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Kurt Möller

4. Zu Defiziten und Herausforderungen

In den oben stehenden Ausführungen wurden im Zusammenhang mit Hinweisen auf Grenzen geschlechtsreflektierenden Arbeitens existierende Defizite und neue Herausforderungen für geschlechtsreflektierendes Arbeiten mit rechtsorientierter und fremdenfeindlicher jugendli-cher Klientel bereits erwähnt. Sie abzubauen bedarf es einer Reihe von gesellschafts- und jugendpolitisch zu installierenden Unterstützungsnotwendigkeiten. Ohne Anspruch auf Voll-ständigkeit zu erheben, gehören zu den wichtigsten Desiderata die folgenden Punkte:

Durch thematisch einschlägige Fortbildungsangebote für (sozial)pädagogische/-arbeiterische Mitarbeiterinnnen und Mitarbeitern der Jugendhilfe (sowie für Lehrpersonen), insbesondere auch für solche, die in der sozialen und pädagogischen Arbeit mit offenkundig rechtsorien-tierter Klientel tätig sind, ist sicherzustellen, dass geschlechtsreflektierendes Arbeiten sich im Sinne eines gender-mainstreaming praktisch umsetzen kann. Schwerpunktsetzungen sollten dabei erfolgen durch die Diskussion und Vermittlung von:

◗ theoretisch und empirisch basierten praxisorientierten Inhalten und unmittelbar anwen-dungsbezogenen Methoden und Verfahren,

◗ Ansätzen geschlechtsreflektierenden Arbeitens in Einzel- (und ggf. Paar-)arbeit,

◗ alltags- und situationsorientierten Interventionen,

◗ Arbeitsformen mit männlicher Klientel:

– weil hier die Anfälligkeit bzw. die Gefährdungslage deutlich überproportional hoch ist, – weil ein tatsächlich ursachenbezogenes Arbeiten primär an der Ideologie männlicher He-gemonie und den Strukturen geschlechtshierarchischer Verhältnisse ansetzen muss und – gleichzeitig in diesem Feld der größte Nachholbedarf an der Entwicklung und

Umset-zung von geschlechtsbezogenen Konzepten besteht.

◗ In weiter auszubauenden Arbeitsbezügen zwischen Jugendhilfe und Schule ist darauf hin-zuwirken, dass schulbezogene Konstellationen, die eine Annäherung an und Übernahme von fremdenfeindliche(n) und rechtsextreme(n) Orientierungen durch Kinder und Jugend-liche begünstigen, schnellstmöglichst abgebaut werden. Dazu gehört die Verfolgung eines Leistungsbegriffs, der Zuspitzungen von Konkurrenzhaltungen innerhalb der Wettbewerbs-schule kappt und mit einem durch die Schüler und Schülerinnen auch subjektiv wahr-nehmbaren lebensweltlichen Nutzen verbunden werden kann. Dazu zählt aber auch die stärkere Beachtung geschlechtsspezifischen Lern- und Lehrverhaltens und die Integration geschlechtsreflektierender Arbeitsformen in den Unterricht, dies auch (und gerade) für die Jungen.

◗ Mittels entsprechender Fokussierung ist in der Erwachsenen- und Familienbildung dafür Sorge zu tragen, dass verbreiteter und intensiver als bisher üblich Fragen der

Geschlech-terrollen und der Geschlechtererziehung thematisiert werden. Wenn festgestellt werden kann, dass konventionelle Vorstellungen von Feminität und Maskulinität die Wahrschein-lichkeit der Ausprägung von Exklusionshaltungen erhöhen bzw. für sie mit ursächlich sind, gleichzeitig aber familiale Sozialisation, vor allem in der männlichen Linie (d. h. im Verhältnis von (Groß-)Vätern und Söhnen), diese vermittelt, muss ein Hebel der Verän-derung bzw. VerhinVerän-derung entsprechender Orientierungen bei der jungen Generation präventiv bereits hier angesetzt werden. In dieser Hinsicht hat der bislang nur sporadisch entwickelten Männer- (einschließlich Väter-)Bildung erhöhte (Förder-)Aufmerksamkeit zuzukommen.

◗ Politik hat aus der hier fokussierten Perspektive nur dann eine Chance, ursachenbezogene Gegenstrategien zu fahren:

– wenn sie die Demokratisierung gesellschaftlicher Verhältnisse offensiv und mit Mut zu Experimenten insbesondere in Hinsicht auf Ausweitung von politischer Partizipation der (jugendlichen) Bevölkerung vorantreibt,

– wenn sie alles unterlässt, was wie eine nachträgliche Rechtfertigung fremdenfeindlicher Exzesse und/oder rechtsextremer Positionierungen angesehen werden könnte,

– wenn sie den Diskurs um Einwanderung, aber auch um Integrationsprobleme der mul-tikulturellen Gesellschaft aktiv-gestaltend führt,

– wenn sie die gender-Perspektive als Querschnittsaufgabe aller Ressorts etabliert – und wenn sie im Felde der Gleichstellungspolitik, ohne an der Frauen- und

Mädchenförderungspolitik Abstriche vorzunehmen, ein stärkeres Gewicht auf die Ausbildung einer Jungen- und Männerpolitik legt. Zu ihr gehört eine gezielte Förderung von schulischer und außerschulischer pädagogischer Jungen- und Männerarbeit mit geschlechtsreflektierendem Anspruch und Effekt. Gelänge es nämlich, Jungen und Männer von alternativen, für eine Mehrheit von ihnen alltagspraktisch lebbaren und gleichzeitig äquivalenten männlichen Identitätsbezügen zu überzeugen, ließe sich der Ursachenkomplex von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit an seinen ent-scheidenden Stabilisierungsfaktoren zur Erosion bringen.

