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DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791

Die Eckdaten dieser Epoche österreichischer Zensurgeschichte ergeben sich einerseits durch die 1751 erfolgte Pioniertat der Einrichtung einer permanenten Zensurkommission durch Kaiserin Maria Theresia. Damit wurde die Zensur erstmals und dauerhaft institutionalisiert und kodifiziert. 1792 beginnt mit dem Regierungsantritt Kaiser Franz’ II. eine neue Ära mit Grundsätzen von einer bis dahin unerhörten Strenge und quantitativ starker Zunahme der Verbotstätig-keit. Die in diesem Kapitel behandelte Periode kann wiederum unterteilt werden in eine Phase mit vergleichsweise straffer Handhabung und auch quantitativ intensiver Verbotstätigkeit unter Maria Theresias Regiment, die sich bis zu ihrem Tod im Jahr 1780 erstreckt, und das josephinische Jahrzehnt mit dem kurzen, knapp zweijährigen Annex der Regierungszeit Kaiser Leopolds II., in dem die Zensur stark gelockert und liberal gehandhabt wurde. Man könnte hier mit den von Wögerbauer et al. für die Zensur in Böhmen verwendeten Kategorien von einem Übergang von einem paternalistischen zu einem liberalen Zensursystem sprechen, das in der Folge, das heißt ab ca. 1792 und endgültig ab 1795, von einem paternalistisch-autoritären Zensursystem abgelöst wird.1

2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit

Das erste Verbot eines Buches im deutschsprachigen Raum scheint der Bischof von Würzburg 1482 ausgesprochen zu haben. 1486 führte der Mainzer Erzbi-schof Berthold von Henneberg die kirchliche Vorzensur ein, der Papst erließ im November 1487 eine Bulle „contra Impressores Librorum Reprobatorum“. Die Kirche, vertreten durch die Bischöfe, kontrollierte zudem den Bücherverkehr durch Händler und Kolporteure sowie den individuellen Bücherbesitz durch regelmäßige Visitationen.2 Das erste bekannte kaiserliche Bücherverbot stammt

1 Michael Wögerbauer/Petr Píša/Petr Šámal/Pavel Janáček et al.: V obecném zájmu. Cenzura a sociální regulace literatury v moderní české kultuře 1749–2014 (In the Public Interest. Cen-sorship and the Social Regulation of Literature in Modern Czech Culture, 1749–2014). 2 vols.

Praha: Academia – Ústav pro českou literaturu AV ČR 2015, hier vol. 2, S. 1555.

2 Vgl. zur frühen Zensurgeschichte Ulrich Eisenhardt: Die kaiserliche Aufsicht über Buchdruck, Buchhandel und Presse im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (1496–1806). Karls-ruhe: Müller 1970; für Wien zudem Theodor Wiedemann: Die kirchliche Bücher-Censur in

von 1512 und betraf ein Werk von Johannes Reuchlin, das zweite war das Ver-bot der Schriften Luthers 1521.3 Im selben Jahr, und zwar per Edikt vom 8. Mai 1521, wurde den Landesregierungen von Kaiser Karl V. die Vorzensur aller zum Druck gelangenden Schriften aufgetragen, eine Regelung, die bis zum Ende des Reiches 1806 aufrechtblieb. Für die österreichischen Länder verordnete Erzher-zog Ferdinand 1523 ein Verbot der Reproduktion und des Handels mit Schriften Luthers und seiner Anhänger, dieses Dekret gilt als erste genuin österreichische Zensurmaßnahme.4 1527 wurde das Dekret novelliert und auf andere ketzeri-sche Strömungen (insbesondere die Wiedertäufer) ausgedehnt. Im Jahr darauf wurden wegen Verstößen gegen diese Verordnung drei ,Ketzer‘ verbrannt. Visita-tionen, meist durch Geistliche, bildeten weiterhin das hauptsächliche Überwa-chungsinstrument; da die staatlichen Organe aber noch viel zu schwach entwi-ckelt waren, wurden alle Bürger zur Wachsamkeit gegenüber ketzerischer Propaganda und gegebenenfalls zur Denunziation aufgerufen.5 Bereits seit 1528 durften Buchdruckereien nur noch in Landeshauptstädten eingerichtet werden, auf die Herstellung und Verbreitung ketzerischer Schriften stand der Tod durch Ertränken.6 1559 rückten Pasquill- und Schmähschriften in den Blickpunkt des Interesses der Zensur, eine eigene Verordnung verbot ihre Produktion und Ver-breitung.7 Unter Maximilian II. herrschte größere Milde, Erzherzog Ernst zog die Zensurschraube wieder an, was zu zahlreichen Bücherverbrennungen im späten 16. Jahrhundert führte. Im Jahr 1600 sollen in Graz 10.000 lutherische Bücher verbrannt worden sein.8

