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Annette Menzel

Lehrstuhl für Ökoklimatologie, Department für Ökologie, Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt, TU München, Am Hochanger 13, D-85354 Freising

menzel@forst.tu-muenchen.de

physikalischen und biologischen Syste-men gehabt (IPCC 2001). So haben sich beispielsweise Verbreitungsgebie-te von ArVerbreitungsgebie-ten polwärts und in höhere Lagen verschoben, die Dichte der Ve-getation hat an machen Stellen, wie in der Arktis, zugenommen. Die Zusam-mensetzung der Vegetationsgemein-schaften hat sich teilweise verändert und der Anteil wärmeliebender Arten, z. B. in den Niederlanden und Norwe-gen, hat zugenommen.

Die am einfachsten festzustellende Veränderung betrifft jedoch Eintritts-termine von wiederkehrenden

Ereig-nissen im Jahresverlauf, wie Blattent-faltung, Blüte, Fruchtreife, Blattverfär-bung und Blattfall. Diese Phasen wer-den in vielen Ländern Europas von na-turinteressierten Bürgern beobachtet und auf den Tag genau festgehalten;

deshalb sind zeitliche Verschiebungen genau quantifizierbar. Abbildung 1a zeigt ein Beispiel einer langjährigen (100jährigen) Beobachtungsreihe der Blüte der Rosskastanie in Geisenheim (nähe Frankfurt am Main). Eine Ver-änderung (Verfrühung) der Eintritts-termine zum Ende der Zeitreihe ist deutlich zu erkennen.

Ein weiterer Vorteil dieser Bio-Indi-katoren für den Klimawandel ist ihre direkte Abhängigkeit von der Tempe-ratur. Laubabwerfende Pflanzen in un-seren mittleren Breiten benötigen zu-nächst kalte Temperaturen («chil-ling»), um die genetisch bedingte echte Winterruhe (endogene Dormanz; dor-mancy) zu durchbrechen. In der sich anschliessenden erzwungenen Winter-ruhe (exogene Dormanz; rest) hindern nur noch kalte Umgebungsbedingun-gen die Pflanze am Austrieb – warme Bedingungen (forcing) dagegen för-1 Beobachtete

Verände-rungen in der Natur im Zuge der rezenten Klimaerwärmung

Im Jahre 2001 folgerte das IPCC (In-tergovernmental Panel on Climate Change, zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) in seinem letz-ten Sachstandsbericht, dass sich unser Klima in den letzten zwei Jahrhunder-ten wesentlich verändert hat. Diese be-obachteten Klimaänderungen, vor al-lem in den letzten Jahrzehnten, hätten bereits vielfältige Auswirkungen in

Das Einsetzen der Jahreszeiten, so wie sie in der Natur zu beobachten sind, hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Austrieb, Blüte und Fruchtreife setzen im Frühjahr und Sommer immer früher ein, und im Herbst sind Blattverfärbung und Blattfall teilweise verspätet. Eine umfangreiche Studie für Europa (COST725) bestätigte dies für die letzten 30 Jahre anhand von 75 218 Zeitreihen:

Blüte und Blattentfaltung verfrühten sich im Frühjahr um durchschnittlich 2,5 Ta-ge pro Dekade, und in Mitteleuropa dauert heute die VeTa-getationsperiode bis zu zwei Wochen länger. Die Signale sind klar auf die Erwärmung durch den anthro-pogen verstärkten Treibhauseffekt zurückzuführen. Sie sind in ganz Europa zu beobachten, wobei Länder mit stärkerer Erwärmung in den letzten Jahren auch die grössten Veränderungen zeigten.

