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4. ERGEBNISSE

4.4.4 NMR-spektroskopische Untersuchung von scF v W226

4.4.4.1 Zuordnung

Die sequenzspezifische Zuordnung der Rückgratresonanzen erfolgte zunächst mit teilweise automatisierten Programmen, die anhand von Listen für die Signalpositionen in den aufgenommen, mehrdimensionalen NMR-Spektren und der Aminosäure-Sequenz des Proteins Vorschläge für zusammenhängende Signale ausgeben.

Das Programm ks_assign (Schweimer, 2000) lieferte mit den ausgegebenen Zuordnungen kurzer Bereiche einen ersten Ansatzpunkt für die weitere manuelle Auswertung. Ebenfalls von Bedeutung waren generierte Hinweise auf mögliche Fehler und Verstöße innerhalb der Signallisten, die eine gezielte Überarbeitung der Werte für die chemischen Verschiebungen ermöglichte. Die wiederholte Kombination aus Programm-Ausführung und Kontrolle der Eingabelisten führte zu einer Verlängerung der bereits zugeordneten Bereiche, ließ sich aber nicht beliebig fortsetzen. Neben Prolin, welches kein Rückgratsignal in HSQC-Spektren liefert, führten vor allem Serin und Glycin zu einem Abbruch einer Zuordnung, da diese innerhalb der Sequenz sehr häufig (38 Ser bzw. 36 Gly) vorkommen. Dies erschwert eine zweifelsfreie Identifikation, gerade für Glycin, welches keine Cβ-Signale zur Unterscheidung liefert, führt häufiger aber auch zu einer Überlagerung der Signale und resultiert so in schwer auffindbaren oder scheinbar fehlenden Signalen.

Generell wurde die Zuordnung durch das Vorhandensein einer relativ hohen Anzahl an repetitiven Elementen innerhalb der Aminosäuresequenz erschwert. So weisen beispielsweise die Sequenzbereiche AS117 - AS120, sowie AS260 - AS263 das identische Motiv VYFC auf, während AS229 - AS232 und AS236 - AS239 beide das Motiv RFSG besitzen.

Neben diesen ersten zugeordneten Bereichen, deren manuelle Verifikation anhand der Cα-, Cβ- und CO-Positionen vorgenommen wurde, hatte das Programm zusammenhängende Bereiche aus drei oder vier Aminosäuren ermittelt, die der implementierte Algorithmus aber innerhalb des großen Sequenzraumes nicht zuordnen konnte. Des Weiteren sucht das Programm für jede Sequenzposition nach möglichen Vorgängern. Die Anzahl der Positionen, für die Vorschläge vorlagen, hatte sich im Zuge des beschriebenen iterativen Prozesses erhöht, wobei sich die Vorschläge gleichzeitig präzisierten.

Mittels der beschriebenen Vorgehensweise konnten ca. 50 Rückgratresonanzen sequenzspezifisch zugeordnet werden. Die Verlängerung bestehender Zuordnungen und das Schließen von Lücken zwischen bereits zusammenhängend zugeordneten Bereichen wurden

zunächst manuell vorgenommen. Hierzu wurden die entsprechenden Cα-, Cβ- und CO-Positionen innerhalb der HNCACB-, HN(CO)CACB-, HNCO- und HN(CA)CO-Spektren gesucht. Ohne vorherige Eingrenzung der Signalanzahl erwies sich dieser Ansatz aber für ein Protein dieser Größe als nicht praktikabel.

Das für NMRView5 (Johnson & Blevins, 1994) erhältliche SMARTNOTEBOOK-Modul (Slupsky et al. 2003) stellt in drei Fenstern (Abb. 4.10 a) das HNCACB- sowie das HN(CO)CACB-Spektrum für eine Position (i) und das HNCACB-Spektrum für die Vorgängerposition (i-1) dar und ermöglicht so eine gezielte Überprüfung von Konnektivitäten anhand der angezeigten Cα- und Cβ-Signale. Die Kontrolle der CO-Positionen erfolgte separat, da das Programm keine HNCO- und HN(CA)CO-Spektren einliest. Das Modul zeichnet sich aber dadurch aus, dass es für gefundene Abschnitte, was in der Regel zwei bis drei zusammenhängenden Aminosäuren entsprach, in einem weiteren Fenster alle Möglichkeiten einer Zuordnung innerhalb des Sequenzraumes markiert. Hierbei werden aber nur die chemischen Verschiebungen der zusammenhängenden Positionen ausgewertet und nicht die zusätzlich enthaltenen Informationen über den Vorgänger des ersten Signals. Über die im HNCACB-Spektrum der ersten Position (i) enthaltenen chemischen Verschiebungen der Cα- und Cβ-Signale des Vorgängers (i-1) verlängert sich der Bereich, für den Verschiebungswerte vorliegen, um eine Position. Da auf Grund des großen Sequenzraumes für zwei zusammenhängende Aminosäuren in der Regel zehn Zuordnungen und für drei aufeinander folgende Positionen noch immer etwa vier Möglichkeiten der Zuordnung bestanden, kam dem Einbeziehen dieser zusätzlichen Information eine entsprechende Bedeutung zu. Weitere Funktionen des Programms zur Vereinfachung der Zuordnung waren im vorliegenden Fall nur von geringem praktischen Nutzen, was zum einen an der Größe der Sequenz und zum anderen an den maschinell schwer zu verarbeitenden Spektren lag. Auf Grund von Kompatibilitätsproblemen konnten die manuell überarbeiteten Listen, die für das Programm ks_assign erstellt worden waren, hier nicht genutzt werden, so dass automatisch erstellte Signallisten verwendet werden mussten. Wegen der stark unterschiedlichen Signalintensitäten innerhalb der Sequenz von W226 musste ein sehr niedriger Schwellenwert für die automatisierte Listenerstellung gewählt werden. Dadurch bedingt enthielten diese Signallisten einerseits Artefakte (Abb. 4.10 b), die die Anzahl falscher Zuordnungsvorschläge erhöhte, andererseits fehlten aber auf Grund der Moleküldynamik auch sehr viele echte Signale (s. unten), die daher vom Programm nicht berücksichtigt werden konnten (Abb.

