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Kurt Möller

2. Zur Rolle des präventiven Aspekts

Soziale und pädagogische Strategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit kommen aus den oben erläuterten Umständen gar nicht umhin, geschlechtsreflektierend (zu diesem Begriff vgl. Möller 1997) zu arbeiten.

Hauptzielstellungen sind dabei schlussfolgernd:

◗ in der Arbeit mit Jungen den Abbau von Vorstellungen und Strukturen maskuliner Hegemonie zu betreiben und

◗ in der Arbeit mit Mädchen kritisch den konventionellen weiblichen Sozialisationsstrang und die Entwicklung von Alternativen dazu in den Mittelpunkt zu rücken.

Die allgemein sozialer Arbeit und pädagogischen Anstrengungen zuzuschreibende Relevanz, nicht allein reaktiv-interventionistisch vorzugehen, sondern präventiv tätig zu werden, erhöht sich noch einmal unter der Perspektive geschlechtsreflektierenden Arbeitens, u. a. deshalb weil

◗ für das einzelne (jugendliche) Subjekt der Aufbau einer Geschlechtsidentität ein langfris-tiger, vielbezüglicher, sukzessiv verlaufender und ganzheitlicher Prozess ist, seine Resultate sich entsprechend tief in die Persönlichkeit eingraben und sie daher in späte-ren Lebensphasen nur noch schwer veränderbar sind,

◗ bei den stark überproportional gefährdeten männlichen Jugendlichen politisch relevante Orientierungen wie Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sich über eine allgemei-ne und dabei deutlich maskulin konnotierte Gewaltakzeptanz und ihre Normalisierung auf-bauen (und nicht etwa umgekehrt zuerst Ideologien vertreten werden, die sich dann im nachhinein mit Gewalt aufladen),

◗ die Entwicklung von Geschlechtsidentität im Verlaufe der Biografie insbesondere im frühen Jugendalter eine Aktualisierung und eine hohe, auch subjektive Bedeutsamkeit erhält, insofern also sozialarbeiterische und pädagogische Bemühungen der Jugendhilfe stärker

als bisher (mindestens) bereits in einem Alter von 12/13 Jahren ansetzen müssten. Dies gilt verschärft angesichts des Befundes einer Verjüngung der (rechten) Gewaltszene.

Insoweit es sich bei rechtsextremen Orientierungen und Fremdenfeindlichkeit um politische oder – sofern das sie besitzende Subjekt sie selbst gar nicht so versteht – zumindest um politisch relevante Ausformungen des Denkens und Verhaltens handelt, sind unter Präven-tionsgesichtspunkten vermehrte Anstrengungen dahingehend zu unternehmen, über punktu-elle Experimente hinaus verschiedene Modpunktu-elle politischer Partizipation von Kindern und Jugendlichen zu fördern und damit auf breiter Front individuell und sozialverträgliche, ja -förderliche funktionale Äquivalente für Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenhass bereit-zustellen (vgl. auch Möller 1999).

Jugend- und Jugendhilfepolitik muss gezielt Projekte gegen Rechtsextremismus und Fremden-feindlichkeit fördern. Sie darf dies aber keinesfalls auf Kosten der allgemeinen Jugendarbeit tun, sondern diese im Gegenteil weiter ausbauen und dabei insbesondere geschlechtsre-flektierende Ansätze, gerade auch viel stärker als bislang mit Jungen und jungen Männern, stimulieren. Studien ergeben nämlich nicht nur, dass ein schon vorhandener Abbau von Gewalt und rechtsextremen Orientierungen bei Jugendlichen von einem individuell wirksam werdenden Aufweichen maskulinistischer Geschlechtervorstellungen bzw. geschlechtshierar-chischer Verhältnisse befördert wird, sondern auch, dass eine von Anfang der Jugendphase an bestehende und biografisch andauernde Distanz zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit mit geschlechterdemokratischen Vorstellungen und ihnen folgenden Normalitätserfahrungen einhergeht (vgl. zu Distanz- und Distanzierungsbedingungen allge-mein: Möller 2000).

3. Bisherige Erfahrungen (inkl. Zielgruppen, Größenordnungen, Grenzen)

Erfahrungen mit geschlechtsreflektierenden Ansätzen liegen in Bezug auf „rechte“, rechtsex-trem orientierte und fremdenfeindliche Jugendliche nur sehr vereinzelt vor.