Basis des kaiserlichen Hoheitsrechts über das Buch- und Pressewesen war das sogenannte Bücherregal, ein Monopol, das der Kaiser später mit den Landes-herren teilte. Damit verbunden war das Recht auf Verleihung von Druckprivi-legien (Privilegia impressoria), das Autoren und/oder Verleger vor unberech-tigtem Nachdruck schützte. 1597 wurde in Frankfurt am Main, dem Ort der halbjährlich stattfindenden Büchermesse, eine ständige kaiserliche Bücherkom-mission eingerichtet, die die Neuerscheinungen zensorisch überwachte, das heißt die Büchergewölbe und Messestände visitierte, die Privilegien kontrollierte, ver-dächtige Bücher auflistete und Pflichtexemplare einforderte. Allerdings protes-tierten die Buchhändler gegen diese Überwachung und weigerten sich, ihre

der Erzdiöcese Wien. Nach den Acten des Fürsterzbischöflichen Consistorialarchives in Wien.

In: Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen 50 (1873), S. 215–520.

3 Vgl. Fischer: Deutsche Kommunikationskontrolle, S. 24.

4 Vgl. den Text des Dekrets im Anhang.

5 Adolph Wiesner: Denkwürdigkeiten der Oesterreichischen Zensur vom Zeitalter der Refor-mazion bis auf die Gegenwart. Stuttgart: Krabbe 1847, S. 22–34.

6 Vgl. ebd., S. 38.

7 Siehe ebd., S. 46.

8 Vgl. Rafetseder: Bücherverbrennungen, S. 58.

Bücher in den Messverzeichnissen einzutragen oder Pflichtexemplare abzulie-fern.

Mit der Sanctio pragmatica von 1623 wurde die Zensur in (Nieder-)Öster-reich der Universität Wien übertragen. Da die Jesuiten in den katholischen Län-dern die Mehrzahl der Lehrkanzeln für Theologie und Philosophie besetzten, übten sie die Zensur von Manuskripten und Büchern in diesen Disziplinen aus, was äußerste Strenge gegenüber protestantischen Schriften bedeutete. Die Kir-che und die weltliKir-chen Regierungen teilten sich also fortan die Zensuraufgaben, ohnehin herrschte das religiöse Schrifttum bis weit ins 18. Jahrhundert hinein auf dem Buchmarkt vor, das wichtigste politische Anliegen war die Wahrung des Religionsfriedens. In Österreich bedeutete das vor allem die Fernhaltung von ,sectischen‘, das heißt protestantischen Schriften.

Die Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung protestantischer Schrif-ten, die – zusammen mit Deportationen protestantischer Bevölkerung – bis zum Ende der maria-theresianischen Epoche aufrechterhalten wurden, umfassten die Kontrolle der Kolporteure (,Bücherträger‘), die einen Pass des Religionskonzes-ses, einer landesfürstlichen Behörde, erwerben und ihre Ware genehmigen las-sen mussten; widrigenfalls folgten Verhaftung bzw. Beschlagnahme, wobei Denun-ziationen prämiert wurden.9 Zumindest in Böhmen mit seiner ursprünglich zu 80 bis 90 % protestantischen Bevölkerung und entsprechend radikaler Zwangs-rekonfessionalisierung nach dem Sieg Ferdinands II. in der Schlacht am Weißen Berg 1620 stand bis zu Josephs Toleranzpatent von 1781 auf Handel mit verbo-tenen Büchern die Todesstrafe, die allerdings vermutlich nur selten vollstreckt wurde.

In 1726, a rescript of Emperor Charles VI codified penalties for heresy, which had become a crime against the state in 1627. Such sanctions ranged from death for the seller of books (a ‘seducer’ of the conscience) to forced labour, most commonly on the lands of the local lord or in the city holding the prisoner, or exile, or service in the galleys.10

1752 und 1754 wurden die oberösterreichischen Haushalte aufgefordert, ihre Bücherbestände beim örtlichen Pfarrer durch Unterschrift autorisieren zu las-sen, für jedes nicht genehmigte Buch wurden Geldstrafen, Arrest oder Zwangs-arbeit angedroht.11 Wie schon in Kapitel 1.4. erwähnt, wurden auch Erbschafts-inventare auf verbotene Literatur untersucht, die aufgefundenen ,sectischen‘

9 Diese Regelungen wurden noch 1759 und 1761 bestätigt; vgl. Scheutz: Das Licht aus den geheim-nisvollen Büchern, S. 341.

