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I. Forschungsstand

1.4 Forschungsstand zu Trans* im Arbeitsleben

1.4.1 Zugang zum Arbeitsmarkt

Bewerbungen

88 % der in Österreich Befragten (Frketic/Baumgartinger 2008) fanden es schwierig, als Trans*Person einen Arbeitsplatz zu finden. Hauptgründe seien Anforderungen des Passings und die Normen des Zwei-Geschlechter-Systems.

Nach niederländischen Daten (Vennix 2010) haben Trans*Personen, die ohne medizinische Geschlechtsangleichung im „anderen Geschlecht“ leben und arbeiten möchten, sowie

„prä-operative“ Trans*Personen ohne sicheres Passing nur eine Chance von 10 % (für Trans-frauen) bzw. 15 % (für Transmänner) auf Gleichbehandlung bei der Einstellung.141

139 Diese Angabe wurde nicht aufgeschlüsselt (vgl. Grant et al. 2010, S. 19).

140 Die ca. Angaben ergeben sich daraus, dass Mehrfachnennungen für geschlechtliche Selbstbezeichnungen möglich waren.

141 Vennix 2010, S. 48.

31 % der niederländischen Befragten vermuteten, 14 % waren überzeugt, wegen ihres Trans*- Seins nicht eingestellt worden zu sein.

29 % unter in Belgien befragten Trans*Personen (Motmans et al. 2010) gaben an, bei Bewer-bungen wegen ihres Trans*Seins keine Chance gehabt zu haben. Unter finnischen Trans*- Personen (Lehtonen/Mustola 2004) sahen sich 13 % bei Bewerbungen diskriminiert.

Eine US-weite Erhebung (NCTE 2009) ergab, dass 44 % der Befragten wegen ihres Trans*- Seins bei Bewerbungen nicht berücksichtigt wurden. In Virginia (USA) gaben dies 20 % der Befragten an.142 In San Francisco (SFBG 2006) fühlten sich fast 40 % bei Bewerbungsverfah-ren diskriminiert.

Balzer (2008) nennt die Verweigerung von Arbeitsvermittlung für Trans*Personen an den drei untersuchten Orten (Berlin, New York, Rio de Janeiro) als verbreitete Diskriminierungs-form.143

Als wesentlichen negativen Einfluss auf die Arbeitssuche benennen mehrere Studien die Nichtübereinstimmung von gelebtem und in Dokumenten ausgewiesenem Geschlecht (Frketic/Baumgartinger 2008; Motmans et al. 2010; Esteva et al. 2006). Die Voraussetzungen für die Änderung der Dokumente variieren in unterschiedlichen Staaten. Grundlegend ist jedoch i. d. R. die medizinische Diagnose Transsexualität; das Verfahren ist meist langwie-rig, was auch auf die deutsche Situation zutrifft. Viele Trans*Menschen haben keinen Zu-gang zur Anpassung ihrer Dokumente an das gelebte Geschlecht, wenn ihr Trans*Sein nicht den diagnostischen Kriterien entspricht, oder es entstehen lange Wartezeiten.

Motmans et al. (2010) weisen darauf hin, dass viele Trans*Menschen ihren Arbeitsplatz während der Transition aufgeben und erst wieder eine Festanstellung suchen, wenn ihre Papiere geändert sind.144 Auch Frketic/Baumgartinger (2008) stellen fest, dass viele Trans*-Personen kurz vor oder nach einer geschlechtsangleichenden Operation den Arbeitsplatz wechseln.145

Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, kritisiert in seinem Themenpapier „Menschenrechte und Geschlechtsidentität“ (2009) die lange Dauer der behördlichen Anerkennungsverfahren für den Geschlechtswechsel. In dieser Zeit seien viele Trans*Personen zu einem Doppelleben gezwungen, insbesondere wenn der Alltags-test den Geschlechtswechsel am Arbeitsplatz erfordere, ohne dass die betreffende Person über rechtliche Absicherung durch geänderte Dokumente verfüge.146

142 Xavier et al. 2007, zitiert nach Badgett et al. 2007, S. 8.

143 Vgl. Balzer 2008, S. 10, Fußnote 10.

144 Vgl. ebd., S. 141. Darüber hinaus sei es für Trans*Menschen, die in stark geschlechtersegregierten Arbeits-feldern tätig sind, nach der Transition problematisch, Berufserfahrungen im früheren Geschlecht zu bele-gen (vgl. ebd., S. 143). Daten einer finnischen Untersuchung (Huuska 2002) weisen darauf hin, dass viele Trans*Menschen fragmentierte Studienverläufe oder Lebensläufe haben, u. a. da sich aus Transitionsprozes-sen oft unerklärbare Lücken ergeben (vgl. ebd., S. 103).

145 Vgl. Frketic/Baumgartinger 2008, S. 40.

146 Europarat/Hammarberg 2009. Ein ähnliches Bild vermittelt die australische Menschenrechtskommission, die Trans*Communitys nach ihren wichtigsten Anliegen in Bezug auf Menschenrechte befragte: Das meist-genannte Thema war der Zugang zur Änderung von Dokumenten. Vgl. AHRC 2009, S. 5.