Auch wenn die Dringlichkeit geschlechtsreflektierenden Arbeitens mit „rechten“ Jungen besonders groß erscheint (s.o.), stellt sich der Eindruck ein, dass, wenn überhaupt der Anspruch bzw. Versuch geschlechtsreflektierenden Arbeitens erhoben bzw. gemacht wird, sie sich noch am ehesten auf die Zielgruppe der Mädchen/jungen Frauen beziehen.

Die hierbei gesammelten Erfahrungen sind eher ernüchternd, vor allem aus drei Gründen:

◗ Zum Ersten liegt bei den rechts(extrem) orientierten weiblichen Jugendlichen bzw. bei weiblichen Jugendlichen, die sich „rechten“ Cliquen zurechnen (ohne sich deshalb eigen-ständig entsprechend politisch positionieren zu müssen), eine im Vergleich zu anderen Mädchen/jungen Frauen nur geringe Bereitschaft zu geschlechtsspezifischen Aktivitäten vor.

◗ Zum Zweiten – und hier liegt möglicherweise auch ein Grund für ersteres – sind gerade diese Mädchen vielfach derart in geschlechtshierarchische Verhältnisse innerhalb ihrer jun-gendominierten Cliquen und/oder innerhalb ihrer Paarbeziehungen eingebunden, dass sie sich dem Willen ihrer männlichen Freunde, auf solche Aktivitäten zu verzichten, unterwer-fen.

◗ Zum Dritten sind rechte Szenen und Cliquen nicht nur in der Qualität ihres Sozialklimas, sondern auch rein quantitativ stark männlich dominiert, so dass für gruppen- bzw. cli-quenbezogene Angebote, die sich spezifisch an weibliche Jugendliche richten, oft über-haupt nur zwei, drei oder vier Mädchen übrig bleiben, eine Anzahl, die, vor allem ange-sichts der sonstigen Schwierigkeiten (s. o.) kaum die Bildung einer mit einiger Dauer bestehenden Kerngruppe zulässt.

Dessen ungeachtet ist durch die Beschäftigung weiblicher pädagogischer Mitarbeiter eine geschlechtsreflektierende Einzelarbeit, allerdings meist eher punktuell, und auch eine Beglei-tung bei Ablöseprozessen möglich und erforderlich.

Geschlechtsreflektierendes Arbeiten mit Jungen und (jungen) Männern (vgl. dazu Möller 1997) hat zwar gegenwärtig in der Konzeptionsdiskussion der sozialen und pädagogischen Arbeit keinen Exotenstatus mehr, ist aber nichtsdestoweniger in praxi kaum verbreitet. So gesehen ist die äußerst geringe Erfahrungsdichte mit entsprechenden Ansätzen in Bezug auf das „rechte“ und fremdenfeindliche Klientel nicht allzu verwunderlich. Hinzu kommt:

Zwischen der Fachdebatte um Rechtsextremismus und Gewalt bzw. ihren Akteuren und den in diesem Feld tätigen männlichen Sozialpädagogen/-arbeitern einerseits und den Protago-nisten von Jungen- und Männerarbeit bestehen z. Zt. noch wenig diskursiv-inhaltliche und personelle Überschneidungen, gleichwohl die oben skizzierte Problemlage dazu große Veranlassung gäbe. Außerdem sorgt der enge Konnex von bestimmten Facetten traditionel-ler Männlichkeit und Rechtsextremismus, Xenophobie bzw. Ausgrenzungshaltungen dafür, dass die Bereitschaft, Bezüge der Geschlechtsidentität infrage zu stellen, gerade bei männ-licher Klientel in „rechten“ Szenen und Cliquen kaum vorausgesetzt werden kann.

Das durchaus bei den im Arbeitsfeld beschäftigten Sozialpädagogen vorhandene Bemühen um geschlechtsreflektierendes Arbeiten mit „rechten“ Jungen und jungen Männern sieht sich deshalb eher auf situative Interventionen und die Arbeit mit Einzelnen verwiesen. Entsprech-end bedarf sie eines anderen, bislang noch nicht entwickelten Verständnisses von Ge-schlechtsreflektion als es sich in der immer noch in den Kinderschuhen steckenden ge-schlechtsspezifisch verfahrenden Jungengruppenarbeit abzuzeichnen beginnt.

Die geschilderte Situation fordert nicht zuletzt eine auch in der Arbeit mit anderen AdressatInnen leider erst jüngst in Gang gekommene Diskussion darüber heraus, inwieweit und in welcher Weise in geschlechtsheterogenen Zusammenhängen geschlechtsreflektieren-des Arbeiten möglich ist und wie dieser Ansatz stärker als durchgängiges Arbeitsprinzip denn nur als Arbeitsform verankert werden kann.