4.10 c).

HN HN HN

Abb. 4.10) Darstellung der HNCACB (i-1)-, HN(CO)CACB (i)- und HNCACB (i)-Spektren mittels SMARTNOTEBOOK

Die dargestellten Spektren sind bei gleichen Intensitätsniveaus gezeigt, um die Probleme bei der sequenziellen Zuordnung durch die stark unterschiedlichen Signalintensitäten bzw. der völligen Signalauslöschung in den mehrdimensionalen NMR-Spektren zu verdeutlichen.

a) (E34)-L35-A36: Typisches Beispiel für ein Signal/Rausch-Verhältnis, welches eine Zuordnung erlaubt.

b) (E294)-E295-Q296: Durch das Peakpicking wurden zu viele artifizielle Listeneinträge erzeugt, die ein automatisches Zuordnen mit SMARTNOTEBOOK in vielen Fällen verhindern.

c) Position 98: Obwohl im HSQC-Spektrum für diesen Rest ein deutliches Signal detektierbar ist, sind die entsprechenden Cα- und Cβ-Resonanzen in den zugehörigen 3D-Spektren bis unter das Detektionslimit verbreitert. In diesen Fällen (etwa 20 % der Signale) kann weder mit Hilfe von Programmen, noch manuell eine Zuordnung erfolgen.

Das Hauptproblem für die Zuordnung in einem derart großen Protein waren fehlende, eindeutige Informationen über den Aminosäuretyp, bedingt durch die oft auftretenden Folgen an Aminosäuren mit ähnlichen chemischen Verschiebungen. Mit den verschiedenen Ansätzen hatte eine größere Anzahl von Fragmenten aus zwei bis vier zusammenhängenden Aminosäuren bestimmt werden können, deren Zuordnung ohne zusätzliche Informationen aber nicht möglich war. Um weitere Ansätze zu erhalten, wurde mit der selektiven

15N-Markierung begonnen (Kap. 4.4.3). Mit den HSQC-Spektren für die unterschiedlich markierten W226-Proben lagen so eindeutig bestimmte Aminosäuren vor, vor allem aber konnten viele Vorschläge des SMARTNOTEBOOK-Moduls so weit ausgeschlossen werden, bis nur noch eine Lösung übrig blieb. Durch die so erfolgte Zuordnung der bereits bekannten Fragmente war jetzt eine gezielte Verlängerung möglich. Hierbei wurden insbesondere die noch nicht zugeordneten Aminosäuren getestet, die mittels selektiver Markierungen charakterisiert worden waren. In manchen Fällen war dies aber nicht möglich, da trotz starker Rückgratresonanz im HSQC-Spektrum die zugehörigen HNCACB- und HN(CO)CACB-Spektren keine Signale enthielten. Exemplarisch ist dies für die nicht zugeordnete HSQC-Position 98 in Abbildung 4.10 c wiedergegeben. Zusätzlich erlaubte die Aminosäure-Bestimmung aus der selektiven Markierung eine Verifizierung der bis dahin erfolgten Zuordnung.

Weil Antikörper aus einem strukturell hoch konservierten Gerüst bestehen, wurde unter Zuhilfenahme von dreidimensionalen Homologiemodellen (PD. Dr. Stephan Schwarzinger, unveröffentlichte Ergebnisse) des scFv W226 die entsprechenden chemischen Verschiebungen mit dem Programm SHIFTY errechnet (Wishart et al., 1997). Im Rahmen dieser Arbeit wurden vor allem die 1HN-Resonanzen aus rekonstruierten 1H, 15N-HSQC-Spektren in Verbindung mit den 3D-Experimenten und den Daten aus den Präparationen mit aminosäureselektiver Isotopenmarkierung für eine weitere Analyse herangezogen. Die Kombination mit letzteren Techniken ist besonders wichtig, da sowohl die den Berechnungen zugrunde liegenden Homologiemodelle, als auch die Berechnung der chemischen Verschiebungen selbst mit Fehlern behaftet sein können. Zur Reduktion der Fehleranfälligkeit wurden daher insgesamt drei Homologiemodelle zur Analyse verwendet. Es zeigte sich auch, dass die 15N-Verschiebungen nicht mit ausreichender Genauigkeit vorhergesagt werden konnten, um für die Analyse verwendet zu werden. Dennoch konnten mit diesem Ansatz für zehn weitere Sequenzpositionen die Zuordnungen festgelegt werden.

Abb. 4.11) 1H, 15N-HSQC-Spektrum des scFv W226 (auf Seite 46)

Angegeben sind die Positionsbezeichnungen, sowie der Aminosäuretyp für die zugeordneten Signale (blau), bzw. der Aminosäuretyp oder die fortlaufende Nummerierung für die nicht-zugeordneten Positionen (rot). Der umrandete Bereich markiert die Seitenkettensignale, deren Zuordnung nicht vorgenommen wurde.

In Abbildung 4.11 ist das 1H, 15N-Korrelationsspektrum von scFv W226 mit der zugehörigen Zuordnung wiedergegeben. Insgesamt konnten mit den bisher sowie den nachfolgend beschriebenen Verfahren 144 von 311 Rückgratresonanzen sequenziell eindeutig zugeordnet werden.