11 10 9 8 7 6 5 4

90 120 150

Rosskastanienblüte [Tag seit Jahresbeginn]

TemperaturMärz/AprilC]

April Mai

140

130

120

110

100

90

1900 1920 1940 1960 1980 2000

Rosskastanienbte[TagseitJahresbeginn] Jahr

a b

Abb. 1. a) Beispiel einer langjährigen phänologischen Beobachtungsreihe: Blühbeginn der Rosskastanie in Geisenheim (nähe Frankfurt am Main), von 1900 bis 2000 (Regressionsgerade: y = –0.08x + 280.9; R2= 0.09); b) Eintrittstermine der Rosskastanienblüte und Mitteltempera-tur der Monate März/April in Geisenheim 1935 bis 2000 (Korrelationskoeffizient r = –0,797, 63,5 % der Varianz werden durch die Früh-jahrstemperaturen erklärt).

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dern die ontogenetische Entwicklung und führen dann zu Blattentfaltung und Blüte. Auch der Zeitpunkt der Fruchtreife wird durch die Temperatur gesteuert, denn zusätzliche Wärme be-schleunigt den Prozess. Deshalb zeigen sich Erwärmungen ausgangs des Win-ters, im Frühjahr und im Sommer in diesen Gebieten in sich verfrühenden Eintrittsterminen von entsprechenden Frühjahrs- und Sommerphasen (SPARKS und MENZEL2002; MENZEL2002; MEN

-ZEL2003). Die Tageslänge gibt dabei einen zeitlichen Rahmen vor, inner-halb dessen die Pflanze dann auf Tem-peratursignale reagiert (siehe Schema in Abb. 2). In unserem Beispiel der Rosskastanienblüte (Abb. 1b) zeigt ei-ne Korrelation zwischen Eintrittster-minen und Frühjahrstemperaturen diesen engen (statistischen) Zusam-menhang deutlich auf (Korrelationsko-effizient r = –0.797). Aus Manipulati-onsexperimenten in Gewächshäusern und phänologischen Modellen weiss man, dass dieser Zusammenhang auch eine kausale Beziehung darstellt.

Der beobachtete Zeitpunkt der herbstlichen Laubverfärbung und des Blattfalls ist dagegen weitaus schwieri-ger mit Witterungscharakteristika, sei es Temperatur, Tageslänge oder Bo-denfeuchtigkeit, zu erklären. Es kann lediglich statistisch gezeigt werden, dass ein warmer Spätsommer die Laubverfärbung im Durchschnitt ver-zögert, ein warmer Juni dagegen be-schleunigt. Deshalb können beobach-tete Veränderungen im Herbst bisher keinem Klimaänderungssignal eindeu-tig zugeschrieben werden (ESTRELLA und MENZELim Druck).

2 Methodik: Feststellung von beobachteten Verände-rungen und ihre Zuschrei-bung zur Klimaänderung Um Veränderungen in längeren phä-nologischen Zeitreihen (> 30 Jahre, Kasten S. 49, A) festzustellen, muss ge-zeigt werden, dass die Veränderung nicht zufällig ist (d. h. statistisch signifi-kant) und dass es sich um keine natür-liche (interne) Variabilität des beob-achteten Faktors handelt (Kasten, B).

In vielen Studien wurden diese Verän-derungen bisher mit linearen Regres-sionen beschrieben (siehe SPARKSund MENZEL 2002; SPARKS und TRYJA

-NOWSKI 2005). In Abbildung 1a ist solch eine signifikante lineare Regres-sionsgerade für das Beispiel der Ross-kastanienblüte in Geisenheim einge-zeichnet.

Soll nun eine beobachtete, signifi-kante Veränderung in Eintrittsdaten der Klimaerwärmung zugeschrieben werden, so ist ein zweistufiger Prozess notwendig (Kasten, C). Zuerst muss gezeigt werden, dass die Veränderung durch eine Änderung in einem Klima-parameter (meist Temperatur) hervor-gerufen wurde und nicht durch irgend-eine oder mehrere andere lokale Antriebsfaktoren wie Landnutzungs-änderung oder Erhöhung der atmo-sphärischen CO2-Konzentration. Hier kommen die Vorteile phänologischer Daten zum Tragen, denn gerade das Eintreten von Frühjahrs- und Sommer-phasen ist in unseren Breiten nahezu ausschliesslich von der Temperatur ab-hängig.