Literaturverzeichnis

Connell, Robert W.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten.

Opladen 1999

Gilmore, David: Mythos Mann. Rollen, Rituale, Leitbilder. München 1991

Heitmeyer, Wilhelm: Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Weinheim und München 1987

Möller, Kurt: „Fremdenfeindlichkeit“ – Übereinstimmungen und Unterschiede bei Jungen und Mädchen. In: Engel, Monika/Menke, Barbara (Hg.): Weibliche Lebenswelten – gewaltlos?

Münster 1995, S. 64-86

Möller, Kurt (Hg.): Nur Macher und Macho? Geschlechtsreflektierende Jungen- und Männerarbeit. Weinheim und München 1997

Möller, Kurt: Extremismus. In: Schäfers, B./Zapf, W. (Hg.): Handbuch zur Gesellschaft Deutschlands. Opladen 1998, S. 188-200 (2. Auflage 2000 im Erscheinen)

Möller, Kurt: Die Stuttgarter Jugendräte-Studie. Möglichkeiten zur politischen Beteiligung Jugendlicher an gesamtstädtischen Belangen in einer Großstadt. Stuttgart 1999

Möller, Kurt: Rechte Kids. Erste Langzeit-Studie zum Auf- und Abbau rechtsextremer Orientierungen bei 13- bis 15-jährigen Jungen und Mädchen. Weinheim und München 2000

Einführung

Das Ambulante Aggressivitätstraining richtet sich an Jugendliche, die extrem gewalttätig oder gewaltbereit und/oder rechtsextrem und fremden-feindlich sind. Viele von ihnen leben ihre Aggressivität in einem sozial nicht verträglichen Rahmen aus. Diese Jugendlichen sind nicht von Geburt an so, wie sie jetzt im Moment sind, sondern sind durch die gesell-schaftlichen Einflüsse und damit auch durch uns als Teil dieser Gesellschaft so geworden. Deshalb ist es eine gesellschaftliche Aufgabe, etwas gegen die Gewalttätigkeiten und gegen den Rechtsextremismus zu tun.

Auf der Grundlage der akzeptierenden Jugendarbeit, so wie sie in der ersten Hälfte der 90er-Jahre in Bremen entwickelt wurde, haben wir seit Beginn der 90er-90er-Jahre in einem Jugendzentrum schwerpunktmäßig mit Jugendlichen aus der gewaltbereiten und gewalttäti-gen Skinhead- und Hooliganszene gearbeitet. Im Rahmen dieser Arbeit haben wir zu vielen dieser Jugendlichen einen engen Kontakt bekommen und konnten eine Beziehung aufbau-en, was wir zu Beginn der Arbeit kaum für möglich gehalten hätten.

Aus dieser Arbeit heraus haben wir, nachdem jugendliche Gewalttäter nach neuerlichen Gewalttätigkeiten zu uns gekommen sind und uns um Hilfe baten, in Zusammenarbeit mit Jens Weidner und Psychologinnen der Jugendanstalt Hameln das Ambulante Aggressivitäts-training entwickelt und dann im Laufe der Jahre weiter ausgebaut und den sich verändern-den Rahmenbedingungen angepasst. So ist es zum Beispiel ein Unterschied, ob die Jugendlichen, die an dem Training teilnehmen, uns bekannt sind und eine enge Beziehung zu uns haben, oder ob die Jugendlichen noch keine Beziehung zu uns aufbauen konnten.

Trainingsablauf

Bei unbekannten Teilnehmern wird der Hauptphase des Trainings eine vier Sitzungen umfas-sende „Vorlaufphase“ vorgeschaltet. Die in dieser Phase ca. acht bis zwölf Teilnehmer ler-nen sich in den ersten Sitzungen untereinander kenler-nen, das Training wird ihler-nen vorgestellt.

In den folgenden beiden Sitzungen wird von den Trainern geklärt, ob eine tragfähige Basis für eine Zusammenarbeit zu finden ist und was die Motivation der Jugendlichen für eine Teilnahme ist. Hieran schließt sich ein 2,5-Tageblock an, der unter dem Motto: „Wir schaffen und machen etwas gemeinsam.“ steht. Hier steht zum einen der Aufbau von Beziehungen im Vordergrund, zum anderen ist für uns die gezielte Wahrnehmung der Jugendlichen unter