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Passing, Sichtbarkeit und Diskriminierung

I. Forschungsstand

1.5 Forschungsstand zu Trans* in Bezug auf weitere Diskriminierungsfelder

1.5.10 Passing, Sichtbarkeit und Diskriminierung

Nach Jamison Green liegen die Wurzeln der Diskriminierung von Trans*Menschen wie von Lesben, Schwulen und Bisexuellen in Sexismus und Geschlechter-Stereotypisierung.253 Es gebe einen starken Zusammenhang zwischen Vorurteilen gegenüber diesen Personen-gruppen und dem Verfechten traditioneller Geschlechterrollen.

Nach Lehtonen/Mustola (2004) berichteten Trans*Interviewpartner_innen, dass sie andere Berufe gewählt hätten, wenn sie in ihrem empfundenen statt im zugewiesenen Geschlecht erzogen worden wären.254 Auch geschlechtsspezifische Erwartungen hätten manche Teil-nehmer_innen von der Wahl bestimmter Berufe abgehalten.255

Grant et al. (2010) analysierten Daten zur Diskriminierung von Trans*Menschen anhand des Konzepts visueller Konformität bzw. Nonkonformität. Visuelle Nonkonformität, also das sichtbare Nichterfüllen von Kriterien geschlechtlicher „Eindeutigkeit“, sei ein bedeutsamer Risikofaktor, transfeindliche Einstellungen und damit einhergehende soziale und ökono-mische Belastungen zu erfahren.256

Die Möglichkeit, sich durch Verheimlichen ihres Trans*Seins vor Diskriminierung zu schützen, steht vielen Trans*Menschen nicht offen, wenn sie sich während der Transition offensicht-lich verändern oder wenn ihre Personaldokumente nicht mit dem gelebten Geschlecht übereinstimmen, ihr Passing nicht „erfolgreich“ ist, oder sie eine zwischengeschlechtliche Identität leben. Browne/Lim (2008) stellen fest, dass viele Trans*Personen fast täglich Diskri-minierung und Gewalt erfahren, insbesondere, wenn sie nicht über ein sicheres Passing verfügen.257

Eine gesellschaftlich weit verbreitete Negativhaltung gegenüber Geschlechts-Nonkonfor-mität ist in mehreren internationalen Studien dokumentiert. Moulton/Adams-Price (1997) halten fest, dass heterosexuelle Männer negativ gegenüber Cross-Dressern, gleich ob homo- oder heterosexuell, eingestellt waren (vgl. auch Ceglian/Lyons 2005). Auch nach Hill/Willoughby (2005) zeigen Männer häufiger negative Einstellungen gegenüber norm-abweichenden Ausdrucksweisen von Geschlecht als Frauen. Dabei bestehe für feminine Männer und maskuline Frauen, egal ob für lesbisch, schwul oder trans* gehalten, das höchste Risiko, Gewalt ausgesetzt zu sein (vgl. auch Namaste 1996).

Gerhardstein/Anderson (2010) testeten Reaktionen von rund 240 US-Student_innen auf Porträtfotos von Trans*Menschen. Diese bewerteten die Gesichter als umso attraktiver, je eindeutiger sie ihnen als männlich bzw. weiblich und als kongruent mit dem gelebten Geschlecht erschienen. Sich nicht einstellendes Passing führte zu ablehnenden Haltungen.

In den USA stellte Harvey (2002) eine insgesamt positive und tolerante Einstellung gegen-über transsexuellen Kolleg_innen fest, die eintrete bzw. sich verbessere, wenn die

betref-253 Vgl. Green, Einleitung zum Handbuch „Transgender Equality“ (Currah/Minter o. J.), S. 8.