Wenn im Beispiel der Rosskasta-nienblüte (Abb. 1b) 63,5 Prozent der Varianz der Blüte allein durch die Monatsmitteltemperaturen von März und April erklärt werden und kein an-derer möglicherweise beeinflussender Faktor bekannt ist (beispielweise gibt es keine schlüssigen Hinweise aus Ex-perimenten, dass ansteigende CO2 -Konzentrationen die Eintrittstermine gerichtet verändern), so ist dies der er-ste Schritt der Zuordnung von beob-achteter phänologischer Veränderung zur lokalen/regionalen Temperaturän-derung.

In einem zweiten Schritt muss ge-zeigt werden, dass die lokale oder re-gionale Änderung der Lufttemperatur durch den anthropogen verstärkten Treibhauseffekt bedingt ist und nicht etwa durch eine städtische Wärmeinsel oder interne (natürliche) Variabilität im Klimasystem. Nach KAROLY und WU(2005), die diese Frage bereits für die gesamte Erde und für drei ver-schiedene Zeiträume analysiert haben, gilt u.a. für Europa, dass die beobach-tete Temperaturerhöhung in den letz-ten drei Jahrzehnletz-ten auf den menschli-chen Einfluss zurückzuführen ist.

Neue, auf der Bayes’schen Theorie aufbauende Ansätze erlauben eine ver-besserte Analyse der Veränderungen in phänologischen Zeitreihen und Temperaturreihen. Hierzu wird zu-nächst die Güte verschiedener Modell-typen zur Beschreibung der Daten ver-glichen. Für jeden dieser Typen, bei-spielsweise konstanter Eintritt der phänologischen Phasen, lineare rung der Eintrittstermine und Ände-rung mit einem oder mehreren Um-kehrpunkten, werden die jährlichen Funktionswerte und die erste Ablei-tung (Trend), beide mit Konfidenzin-tervallen, berechnet (siehe DOSE und MENZEL2004).

In Abbildung 3 werden am Beispiel der Rosskastanienblüte und der Mo-natsmitteltemperatur März/April in Geisenheim (siehe Abb. 1) die Ergeb-nisse dieser Bayes’schen Zeitreihen-analyse aufgezeigt. Jahre mit wärme-rem Frühjahr sind mit früheren Blüh-terminen verbunden, in den letzten Jahrzehnten ergeben sich bei den ge-genläufigen Zeitreihen deutliche Än-derungen (Abb. 3a). Die Rosskasta-nienblüte weist Mitte der 1980er Jahre einen deutlichen Umkehrpunkt auf (in Abb. 2. Phänologische Uhr für

Süddeutschland mit den phäno-logischen Jahreszeiten Vor-, Erst-, Vollfrühling, Früh-, Hoch-, Spätsommer, Früh-, Voll-, Spät-herbst und Winter und ihren charakteristischen Phasen: Blüte von Hasel/Schneeglöckchen, Forsythie/Weide, Apfel, Schwar-zer Holunder, Sommerlinde, Fruchtreife von Apfel, Schwar-zer Holunder, Stieleiche/Ross-kastanie, Blattverfärbung Stiel-eiche, Auflaufen von Winterwei-zen. Wichtige beeinflussende Witterungsfaktoren sind im Text erläutert.

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den Jahren 1985 / 86 jeweils 12 Prozent Umkehrpunktwahrscheinlichkeit) (Abb. 3b), ganz ähnliches gilt auch für die Temperatur der Monate März/

April mit sieben Prozent Umkehr-punktwahrscheinlichkeit im Jahr 1986.

