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Professor Dr. med. Klaus-Dieter Kossow

Professor Dr. med. Klaus-Dieter Kossow, der am 25. Sep-tember in Achim seinen 80. Geburtstag feiert, wurde 1984 erstmalig zum Vorsitzenden der Ärztekammer-Bezirksstelle Verden gewählt und seither kontinuierlich im Amt bestä-tigt – zuletzt im vorigen Jahr. Sein berufspolitisches Enga-gement, das Ende der 1960er Jahre mit dem Eintritt in den Marburger Bund in Berlin begann, ließ Kossow in den fol-genden Jahrzehnten in vielfältigen Gremien des Gesund-heitswesens aktiv werden. Seit 1977 hatte er etwa das Amt des Stellvertretenden Vorsitzenden des Berufsverbands der Allgemeinärzte Deutschlands (BDA) inne und übernahm 1993 die Position des Vorsitzenden dieses Verbands, der sich 2002 in Deutscher Hausärzteverband e.V. umbe-nannte. Auch in der Kassenärztlichen Vereinigung Nieder-sachsen übernahm Kossow Verantwortung: als Vorstands-mitglied der Bezirksstelle Verden ab 1977 und dann als Vorstandsvorsitzender der Bezirksstelle in der Zeit von 1985 bis 1999. Darüber hinaus stand er von 1989 bis 1993 als Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nieder-sachen vor und gehörte in dieser Zeit als Vorstandsmitglied auch der Kassenärztlichen Bundesvereinigung an.

Im Achimer Ortsteil Uesen hat sich Kossow 1972 als Fach-arzt für Allgemeinmedizin niedergelassen. Parallel arbeitete der in Stolzenau an der Weser geborene Arzt aber immer auch wissenschaftlich und übernahm ferner Lehraufträge an der Medizinischen Hochschule Hannover. 1998 wurde Kossow zum Honorarprofessor an den Fachbereich 11 Ge-sundheitswissenschaften der Universität Bremen mit dem Schwerpunkt „Öffentliche Gesundheit, Gesundheitsmana-gement“ berufen, wo er bis 2006 Vorlesungen hielt. 2014 hat sich erneut als Hausarzt, Facharzt für Allgemeinmedizin und für Psychotherapeutische Medizin niedergelassen.

1984 wurde ich Vorsitzender der Ärztekammer-Bezirksstelle Verden und zwei Jahre später zusätzlich Vorsitzender der Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung. Zu Beginn wurde ich intensiv auf die berufspolitischen Aufgaben vor-bereitet. Das gibt es heute gar nicht mehr: Die Funktionärs-schulung im Hartmannbund war exzellent. Wir haben wirk-lich ein halbes Jahr lang systematisch gelernt, wie ein Gesetz entsteht und wie man als Lobbyist interveniert so-wohl auf örtlicher Ebene wie auch auf Landes- und Bundes-ebene. Ich bin zum Beispiel 1993 Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands e.V. geworden, der bis 2002 noch Berufsverband der Allgemeinärzte Deutschlands (BDA) hieß. In dieser Funktion ist es mir gelungen, den Hausarzt ins fünfte Sozialgesetzbuch, Paragraf 76 zu schreiben. Au-ßerdem haben wir damals erreicht, dass der niedersächsi-sche Landtag mit der Stimme aller Abgeordneten partei-übergreifend die Lehrstühle für Allgemeinmedizin in Han-nover und in Göttingen beschloss.

Wie beurteilen Sie im Rückblick den Vorstoß 2002 auf dem 105. Deutschen Ärztetag in Rostock, Innere Medizin und Allgemeinmedizin in einer Weiterbildung zusam-menzufassen?

