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Zum Einfluss des Historismus auf die Darstellung des Widerstandes in der ersten Schulbuchgeneration

Erinnerungskultur im Wandel

1 Zum Einfluss des Historismus auf die Darstellung des Widerstandes in der ersten Schulbuchgeneration

Im Schulbuch der 60er Jahre wird die Fähigkeit zum Politischen Handeln und damit auch zum Widerstand auf wenige gesellschaftliche Eliten redu-ziert. In dem Schulbuch „Deutsche Geschichte der Neuzeit“ aus dem Jahr 1964 erfährt der Leser von der „politische[n] Instinktlosigkeit der Massen“, die nicht erkennen ließ, „daß die Grundlagen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft – Terror, Gewissenslosigkeit, Nichtachtung des Lebens des einzelnen und der Völker – bereits an der Wiege der Partei Pate gestanden hatten“ (vgl. DGdN, 160).

Dann heißt es: „Als das Volk in seinen besten Teilen erwachte, hatte sich die Gewaltherrschaft schon zu sehr gefestigt. Nur die Wehrmacht hätte noch die Möglichkeit gehabt Hitler zu stürzen. Als auch die Generäle versagten, war ein Vorgehen gegen den Terror, ein Durchbruch wahrhaft deutschen Wesens, nicht mehr möglich. Es fehlte ein Gegenspieler, vorausschauend, robust und rücksichtslos genug, um Hitler entgegentreten zu können“ (DGdN, 160).

In diesen Passagen wird der Widerstand gegen den Nationalsozialismus als eine Geschichte „großer Männer“ geschrieben. Nur diese scheinen in der Lage zu sein, gestaltenden Einfluss auf die Geschichte zu nehmen. Erfolgrei-cher Widerstand wird von einer Persönlichkeit abhängig gemacht, die Hitler hätte entgegentreten können.

Auch in dem „Lehrbuch zur Geschichte für berufsbildende Schulen“ aus dem Jahr 1968 erfährt der Leser: „Das deutsche Volk konnte sich kein Urteil über die politische und militärische Lage bilden … Dagegen hatten einige führende Männer des politischen Lebens und des Militärs erkannt, dass Deutschland auf dem Weg in den Abgrund war. Ihnen blieb zur Rettung Deutschlands nur der Weg der Verschwörung und der gewaltsamen Beseiti-gung Hitlers“ (LdG, 263). So wird der Widerstand personalisiert und auf die Verschwörer des 20. Juli 1944 reduziert. Zum aktiven Handeln scheinen nur männliche Elitenangehörige in der Lage. Das „deutsche Volk“ verbleibt im Status der Unmündigkeit.

Diese Darstellungen stehen in der Tradition des Historismus. Widerstand wird als das organisierte Bemühen verstanden, den NS-Staat durch politi-sche, mutige und risikoreiche Aktionen zu beseitigen.

Die Schulbücher verraten eine Suche nach Eindeutigkeit. Die Aktivisten werden nicht in der Widersprüchlichkeit ihrer Zeit dargestellt, sondern zu Helden verklärt: „Es waren Menschen, die mit brennender Scham die Schän-dung des deutschen Namens sahen und der Welt zeigen wollten, daß es noch ein anderes Deutschland gäbe, ein Deutschland Luthers, Goethes und Schillers“ (DGdN, 161). „Ihre Motive waren sowohl sittlicher als politischer Natur. Sie empfanden die mit Blut und Schandtaten besudelte Regierung Hitlers als sittlich untragbar und wollten durch einen Gewaltakt die Ehre Deutschlands wiederherstellen. Sie erkannten ferner, daß Deutschland unter dieser Regierung auf dem Wege in die Niederlage und ins Chaos war. Die Beseitigung des Tyrannen sollte Deutschland in letzter Stunden einen noch erträglichen Frieden geben“ (LdG, 263).

Die Heroisierungen haben den Zweck – so lässt sich in einem Methodik-Handbuch aus dem Jahr 1961 lesen – Vorbilder für die Schüler zu gewinnen:

„Immer wieder wird gefragt, wo für den jungen Menschen Vorbilder zu finden seien. Hier haben wir eine Antwort. An vielen großen Gestalten des Widerstandes kann er sie gewinnen. Oder sollte die Art, wie ein Graf Moltke, ein Gördeler und Bonhoeffer, ein Pater Delp oder Pfarrer Metzger starben und das Große, für das sie ihr Leben einsetzten, kein Vorbild mehr sein?“ (LZg, 150)

Wenn die Erklärungskraft des Historismus nicht mehr ausreicht, werden überirdische Kräfte bemüht: „Viele Pläne wurden im kleinen Kreise bespro-chen, besonders von den wenigen verantwortungsbewussten Generälen, denen klar war, daß sie mit der Wehrmacht die einzige reale Macht in der

Hand hatten. Sie wollten Hitler und seine Helfer vor ein öffentliches Gericht stellen und so dem Volke das wahre Bild des Führers zeigen und einen Rechtsstaat wieder aufrichten. Doch alle Versuche scheiterten. Attentate mißglückten. Hitler hatte ein unwahrscheinliches Glück. Das Schicksal wollte, daß wir den Kelch bis zur Neige tranken.“ (DGdN, 161). Glück und Schicksal werden für das Scheitern des Widerstandes Verantwortlich gemacht, damit die Heldenhaftigkeit der Akteure nicht in Frage gestellt ist.

