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3 Gender und Feminismus in den Disziplinen (1994-2001)

3.3 Was macht die Geschlechterforschung, machen die Gender Studien?

Die Einführung in den Studiengang der „Gender Studien“, die 2000 erscheint und von Christina von Braun und Inge Stephan herausgegeben wird (vgl. Braun/Stephan (Hg.) (2000)), ist dem Ansatz der Gender-Studien gemäß „interdisziplinär() bzw. transdisziplinär()“

(Stephan/Braun 2000: S: 15) angelegt. Die Gender-Studien sehen sich in einer Wechselbe-ziehung zur Frauenforschung und doch unabhängig von ihr. Sie beanspruchen mit der Katego-rie Gender eine von dem Begriff Geschlecht zu unterscheidende KategoKatego-rie, deren Vorteil darin liege, die sex-gender-Relation, die Beziehung zwischen biologischem und sozialem schlecht, zum Ausdruck bringen zu können, während dies dem deutschen „Begriff“ Ge-schlecht nicht möglich wäre. (vgl. Stephan/Braun 2000: S. 9/10) Die Kategorie Gender und mit ihr die Unterscheidung zwischen sex und Gender wird als „Produkt des Feminismus, der als politische und wissenschaftskritische Bewegung in den USA eine frühere und viel größere Bedeutung für den universitären Diskurs und die Theoriebildung gehabt hat als in Deutsch-land“ (Stephan/Braun 2000: S. 10), rekonstruiert. „Mit einer Verzögerung von fast zwanzig Jahren“ (Stephan/Braun 2000: S. 10) sei der Begriff auch im deutschsprachigen Raum aufge-nommen worden und habe eine weite Verbreitung gefunden.

„Deutlich ist, dass der Begriff gegenüber dem relativ naiven Gebrauch in den 70er und 80er Jahren eine erheb-liche semantische Ausweitung und – beeinflusst durch Postmoderne und Dekonstruktion – eine anspruchsvolle theoretische Einbindung erfahren hat.“ (Stephan/Braun 2000: S. 10)

Das begriffliche Feld, zu dem die Gender-Studien eine begriffliche Relation herstellen, ist also das des Feminismus als einer politischen und wissenschaftskritischen Bewegung – von wem? wird nicht weiter betont. Das weibliche Subjekt bleibt hinter der Kategorie Geschlecht verborgen, jedoch nur scheinbar. Denn es ist die „Kategorie“ des Feminismus selbst, die mit

„Frauen“ identifiziert wird und von der sich zu ihrem Vorteil die „Gender-Kategorie“

(Stephan/Braun 2000: S. 11) unterscheide.

„Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass die gender-Kategorie stärker als die Feminismus-Kategorie, die häufig als Ausschluss- bzw. Ausgrenzungskategorie verstanden worden ist, ein Angebot auch an männliche Wissenschaft-ler darstellt, sich mit der Konstruiertheit der eigenen und der in Texten vermittelten Geschlechtsidentität aus-einanderzusetzen.“ (Stephan/Braun 2000: S. 11, Hervorhebung i.O., RN)

Man könnte meinen, die theoriepolitische Strategie bestünde in einem symbolischen Akt der Umbenennung, aber das wäre zu kurz gegriffen.

„Damit kann die ungute ‚Arbeitsteilung’ zwischen Frauen, die Frauenforschung bzw. feministische Forschung betreiben, und Männern, die sich der ‚richtigen’ Wissenschaft widmen, aufgehoben werden, und es kann Schluss gemacht werden mit den unterschwelligen Vorbehalten gegenüber Männern, die ‚Frauenforschung’ und Frauen, die ‚Männerforschung’ betreiben.“ (Stephan/Braun 2000: S. 11)

Die Gender-Kategorie ist verbunden mit einer ausdrücklichen Einladung und Öffnung des Diskurses auch für Männer und einer wie nach rückwärts gewandten Verbeugung vor der Frauenforschung „oder“ (Stephan/Braun 2000: S. 11) feministischen Wissenschaft. Frau kreuzt sich immer des Weges? Ausdrücklich sind keine Konkurrenzen gewollt, keine Abwehr gemeint, kein Ausschluss bezweckt, alles hat seinen Ort und Sinn. Die Gender-Studien wollen Frauenforschung nicht ersetzen und nicht überflüssig machen, sie wollen die feministische Wissenschaft nicht verdrängen. „Diese können und sollen auch unabhängig davon als Schwerpunkte in der Disziplin weiter bestehen.“ (Stephan/Braun 2000: S. 11)

„Nur indem beides nebeneinander besteht, ist gesichert, dass die grundlegende Recherche und Kritik, die von der Frauenforschung und der Feministischen Literaturwissenschaft in der Vergangenheit geleistet worden sind, auch weiterhin zum Tragen kommen.“ (Stephan/Braun 2000: S. 11)