In diesen Jahren setzt dann auch eine deutliche Verfrühung der Blühtermine und eine Erhöhung der Temperatur ein (Abb. 3c). Während bei der Rosskasta-nienblüte im Jahr 2000 ein Verfrü-hungstrend von etwas über einem Tag/

Jahr erreicht wird, der deutlich von Null verschieden ist, zeigt sich bei der Frühjahrstemperatur nur eine Ände-rung um rund 0,1 °C/Jahr (Abb. 3d).

Das Beispiel der Rosskastanienblüte zeigt deutliche Veränderungen in phä-nologischen und Temperaturzeitrei-hen. In beiden ist eine starke Ände-rung Mitte der 1980er Jahre festzustel-len, die möglicherweise mit der Nordatlantikzirkulation in Zusammen-hang steht.

3 Ergebnisse der COST725 Studie

Verschiedene Übersichtsartikel (WAL

-THERet al.2002) und zwei globale Me-ta-Analysen (PARMESAN und YOHE 2003 bzw. ROOTet al.2003), die bisher veröffentlichte Studien zusammenge-fasst haben, konnten zeigen, dass sich in mittleren und höheren Breiten das Frühjahr durchschnittlich um 2,3 bzw.

5,1 Tage pro Dekade verfrüht hat. Al-lerdings wurden in den Meta-Analysen nur 172 bzw. 109 Reihen untersucht. Im Rahmen der COST725 Aktion «Esta-blishing a European Phenological Data Platform for Climatological

Applicati-ons» (www.cost725.org) wurde eine umfangreiche Analyse sämtlicher ver-fügbarer phänologischer Zeitreihen in Europa durchgeführt (MENZEL et al.

2006). Dabei wurden über 125 000 Zeitreihen (1971–2000) aus 17 Län-dern von 31 Wissenschaftlern bearbtet. Ziel dieser Studie war es, (1) für ei-nen ganzen Kontiei-nent systematisch zu untersuchen, wie sich phänologische Eintrittstermine verändert haben, und (2) zu zeigen, dass bisherige Veröffent-lichungen nicht selektiv waren und vorwiegend von starken Veränderun-gen berichtet haben.

Zunächst konnte anhand von 254 na-tionalen Zeitreihen (1951–1999) aus neun Ländern demonstriert werden, dass es gerade für Frühjahrs- und Som-merphasen wie Blattentfaltung, Blüte und Fruchtreife, einen engen Zusam-menhang mit der Temperatur vorange-hender Monate gibt (Korrelationsana-lyse) und dass sich diese Phasen um ein bis fünf Tage pro Grad Celsius

Tempe-raturerhöhung verfrühen (Regressi-onsanalyse). Die herbstliche Blattver-färbung zeigt einen weniger engen Zusammenhang mit der Sommertem-peratur, sie verspätet sich im Durch-schnitt um bis zu zwei Tage pro Grad Celsius (Abb. 4).

Die Ergebnisse aller linearen Trends (1971–2000, mindestens 20 Beobach-tungsjahre, über 125 000 Zeitreihen) zeigten deutlich, dass sich Blattentfal-tung und Blüte durchschnittlich um 2,5 Tage pro Jahrzehnt verfrüht haben, Fruchtreifephasen um 2,4 Tage/Jahr-zehnt. Landwirtschaftliche Phasen, wie Aussaat und Ernte, haben sich weitaus weniger stark verändert (–0,4 Tage / Dekade), ebenso die Herbstphasen, die im Durchschnitt eine leichte Verspä-tung zeigten (0,2 Tage / Dekade). In Ta-belle 1 sind die Anzahl der Reihen und die jeweiligen Anteile von sich kant) verfrühenden und sich (signifi-kant) verspätenden Reihen angege-ben. Bei Blattentfaltung, Blüte und Fruchtreife verfrühen sich mehr als3/4 der Reihen, mehr als 1/4sogar signifi-kant.