10 Ducreux: Reading unto Death, S. 197–198.

11 Siehe Scheutz: Das Licht aus den geheimnisvollen Büchern, S. 343. Ganz ähnlich wurde in dem

Bücher meist öffentlich verbrannt, zuweilen auch anderen drastischen Gesten der Verachtung und Verdammung unterzogen, zum Beispiel auf der Kanzel aus-gepeitscht.12

Da sich eine systematische Überwachung des Bücherverkehrs weder im reli-giösen noch im politischen Segment gewährleisten ließ, beschränkten sich die staatlichen Maßnahmen auf die symbolische Geste der Verbrennung eines Exem-plars einer Schrift, das stellvertretend für den Verfasser bzw. den Geist des Werks vernichtet wurde. Als erste ,Buchhinrichtung‘ durch den Scharfrichter, was dar-auf hindeutet, dass in effigie der Autor verbrannt werden sollte, gilt die Verbren-nung eines als lügenhaft empfundenen Pamphlets, das die Ehre der an der Schlacht von St. Gotthard und Mogersdorf gegen die Türken beteiligten Offiziere, beson-ders jene des Grafen Raymond Montecuccoli, verletzt hatte. Als 1668 der Ruf Montecuccolis aufgrund des Verdachts der Veruntreuung von Kriegsgeldern an einem Tiefpunkt angelangt war und die Verleihung des Ordens vom Goldenen Vlies durch den Madrider Hof in Gefahr geriet, wurde die Schrift verbrannt, um – mit den Worten Kaiser Leopolds I. – „den Leuten das Maul bald [zu] stopfen“.13

Gelegentlich wurden, um die Nachhaltigkeit der Maßnahme zu steigern, das Buch und sein Autor zusammen verbrannt. Der mährische Prediger und Visio-när Mikuláš Drabík, einst ein Mitstreiter von Jan Amos Comenius, nun ein Greis von 84 Jahren, wurde 1671 in Pressburg wegen blasphemischer Prophezeiungen und antihabsburgischer Endzeitvisionen mitsamt der teilweise von ihm verfass-ten Schrift Lux in verfass-tenebris (mit weiteren Beiträgen von Christoph Kotter, Jan Amos Komenský und Christina Poniatowska) hingerichtet. Kurz gefasst hatte Drabík von einem Sieg der Türken über Österreich eine Aufteilung des Imperi-ums und eine Befreiung der Protestanten aus dem katholischen Joch erhofft, was als Hochverrat interpretiert wurde. Die drastischen Details des Hinrichtungs-vorgangs lauten, dass dem Delinquenten „seine rechte Hand (womit er obenge-meldete gotteslästerliche gottlose list und betrügereyen zu schreiben unterstan-den hat) nebenst dem kopff abgeschlogen [werunterstan-den] soll, darnach seine gotteslästerliche zunge ausreissen, und dieselbe an den gack hefften, den rumpff, haupt und hand zu dem hochgerichte ausführen, und allda mit seinen gottesläs-terlichen schrifften und büchern verbrennen, und also vom leben zum tode bringen, auf daß seine gedächtniß von der welt mag vertilget werden, ihm zu seiner verdienten straffe, und andern zum schrecken und schauspiel, die

der-im 18. Jahrhundert nicht zur Monarchie gehörigen Territorium des Erzstifts Salzburg gegen die protestantische Literatur im Untergrund vorgegangen (vgl. Heydemann: Abwehr schädli-cher Büschädli-cher).

12 Vgl. die Belege bei Scheutz: Das Licht aus den geheimnisvollen Büchern, S. 344.

13 Zitiert nach Rafetseder: Bücherverbrennungen, S. 161.

gleichen übelthaten begehen möchten“.14 Das in der Vernichtung durch Feuer implizierte Pathos und die Vorstellung einer dadurch gegebenen direkten Ver-bindung mit höheren Mächten wird in dem Titelkupfer des Römischen Index in der Ausgabe von 1711 deutlich: Der Heilige Geist sendet hier den Geistlichen, die als Zensoren fungieren, die Energie, die sie reflektieren und damit das die Bücher als Träger des Bösen vernichtende Feuer entfachen (vgl. Abbildung 1).