254 Vgl. Lehtonen/Mustola 2004, S. 188.

255 Vgl. ebd., S. 189.

256 Vgl. Grant et al. 2010, S. 2.

257 Vgl. Browne/Lim 2008, S. 77.

fenden Personen die Gelegenheit des Kennenlernens und der gegenseitigen Wertschät-zung hätten.258

Die einzige deutsche Studie, die u. a. die Wahrnehmung von Trans*Personen im Zusam-menhang mit Antidiskriminierungsthemen behandelt, stammt von Sinus Sociovision (im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2008).259 Die Erhebung konzentrierte sich auf eine Bilanz der Schutzwürdigkeit der im AGG aufgelisteten Gruppen, und damit auch zum ersten Mal von „Transsexuellen (Geschlechtsumwandlung)“260 aus Sicht der deutschen Durchschnittsbevölkerung. Trans*Menschen wurde dabei die zweitgeringste Schutzwürdigkeit zuerkannt. Nur 5 % der Befragten waren der Ansicht, für Transsexuelle müsse viel mehr getan werden, 27 % hingegen meinten, es solle weniger getan werden, 44 % gaben gar an, es solle nichts für Transsexuelle getan werden.261 Dies korrespondiert mit der Einschätzung von 49 % der Befragten, dass Transsexuelle in der Gesellschaft nicht niert würden; nur insgesamt 18 % waren der Ansicht, dass sie stark bzw. sehr stark diskrimi-niert würden.

Bei der Frage nach der Benachteiligung aufgrund des Geschlechtes wurde das Thema

„Transsexualität“ nach Ansicht von Sinus Sociovision „von den Befragten spontan nicht angesprochen, weil man solchen Menschen im Alltag nur sehr selten begegnet“.262 Diese Befunde der Wahrnehmung von Diskriminierung sind in sich widersprüchlich: So seien Transsexuelle Menschen, denen man nicht begegne, dennoch sah sich die Hälfte der Be-fragten in der Lage auszusagen, dass sie nicht von Diskriminierung betroffen seien.

Dabei weist das hohe Ausmaß der Ablehnung gegenüber Trans*Lebensweisen auf die Vul-nerabilität von Trans*Menschen für Diskriminierung hin: Insgesamt 45 % der Befragten (50 % der Männer, 40 % der Frauen) stimmten folgender Aussage zu: „Für Transsexuelle, das heißt, für Menschen, die ihr Geschlecht umgewandelt haben oder die es umwandeln wol-len, habe ich kein Verständnis“.263

1.5.11 (Psycho-)soziale und gesundheitliche Auswirkungen von Diskriminierung

Da die Diskriminierungslage von Trans*Personen im Arbeitsleben bislang und überwiegend explorativ untersucht ist, liegen kaum Daten zu Auswirkungen von Diskriminierung vor.

Berater_innen aus der Antidiskriminierungsarbeit weisen darauf hin, dass am Arbeitsplatz Mobbing eine verbreitete Diskriminierungsform sei,264 wie dies auch einige der ausgewer-teten Studien nahelegen. Nach Teuschel (2010) zieht Mobbing ohne Intervention immer

258 Vgl. Harvey 2002.

259 Datenbasis: qualitativ: sechs Pilot-Kreativ-Workshops mit 48 Teilnehmenden, 20 Kreativ-Workshops mit 157 Teilnehmenden, 40 Tiefeninterviews; quantitativ: persönlich-mündliche Befragung von 2.610 Personen über 18 Jahre (saturiertes Sample).

260 Im Gegensatz zu den anderen fünf Merkmalen galt Transsexualität bei der Befragung offenbar als durch einen Zusatz erklärungsbedürftig. Andere Formen des Trans*Seins wurden nicht thematisiert.

261 Vgl. Sinus Sociovision 2008, S. 50.

262 Sinus Sociovision 2008, S. 61, Fußnote 10. Die Übersichtsauswertung der Studie übernahm diesen Bias, indem sie zwar nach Transsexualität fragte, aber weder bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (verstanden als Männer und Frauen) noch bei Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität (verstanden als sexuelle Orientierung) die auf Transsexuelle bezogenen Ergebnisse einbezog.

263 Sinus Sociovision 2008, S. 65 ff.

264 Vgl. Chicote (o. J.), S. 41.

psychische bzw. gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich.265 Vorliegende Daten geben jedoch keinen Einblick in psychosoziale Auswirkungen von Mobbingerfahrungen, die Trans*Personen berichten.