Das wichtigste Ergebnis dieser Stu-die (MENZELet al.2006) ist aber, dass Länder mit stärkerer Temperaturerhö-hung auch deutlichere Änderungen in der Phänologie aufweisen. So sind die Erhöhung der Frühjahrstemperatur und die Verfrühung von Blüte und Austrieb in Ländern West- und Zen-traleuropas (z. B. Spanien, Belgien, Deutschland, Dänemark) besonders ausgeprägt, während in Südosteuropa (Slowakei, Griechenland) Verspätun-gen zu beobachten sind (Abb. 5).

Methodisches Vorgehen, um phänologische Veränderungen dem anthropogenen Klimawandel zuzuschreiben.

A Auswahl von phänologischen Zeitreihen

B Detektion von signifikanten, beobachteten Veränderungen

d. h. beobachtete Veränderung ist signifikant und nicht durch natürliche interne Variabilität zu erklären

C Zuschreibung an Klimawandel

1) in Verbindung mit einer beobachteten Veränderung in einem Klimaparameter d.h. nicht in Zusammenhang mit einem oder mehreren anderen Antriebsfaktoren 2) beobachtete regionale Klimaänderung muss anthropogenen Ursachen zuge-schrieben werden

Aus der Literatur ist bekannt, dass die Temperaturänderung in Mitteleuropa menschlichem Einfluss zugeschrieben werden kann.

Tab. 1. Statistik aller phänologischen Trends in Europa basierend auf Resultaten von linea-ren Regressionen für Zeitreihen von 1971 bis 2000 (nach MENZELet al.2006).

Landwirtschaftliche Blattentfaltung Fruchtreife

Laub-Phasen und Blüte verfärbung

Anzahl der Reihen 22338 64027 11191 5643

Verfrühung 57 % 78 % 75 % 48 %

sign. Verfrühung 13 % 31 % 25 % 12 %

Verspätung 43 % 22 % 25 % 52 %

sign. Verspätung 6 % 3 % 3 % 15 %

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150 140 130 120 110 100

901900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 Jahr

Rosskastanienbte [TagseitJahresbeginn]

1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 Jahr

11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

TemperaturMärz/AprilC]

a

b

c

d

Rosskastanienblüte Temperatur März/April

Wahrscheinlichkkeit Wahrscheinlichkkeit

Trend[Tage/Jahr] TemperaturMärz/AprilC]TrendC/Jahr]

Rosskastanienbte [TagseitJahresbeginn]

Abb. 3. a) Blühzeitpunkt der Rosskastanie (1900–2000) und Mitteltemperatur der Monate März /April (1935–2000) in Geisenheim, bei Frankfurt am Main. b) Bayes’scher Ansatz mit Ergebnissen des Change-Point-Modells für die Rosskastanienblüte (links) und für die Tem-peratur (rechts): Jährliche Wahrscheinlichkeit eines Umkehrpunktes. c) Funktionsausgleich mit Konfidenzintervallen. d) Trend mit Konfidenzintervallen.

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4 Veränderungen in langjäh-rigen Beobachtungsreihen mit Bayes’scher Statistik

Mit Hilfe des Bayes’schen Ansatzes können die Veränderungen in der Phä-nologie Europas (z. B. Blattentfaltung, Blüte, Laubverfärbung) noch besser beschrieben werden. DOSE und MEN

-ZEL(2004) sowie MENZEL und DOSE (2005) konnten anhand von sechs lang-jährigen Reihen der Blüte zeigen, dass das Change-Point-Modell sich weitaus besser als das lineare und das konstan-te Modell eignet, phänologische Zeit-reihen und ihre Änderungen zu be-schreiben. Eine umfangreiche Analyse von europäischen Daten aus dem EU Projekt POSITIVE durch SCHLEIP (2005) bestätigte die Überlegenheit des Change-Point-Modells gegenüber anderen Modelltypen. Dies gilt vor al-lem für spätere Phasen im Jahresver-lauf, wie Fruchtreife (SCHLEIP et al.

Mskr. akzeptiert).

Innerhalb von Europa sind die Trends unterschiedlich: Im Osten (z. B.