Das bekannte Zukunftsschema kommt hier zum Einsatz: Frauenforschung=Vergangenheit. So öffnet sich die Zukunft für die Gender-Studien. Dieses Schema verbindet sich mit einer weite-ren Spaltung von, wie im drittletzten Zitat zu sehen gewesen war, „naivem Gebrauch“ versus

„anspruchsvolle theoretische Einbindung“. Wer die Zukunft und die „anspruchsvolle theore-tische Einbindung“ für sich beanspruchen kann, steht vermutlich in dem universitären Kampf um das „Neue“ besser da, oder nicht? Diese theoriepolitischen Wertungen und Zuweisungen

erzeugen offensichtlich (oder sollen erzeugen) einen größeren Handlungs- und Wirkungs-spielraum: die Begrenzung auf eine vergeschlechtlichte Subjektivität wird aufgehoben, die schon vielerorts konstatierte Marginalisierung der Frauenstudien45, das Verwiesensein der Frauenforschung in ein universitäres Frauenghetto, soll ein Ende haben – jedenfalls für die Gender-Studien. Die (Re)Konstruktion der Gender-Kategorie in den Gender-Studien verbin-det sich mit einer „Neuschreibung“ der feministischen Kategorie Geschlecht. Man kann es auch eine kritische Aneignung der feministischen Kategorie Geschlecht nennen.

„Der Vorteil der gender-Kategorie liegt im Vergleich zu den von der älteren feministischen Forschung verwen-deten Begriffen ‚Weiblichkeit’ und ‚Männlichkeit’ in ihrem Vermögen, beide Geschlechter einzuschließen, problematische Trennungen aufzuheben und Übergänge fließend zu machen. Im Vergleich zum deutschen Be-griff ‚Geschlecht’ macht sie zudem auch deutlich, dass die Konstruiertheit durch die Bindung an die sex-gender-Relation schon enthalten ist und nicht durch zusätzliche Markierungen erst verdeutlicht werden muss.“

(Stephan/Braun 2000: S. 10, Hervorhebung i.O., RN)

In dieser Begründung der „gender-Kategorie“ liegt allerdings auch ein Moment der Enteig-nung. Noch Lindemann/Wobbe 1994 hatten ja die Entwicklung einer solchen Kategorie Ge-schlecht als Leistung der Frauenforschung und feministischen Theorie beschrieben bzw. be-schreiben können. Diesen Gender-Studien zufolge nun kann die „ältere feministische For-schung“ nicht mehr mit einem solchen „theoretisch anspruchsvollen“ Begriff von Geschlecht dienen.

Die Gender-Kategorie der Gender-Studien will also mehr sein als ein bloßer Gegenstandsbe-reich, es ist eine grundlegende Reflexions- und Kritik-Perspektive, mit ihr entfaltet sich das theoretische und theoriepolitische Fundament der Gender-Studien.

„Im übrigen ist es ein Missverständnis, gender als eine totalisierende und verdrängende Kategorie zu verstehen.

Die gender-Kategorie eröffnet vielmehr neue Felder und schafft Möglichkeiten der interdisziplinären und inter-nationalen Zusammenarbeit, in der gender mit race und class und anderen Kategorien ein kritisches Instrumenta-rium der kulturellen Reflexion und gesellschaftlichen Kritik bildet.“ (Stephan/Braun 2000: S. 11, Hervorhebung i.O., RN)

Im begrifflichen Feld von Gender oder dem ihm noch am nahesten kommenden „Terminus

‚Geschlechterverhältnisse’“ (Stephan/Braun 2000: S. 9) spielen sich innerfeministische Ab-grenzungskämpfe ab. Die Kategorie Geschlecht hatte tatsächlich Anfang der Neunzigerjahre die „Theoriefähigkeit“ (Lindemann/Wobbe 1994) und „Verlagsfähigkeit“ (Kreisky/Sauer 1995) der feministischen Theorie, der feministischen Politikwissenschaft und sozialwissen-schaftlichen Frauenforschung bedeutet, mit ihr hatte sich die grundlegende Transformation des feministischen Diskurses vollzogen. Aber sie ist es, die der feministischen Theorie und

45 So hieß die Frauenforschung ja auch bisweilen, vgl. Cornelia Goethe-Zentrum für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a.M..

sozialwissenschaftlichen Frauenforschung streitig gemacht wird. Ihre Ausarbeitung scheint über das System der feministischen Wissenschaft hinausgehen zu müssen, scheint zu ver-langen, es verlassen zu müssen. In der (Re)Konstruktion ihrer Bedeutung wird der begriff-liche Raum der Frauenforschung zu eng, oder er verengt sich in seine Vergangenheit hinein.

