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Zukunftserwartungen wirtschaftliche Entwicklung: Der Zeit

horizont der Anpassung

Wie aber stellen sich die Zukunftserwartungen für die eigene wirtschaftliche Entwicklung dar? Daß es mit der wirtschaftlichen Entwicklung der DDR nach der Wende bergauf gehen würde, schien dem größten Teil der Bevölkerung fest ausgemacht, gleichzeitig nahm aber auch die Zahl derjenigen, die eine Stagnation oder Ver­

schlechterung ihrer Situation befürchten, zu.

Im Dezember 1989 erwarteten 43% der Befragten, daß sich im Jahre 1990 ihr Lebensstandard verbessern werde, 49% glaubten, daß er zumindest gleich bleiben würde, und nur 7% waren pessimistisch und gingen von einer Verschlechterung ihres Lebensstandards

aus.18 Im Oktober/November 1990 hoffte schon die Hälfte der Befrag­

ten (51%), daß es ihnen in einem Jahr besser gehen werde, 29% er­

warteten, daß sich an ihrer wirtschaftlichen Lage nichts ändern würde, und 20% nahmen eine Verschlechterung ihrer jetzigen wirt­

schaftlichen Situation an19. Damit wird weniger ein wachsender Erwartungsdruck an die Politik deutlich, als vielmehr in der Zu­

nahme derjenigen, die eine Stagnation oder Verschlechterung ihrer Siuation befürchten, ein zunehmendes Unzufriedenheitspotential.

Dies wird auch dadurch deutlich, daß sich ein zunehmender Teil der Bevölkerung von der wirtschaftlichen Entwicklung im Vergleich zu ihren Nachbarn abgehängt fühlt.

Die Frage ist allerdings, wie lang es dauern wird, bis das Ni­

veau der alten Bundesrepublik erreicht sein wird. Hier ist nach dem Optimismus Anfang des Jahres 1990 inzwischen Ernüchterung ein­

gekehrt. In der Umfrage vom Oktober/November 1990 im Auftrag der Süddeutschen Zeitung wurde in Ost- und Westdeutschland da­

nach gefragt, wie die Bundesrepublik im Jahre 2000 aussehen sollte.

Bis dahin wird es der Bevölkerung „deutlich besser“ gehen - 78%

hielten diese Vorstellung für realistischer, 22% waren da eher skep­

tisch. Rund 2/3 waren der Meinung, daß sich bis dahin die allge­

meine Wirtschaftslage zwischen West- und Ostdeutschland angegli­

chen haben wird - zum Zeitpunkt der Umfrage also innerhalb 10 Jahren20. Dabei waren die Einschätzungen im Ost- und Westteil der Bundesrepublik äußerst unterschiedlich: Vom Westen aus gesehen glaubten im September 1990 rund ein Fünftel (21%) der Befragten, daß der Prozeß der Angleichung der Lebensverhältnisse 11 und mehr Jahre dauern wird. Die Einschätzung der Bevölkerung der neuen Bundesländer war dagegen wesentlich optimistischer: nur 2% nahmen an, daß es so lange dauern würde21. Der anfängliche Optimismus, daß die Angleichung in noch kürzerer Zeit zu errei­

18 Rainer Stephan, "Mehrheit gegen ein 'Deutschland einig Vaterland'", in:

Berliner Zeitung, 4.1.1990.

19 Spiegel-spezial, S. 22.

20 SZ-Magazin Nr. 1 vom 4.1.1991, S. 11.

21 Spiegel-spezial, S. 21.

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chen wäre, ist allerdings am Schwinden: im Februar/März 1990 wa­

ren noch 3/4 der Befragten der Meinung, daß „bestimmt“ oder

„vielleicht“ der westliche Lebensstandard in 1-2 Jahren erreicht werden könne, im Juli/August waren es nur noch knapp 2/3 (63%) - gegenüber 36%, die nicht dieser Ansicht waren22. Offensichtlich pendeln sich die langfristigen Erwartungen auf einen mittleren Wert ein: dieser lag im April 1990 bei 7,3 Jahren, im August hatte er sich - möglicherweise unter dem Eindruck der vollzogenen Wäh­

rungsunion und den ersten Zeichen sichtbaren Wohlstands - auf 6,5 Jahre23 verringert, im Oktober/November 1990 war er wieder auf 7,3 Jahre gestiegen24. Zuletzt lag er im Juni/Juli 1991 bei 8 Jahren.25 Der Mittelwert bei den Befragten aus Westdeutschland lag zu diesem Zeitpunkt bei 9,4 Jahren. Wie auch bei den anderen Indikatoren spiegeln sich in der Ausweitung des Zeithorizontes die eingetretende Ernüchterung und der umgreifende Pessimismus wider.

Diese Ernüchterung findet sich auch in der Frage nach der zu­

künftigen wirtschaftlichen Entwicklung: Zwischen Februar/März 1990 und Juli/August 1990 ging die Erwartung, daß es der DDR in einem Jahr wirtschaftlich besser gehen werde, von 58% der Befrag­

ten auf 50% der Befragten zurück26 - mithin knüpfen immer noch die Hälfte der Befragten Erwartungen an einen relativ kurzfristigen Aufschwung, der zu einer Verbesserung ihrer jetzigen Lage beitra­

gen soll. Dies entspricht in etwa dem Anteil derjenigen, die inner­

halb desselben Zeitraumes eine Verbesserung der eigenen Lage er­

warten. Während der Anteil derer, die annahmen, daß sich die wirtschaftliche Situation verschlechtern würde, bei ca. einem Vier­

tel der Befragten schwankte, nahm der Anteil derjenigen, die

glaub-22 Infratest, August 1990, Schaubild 9.

23 ZIJ, Jugend zwischen Wende und Vereinigung Deutschlands. Teil I:

Ausgewählte Ergebnisse DDR-repräsentativer Umfragen zwischen November 1989 und August 1990. S. 48.

24 Spiegel-Spezial, S. 21, ebenso Wohlfahrtssurvey Ost 1991. Einen wesentlich niedrigeren Durchschnittswert erhält die erste Welle der von USUMA durchgeführten Panelbefragung vom November 1990: Die Erwartung liegt dort bei 4,83 Jahren.

25 Der Spiegel Nr. 31/91, S. 49.

26 Infratest, August 1990, Schaubild 4.

ten, daß es zumindest gleich bleiben würde, von 18% auf 27% zu.

Auch hier wird eine Angleichung der wirtschaftlichen Lage der neuen Bundesländer an das westdeutsche Niveau erst auf lange Sicht hin erwartet27: Im Januar 1991 erwartete der größte Teil der Befragten (43%) eine Angleichung in 4 bis 5 Jahren, in einem größe­

ren Zeitraum von 6-10 Jahren waren dies noch 41%, nur eine Min­

derheit von jeweils 7% erwartete, daß der Prozeß der wirtschaftli­

chen Angleichung entweder kürzere Zeit (1 bis 3 Jahre) oder länger (11 und mehr Jahre) dauern würde.

Hier zeigt sich insgesamt,

daß seitens der Ostdeutschen weniger ein wachsender Erwar­

tungsdruck besteht denn ein wachsendes Unzufriedenheits­

potential;

daß die Erwartung der Angleichung des Lebensstandards variiert und zuletzt bei einem Mittelwert von 8 Jahren liegt;

und daß eine Kongruenz zwischen den Erwartungen der Ver­

besserung der eigenen wirtschaftlichen Situation und der der neuen Bundesländer allgemein gesehen wird.

27 Der Spiegel Nr. 6/91.

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