Weissrussland, Ukraine) verändern sich die Eintrittstermine eher linear oder bleiben konstant. Dies führt letzt-endlich auch zu stärkeren Änderungen im Westen Europas, wie sie auch schon mit der klassischen Methode der linea-ren Regression beschrieben wurden (AHASet al.2002). In allen bisherigen Untersuchungen von phänologischen Zeitreihen Mitteleuropas mit dem Bayes’schen Ansatz (u.a. DOSE und

MENZEL 2004; MENZEL und DOSE 2005; SCHLEIP 2005) zeigte sich, dass vor allem Mitte der 1980er Jahre die Wahrscheinlichkeit für einen Umkehr-punkt besonders gross ist. Dies zeigen diskontinuierliche Änderungen zu die-sem Zeitpunkt, meist verbunden mit einer Trendumkehr, an. In Abbildung 6 sind Bayes’sche Analysen aller phäno-logischen Jahreszeiten in Geisenheim (Nähe Frankfurt am Main) für das ge-samte letzte Jahrhundert dargestellt.

Im Vergleich zur klassischen phänolo-gischen Uhr in der Bildmitte, die ledig-lich Veränderungen der Eintrittstermi-ne in ausgewählten Zeitabschnitten

an-zeigt, deckt die neue Analyse die sprunghaften Änderungen v.a. Mitte der 1980er Jahre auf.

Woher kommt diese sprunghafte Änderung zu diesem Zeitpunkt? DOSE und MENZEL(2006) gingen der Frage nach, ob Zeitreihen von Temperaturen und von Blühterminen besser kohärent oder unabhängig zu betrachten sind.

Es zeigte sich, dass gerade Kirsch- und Lindenblüte besser kohärent mit Tem-peraturen zu betrachten sind und dass diese Temperaturzeitreihen ebenfalls Mitte der 1980er Jahre markante Än-derungen (Anstiege) aufwiesen (siehe auch Abb. 3).

2 1 0 –1 –2 –3 –4 –5 –6 –7 0,5

0

–0,5

–1

a b

Korrelationskoeffizient Temperaturreaktionderphänologischen Phase[TageC]

200 Tag seit Jahresbeginn

300

100 200

Tag seit Jahresbeginn

300 100

Landwirtschaftliche Phasen Blattentfaltung und Blüte Fruchtreife

Blattverfärbung

Landwirtschaftliche Phasen Blattentfaltung und Blüte Fruchtreife

Blattverfärbung

Abb. 4. Temperatursensitivität (a) und Temperaturreaktion (b) von 254 nationalen phänologischen Zeitreihen in neun Ländern Europas mit Mitteltemperaturen des vorangehenden Monats (nach MENZELet al.2006). Die Temperatursensitivität wurde mit Korrelationskoeffi-zienten zwischen phänologischen Eintrittsterminen und Temperatur bestimmt, die Temperaturreaktion als RegressionskoeffiKorrelationskoeffi-zienten von phänologischen Eintrittsterminen (abhängige) und Temperatur (unabhängige Variable).

0,2 0,1 0 –0,1 –0,2 –0,3 –0,4 –0,5

0

MittlerephänologischeTrends[Tage/Jahr]

0,05 0,10

SK GR

HR CZ N RUS FIN

SLO

MK GB

CH A

DK B

D PL IRL

EST A

E GB

E Blattentfaltung und Blüte Verschiedene Tierphasen

Temperaturtrend des vorangehenden Monats [°C/Jahr]

VerfhungVerspätung

Abb. 5. Mittlere Temperaturtrends und Trends phänologischer Phasen im Frühjahr und Sommer in Ländern Europas: Gefüllte Kreise: Blattentfaltung und Blüte; offene Kreise:

Tierphasen (aus: MENZELet al.2006).

