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Die Wertzuwachsbesteuerung

des 17. Jahrhunderts

6 Die neue Grundlagenphilosophie von 1789 und die Versuche ihrer

7.2 Die Steuerreformen in den deutschen Staaten und im

7.2.4 Die Wertzuwachsbesteuerung

Unter dem Einfluss der bürgerlichen Sozialreform rückten Überlegungen zur Bodengewinnbesteuerung in den Vordergrund, die zwei Jahrhunderte früher ent-sprungen waren. Schon John Stuart Mill hatte den Standpunkt vertreten, dass der

„unverdiente Wertzuwachs“ an Grund und Boden einer besonderen Besteuerung zu

721 Lieb, Ralf: Direkte Steuerprogression. Geschichtliche Entwicklung und kritische Wür-digung ihrer Begründungen, Wiesbaden 1992, S. 125 ff.

722 Oechsle, Klaus: 100 Jahre Einkommensteuergesetze in Deutschland. Ein Beitrag zum preußischen EStG von 1891, in: Steuer und Studium. Zeitschrift für Aus- und Weiter-bildung im Steuerrecht 12 (1991), S. 203–206, S. 203.

723 Ebd., S. 45.

724 Born, Karl Erich: Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Deutschen Kaiserreiches 1867/71–1914, Stuttgart 1985, S. 70 f.

725 Ebd., S. 44–46; Popitz, Johannes: Einkommensteuer, in: Elster, Ludwig u. a. (Hrsg.):

Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 3, 4. Aufl., Jena 1926, S. 400–491, S. 400.

162 7 Steuergerechtigkeitsideen und -prinzipien bis in das frühe 20. Jh.

unterwerfen sei; denn es entspräche der steuerlichen Gerechtigkeit, dass gleichsam im Schlaf erworbenes Vermögen dem Staate zuzuführen sei.726

In Deutschland hatte Johann Heinrich von Thünen (1783–1850) nachzuweisen versucht, dass der Staat einen Teil der Landrente – d. h. den durch den Besitz von Grund und Boden erzielten Gewinn – vereinnahmen dürfe, ohne dass dies die Wirtschaft beeinträchtige. Eine vollständige Vereinnahmung der Landrente lehnte er ab, da dieses die Landwirte von Investitionen in Verbesserungen zurückhalten und damit die kulturellen Fortschritte hemmen würde.727

Hermann Heinrich Gossen (1810–1858) empfahl, den in privater Hand befind-lichen Grund und Boden durch den Staat aufkaufen zu lassen, um dadurch die Wertsteigerungen der Gesamtheit zuzuführen. Ihm kam es bei diesem Modell jedoch weniger auf die Reform der Finanzen als auf eine Umgestaltung der Wirt-schaftsverfassung an.728

Großen Einfluss auf die deutsche Bodenreformbewegung hatte der amerikanische Nationalökonom Henry George (1839–1897), der die Bodenrente als Gemeingut ansah und deshalb den Standpunkt vertrat, dass die Wertsteigerung des Grund und Bodens vollständig dem Staat zuzuführen sei. George wollte darüber hinaus das Eigentum an Grund und Boden den Grundbesitzern jedoch nicht entziehen.729 Er war davon überzeugt, dass eine solche Steuer auf die Grundrente so große Erträge abwerfen würde, dass alle übrigen Steuern fortfallen könnten.730

Ein maßvolleres und moderateres Steuermodell entwarf Adolf Damaschke (1865–1935) mit einer gestaffelten Bodenwertsteuer, die das „spekulative Zurück-halten deutschen Bodens“ von der Bebauung und besten Ausnutzung unmöglich machen sollte.731 Zwangsläufig müsse die Grundrente steigen, wenn mit der Zunah-me der Bevölkerungsdichte, der industriellen und gewerblichen Entwicklung der

726 Mill, John Stuart: Principles of Political Economy, S. 817 f.

727 Thünen, Johann Heinrich von: Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonomie (1842), ND Jena 1910, S. 349.

