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1 Was ist institutionelle Diskriminierung?

Die (soziale) Exklusion von Menschen mit Migrationshintergrund wird nicht nur durch einzelne Akteure beschlossen, sondern muss zudem im Kontext gesellschaft-licher Strukturen, sowie gesetzgesellschaft-licher und administrativer Regelungen, die bestimm-te Personengruppen beim Zugang zu (gesellschaftlichen) Ressourcen ausschlie-ßen und sie in Relation zu anderen gesellschaftlichen Gruppen benachteiligen, re-flektiert werden. Dieseinstitutionelle bzw. strukturelle Diskriminierung,also die direkt oder indirekt institutionalisierte Benachteiligung bestimmter Gruppen einer Gesellschaft, ist sowohl in die gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen als auch in deren organisatorischen Abläufe eingebunden.163

Die Untersuchung der institutionellen Diskriminierung beschränkt sich daher bei der Erklärung sozialer Phänomene nicht nur auf mikrosoziologische Ansätze, bei denen die Intentionalität von Stereotypisierungen einzelner Akteure als Aus-gangspunkt diskriminierender Praktiken gesehen wird, sondern es werden hierbei gleichsam (individuelle) Praktiken in den Blick genommen, welche in ein System institutionalisierter Regeln, Gesetze und Deutungsmuster eingebettet sind (Makro-ebene). Organisationen, Institutionen, kulturelle Formationen oder auch ganze Ge-sellschaften stellen dahingehend „potentielle Quellen der verbreiteten individuellen diskriminierenden Praktiken“164 dar. Institutionelle Diskriminierung kann beispiels-weise in Form von Gesetzen direkt oder durch spezifische Praktiken von Institu-tionen indirekt institutionalisiert sein. Letzteres bezieht sich auf die „unintendierten

162Siehe: ADB/RAA 2007.

163Siehe: Flam 2007 und Feagin/Booher Feagin 1978.

164Siehe: Flam 2007, S. 16.

Effekte der institutionellen Arbeits- und Auswertungsregeln, die zu Praktiken füh-ren, welche die Benachteiligung oder den Ausschluss bestimmter Gruppen (beim Zugang zu Ressourcen, Positionen, Lebenschancen) bewirken.“165Obwohl ein be-stimmtes Repertoire an Gesetzen existiert, sind es dahingehend letztlich die so genannten „gate-keeper“, welche als Entscheidungsträger einen direkten Einfluss auf den Zugang „der Anderen“ zu Rechten, Ressourcen oder Chancen haben. Sie sind es, welche in ihrer Funktion die Macht dazu besitzen, institutionalisierte Re-geln umzusetzen oder sich diesen zu verweigern. Sie bestimmen in ihrer Funktion als Entscheidungsinstanzen im Wesentlichen über den Zugang oder Ausschluss von Migrant_innen zu spezifischen Ressourcen. Sie sind in ihrer Rolle allerdings nicht lediglich Funktionsträger, sondern gleichsam als Träger bestimmter Einstel-lungen und (gesellschaftlich etablierter) Deutungs- und Orientierungsmustern an-zusehen.166

2 Beratungsstatistik von ADB e.V. und RAA e.V.

Von Beratungsstellen wie dem ADB Sachsen wird häufig von Fällen institutionel-ler Diskriminierung berichtet, sei es in der Form fehlender Chancengleichheit oder exkludierender administrativer Richtlinien, seien es abwertende/abfällige Bemer-kungen oder auch die willkürliche und rassistisch motivierte Ablehnung von Anträ-gen:167 Das ADB hat 2007 und 2008 bzw. für das Jahr 2006 zusammen mit der Opferberatung der RAA Leipzig eine Beratungsstatistik für die Fälle (rassistischer) Diskriminierung erstellt, aus denen sich einerelativ hohe Anzahl von institutio-neller bzw. struktureller Diskriminierung ablesen lässt.168

So ließen sich im Jahr2006von den insgesamt 107 Fällen rassistischer Diskri-minierung in Leipzig und Umgebung95 Fälle in Leipzigverzeichnen. Im Bereich desinstitutionellen bzw. strukturellen Rassismuslassen sich insgesamt48 Fäl-leausmachen: 11 im Arbeitsbereich, 8 in öffentlichen Einrichtungen, jeweils 7 im Gesundheitswesen und bei staatlichen Einrichtungen, 6 im Wohnungswesen, 5 im

165Siehe: Flam 2007, S. 14.