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19 00 –1 94 5 19 46 –1 98 4 19 85 –2 00 0 Er st fr üh lin g Vo llf hl in g Fr üh so m m er H oc hs om m er Sp ät so m m er

Fr üh he rb st

Vo llh er bs t

Sp ät he rb st

W in te r Vo rf hl in g

B te Sc hn ee gl öc kc he n B te Sa lw ei de B te A pf el B te So m m er lin de

Fr uc ht re ife H ol un de r

Fr uc ht re ife R os sk as ta ni e

La ub ve rf är bu ng B irk e G ei se n h ei m 19 00 b is 20 02

P h än o lo g is ch e U h r B ay es ‘s ch e A n al ys e W in te r

Abb.6.PhänologischeUhrrGeisenheimbeiFrankfurtamMain(19002000)mitErgebnissenderBayes’schenZeitreihenanalyse(Change-Point-Modell)rdiephänologischenJahreszeiten. BlauePunkte:jährlicheUmkehrpunktwahrscheinlichkeit;TrendinTage/Jahr(rot)undFunktionsausgleichinTagenseitJahresbeginn(blau)jeweilsmitKonfidenzintervallen.

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5 Zusammenfassung

Pflanzen sind «integrierende Messin-strumente» für die Witterung. Einer der besten Bio-Indikatoren für den Anstieg der Temperatur in den mittle-ren und höhemittle-ren Breiten sind Verände-rungen des Eintrittszeitpunktes von phänologischen Phasen, wie Blattent-faltung, Blüte oder Fruchtreife. Der Lufttemperatur kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, denn die oben ge-nannten Frühjahrs- und Sommerpha-sen werden im weSommerpha-sentlichen von der Temperatur der vorangehenden Mona-te beeinflusst.

In den letzten Jahrzehnten haben sich diese Ereignisse im Schnitt um 2,3 Tage / Dekade verfrüht (PARMESAN und YOHE 2003). Für Europa konnte die COST725 Studie einen vergleich-baren Wert von 2,5 Tagen / Dekade für Blattentfaltung, Blüte und Fruchtreife (75 218 Reihen) ermitteln. Blattentfal-tung und Blüte verfrühen sich dabei um 2,5 Tage / °C Temperaturerhöhung, Fruchtreife um 2,2 Tage / °C (MENZEL et al.2006).

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Abstract

Changes in leaf unfolding, flowering, fruit ripening and leaf colouring due to recent climate change

The onset of seasons, as observed in the seasonal cycle in nature, has undergone major shifts during recent decades. Spring phenological phases, such as leaf unfol-ding and flowering, are continuously advancing. The onset of summer phases, such as flowering or fruit ripening, is also advancing. In contrast, the picture of autumn is more heterogeneous with partly later onset of leaf colouring and leaf fall. A new comprehensive European study (COST725) revealed that flowering and leaf un-folding in spring (75 218 records) have advanced by 2.5 days / decade over the last 30 years. In total the vegetation period in Central Europe is now up to two weeks longer than 30 years ago. This signal, which is most apparent in Germany and Switzerland in the mid 1980s, can be attributed to warming due to the anthropoge-nic greenhouse effect. This far-reaching study within the COST725 action further revealed that the advance of bud burst and flowering is not an accidental result of

The onset of seasons, as observed in the seasonal cycle in nature, has undergone major shifts during recent decades. Spring phenological phases, such as leaf unfol-ding and flowering, are continuously advancing. The onset of summer phases, such as flowering or fruit ripening, is also advancing. In contrast, the picture of autumn is more heterogeneous with partly later onset of leaf colouring and leaf fall. A new comprehensive European study (COST725) revealed that flowering and leaf un-folding in spring (75 218 records) have advanced by 2.5 days / decade over the last 30 years. In total the vegetation period in Central Europe is now up to two weeks longer than 30 years ago. This signal, which is most apparent in Germany and Switzerland in the mid 1980s, can be attributed to warming due to the anthropoge-nic greenhouse effect. This far-reaching study within the COST725 action further revealed that the advance of bud burst and flowering is not an accidental result of