728 Gossen, Hermann Heinrich: Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fließenden Regeln für menschliches Handeln, 3. Aufl., Berlin 1927, S. 250–273.

729 George, Henry: Fortschritt und Armuth. Eine Untersuchung über die Ursache der industriellen Krisen und der Zunahme der Armuth bei zunehmenden Reichthum, aus dem Englischen von C. D. F. Gütschow, 4. Aufl., Berlin 1890, S. 358 f.

730 Leisner, Walter: Wertzuwachsbesteuerung und Eigentum. Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Leistungseigentum (Schriften zum Steuerrecht 19), Berlin 1978, S. 33 und S. 166.

731 Damaschke, Adolf: Die Bodenreform. Grundsätzliches und Geschichtliches zur Er-kenntnis und Überwindung der sozialen Not, 20. Aufl., Jena 1923, S. 474 f.

163 Städte und den verbesserten Infrastrukturgegebenheiten erhebliche Wertzuwächse zu verzeichnen sind. Was läge also näher, als diese Wertzuwächse einer Besteue-rung zu unterwerfen, um die Gegensätze von Arm und Reich auszugleichen und gleichzeitig den Finanzbedarf zu decken?

Unter den deutschen Finanzwissenschaftlern wurden unterschiedliche Ideen zu einer Wertzuwachsteuer vertreten, die von völliger Zustimmung bis zur restlosen Ablehnung reichten. Hans von Nostitz (1863–1958) wollte den unverdienten Wert-zuwachs einer steigenden progressiven Besteuerung unterwerfen und begründete dies insbesondere mit den hohen finanziellen Aufwendungen für öffentliche Ein-richtungen und die Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen.732

Johann Viktor Bredt (1879–1940) stand einer Wertzuwachssteuer ablehnend gegenüber, da er in ihr einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip sah. Er hielt eine Beteiligung der öffentlichen Hand an den Wertzuwächsen von Grund-eigentümern als Besteuerungsmodell für generell unzulässig und wollte diese mit keiner höheren Besteuerung versehen als das regelmäßige Einkommen.733 7.2.4.2 Die Wertzuwachsbesteuerung zu Beginn

des 20. Jahrhunderts

Auf kommunaler Ebene hatten bis zum Jahr 1910 insgesamt 652 Gemeinden eine in der Regel von der Wertsteigerung abhängige Grundverkehrsabgabe eingeführt, die jedoch nur den realisierten Wertzuwachs betraf. Die Abschöpfung eines „unver-dienten“ Wertzuwachses erfolgte mit dieser Abgabe jedoch nur in geringem Maße, weshalb die Bodenreformer daran glaubten, dass nur mithilfe einer Reichssteuer eine wirksame Besteuerung durchgeführt werden könnte.734

Der Gedanke, die Wertzuwachssteuer als Reichssteuer einzuführen, tauchte bei den Beratungen zur Reichsfinanzreform im Jahr 1909 auf. In der Begründung zu diesem Entwurf wurde der Zweck der Steuer wie folgt gekennzeichnet:

Der Abgabe vom Wertzuwachs […] liegt der Gedanke zugrunde, daß derjenige, der im wesentlichen ohne eigenes Zutun – infolge von Maßnahmen der Gemeinschaft oder anderweit – an seinem Grundbesitz eine Werterhöhung erfahren hat, von dieser

732 Nostiz, Hans von: Wertzuwachssteuer, in: Conrad, Johannes u. a. (Hrsg.): Handwör-terbuch der Staatswissenschaften, 3. Aufl., Jena 1911, S. 774–785.

733 Bredt, Johannes Viktor: Die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Ein Beitrag zur Systematik und Reform der direkten Steuern in Preußen und dem Reiche, Leipzig 1912, S. 175 und S. 180 ff.

734 Bräuer, Karl: Wertzuwachssteuer (Grundstücksgewinnsteuer), in: Elster, Ludwig/Weber, Adolf/Wieser, Friedrich (Hrsg.): Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 8, 4.

