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Wie erleben die Kinder die Trennung der Eltern?

2. Mädchen und Jungen in Unterstützungsangeboten –

3.3 Wie erleben die Kinder die Trennung der Eltern?

Für viele ist die Trennung der Eltern „nicht so schlimm“ und hat auch Vorteile: „Also, ich finde es irgendwie ein bisschen gut, weil dann können Mama und Papa sich nicht mehr so streiten“

(Michael, 11 Jahre). Während viele Kinder Erleichterung verspüren, gibt es auch einige, die ha-dern, die noch sehr damit beschäftigt sind, den Verlust des einen Elternteils und das Aufbrechen des Familiengefüges verdauen zu müssen. Tabuisierung der Gewalt in der Elternbeziehung und Umdeutung des Trennungsgrunds erschweren den Prozess der Anerkennung der neuen Lebens-situation und begünstigen die Idealisierungen des getrennt lebenden Elternteils (vgl. Seith und Böckmann 2006). Manche Kinder haben einen starken Wunsch nach einer vollständigen Familie, der nicht durch den sozialen Druck des Umfelds erklärt werden kann. Getrennt lebende Kinder sind heute oftmals keine Ausnahmeerscheinungen mehr, so dass es für Trennungskinder einfa-cher geworden ist, in der Schule Kinder in ähnlichen Lebenslagen zu finden.

In einigen Fällen gelingt es den Eltern, ein Arrangement zu finden, das den Kindern Raum zur eigenständigen Beziehungspflege lässt. Je besser die Eltern zwischen ihren Partnerschaftsprob-lemen und der Erziehungsverantwortung trennen können, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Kinder die neue Situation als eine valable Alternative zum bisherigen Familienleben akzeptieren können. Bei Natalie und Michael scheint dies zu gelingen, an anderer Stelle heben sie hervor, dass sie mit der Lösung zufrieden sind und sie die Entspannung im Familienleben seit der Trennung schätzen.

F: Ist es besser für dich?

A: Ja, ich finde es besser, weil dann streiten sich meine Eltern nicht mehr so oft und so, ja.

Es ist okay, dass ich jeden Sonntag zu meinem Vater gehe. (Natalie, 11 Jahre)

43 Dies führte dazu, dass sich die beantragten Personalmittel teilweise als letztlich zu knapp für das tatsächliche Pensum erwiesen.

A: Und ich finde halt auch gut, dass wir zu Papa gehen und da, also, am Wochenende ge-hen wir immer zu Papa oder zu Opa sind wir früher immer gegangen, und jetzt gege-hen wir halt auch zum Papa, manchmal und übernachten da auch manchmal.

F: Dann bist du so ganz zufrieden mit der,

A: Ich finde es eigentlich, ganz, ganz gut eigentlich.

F: Mhm, mhm. Und Mama?

A: Mama, die findet es auch gut, weil, dann können wir noch zum Papa und sie will halt mit dem Papa nichts mehr zu tun haben (…).

F: Und das klappt ganz gut?

A: Ja, das klappt ganz gut. (Michael, 11 Jahre)

Auch Sandra und ihr Bruder David sehen ihren Vater regelmäßig, wobei der Kontakt durch die große Distanz der Wohnorte erschwert ist. Die Erlaubnis, ihn anrufen zu können, ihn fragen zu dürfen, ob er sie abholt und der bisherige Verlauf des Kontakts gibt Sandra das Gefühl, ihn oft genug sehen zu können. Dies ist für die Kinder wichtig, da trotz der Schwierigkeiten der Eltern eine starke emotionale Bindung zum Vater besteht. Sie scheinen sich auch mit alternativen Wohnmöglichkeiten zu beschäftigen, die sich nach Trennungen eröffnen. Im Prozess des Abwä-gens, wie auch an anderer Stelle im Interview deutlich wird, zieht Sandra verschiedene für ihr Wohlbefinden relevante Kriterien heran: da sind „die Freunde und so diese Sachen“, auch die Tatsache, dass sie den Vater nicht nur mit seiner neuen Partnerin, sondern auch mit deren Kinder teilen müsste, fällt ins Gewicht. Letztlich gibt sie dem Zusammenleben mit der Mutter den Vorzug.

Jedoch erweist sich dieses als relativ spannungsgeladen und ist Gegenstand mehrfacher Sitzun-gen von Gesprächen in verschiedenen Konstellationen (vgl. Kapitel 4 und 5).

F: Und wie ist es mit dem Papa? Also, siehst du den Papa?

A: Wir dürfen hingehen, wann wir wollen. Immer wenn wir wollen, dürfen wir ihn anrufen und fragen, ob er irgendwie Zeit hat und uns abholen kann, ob wir zu ihm dürfen, wenn Ferien oder Wochenende sind, weil der wohnt in A., in der Nähe von M. Das dauert dann schon ein bisschen.

F: Und hast du das Gefühl, du siehst ihn häufig genug?

A: Mhm.

F: Ja? Und wie oft ungefähr?

A: Naja, im Jahr irgendwas mit zwanzig.

F: Zwanzigmal im Jahr?

A: Ja, vielleicht ein bisschen mehr, ein bisschen weniger.// Mhm, mhm.// Kommt darauf an, wie Mama und Papa gerade sind.

