von der Oldenburgischen IHK ö. b. u. v. Sachverständiger für Schwingungen, Erschütterungen und Vibrationen Sachstellenleiter der Messstelle nach §29b BImSchG für Schwingungen, Erschütterungen und Vibrationen

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