Auffällig ist, dass die Darstellungen noch relativ ungebrochen aus einer nationalistischen Perspektive erfolgen. „Der Gedanke an eine Niederlage Deutschlands mit all ihren Folgen aber mußte ihnen [den Widerständlern;

D.L.] aus nationalen Gründen gleichfalls unerträglich sein“ (LdG, 263). Die

‚Rettung Deutschlands’ und die ‚Ehre Deutschlands’ scheinen die zentralen Motive der Attentäter gewesen zu sein: „Wenn das Attentat geglückt wäre … wären 2,5 Millionen deutsche Menschen, die noch nach dem 20. Juli 1944 umgekommen sind, am Leben geblieben. Auch wären die Städte Dresden, Würzburg, Darmstadt und viele andere nicht in Schutt und Asche gesunken.

Es wäre aber in unserem Volke wohl bis heute die Meinung nicht verstummt, daß Hitler Deutschland zum Siege geführt hätte, wenn ihn nicht ‚Verräter‘

beseitigt hätten“ (LdG, 263).

Die Ermordeten der Vernichtungslager, die Kriegsopfer der deutschen Kriegsgegner und die von Deutschen verwüsteten Städte und Landstriche finden keine Erwähnung. Auch die Darstellungsweise der Opfer des Wider-standes ist noch dem rassetheoretischen Vokabular des Nationalsozialismus verhaftet: „Viel bestes deutsches Blut floß noch durch Henkershand“

(DGdN, 161).

Der Widerstand wird genutzt, um die deutsche Bevölkerung zu entschulden.

Hitler scheint sich der Deutschen bemächtigt zu haben: „Diejenigen, die den militärischen Zusammenbruch kommen sahen … wollten vor der Geschichte zeigen, das Hitlers Geist nicht der deutsche Geist war, sondern ein fremder, ein Geist aus der Tiefe. So kam der Attentatsversuch am 20.7.1944 aus rei-nem Herzen zustande …“ (DGdN, 161). Das Zitat zeigt auch, dass der Widerstand in den 60er Jahren noch immer mit dem Vorwurf des Verrats konfrontiert war. Es muss betont werden, dass die Attentäter gute Absichten hatten und ‚aus reinem Herzen’ handelten.

Politische Emigranten hingegen sind noch immer mit dem Vorwurf konfron-tiert, ihr Land im Stich gelassen zu haben. „So fielen die einzelnen, die sich aus Gewissensnot nicht beugen wollten, der Gewalt zum Opfer oder mußten

ins Ausland flüchten. Wenige blieben auf ihrem Posten und versuchten, zu bremsen und schlimmeres zu verhüten“ (DGdN, 160). Die Ausreise wird zwar als Zwangssituation dargestellt (‚mußten ins Ausland flüchten‘) zu-gleich wird aber betont, dass das Exilanten ihre Aufgaben vernachlässigt haben (‚wenige blieben auf ihrem Posten‘).

Die Darstellung des Widerstandes in der ersten Schulbuchgeneration ist gekennzeichnet durch

Personalisierungen,

Heroisierungen,

Mythologisierungen und

eine nationalistische Perspektive.

Die Darstellung des Widerstandes im Schulbuch der 60er Jahre konzentriert sich auf die Motive, Intentionen und Überzeugungen von bürgerlichen und meist männlichen Persönlichkeiten, die als Teil von Elitegruppen in der Lage schienen, in das Zentrum der Macht vorstoßen zu können. Die NS-Gesell-schaft wurde dabei als ein monolithischer Block vorgestellt, in der auf Grund von totalitärer Erfassung und Gleichschaltung, Widerstreben und Verwei-gern nur für einige wenige heldenhafte Personen denkbar war. Diese Heroi-sierung des Widerstandes erfüllte eine Entschuldungsfunktion, da die hohen Ansprüche, die an widerständiges Handeln gestellt wurden, kaum erreichbar waren und somit belegt schien, „dass man ja unter diesen Bedingungen doch nichts machen konnte“.

Nachdem erste Veröffentlichungen von Widerstandleistenden nach Kriegs-ende sehr defensiv formuliert waren und gegen einen möglichen Verratsvor-wurf argumentierten, entwickelte sich die westdeutsche Widerstandsfor-schung im Schatten der Systemkonfrontation. Mit totalitarismustheoretischer Begründung fiel dabei der kommunistische Widerstand unter den Tisch.

Indem Kommunismus und Nationalsozialismus als zwei Seiten des selben Übels vorgestellt wurden, war ein kommunistischer Widerstand nicht mehr denkbar. Hinzu kam, dass der Widerstand durch sein Bemühen um den Erhalt des Status quo bzw. um die Herstellung des Status quo ante (im Sinne der Tyrannenlehre des Thomas von Aquin) legitimiert schien. Dieses bewah-rende Moment schloss die teils revolutionäre Motivation des Widerstandes aus der Arbeiterbewegung aus.

„Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und mit den unterschiedlichsten Weltanschauungen haben sich dafür eingesetzt“.

2 Zum Einfluss der Sozialgeschichte auf die Darstellung des