Aktenkundig ist ferner ein Fall von Bücherverbrennung im frühen 18. Jahr-hundert in Teschen in Schlesien. Dort wurde 1714 eine Lieferung von 52 aus Leipzig von dem Buchhändler Weidmann versandten, für die lutherische Gemein-de bestimmten protestantischen Büchern beschlagnahmt und verbrannt. Zwar hätte nach dem Abkommen von Altranstädt im Jahr 1707, in dem der Kaiser den schlesischen Protestanten Glaubensfreiheit zusicherte, Toleranz gegen pro-testantische Literatur geübt werden sollen, aber die jesuitischen Gutachter, die zur Beurteilung herangezogen wurden, befanden die Bücher als infam und

skan-14 Zitiert nach Rafetseder: Bücherverbrennungen, S. 170.

Abbildung 1: Titelkupfer des päpstlichen Index librorum prohibitorum von 1711

dalös, worauf der Landeshauptmann Graf Tenczin „diese Bücher den 14. August 1714 als an seinem Geburtstag“ vom Rathaus abholen, überprüfen und abzählen ließ. Weiterhin wird berichtet, dass er sie durch „4 Henkers Knechte an den Pranger bey einem ohngefähr fünf Schritte von demselben gemachten Feuer schleppen ließ, da denn der Henkers-Knecht erstlich die kleinen Bücher jedes auf einer hölzernen Gabel, hernach die größeren verbrannt, Zuvor aber allerley Ceremonien mit Henkers Sprüchen, Abreißung derer Kupferstiche derer Luthe-rischen Christlichen und schimpfliche Art derer Zuschauer gemacht, welche execution von 10 bis 2 Uhr gewähret, und der Herr Graff von Anfang bis zu Ende beygewohnet, Dabey insonderheit von den Jesuiter Schülern viel Gespött getrie-ben und die Bibeln, Formula Concordiae sehr verhöhnet worden. Der Henker habe endlich die Asche auf den Schinder Anger geführet und selbige in das dabey fließende Wasser geschüttet, der Schulbediente Mevius, so die Bücher verschrie-ben, da er erstlich der execution beywohnen müssen, sey mit seiner Familie der Kayserlichen Lande verwiesen worden“.15 Es handelte sich um Predigtsammlun-gen, Postillen, Erbauungsliteratur, Bibeln, Gebetbücher und Ähnliches, aber auch einige Werke, deren Verfasser der zeitgenössische Kommentator als „Con-troversisten“ einstuft.

Nicht nur der reguläre Buchhandel war eine Quelle verbotener ,sectischer‘

Literatur, auch bei den illegalen Bücherträgern und in den protestantischen Haushalten fanden sich bei Visitationen durch Pfarrer oder Missionare immer wieder unter Umständen über mehrere Generationen vererbte Standardwerke, die beschlagnahmt und am Richtplatz, vor dem Rathaus, auf Märkten, Friedhö-fen oder – aus Sicht der protestantischen Bürger besonders schmählich – nach dem Sonntagsgottesdienst vor der Kirchentür verbrannt wurden.16

Erst in einem kaiserlichen Edikt von 1715 wurden erstmals explizit auch poli-tische und Schmähschriften, die die Regierung und die Gesetze des Heiligen Römischen Reiches sowie einzelne Persönlichkeiten angriffen, erwähnt.17 Der Umstand, dass die Theologie auf dem Buchmarkt an Boden zu verlieren begann und vermehrt auch die weltliche Herrschaft diskutiert wurde, zog eine Verschie-bung der Zensurkompetenzen hin zum Staat nach sich. Zudem fühlten sich die weltlichen Herrscher zunehmend auch für das Seelenheil der Untertanen

zu-15 [Friedrich] K.[app]: Beiträge zur Geschichte der österreichischen Bücherpolizei. In: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels 8 (1883), S. 303–309, hier S. 304–305. Vgl. dazu auch:

Friedrich Hermann Meyer: Zur Geschichte der österreichischen Bücherpolizei III. In: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels 14 (1891), S. 366–370.

16 Siehe Scheutz: Das Licht aus den geheimnisvollen Büchern, S. 344; ein kompakter Überblick über den von der Zensur verpönten protestantischen Literaturkanon findet sich ebd., S. 330–

340.