Deutsche Trans*Organisationen kritisieren die langwierigen und kostenintensiven Ver-fahren der Vornamens- und Personenstandsänderung nach TSG. So ziehe sich eine Vor-namensänderung über ca. ein Jahr bis zu zwei Jahren hin. Dies setze Trans*Personen der Diskriminierung aus. Dazu trage weiterhin die Begutachtungspraxis bei sowie die Ein-schränkung der Zielgruppe, die viele Trans*Personen am Zugang zu rechtlicher Absiche-rung hindere.147

Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitslosigkeit

Mehrere Untersuchungen ergeben geringe Zahlen von Trans*Menschen, die einer Vollzeit-beschäftigung nachgehen: 31 % in der europaweiten Erhebung von Whittle et al. (2008), davon 27 % der Transfrauen und 33 % der Transmänner; in der europäischen nicht trans*

Vergleichsbevölkerung waren es 57 % der Frauen und 72 % der Männer. Browne/Lim (2008) nennen 26 %, Esteva et al. (2001) 35 %.

Unter den von Whittle et al. (2007) befragten Trans*Personen arbeiteten zwar überdurch-schnittlich viele in leitenden Positionen. Andererseits verzichteten 42 % derjenigen, die nicht (dauernd) in ihrem gewählten Geschlecht lebten, aus Angst um ihren Arbeitsplatz auf den Geschlechtswechsel bzw. das Zeigen ihres Trans*Seins.

Die vorliegenden Studien weisen z. T. auf hohe Arbeitslosigkeitsraten unter Trans*Personen hin:

I 9 % UK (Browne/Lim 2008) arbeitslos und Arbeit suchend (im Vergleich zu 5 % der Gesamt-bevölkerung) sowie 29 % arbeitslos, nicht Arbeit suchend und arbeitsunfähig (im Ver-gleich zu 21 % der Gesamtbevölkerung)

I 37 % UK (STA 2008) (dabei gaben 8 % an, wegen ihres Trans*Seins entlassen worden zu sein) I 54 % Spanien (Esteva et al. 2001)

I 8 % Finnland (Lehtonen/Mustola 2004) (im Vergleich zu 3 % der LSB-Teilnehmer_innen)148

Unter den von Vennix (2010) in den Niederlanden Befragten, die am Arbeitsplatz offen mit ihrem Trans*Sein umgehen, erlebten 8 % Kündigungen bzw. Kündigungsdrohungen. Ven-nix stellt fest, dass Transfrauen, insbesondere nach der Transition, häufiger arbeitslos sind als Transmänner. Ein für andere nicht überzeugendes Passing vergrößere die Gefahr von Arbeitslosigkeit.149

Viele Trans*Personen geben aufgrund von bzw. aus Angst vor Diskriminierung selbst ihren Arbeitsplatz auf:

I 13 % UK (STA 2008)

I 23 % UK (Whittle et al. 2007)

147 Vgl. Presseerklärung von TransInterQueer e. V., http://www.transinterqueer.org/uploads/PM_TrIQ_TSG.

pdf; Eckpunktepapier zur Reform des TSG von Transgender-Netzwerk Berlin (TGNB) und TransInterQueer (TrIQ) e. V. (2009), http://www.transinterqueer.org/uploads/Eckpunkte_TSG_April_09.pdf (unterzeichnet von elf weiteren Organisationen); vgl. auch Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) (2009), http://www.transinterqueer.org/uploads/dgti_tsg_positionspapier.pdf.

148 Die große Bandbreite der Zahlen ergibt sich aus den Unterschieden der jeweiligen Samples, etwa in den zugrunde gelegten Definitionen von Trans* (so bestand das Sample der finnischen Studie zur Hälfte aus Menschen, die sich als Transvestiten definierten und am Arbeitsplatz ihr Trans*Sein nicht zeigten, während andere Untersuchungen zu einem großen Teil Personen berücksichtigten, die medizinische Körperverände-rungen anstrebten und/oder die sich am Arbeitsplatz geoutet hatten bzw. den Alltagstest absolvierten, z. B.

Whittle 2000; Vennix 2010; wieder andere schlossen eine Reihe von zwischengeschlechtlich lebenden Men-schen ein, z. B. Frketic/Baumgartinger 2008), dem Kontext der Befragungen (so befragten Esteva et al. 2001 ausschließlich Patient_innen einer Gender-Klinik) und weiteren Faktoren.

149 Vgl. Vennix 2010, S. 29 f.

I 26 % Belgien (Motmans et al. 2010)

I 29 % Österreich (Frketic/Baumgartinger 2008) I 29 % UK (Whittle 2000)

Die in Malta qualitativ befragten Trans*Personen, die während eines bestehenden Arbeits-verhältnisses eine Geschlechtsangleichung vorgenommen haben, sahen sich entweder direkt von ihren Arbeitgeber_innen oder aufgrund von sich verschlechternden Arbeits-bedingungen dazu gezwungen, das Beschäftigungsverhältnis zu verlassen bzw. zu wech-seln.150

Einige Autor_innen weisen auf eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Trans*Menschen hin, die selbstständig arbeiteten: 16 % der in Finnland von Lehtonen/Mustola (2004) befrag-ten Trans*Personen (verglichen mit 3 % der befragbefrag-ten LSB-Personen); 20 % der Befragbefrag-ten der Scottish Transgender Alliance (2008).151

Eine US-weite Befragung von Trans*Personen (NCTE 2009) ergab, dass 26 % wegen ihres Trans*Seins ihre Arbeit verloren. 13 % der Teilnehmer_innen waren arbeitslos (doppelt so viele wie in der Gesamtbevölkerung). Besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen waren Trans*People of Color (ca. 20 %). In Virginia (USA) berichteten 13 %, wegen ihres Trans*Seins entlassen worden zu sein.152

Unter den 2006 in San Francisco Befragten (SFBG 2006) waren mehr als 35 % arbeitslos (die Arbeitslosigkeitsrate lag dort zu dieser Zeit bei 4,7 %), 18 % gaben an, wegen ihres Trans*Seins den Arbeitsplatz verloren zu haben.