166Siehe: Flam 2007.

167Siehe: ADB/RAA 2007 und Teil I – ADB: Rassistische Alltagsdiskriminierung und andere Formen von Diskriminierung in Leipzig (= ADB 2009). Beispielhaft nennt das ADB Sachsen einen Fall, in dem einer Frau mit türkischem Migrationshintergrund von einer Sachbearbeiterin der ARGE willkürlich und aus nicht zu rechtfertigenden Gründen der Antrag des Wohnortswechsels von Leipzig nach Berlin versagt wurde.

168Während in der Untersuchung von 2006 lediglich Diskriminierung aufgrund

rassistischer/fremdenfeindlicher Kriterien dargestellt wurden, bezieht sich die Folgeuntersuchung auch auf weitere Charakteristika wie geschlechtsspezifische Diskriminierung oder

Diskriminierung aufgrund einer Behinderung.

Tabelle 3.16: Dokumentierte Diskriminierungsfälle (Siehe: ADB 2009) Lebensbereich Anzahl der Fälle

2007 Anzahl der Fälle

2008

Arbeit 14 17

staatl. Einrichtungen 15 21

Polizei/Justiz 2 10

Güter/Dienstleistungen 9 16

persönliches Nahfeld 3 3

Gesundheit 4 5

Bildung 6 5

Bildungsbereich, sowie 4 Fälle im Bereich Polizei/Justiz.169Dabei handelte es sich um abwertende und/oder inhaltlich diskriminierende Verwaltungsakte, Kriminalisie-rung, unangemessene oder ungleiche Behandlungen oder auch die Verweigerung einer Dienstleistung. Exemplarisch steht hierfür ein Fall eines jungen Mannes, dem die Ausstellung eines Beratungshilfeschein von einer Mitarbeiterin des Amtsgerich-tes verweigert wurde: „[...] obwohl er von seiner Rechtsanwältin alle nötigen An-gaben auch schriftlich dabei hatte, blieb sie bei der Aussage, dass es nur für Per-sonen, die Deutsch können, diesen Schein gäbe.“170 Auch in Bezug die Lage auf dem Wohnungsmarkt fanden sich verschiedene Beispiele für die Abweisungen von Bewerber_innen aufgrund ihrer Herkunft.

Der enorme Anteil von63 Fällenrassistischer Diskriminierung in denen Jahren 2007 und 2008, welcher etwa die Hälfte der Beratungsgespräche des ADB aus-machte, ist bezeichnend für die allgemeine Tendenz der „Hoheit“ des Rassismus.

Diskriminierende Praktiken wurden in dieser Statistik vor allem in den Lebensberei-chen Arbeit (Arbeitsmarkt, Arbeitsplatz, Arbeitsvermittlung, etc.) mit 31 Fällen und staatlichen Einrichtungen (Behörden, Verwaltungen) mit 36 Fällen gemeldet (siehe Tabelle).

So wurde der Beratungsstelle beispielsweise von rassistischen Praktiken der ARGE und ARGE II, sowie der Ausländerbehörde und dem Sozialamt berichtet.

Auch Flam verweist in ihrer qualitativen Untersuchung zu institutioneller Diskrimi-nierung auf nazistische, chauvinistische und rassistische Einstellungsmuster von Personen verschiedener Behörden in Leipzig, die sich im Rahmen von Expertenin-terviews erkennen ließen (so v.a. in der ARGE und der Ausländerbehörde).171

Die Konflikte zwischen Migrant_innen und Sachbearbeiter_innen von

Behör-169Siehe: ADB/RAA 2007, S. 16.

170Siehe: ADB/RAA 2007, S. 17.

171Siehe: Flam 2007.

den oder Ämtern können dahingehend nicht zu Ausnahmeerscheinungen ohne po-litischen Kontext deklariert werden. Vor allem dieasymmetrischen Machtverhält-nisse zwischen den zuständigen Entscheidungsträgern der Institution und den Migrant_innen befördern die Antragsteller_innen in eine prekäre Situation und tragen zu weiterführenden exkludierenden Effekten (z.B. Wohnraum und -ort, Arbeitsmarkt) bei, welche der Integration von Migrant_innen entgegen stehen.