17 Siehe Fischer: Deutsche Kommunikationskontrolle, S. 38, sowie Siemann: Ideenschmuggel, S. 85.

ständig. Da die geistlichen Instanzen, das heißt in erster Linie der Papst, die Bischöfe und die Jesuiten an den Universitäten, diese Kompetenz nicht freiwil-lig aufgaben, kam es zu einer das gesamte 18. Jahrhundert andauernden Ausei-nandersetzung um die Zensurmacht. Die AuseiAusei-nandersetzungen wurden an vie-len Fronten geführt, da ein Wirrwarr an Aufgaben und Zuständigkeiten herrschte. Den genannten geistlichen Instanzen standen auf weltlicher Seite der Kaiser und die Landesfürsten, in Wien die böhmisch-österreichische Hofkanz-lei und die niederösterreichische Regierung gegenüber.

Die mit der Gewährung von Druckprivilegien verbundene Durchsicht von Manuskripten lag noch immer in der Hand der Universität, die Kontrolle des Buchhandels in Form von Visitationen von stationären Buchhandlungen und den Märkten sowie der Büchereinfuhr an den Grenzen wurde zum Teil von der Universität, zum Teil vom Staat wahrgenommen. Zu diesem Zweck wurden von den Landesregierungen Bücherrevisionskommissionen eingerichtet, und zwar zunächst 1723 in Prag für Böhmen und 1732 in Graz für Innerösterreich (Stei-ermark).18

Ausgangspunkt für den Langzeit-Konflikt zwischen Staat und Universität ist ein Dekret von 1725, in dem Kaiser Karl VI. die universitären Zensoren auffor-dert, ihre Urteile über Schriften politischen Inhalts dem Hof zur endgültigen Entscheidung vorzulegen. Ähnlich diffus ist das Dekret vom 11. Jänner 1730, in dem die generelle Vorzensur von Büchern, speziell aber von ,Zeitungen‘, also Nachrichten, verordnet wird. Ferner sollen die Druckereien und der Buchhan-del durch Bücherrevisoren im Dienst der Landesregierungen (Nachzensur) über-wacht werden, und zwar in Form der Sichtung aller aufzufindenden Bücher bzw.

von den Buchhändlern anzufertigender Kataloge ihrer Bücher. In allen Zwei-felsfällen sei der Hof zu informieren bzw. um Rat zu befragen.19 Hier von einer Abschaffung der Zensur durch die Universität zu sprechen, geht zu weit, aber ein erster Schritt in Richtung einer Verstaatlichung war getan. Es bedurfte aber noch einer Entflechtung der verworrenen Kompetenzen.

Gegen Ende des Jahres 1729 tauchte auf dem Wiener Katharinen-Jahrmarkt der in Krems von dem Buchdrucker Johann Jakob Kopitz hergestellte Österrei-chische Schreib-Calender auf das Jahr 1730 auf. Ein Anhang zu diesem Kalender,

„von Hungarischen und Sübenbürgischen Geschichten“, enthielt indiskrete Berich-te über Auseinandersetzungen zwischen den Ständen und dem Wiener Hof um

18 1772 führt van Swieten in seinem Bericht an die Kaiserin darüber hinaus bereits Zensurämter in Städten wie Innsbruck, Olmütz, Brünn und Linz an; vgl. Anhang S. 427.

19 Censur der Bücher. In: Sammlung Oesterreichischer Gesetze und Ordnungen, wie solche von Zeit zu Zeit ergangen und publiciret worden, so viel deren vom Jahr 1721. Bis auf Höchst trau-rigen Tod-Fall Der Römisch-Kayserlichen Majestät Caroli VI. aufzubringen waren. Gesamm-let, und in diese Ordnung gebracht, von Sebastian Gottlieb Herrenleben. Wien: Trattner 1752, S. 615–617.

adelige Steuerprivilegien, die die siebenbürgischen Stände in ein äußerst schie-fes Licht rückten, weil sie sich vermeintlich ungebührlich und unehrerbietig gegen den Landesherren verhalten hatten. Wie der ungarische Palatin in seiner Beschwerde deponierte, sei die Ehre der gesamten Nation dadurch befleckt wor-den.20 Die verantwortliche Buchdruckerei wurde strafweise stillgelegt, der Kalen-der, zur Wiederherstellung der verlorenen Ehre, am 28. Jänner 1730 in Wien, Krems und Pressburg öffentlich durch den Scharfrichter verbrannt.21

Auf derartige Probleme war das Zensursystem nicht vorbereitet. Sowohl die Universität wie auch die Landesregierung und der Hof fühlten sich für die das ,Politicum‘ betreffenden Schriften zuständig, die niederösterreichische Landes-regierung interpretierte die Lage sogar so, dass sie alle Schriften zu begutachten habe.22 Mangels gezielter Vorschläge für eine Neuorganisation der Zensur blieb aber vorerst alles beim Alten, das heißt bei der Aufteilung der Agenden zwischen Universität und Landesregierung.