Wir haben 2002 in Rostock die Chance verpasst, ein Wei-terbildungsgebiet mit einem einheitlichen Standard für die Primärversorgung zu machen, was aus der Praxis für die Praxis entwickelt wird. Innere Medizin, Allgemeinmedizin und Psychosomatik wären zu einem gemeinsamen Weiter-bildungsangebot zusammengefasst worden. Stattdessen hat man entschieden, die Innere Medizin frei von Allgemein-medizin zu halten und fürs Krankenhaus zu retten. Aber mittlerweile hat sich die Innere Medizin zerlegt in Spezial-gebiete wie Nephrologie, Hepatologie, Kardiologie, Pul-mologie, Endokrinologie, Hämatologie, Onkologie und viele mehr. Die Innere Medizin, die man retten wollte, gibt es so gar nicht mehr. Zugleich hat die Ärzteschaft durch ihre Politik ein hinreichendes Mengenaufkommen an

All-gemeinärzten zuverlässig verhindert. Das Rostocker Modell erlaubte Internisten, sich gleich auf Kardiologie oder Endo-krinologie zu spezialisieren, ohne die Weiterbildungsstellen jahrelang zu blockieren. Jetzt haben es angehende Allge-meinmediziner weiterhin schwer, für die Weiterbildung in den Krankenhäusern unterzukommen.

Sie haben das Rostocker Modell noch nicht endgültig auf-gegeben?

Wenn es ein gemeinsames Gebiet „Innere und Allgemein-medizin“ gibt, kann ich für jeden einzelnen Weiterbil-dungsblock die Kriterien festlegen. Außerdem kann ich de-finieren, was ich mindestens brauche und was ich höchstens einbringen kann. Dann habe ich einen Standard für die Pra-xis aus der PraPra-xis und ich habe Subspezialitätenstandards für das Krankenhaus. Diese Chance hat man 2002 verpasst.

Trotzdem kann der Beschluss, auch wenn er vermeidbar war, immer noch revidiert werden.

Sie haben 1996 Ihre Weiterbildung zum Facharzt für psy-chotherapeutische Medizin abgeschlossen. Welchen Stel-lenwert räumen Sie dem Gebiet ein?

Leider ist es uns nicht gelungen, die klinische Psychotherapie mit psychologischer Provenienz zu verhindern. So kam es zu getrennten Körperschaften in der Versorgung und es etablierten sich eine Art „Ersatzhausärzte“: Wenn heute je-mand in Seelennot eine psychosomatische Erkrankung pro-duziert, geht er nicht mehr regelmäßig zum Hausarzt, son-dern regelmäßig zum Therapeuten.

Sie sehen also in der Psychotherapie eher ein Betäti-gungsfeld für den Hausarzt?

Ich bin der Auffassung, dass die Psychotherapie unbedingt nötig war. Für mich ging es darum, das Berufsbild der All-gemeinärzte und Internisten, die gleichzeitig Psychotherapie

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anbieten, breiter aufzustellen. Denn uns war klar, dass man auf Dauer die Primärversorgung nicht nur mit messenden Verfahren und Geräten organisieren kann. Da der Hausarzt sowieso im Mittel jahrzehntelang Patientinnen und Patienten betreut, ist er die geeignete Adresse für die Behandlung psy-chosomatischer Probleme. Das wollte ich damals qualitäts-mäßig absichern. Doch die Verbreiterung der Weiterbildung für die Allgemeinmedizin wurde nicht akzeptiert. Es gab dann die psychosomatische Grundversorgung als Trost-pflaster. In diesem Punkt war sich Ärzteschaft leider einig, dass sie nicht auch noch Entfaltungsmacht in der Psycho-therapie bei den Hausärzten wollte. Aber ich habe vorher-gesehen, was heute passiert: Dass man beim Nervenarzt keinen Termin bekommt – und die Menschen, wenn sie in seelische Not kommen, beim Hausarzt versorgt werden müssen. Bei der Hälfte der Depressiven ist das bereits der Fall. Da hätte ich mir eine tiefenpsychologische fundierte Ausbildung für die Hausärzte gewünscht. Die Schnittstel-lenproblematik wurde durch Organisationsfehler erzeugt.

Sie haben etliche Bücher sowie viele Artikel und wissen-schaftliche Beiträge verfasst: Welche Veröffentlichung ist Ihnen im Rückblick besonders wichtig?

Die wichtigste Publikation ist der Artikel im Lehrbuch für Verhaltenstherapie. Auf diesen 40 Seiten habe ich den Vor-schlag gemacht, wie man die Psychotherapie und die Ver-haltenstherapie mit der tiefenpsychologisch fundierten The-rapie zusammenführen kann.

Sie schätzen die Psychotherapie, aber der Homöopathie stehen Sie kritisch gegenüber?