Vennix (2010) sieht bei Depressivität und Krankheitsausfällen von Trans*Menschen einen Zusammenhang mit Geschlechternormen und gesellschaftlicher Sanktionierung von Überschreitungen von Geschlechtergrenzen.266 Auch könne das Nichtleben bzw. Verheim-lichen der geschlechtVerheim-lichen Identität bzw. ihre fehlende Anerkennung am Arbeitsplatz für Trans*Personen psychosoziale Beeinträchtigungen mit sich bringen.267 Auch Lehtonen/

Mustola (2004) werfen die Frage nach Auswirkungen hetero- und gender-normativer Ar-beitsumfelder auf die Gesundheit auf.268

Rauchfleisch (2009) benennt Diskriminierung als wichtiges Thema im Rahmen der Psycho-therapie mit Trans*Personen: Erfahrungen von Ausgrenzung hätten verhängnisvolle Fol-gen für deren Selbstbild.269

Clements-Nolle et al. (2006) nennen Stigmatisierung, Gewalt und Diskriminierung als Einflussfaktoren für die hohe Rate an Suizidversuchen unter Trans*Menschen. Mizock/

Lewis (2008) führen die hohen Raten von Suizidgedanken und -versuchen unter Trans*- Personen sowohl auf das große Ausmaß an Gewalt gegen Trans*Menschen als auch auf verinnerlichte Transphobie zurück, die selbst bei einem unterstützenden Umfeld dazu beitragen könne, dass Trans*Personen die verbreitete Ablehnung ihrer Identität gegen sich selbst richteten.270 Dabei bewirkten viele alltägliche Situationen der Ausgrenzung psychi-sche Beschädigungen, die sich negativ auf die Bewältigung von Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen auswirkten.271

Mizock/Lewis (2008) problematisieren, dass den Trans*Personen, die Opfer von Gewalt werden, Resilienzfaktoren (die die Bewältigung von Traumatisierungen erleichtern und positive Umgangsstrategien fördern) oft in geringerem Maße zur Verfügung stünden als anderen Menschen: Zum Beispiel reagierten Familienmitglieder oft selbst transphob.

Mehrfachzugehörigkeit bzw. -diskriminierung erhöhe das Risiko eines ungünstigen Ver-laufs von Traumatisierungsfolgen, u. a. da Unterstützung schwieriger zu erhalten sei: So stießen Trans*People of Color in Trans*Communitys häufig auf Rassismus, in anderen, bei Rassismuserfahrungen unterstützenden Communitys wiederum auf Transphobie.

Negative Erfahrungen mit transphoben Mediziner_innen bzw. mit dem Gesundheitssys-tem bis hin zu (erneuter) Traumatisierung könnten es Trans*Personen erschweren oder verunmöglichen, dort Hilfe bei Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen zu suchen bzw.

adäquate Unterstützung zu erhalten.272

265 Vgl. Teuschel 2010, S. 5. Diese seien zu einem großen Teil Stressfolgen und könnten unterschiedliche Formen annehmen: vgl. ebd., S. 151 ff.

266 Vgl. Vennix 2010, S. 138.

267 Vgl. ebd., S. 3. Vgl. European Union/Agency for Fundamental Rights 2009.

268 Vgl. Lehtonen/Mustola 2004, S. 261.

269 Vgl. Rauchfleisch 2009, S. 91.

270 Vgl. Mizock/Lewis 2008, S. 342 f.

271 Vgl. ebd., S. 346.

272 Vgl. Mizock/Lewis 2008, S. 344 f.

Nach Mizock/Lewis erhöht Diskriminierung am Arbeitsplatz die Belastung von Trans*Per-sonen, die auch außerhalb des Arbeitslebens Diskriminierungen erfahren. Die Bewälti-gung der Erfahrungen werde erschwert, dies auch durch ökonomische Unsicherheit durch Bedrohung bzw. Verlust des Arbeitsplatzes.273

Haller/Auer (2004) beschreiben als Bewältigungsstrategie von LSBT-Arbeitnehmer_innen gegen Erfahrungen von bzw. aus Angst vor Diskriminierung das Bestreben, sich unersetz-lich zu machen, was einen hohen Leistungsdruck mit sich bringe.274