Eine weitere Aufsehen erregende Schrift erschien 1748 in Prag, und zwar die unter dem Pseudonym Rochezang von Isecern publizierte Historische und Geo-graphische Beschreibung des Königreiches Böheim (Freiburg 1742; Franckfurt und Leipzig 1746).23 Sie enthielt eine kritische Beleuchtung der Verleihung der böhmi-schen Stimme bei der Wahl Karls VII. zum Kaiser an Maria Theresia, deren Wahlrecht sehr umstritten war, sowie Berichte über die aktuellen Kriegsaktivi-täten. Da die Stimmung in Böhmen aufgeheizt war und man insbesondere Bau-ernunruhen befürchtete, wurde das Buch im November 1749 in Wien verbrannt und der Name des Verfassers am Galgen angeschlagen.24 In Wien tauchte kurz darauf ein Buch mit dem Titel Lettres d’un Seigneur Hollandois à un de ses amis auf, das Maria Theresias Erbrecht infrage stellte.25 Alle diese Fälle mussten indi-viduell behandelt und die Urteile durch Dekrete verkündet werden, was ein sehr schwerfälliges Verfahren bedeutete. Der Handlungsbedarf bezüglich der Einset-zung eines effizienten Zensursystems verdichtete sich. Darüber hinaus ist die

20 August Fournier: Gerhard van Swieten als Censor. In: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Aka-demie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse 84 (1876), 3. Heft. Wien: Gerold 1877, S. 387–466, hier S. 394.

21 Vgl. Rafetseder: Bücherverbrennungen, S. 191–197.

22 Carl von Gebler: Zur Censurgeschichte in Oesterreich. In: Literaturblatt (Wien) 1 (1877), Nr. 11, 22. Oktober, S. 145–150, hier S. 146, behauptet, dass bereits 1730 unter dem Vorsitz des Grafen von Türheim eine erste Zensurkommission eingesetzt wurde, wobei die Universität geistliche und weltliche Zensoren beschäftigen und die Urteile an die politische Landesbehörde einschi-cken sollte. Für diese Kommission fehlen aber jegliche weitere Belege oder Angaben.

23 Als Verfasser nennt Fournier Johann Ehrenfried Zschackwitz; ebenfalls infrage kommt der Jurist Johann Jakob Moser aus Frankfurt/Oder (vgl. Rafetseder: Bücherverbrennungen, S. 220 u. 224).

24 Siehe Rafetseder: Bücherverbrennungen, S. 223.

25 Vgl. Fournier: Gerhard van Swieten als Censor, S. 403–404.

Einrichtung moderner Verwaltungsstrukturen in den absoluten Monarchien um die Mitte des 18. Jahrhunderts allerseits, zum Beispiel auch in Frankreich und den deutschen Staaten, zu beobachten. Eine solche moderne Bürokratie schloss regelmäßig ein zensorisches Überwachungssystem ein, das Arbeitsteilung und Professionalität, ein Reglement, das das Verfahren kodifizierte, und Aktendo-kumentation umfasste.26 Auch die in Österreich zu beobachtende Verdrängung der kirchlichen Institutionen aus den Zensurvorgängen war fixer Bestandteil dieser Bürokratie-Reformen und der Ausbildung moderner Staatlichkeit.27

2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission

1749 wurde für die politische Administration der Monarchie eine neue Zentral-stelle geschaffen, das Directorium in Publicis et Cameralibus, das nun auch die Zensurorganisation übernahm. Der Vorschlag des Directoriums lautete, dass in einer neu zu schaffenden Bücher-Censurs-Hofcommission die Zensurbefugnis über theologische und philosophische Bücher bei der Universität verbleiben, die übrigen Fächer aber von weltlichen Zensoren betreut werden sollten. Dabei

1749 wurde für die politische Administration der Monarchie eine neue Zentral-stelle geschaffen, das Directorium in Publicis et Cameralibus, das nun auch die Zensurorganisation übernahm. Der Vorschlag des Directoriums lautete, dass in einer neu zu schaffenden Bücher-Censurs-Hofcommission die Zensurbefugnis über theologische und philosophische Bücher bei der Universität verbleiben, die übrigen Fächer aber von weltlichen Zensoren betreut werden sollten. Dabei