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1 Einleitung

1.3 Diskurshistorisches und –theoretisches Vorgehen: Die Kapitel

Ich folge keinem Schema, wie man es inzwischen in der sozialwissenschaftlichen Diskurs-analyse findet. So hat die Thematische DiskursDiskurs-analyse ein Ablaufschema, das einem bottom-up-Prozess gleich strukturiert ist: von den Einzelheiten her (beobachtet in einer Erstein-drucksanalyse) werden die allgemeineren Diskursstrukturen, ihr Muster und ihre Regelhaftig-keit, erschlossen. (vgl. Höhne 2003a: S. 397) In der Argumentativen Diskursanalyse sind zehn Phasen zur Durchführung der Diskursanalyse konzeptioniert, die sich vom Schreibtisch zu den Akteuren, weiter zu den Argumentationskontexten, schließlich zur Interpretation bege-ben, um dann in einer Rücksprache (Re-Interviews) mit Schlüsselakteuren abzuschließen.

(vgl. Hajer 2003: S. 282/283) Die Kritische Diskursanalyse hat fünf Analyseschritte ent-wickelt einschließlich eines Leitfadens zur Materialaufbereitung bei Feinanalysen von Dis-kursfragmenten, die das Herzstück der Kritischen Diskursanalyse sind und sehr aufwendig.

(vgl. Jäger 2004: S. 172ff., Jäger 1999: S. 102-106) Bei den fünf Analyseschritten werden der

„Institutionelle Rahmen“, die „Text-Oberfläche“, die „Sprachlich-rhetorischen Mittel“ und die „Inhaltlich-ideologischen Aussagen“ getrennt voneinander beobachtet, gesammelt und beschrieben und schließlich in der „Interpretation“ die Ergebnisse aufeinander bezogen und im Zusammenhang des Diskursstrangs systematisch dargestellt. Die Systematik der Vor-gehensweise aller drei Formen sozialwissenschaftlicher Diskursanalyse hatte mich im Vorfeld der Studie fasziniert. Sie betrachten Diskursanalysen außerdem und in jeweils spezifischer Weise als textuelle, soziale und institutionelle Praxis. Die Thematische Diskursanalyse ist theoriegeleitet, rekonstruktiv und empirisch und untersucht die Einbettung eines Diskurses in institutionelle und soziale Praktiken; dabei geht sie davon aus, dass Diskurse thematisch ge-bunden und organisiert sind.22 Die Argumentative Diskursanalyse ist interessant für Politik-wissenschaftlerInnen; sie beobachtet Diskurskoalitionen in der Politik, analysiert den „poli-tischen Prozess als Mobilisierung von Differenzen und spezifischen Problemdefinitionen“

22 Das Beispiel, das Thomas Höhne hierzu nennt, ist der Migrantendiskurs, vgl. Höhne 2003a: S. 398.

(Hajer 2003: S. 273) und konzentriert sich auf das Funktionieren von Institutionen, „darauf, wie Macht sich in institutionellen Arrangements diskursiv manifestiert und wie politischer Wandel sich vollzieht“ (Hajer 2003: S. 289/290). Die Kritische Diskursanalyse schließlich übt Kritik an Herrschaft, an Wahrheitsproduktionen und ihrem gesellschaftlichen Einsatz; sie lässt sich auf die diskursiven Kämpfe ein (vgl. Jäger 2004: S. 228), dabei hat sie keine Moral auf ihrer Seite, sondern ist Beobachterin und Kritikerin von überlieferten und akzeptierten Mora-len und ihrer herrschaftsstabilisierenden Funktion.

„Es kommt auf den Diskurs an“ (Hajer 2003: S. 289): „mein“ Diskurs ist klar umrissen in seinem institutionellen Handlungsfeld, nationalen Kontext und wissenschaftlichen Spektrum.

Die institutionellen Strukturen, Regeln, Direktiven, die akademische Kultur sind mir bekannt.

Sein „Zeitraum der Sagbarkeit“ (Jürgen Link) umfasst genau die Entstehungszeit femi-nistischer Sozialwissenschaft insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, und diesen Ausschnitt des Diskurses werde ich untersuchen. Die Universität hat zwar ihre Freizügigkeit und gewisse Räume für kritische Geister, aber sie ist auch streng, sie ist ein „Ausleseapparat“

(Weber 1994: S. 3), wie Max Weber feststellte. Die Ausdrucksweise und Stilmittel der Ak-teurinnen des feministischen Diskurses an der Universität sind akademisch und professionell, die Akteurinnen sind hochgradig belesen, tagespolitisch informiert und zudem politisch an der Frauenbewegung interessiert. Meine Materialsorte also ist einheitlich, eine semantische Ana-lyse wenig interessant, eine vergleichende AnaAna-lyse nicht vorgesehen, eine gesellschaftliche Kontextualisierung auch nicht oder nur geringfügig.