Aufl., Jena 1928, S. 1017–1042, S. 1017.

164 7 Steuergerechtigkeitsideen und -prinzipien bis in das frühe 20. Jh.

einen Teil an die Gemeinschaft in dem Augenblick abführen soll, in welchem er den Zuwachs in Geld oder Geldeswert umgesetzt erhält.735

Das Reichszuwachssteuergesetz736 wurde am 14. Februar 1911 verabschiedet und unterwarf den gesamten realisierten Wertzuwachs des Immobilienvermögens einem progressiven Tarif. Der Eingangssteuersatz betrug 10 Prozent und endete bei einem Höchststeuersatz von 30 Prozent, der ab einer Wertsteigerung von 290 Prozent einsetzte.

Dem Allgemeinheitsprinzip der Besteuerung wurde in diesem Gesetz nicht Rechnung getragen, denn der Landesfürst und die Landesfürstin waren ausdrücklich von einer Steuerpflicht befreit worden.737

Ein weiteres Gesetz, das den Vermögenszuwachs am Grund-, Betriebs- und Kapitalvermögen erfassen sollte, war das Deutsche Besitzsteuergesetz vom 3. Juli 1913.738 Dieses Gesetz, das zusammen mit dem sogenannten Wehrbeitrag739 erlassen worden war, löste das Reichszuwachssteuergesetz von 1911 ab. Die Feststellung des Vermögenszuwachses erfolgte erstmals zum 1. April 1917 für den in der Zeit vom 1. Januar 1914 bis zum 31. Dezember 1916 entstandenen Zuwachs, der Vermögens-zuwachs sollte danach alle drei Jahre erfasst werden.740

Das Gesetz enthielt hohe Freigrenzen. Die Steuer wurde ab einem Zuwachs von über 10.000 Mark erhoben (§ 12 und § 13 Deutsches Besitzsteuergesetz vom 3.

Juli 1913) und enthielt einen progressiven Tarif, der bei einem Zuwachs von nicht mehr als 50.000 Mark mit 0,75 Prozent des Zuwachses begann und bei Zuwächsen über 1.000.000 Mark 1,5 Prozent betrug. In Abhängigkeit von dem Gesamtwert des steuerbaren Vermögens konnte der Spitzensteuersatz bei einem Wertzuwachs von 10.000.000 Mark eine Höhe von 2,5 Prozent erreichen (§ 25 Deutsches Besitz-steuergesetz vom 3. Juli 1913).

735 Berckhoff, Ernst: Der Bergbau und das Reichszuwachssteuergesetz, in: Glückauf. Berg- und Hüttenmännische Zeitschrift vom 09.11.1912, 48. Jg., Nr. 45, S. 1836–1842.

736 Zuwachssteuergesetz vom 14.02.1911, RGBl. 1911, S. 33 ff.

737 Vgl. § 30 Nr. 1 des Zuwachssteuergesetzes vom 14.02.1911, RGBl. 1911, S. 33.

738 Deutsches Besitzsteuergesetz vom 03.07.1913, RGBl. 1913 Nr. 41, S. 524.

739 Für die Finanzierung der erhöhten Rüstungsanstrengungen wurde der sogenannte Wehrbeitrag – eine einmalige Vermögensabgabe – beschlossen. Die Einführung dieser direkten Steuer – und nicht eine Erhöhung der indirekten Steuern – war dem Umstand zu verdanken, dass die SPD in der Reichstagswahl von 1912 einen beachtlichen Stim-menzuwachs zu verzeichnen hatte; vgl. Gesetz über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag vom 03.07.1913, RGBl. 1913, S. 505 ff.

740 Vgl. § 18 Deutsches Besitzsteuergesetz vom 03.07.1913, RGBl. 1913 Nr. 41, S. 524 ff.

165 Mit diesem Gesetz sollte jedoch keine sozialpolitisch umverteilende Abschöpfung des Wertzuwachses vorgenommen werden, sondern es diente der Finanzierung der zunehmenden Militärausgaben.741