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Interview zur Tagung (gesendet am 9.7. 04 um 16:05 Uhr auf oeins)

Frage: Zum 60. Jahrestag des versuchten Staatsstreichs gegen die NS-Dikta-tur am 20. Juli 1944 haben Sie heute, am 09. Juli (2004) an der Uni Olden-burg eine Tagung durchgeführt. Was genau war der Gegenstand dieser Tagung?

Antwort: Am 20. Juli diesen Jahres, also in 11 Tagen, wird sich das Attentat auf Hitler zum 60. Mal jähren. Wir wollen dieses Erinnerungsdatum nutzen, um uns hier an der Universität, aber auch gemeinsam mit einer breiteren Öffentlichkeit, mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus ausein-ander zu setzen. Wir interessieren uns für die Träger, für die Ziele und auch für die Formen des Widerstandes im NS-Staat und konnten für unsere heu-tige Veranstaltung renommierte Wissenschaftler aus Deutschland und den USA gewinnen: Freiherr von Aretin, Karl-Wilhelm Fricke, Armin Mruck und Werner Boldt konnten uns einen Einblick in die aktuellen Forschungen zum Themengebiet geben. Wir interessieren uns nicht nur für die Geschichte des Widerstandes, also für die vergangenen Ereignisse, Prozesse und Vor-kommnisse, sondern wir interessieren uns auch dafür, wie diese Geschichte des Widerstandes in Deutschland nach 1945 rezipiert worden ist; also die Geschichte des Erinnerns an den Widerstand im Nationalsozialismus ist auch Gegenstand unserer Tagung. Und dabei stellt sich für uns die Frage, welche Bedeutung das Erinnern an den Widerstand für unsere heutige Gegenwarts-kultur noch hat.

Frage: Die Tagung dreht sich also nicht nur um den Widerstand in der NS-Diktatur?

Antwort: Blickt man in die Geschichte, in die Rezeptionsgeschichte des Erinnerns an den Widerstand, fällt auf, dass in den 50-er Jahren und auch 60-er Jahren das Erinnern noch sehr stark auf die Attentäter des 20. Julis

konzentriert war und diese entweder noch gegenüber dem Verdacht des Ver-rätertums in Schutz genommen werden mussten oder aber als Helden gerade-zu verklärt wurden. Wir haben dies auf der Tagung am Beispiel der Schul-buchdarstellungen aus den 1950er und 1960er Jahren kennen gelernt. Erst in den 70-er Jahren hat es eine Erweiterung des Widerstandsbegriffs gegeben und damit auch der Widerstandsforschung. Unter dem Einfluss der Sozialge-schichte wurde zur Kenntnis genommen, dass der Widerstand nicht nur aus dem Militär und von wenigen bürgerlichen Eliten getragen worden ist, son-dern von der gesamten Gesellschaft. Er ist aus allen sozialen Schichten der deutschen Gesellschaft hervorgegangen. Im Durchgang durch diese Rezep-tionsgeschichte haben wir auf der Tagung gelernt, dass die neuere Forschung davon weggekommen ist, den Widerstand sehr eindeutig in einem Gegen-über von Widerstehen und Mitmachen zu sehen. Immer stärker kommt es darauf an, die Widerstandsleistenden auch in ihrer Zeit wahrzunehmen. Und da fällt auf, dass es sich oftmals – eigentlich in allen Formen des Widerstan-des – um ein Zusammenspiel von Mitmachen und Widerstehen, von Dissens-momenten gegenüber der NS-Gesellschaft, aber auch von Konsensmomen-ten mit Teilen der NS-Ideologie handelte.

Frage: Die NS-Diktatur ist ja mit der SED-Diktatur nicht vergleichbar.

Kann man denn die entsprechenden Widerstandsbewegungen nebeneinander stellen?

Antwort: Im letzten Jahr jährte sich ja der 17. Juni 1953, der Aufstand in der DDR, und hier am Institut für Politikwissenschaft hat damals die Arbeits-stelle DEFA-Film eine Veranstaltung durchgeführt, ein Seminar mit Studie-renden und auch eine öffentliche Tagung zum Thema „Widerstand in der DDR“. Wir knüpfen an diese Vorarbeiten an wollen durch die heutige Ver-anstaltung eine vergleichende Perspektive zum Widerstand in Diktaturen gewinnen – nicht im Hinblick darauf, irgendetwas gleichsetzen zu wollen, sondern im Sinne eines analytischen Vergleichs unter der Frage, wie Herr-schaft funktioniert. Der Fokus liegt nicht auf einer Gleichsetzung des Wider-standes in Diktaturen. Unter normativen Gesichtspunkten ist die DDR nicht mit dem NS-Staat gleichzusetzen, auch nicht als System. Vielmehr geht es darum, das für den Widerstand im Nationalsozialismus sehr gut entwickelte und ausdifferenzierte Forschungsinstrumentarium zu nutzen, um auch die Er-kenntnisse bezüglich des Herrschaftssystems und der Opposition in der DDR zu verfeinern. Insofern interessiert nicht die chronologische Geschichte des Widerstandes, sondern es geht um eine Anregung, in der deutschen

Ge-schichte, die ja in erster Linie eine Geschichte des Obrigkeitsstaates ist, Elemente einer Demokratiegeschichte zu entdecken. Diese sind leider nur spärlich gesät. In jedem Fall gehören der 17. Juni 1953 und der 20. Juli 1944 dazu. Wir nutzen die Erinnerung an die Geschehnisse, um für die demokratische Selbstvergewisserung der Gegenwart historische Bezüge zu eröffnen.

Frage: Welche Bedeutung hat der 20. Juli 1944 und der Widerstand im Nationalsozialismus für die politische Bildung heute?

Antwort: Das ist einmal, wie ich gesagt habe, dieses Aufmachen einer Demokratiegeschichte, das Aufzeigen von demokratischen Wurzeln in einer oft diktatorischen und obrigkeitsstaatlichen deutschen Geschichte. Und es ist zum anderen das Bemühen, demokratische Prinzipien und Werthaltungen an historischen Beispielen zu entwickeln, also am Widerstand gegen den Natio-nalsozialismus, an so kleinen Formen des Widerstandes, wie Menschen in Not zu helfen, vor Verfolgung zu schützen, oder sich auch nur gegen be-stimmte Anforderungen des Regimes zu verweigern und sich zurückzuzie-hen. Das Erinnern an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus kann heute aufzeigen, wie wichtig es ist, und dass es möglich ist, sich totalitären Ansprüchen zu verweigern und Prinzipien von Menschenwürde, von Menschlichkeit auch unter schlechtesten Bedingungen weiterleben zu lassen.

Karl Otmar Freiherr von Aretin, Dr., Prof., Historiker, München

Dorit Bückmann, Studentin der Politikwissenschaft, Germanistik, Geschichte an der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg

Werner Boldt, Dr., Professor em. am Institut für Politikwissenschaft der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg

Klaus Finke, M.A., Politikwissenschaftler, Arbeitsstelle ›DEFA-Filme als Quellen zur Politik und Kultur der DDR‹ am Institut für Politikwissenschaft der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg

Helmut Freiwald, Dr., Prof. em. am Institut für Politikwissenschaft der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg

Karl Wilhelm Fricke, Dr., Historiker, Publizist, Köln

Dirk Lange, Dr., Juniorprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg

Armin E. Mruck, Dr., Professor of History, Emeritus, Towson University, Towson, Maryland / USA

Wolf-Dieter Scholz, Dr., Prof., Vizepräsident der Carl-von-Ossietzky Uni-versität Oldenburg

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