Ich könnte mich mit Jürgen Link (vgl. Link 1999) dem feministischen Diskurs an der Univer-sität als einem Spezialdiskurs, der ein Spezialwissen erzeugt, zuwenden, nachvollziehen, welche Subjektivitäten er hervorbringt und durch welche Grenzen von Nicht-Sagbarkeit er konstituiert ist. (vgl. Link 1999: S. 149) Aber mehr als sein Spezialwissen interessiert mich die Funktionsweise des feministischen Diskurses an der Universität. Bleibt die letzte Überle-gung, Diskursanalyse als einen Ansatz der interpretativen Sozialforschung zu nutzen und mit seinem „Werkzeugkasten“ (Foucault) von qualitativer Inhaltsanalyse in Kombination mit der kritischen Diskursanalyse nach Jäger sich auf seine Subjektvorstellungen zu konzentrieren.

Anne Waldschmidt untersucht den humangenetischen Expertendiskurs und dessen Subjekt-konzeptionen und verfolgt darüber, wie dieser Diskurs sich „eine Idealvorstellung“

(Waldschmidt 2003: S. 148) seiner Adressaten konstruiert und darüber neue „Körper-Politi-ken“ begründet, „die auf die Rationalisierung der menschlichen Fortpflanzung und die vor-ausschauende Steuerung des individuellen Gesundheitsverhaltens abzielen“ (Waldschmidt

2003: S. 147). Aber mit der qualitativen Inhaltsanalyse würde ich mich wieder auf die ver-führerische Fährte feministischer „Idealvorstellungen“ begeben. Mich interessieren dagegen mit den Funktionsweisen des Diskurses seine (Zu-)Ordnungsprinzipien.

Noch einmal gefragt:

„Wie kann die diskursanalytische Arbeit konkret aussehen? Was ermöglicht sie im Vergleich zu anderen, etwa hermeneutischen oder inhaltsanalytischen Verfahren?“ (Bublitz et.al. 1999: S: 15)

Konkret:

Bublitz et.al. 1999 verorten Diskursanalyse zwischen Methodenkritik und Methodenbestim-mung (vgl. Bublitz et.al. 1999: S. 15). Diskursanalyse, so Hannelore Bublitz (vgl. Bublitz 1999b) ist strukturierte und strukturierende Praxis und mehr als eine Methode, sie ist zugleich Theorie und theoriebildend.

„Der Diskursbegriff ist, als gesellschaftskonstituierender Kern der foucaultschen Analyse, zugleich zentrales Element einer aus dieser abzuleitenden ‚Methode’, die vom Wesen der Theorie nicht zu trennen ist. (…) Theorie und Methode bewegen sich hier, wie Ideen und Praktiken, auf gleicher Ebene. Die Methode ist bereits struk-turales Element der ‚Theorie’; sie strukturiert die Theorie als historische Analyse von Diskursen und Diskurs-formationen.“ (Bublitz 1999b: S. 27)

Diskursanalyse als „Problematisierung und damit Konstruktion von Wissen“ (Bublitz 1999b:

S: 29) ist, wie gesagt, eine „’Analytik’ der historischen (Macht)Konstellationen, die Begriffe, Gegenstände in der Problematisierung erst hervorbringt“ (Bublitz 1999b: S. 30). Sie ist, wis-senschaftshistorisch gelesen eine Diagnostik von Macht- und Erkenntnisrelationen, die Ent-zifferung historischer Subjektivitäten und ihrer ‚Wahrheiten’, die sie begründen.