Wenn feministische Theorie als kritische Theorie und das feministische Theorieprojekt als ein radikal selbstreflexives Projekt der Herrschaftsabsage konstruiert werden, reklamieren sie ja jene Kategorie und jenen Fokus von Geschlecht/er/verhältnis/sen für sich, aber in der Profi-lierung der Gender-Studien wird sie/er ihnen abgesprochen. Die Aussagenfelder von Frauen- und Geschlechterforschung/feministischer Theorie in den Sozialwissenschaften und von Ge-schlechter-/Gender-Studien gestalten sich als Rede und Gegenrede. Untereinander. Im Wett-kampf universitärer Konkurrenz um das Neue wird dies zum Gegeneinander, aller sonstigen Beteuerungen zum Trotz. „Furcht“ und „Angst“ vermuten die Gender-Studien (Stephan/Braun 2000: S. 11) auf Seiten der Frauenforschung und/“oder“ feministischen Wis-senschaft. Eine solche Bewertung von politischen und sachlichen Gegenargumenten drückt eine Haltung der Intimisierung in der feministischen Öffentlichkeit aus. (vgl Holland-Cunz 1994b) Argumente werden zu Gefühlen verdreht und damit abgewertet. „Furcht“ und „Angst“

gelten als unprofessionell nicht nur im wissenschaftlichen Kontext. Damit verschwindet die Notwendigkeit zu reflektieren, warum es Gender möglicher sein soll, Kollegen anzusprechen als mit einer ausdrücklich feministischen Positionierung. Sind die Gender-Studien die Ant-wort auf den Anti-Feminismus der Universität? Welche strategische Situation ist hier für wen maßgeblich? Tatsächlich wird eine strategische Situation des Ausschlusses und der Ausgren-zung beschrieben, dann allerdings die Ursache für diese AusgrenAusgren-zung der „Kategorie Femi-nismus“ zugeschrieben. Sie ist es, die als „Ausschluss- und Ausgrenzungskategorie verstan-den worverstan-den ist“ (s.o.). Hier werverstan-den Ursache und Wirkung verdreht. Es wird unklar, ob die

„Kategorie Feminismus“ nicht wirklich etwas Ausgrenzendes und Ausschließendes hat. Die ausgrenzenden universitären Strukturen dagegen bleiben unbehelligt. Fazit: nicht die Katego-rie Feminismus wird gegen Missverständnisse verteidigt, sondern Gender und es wird aus-drücklich darauf hingewiesen, dass Gender keine „totalisierende und verdrängende Katego-rie“ (Stephan/Braun 2000: S. 11) sei. Warum Gender möglich ist und Feminismus immer un-möglicher wird, bleibt vollkommen unreflektiert.

Die feministische Theorie als kritische Theorie (Becker-Schmidt/Knapp/Wetterer) und das feministische Theorie als radikal selbstreflexives Theorieprojekt (Hark) hatten klare Forde-rungen an sich selbst und an andere gerichtet. Die Gender-Studien fordern nicht, sie

ermög-lichen etwas, das ist ihr Selbstverständnis. Das Projekt der Transdisziplinarität wird von ihnen als wesentliches Unterscheidungsmerkmal zur Frauenforschung beansprucht. Gender-Studien wollen die Vernetzung der verschiedenen Disziplinen über die „Gender-Kategorie herstellen, es geht darum, Querverbindungen zwischen und unter den Disziplinen zu begreifen (vgl.

Stephan/Braun 2000: S. 11). Grenzen sind die Herausforderung. Geschlechterforschung zu studieren bedeutet demnach „Grenzen“ zu studieren: Grenzen des Geschlechts, der Diszipli-nen, der Wissenschaft/en, von Denkmustern, kulturellen Codes, sozialen ‚Realitäten’ - Gren-zen des Wissens, GrenGren-zen/Grenzziehungen der „Politik des Wissens“ (Stephan/Braun 2000:

S. 14). Dies tun zu können, wird der Frauenforschung rundweg abgesprochen. Die Frauen-forschung hat sich demnach in die Disziplinen eingearbeitet, sie existiert nur durch sie und in ihnen, sie steht nicht für sich selbst, sie ist wichtig und ebenso disziplinär beschränkt und kann sich in ihren disziplinär orientierten Geschlechtertheorien verlieren. Sie ist der Blick von innen, während die Geschlechterforschung der „Blick von Außen“ (Stephan/Braun 2000: S:

15) ist. Die Frauenforschung ist die Voraussetzung für die Geschlechterforschung (vgl.

Stephan/Braun 2000: S. 14), die sich zu „einem neuen universitären Studienfach“

(Stephan/Braun 2000: S. 15) ausbilden will.

3.4 Perspektiven Feministischer Philosophie 1996-2000