Ich stehe mit diesen ganzen mystischen Ersatzreligionen auf Kriegsfuß. Ich bin streng naturwissenschaftlich erzogen worden. Aber beim Gehirn trenne ich zum Beispiel die phy-sikalisch exakt messbaren Bereiche der Zelle auf der einen Seite vom nicht messbaren Informationsgehalt auf der an-deren: Das Erfahrungswissen seit der Geburt, das im unbe-wussten Gedächtnis niedergelegt ist, kann ich nicht mit den Mitteln der Naturwissenschaft bearbeiten. Da muss ich mich vielmehr dafür einsetzen, die Persönlichkeit des Pa-tienten kennenzulernen. Das würde ich den Ärztinnen und Ärzten für die Zukunft wünschen, dass sie dieses Defizit ausgleichen und dass sie sich Mühe geben, den Patienten in seiner Subjektivität kennenzulernen. Denn, man muss ja sehen, dass nicht einmal genetisch eineiige Zwillinge ganz identisch sind, weil sie eine unterschiedliche Proteomik entwickeln. Betrachtet man die 100 Milliarden Nervenzel-len, die jeder im Kopf mit sich trägt, haben auch sie alle ver-schiedene Inhalte. Deswegen gibt es keine zwei identischen Menschen auf der Welt. Die Antwort darauf kann nur sein:

Die Medizin soweit zu individualisieren, wie es geht. Das geht jedoch nur im historischen Kontext – langfristig – und dafür ist der Hausarzt da. Wenn sich dabei herausstellt, dass ein Mensch bestimmte Glaubenssätze hat, darf ich die nicht mit Füßen treten, sondern muss tolerant sein. Aber ich muss nicht zusätzlich neue unsinnige Glaubenssätze in das Gehirn von Patientinnen und Patienten träufeln. Ich will nicht Hinarbeiten auf Ersatzreligionen, sondern auf indivi-duelle Bewältigung der subjektiven Lebensprobleme – sprich Krankheiten. Da hat jeder eine andere Resilienz. Mein Job ist es – nicht nur als Hausarzt, sondern auch als Therapeut –, die persönliche Resilienz des Patienten zu fördern, damit er mit seinen Krankheiten und sonstigen Lebensproblemen al-leine klar kommt. Die Souveränität des Einzelnen muss ge-fördert werden in dieser Massengesellschaft.

Wie wichtig ist in dem Kontext die Kommunikation?

Wenn man sich nicht mehr ohne Informationsverlust unter-halten kann mit Kolleginnen und Kollegen sowie Patientin-nen und Patienten, hat man doch verloren. An dem Punkt gibt es keine Teamarbeit mehr. Man muss deshalb darauf hinarbeiten, dass man sich versteht – sowohl als Arzt und Patient als auch als Ärzteschaft untereinander. Was ich an der Vergangenheit so bedaure, ist, dass dieses Bemühen um Verständigung immer eine Einbahnstraße war. Die Fach-medizin gibt die Regeln vor für die hausärztliche Versor-gung. Das kann ich nicht mehr akzeptieren. Beim jetzigen Stand der Allgemeinmedizin nicht mehr.

Wo sehen Sie die Ursachen für den mangelnden Nach-wuchs an Hausärzten?

Die Probleme sehe ich in der Vorbereitungszeit, also bei der Weiterbildung und beim Finden einer geeigneten Land- oder Hausarztpraxis, wo man seinen Job lernen kann. In dieser Hinsicht gibt es erhebliche Probleme. Eine Heraus-forderung ist auch der Anteil der Frauen unter den Berufs-anfängern. Deswegen benötigen wir zum Teil zwei bis drei Personen, um einen Landarzt zu ersetzen, der seine Praxis abgibt. Aus diesem Grund benötigen wir zusätzliche Wei-terbildungsstellen.

Was wünschen Sie Ärztinnen und Ärzten und vor allem den jüngeren Kolleginnen und Kollegen?

Dass sie die Arbeit aushalten. Dass sie ausreichend Egoismus entwickeln und erst für sich sorgen, damit sie die Kraft nicht verlieren, für die Patientinnen und Patienten zu sorgen.

Das Interview führte Professor Dr. med. Thomas Lichte.

Bezirksstelle Verden

„Krankenbesuch

Im Dokument Mehr Schutz und Unterstützung (Seite 26-29)