„Es geht Foucault also nicht darum, ideologiekritisch ‚die Wahrheit’ des Subjekts ans Licht zu bringen, die von der Ideologie verstellt ist und entfremdetes Bewusstsein produziert. Vielmehr reflektiert seine historische, kri-tische Ontologie, wie wir geworden sind, was wir sind, wie wir zu Subjekten geworden sind, die sich konsti-tuieren, indem sie zum Gegenstand des Wissens werden und Dinge zu Gegenständen einer Ordnung des Wissens und damit zu Objekten machen, deren Konstitutionsprozess als Objekt sie der Subjektivierung verdanken (…).“

(Bublitz 1999a: S. 132)

Insofern ist Diskursanalyse die Analyse von Subjektivierungsweisen und, als Analyse der Erfahrung einer Wissenschaft, die Genealogie des Subjekt-Objekt-Verhältnisses. So werde ich die Subjektivierungen im feministischen Diskurs in der Wissenschaft verfolgen ein-schließlich der damit verbundenen Konstituierung von Geschlecht/er/verhältnis/sen als Ob-jekt/Gegenstandsbereich feministischer Wissenschaft. D.h. im Vordergrund stehen die produ-zierten wahrheitspolitischen Wirkungen oder Wahrheitswirkungen und also die Komplexität der strategischen Verhältnisse, die den Diskurs ausmachen, seine „Machtökonomie“ (vgl.

Foucault 1978: S. 14).

Welches Subjekt lässt der feministische Diskurs sprechen? Wie bringt er Geschlecht als neues historisches Objekt hervor? Wie individualisiert sich die diskursive Formation der Frauen-forschung? Welche gemeinsame Verbindlichkeit stellt sie her? Welche Wahrnehmungssitua-tion und welches Abhängigkeitssystem strukturieren den Diskurs? (Kap. 2.1.) Wann tritt die Krise ein? Was bedeutet die Krise Ende der Achtzigerjahre, welche Prozesse löst sie aus?

(Kap. 2.2.) Wie lassen sich die Veränderungen Anfang der Neunzigerjahre beschreiben? Oder anders gesagt: wie wäre das, was unter den Stichworten „Akademisierung“ und „Normalisie-rung“ der feministischen Wissenschaft diskutiert wird, diskusanalytisch zu beschreiben – un-ter den Aspekten „strategische Situation“, „Wahrnehmungssituation“, „gemeinsame Verbind-lichkeit“, „Subjekt-Objekt-Verhältnis“? (Kap. 2.3.)

Mit seinen Transformationen ordnet der feministische Diskurs sich neu und arbeit nun mit seiner Geschichte in der Gegenwart; welche wahrheitspolitischen Nachträglichkeitseffekte (Neuschreiben von diskursiver Vergangenheit) sind zu beobachten; zu welchen Verände-rungen führen die VerändeVerände-rungen im Subjekt-Objekt-Verhältnis? Der Diskurs wendet sich noch stärker als in den Achtzigerjahren den Disziplinen zu; was ist über die jeweilige theore-tische Wahl zu sagen, wie strukturiert sich mit ihnen das Erinnerungsfeld der feministheore-tischen Wissenschaft um – strukturiert es sich um? Welche disziplinären und anderen theoriepoli-tischen Unterschiede werden im Feld der Frauen- und Geschlechterforschung gemacht? Wel-che (Macht-)Formationen strukturieren den Diskurs? Und was ist aus ihm um die Jahrtau-sendwende geworden?

So entsteht eine diskursanalytisch-wissenschaftshistorische Chronologie des Diskursverlaufs der Achtzigerjahre (Kap. 2) und Neunzigerjahre (Kap. 3). Es ist eine Chronologie der Subjek-tivierungen und theoriepolitischen Positionierungen im Spektrum der feministischen Wissen-schaft. Ihr schließt sich eine Chronologie der Diskursgesellschaft der Frauen- und Ge-schlechterforschung an (Kap. 4), eine Chronologie der Autorschaft des Diskurses (Kap. 4.1.) – der Organisation des Zugangs zum Diskurs - und eine Chronologie seiner Äußerungsmoda-litäten (Kap. 4.2.) – der Organisation, wer sprechen darf. Schließlich zeigt die Sprache, die gesprochen wird, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten akademischer Existenz auf, in de-nen der wissenschaftliche Feminismus, zu dem er geworden ist, auf seine Weise bewegt.

Ich will keinen Beweis darüber führen, was aus dem Diskurs geworden ist, was er aus sich gemacht hat, was ihn gemacht hat. Mir geht es darum, genealogisch „eine Verbindung zwischen gelehrten Kenntnissen und lokalen Erinnerungen“ (Foucault 1978: S.62) herzu-stellen, die eine Geschichte der Machttechniken und –wirkungen auf den Wegen des wissen-schaftlichen Feminismus in der Wissenschaft ist – ausschnitthaft, ein Anfang. Zum Schluss (Kap.5.) will ich in fünf Thesen zum wissenschaftlichen Feminismus in Gesellschaftswissen-schaften und Philosophie seine Diskursgeschichte zusammenfassen.