F: Und wie ist es denn, den Papa zu sehen?

A: Auch toll, eigentlich immer, F: Bist du entspannt?

A: Ja, ein bisschen besser wie bei der Mama. Aber ich möchte trotzdem bei der Mama bleiben, da sind auch alle Freunde und so diese Sachen.

F: Aha. War das denn schon eine Frage, ob ihr vielleicht mit dem Papa wohnt?

A: Mhm (verneinend). //Nö, mhm.// Manchmal redet der David davon, aber dann, wenn die Mama irgendwas Nettes wieder sagt, ist der Gedanke schon gleich wieder weg.

(Sandra, 8 Jahre)

Für einige Kinder ist der Kontakt zum getrennt lebenden Elternteil unbefriedigend. Unzufriedenheit stellt sich bei Kindern ein, wenn sich der getrennt lebende Elternteil nicht wirklich um sie kümmert, er zum Beispiel in der subjektiven Wahrnehmung der Kinder die meiste Zeit schläft, sich mit ande-rem, aber nicht mit ihnen beschäftigt, der Vater nichts mit ihnen unternimmt und sie sich deshalb langweilen.

Einige Kinder sind sehr groβen Belastungen ausgesetzt, die im Zusammenhang stehen mit schweren zurückliegenden Erlebnissen, mit Angst vor dem bevorstehenden Kontakt und mit un-befriedigenden Verläufen. Ungeduld, Aggressivität des getrennt lebenden Elternteils, mitunter auch Schläge oder ein fortbestehendes Klima von Angst beschreiben manche Kinder als schwie-rig. Es entsteht der Eindruck, dass Verunsicherung das Verhältnis zum getrennt lebenden Eltern-teil dominiert. Alexandra muss sich mit sehr komplexen Situationen auseinandersetzen; sie ist gefordert herauszufinden, ob und unter welchen Bedingungen sie ihren Vater sehen will. In welch paradoxer Situation sie sich befindet, wird in der folgenden Gesprächssequenz deutlich:

A: Hmm, (…) den sollte ich eigentlich schon bald wieder sehen, halt, fünfmal treffe ich mich mit einer Frau und ihm, weil ich Angst habe, mich mit ihm alleine zu treffen. Das will ich überhaupt nicht. (…)

F: Hat dich jemand gefragt, ob du den Papa sehen willst?

A: Ja, es hat so eine Frau gefragt, ob ich ihn sehen will. Ich will ihn schon sehen, aber nicht ganz alleine.

F: Nicht ganz alleine, es sollte jemand dabei sein, //ja.// damit du dich sicher fühlst.

A: Ja, Erwachsene, weil Kinder, die können ja eigentlich gar nichts machen.

F: Genau.

A: Und deswegen, manchmal mache ich zu Hause so Sachen wie ich mich zum Beispiel gegen jemanden wehren kann, so Schläge, halt so.

Für Alexandra scheint der Vater auch nach der Trennung ein Angstbegriff zu sein. Sie fürchtet um ihre eigene Sicherheit, die Gefahr einer Entführung steht im Raum und die Frage, wie sie sich im Zweifelsfall gegen den Vater wehren könnte. Es liegt auf der Hand, dass Kontakt unter solchen Vorzeichen auch weiterhin eine Zusatzbelastung für das Kind darstellt. Für sie ist die Kinder-gruppe eine wichtige Stütze. Alexandra hat von sich den Eindruck, dass sie durch die Gruppe besser gelernt hat, über die Erlebnisse zu sprechen, aber die Belastung scheint trotzdem so groβ zu sein, dass die Gruppenleiterinnen eine zusätzliche therapeutische Begleitung für notwendig erachteten.

Das Verhältnis zu beiden Elternteilen ist durch häusliche Gewalt oftmals überschattet, so dass die Kinder vielfältige Probleme und Dynamiken in die Gruppen hineintragen. Die Art und Qualität der

Beziehung zum gewalterleidenden und gewalttätigen Elternteil variiert und lässt sich auf einer Skala zwischen positiv, unbefriedigend, belastet bis hin zu nicht existent ansiedeln (siehe Kapitel 2 und Kapitel 3.2). Bei Trennungen, die durch häusliche Gewalt überlagert sind, kommen auf die Kinder oftmals noch gröβere Belastungen zu (Seith 2003). Die Belastung ist besonders hoch, wenn die besondere Gefährlichkeit des Täters (besondere Brutalität) und/oder Unberechenbarkeit (z.B. aufgrund psychische Krankheit) die Hintergrundfolie darstellen, auf der ein vertrauensvoller Kontakt hergestellt werden soll. Gruppenangebote für von häuslicher Gewalt betroffene Kinder können zur Bewältigung der Erlebnisse beitragen und die Kinder darin unterstützen, ihre Position gegenüber beiden Elternteilen zu klären. Aber es gilt auch zu berücksichtigen, dass der Arbeit der Gruppen Grenzen gesetzt sind - sie können weder die Ursachen für Ängste und Belastungen be-enden, das ist die Rolle von Polizei, Justiz und Jugendamt noch können sie massive Traumatisie-rungen und ChronifizieTraumatisie-rungen bearbeiten. Dafür bedarf es intensiverer therapeutischer und päda-gogischer Begleitung (vgl. Kapitel 5).