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Wann findet Kunst statt?

3. Ontologie von Kunst

3.1. Wann findet Kunst statt?

Diese Frage ist ursprünglich von Nelson Goodman im Zuge der Konstruktion seiner ästhetischen Theorie gestellt worden146. Wir wissen bereits, dass in den Augen dieses berühmten Vertreters der analytischen Ästhetik die Kunst ein Gegenstand der rationalen Erkenntnis ist. Die Frage nach den Bedingungen, die erfüllt werden müssen, damit adäquater weise von einem

„Kunstwerk“ gesprochen werden kann, ist im Kontext der von mir rekonstruierten institutionellen Herangehensweise an Kunst relevant. Erinnern wir uns daran, dass die Avantgarde gerade die bestehenden Vorstellungen darüber, was ein Kunstwerk ist und wie das Verhältnis zwischen Kunst und Leben zu denken ist, auf eine fundamentale Weise problematisiert hat. Ich bin bereits darauf eingegangen, dass die philosophische Suche nach der Identität von Kunst auf den problematischen und paradoxen Charakter der Avantgarde zurückzuführen ist. Heutzutage gilt dies als eine feste Erkenntnis der philosophiehistorischen Forschung über die Entwicklung der amerikanischen analytischen Ästhetik. Ich habe Dantos

„institutionelle“ Perspektive als einen in vielen Hinsichten unkonventionellen Versuch rekonstruiert, die Besonderheiten der modernen und der zeitgenössischen „art world“ zu verstehen.

N. Goodmans Fragestellung ist meiner Ansicht nach ebenfalls auf die berühmten, so genannten

„relationalen“ Eigenschaften von Kunstwerken „zugeschnitten“. Artefakte werden zu Kunst erklärt und wir sind nicht in der Lage, aufgrund von im voraus festgelegten und invarianten Zuschreibungen zu bestimmen, welcher Gegenstand ein Kunstwerk ist und welcher nicht. Wie wir gesehen haben, existieren in der zeitgenössischen analytischen Forschung einige Versuche147, einen „universalistischen“ Ansatz in der Ästhetik zum Ausdruck zu bringen. Dieser gründet sich auf der These, dass Kunst in allen möglichen kulturellen Kontexten eine ähnliche

146 s. Giovanelli, Alessandro: Goodman's Aesthetics, ebd.

147 s. beispielsweise Dutton, Denis: „But They Don't Have Our Concept of Art“, in: Carroll, Noël (ed.): Theories of Art Today, ebd., pp. 217-244, sowie Ders.: A Naturalist Definition of Art , in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism (6), 2006, pp. 367-377

Funktion zu erfüllen hat, die auf menschliche Vermögen zurückzuführen ist, die ihrerseits evolutionstheoretisch erklärt werden können.

Im Unterschied dazu zielt die „institutionelle“ Strategie darauf ab, die Kontinuität zwischen Tradition und Moderne in der historischen Entwicklung der abendländischen Kunst zu (re)konstruieren. In diesem Kapitel möchte ich veranschaulichen, dass Dantos Ontologie von Kunst, die ich hier im Kontext der ästhetischen Theorie von Joseph Margolis vorstellen werde, ebenfalls als eine Schnittstelle zwischen analytischer und pragmatistischer Ästhetik gelesen werden kann. Sie ist primär auf das Verständnis der Avantgarde ausgerichtet, doch ich werde zeigen, dass „institutionell“ und „ästhetisch“ sich nicht unbedingt ausschließen, wenn wir sie auf Kunstwerke anwenden, die vor der Avantgarde entstanden sind. Dantos Ontologie von Kunst ist in meinen Augen insoweit als eine Annäherung an die pragmatistische Ästhetik zu lesen, als dass sie eine vermittelnde Alternative zwischen subjektiv-relativistischer und objektiv-wissenschaftlicher Herangehensweise an Kunst rekonstruiert werden kann.

Ich möchte an dieser Stelle auf die Unterscheidung zwischen Artfakt und Kunstwerk zurückkehren, die eine fundamentale Rolle in Dantos Theorie spielt. Wir erinnern uns daran, dass gemäß der Konzeption von „the art world“ es nur dann relevant ist, von einem

„Kunstwerk“ zu sprechen, wenn wir das einzelne Artfakt in ein „virtuelles“ Netz aus Überzeugungen, Ansichten und Theorien einbinden, die die Vorstellungen und Normen darüber, was Kunst ist uns was sie sein soll, zu einem gegebenen Zeitpunkt ausmachen. Artefakt und Kunstwerk sind gemäß dieser Theorie nicht identisch. Diese Herangehensweise an Kunst gründet sich, meiner Ansicht nach, auf der Vorstellung, dass die Antizipation eines Kunstwerks kein zeitlich isolierter, direkter und subjektiver Akt der Wahrnehmung ist. Indem wir den Blick auf die Bedingungen richten, unter denen Kunst „stattfindet“, sind wir (vor allem hinsichtlich der Avantgarde, die „besondere“ Kunstwerke ins Leben gerufen hat) in der Lage zu bestimmen, ob ein Gegenstand ein Kunstwerk ist, oder nicht. Es handelt sich um ein Wissen über die Bedingungen, unter denen sinnvollerweise von „Kunst“ gesprochen werden kann.

Diese philosophische Perspektive verändert, wie wir gesehen haben, die Art und Weise, auf die wir die Kunst als Objekt der philosophischen Reflexion denken. Es wird die Rolle der

begrifflichen Vorbereitung sichtbar, die wir benötigen, um uns mit Kunstwerken adäquat auseinanderzusetzen. Ich möchte in diesem Abschnitt meines Textes veranschaulichen, dass Joseph Margolis ein ähnliches Projekt zu verwirklichen anstrebt. Er will durch seine Ontologie sowohl erklären, was Kunst ist, als auch eine (die) adäquate Herangehensweise an dieses Phänomen eingrenzen. Wir werden sehen, dass seine und Dantos Theorie in einigen Hinsichten sehr ähnlich aussehen.

Beide Autoren sind der Ansicht, dass das, was wir „Kunst“ nennen, unserer subjektiven Wahrnehmung nicht unmittelbar und direkt „gegeben“ ist. Wir benötigen eine philosophische Theorie (in diesem Fall handelt es sich um die Ontologie von Kunst, die sich auf der Unterscheidung zwischen Kunstwerken und „gewöhnlichen“ Gegenständen gründet; diese werde ich im weiteren Verlauf meines Textes rekonstruieren), um verstehen zu können, was ein Kunstwerk ist. Das Vorhandensein eines solchen theoretischen (diskursiven) Ansatzes ist die notwendige Bedingung dafür, ein Kunstwerk identifizieren und antizipieren zu können. Hier sehe ich die Möglichkeit einer Lesart von Danto im Kontext von Margolis' pragmatistischer Ontologie von Kunst. Aus dieser Perspektive stehen die Fragen „Was ist Kunst?“, „Wann findet Kunst statt?“, sowie „Welche ist die korrekte Art der Auseinandersetzung mit Kunst?“ in einem Zusammenhang. Die Vorstellung, dass das einzelne Kunstwerk ein Gegenstand der rationalen Erkenntnis ist, gründet sich auf Dantos und Margolis' These, dass wir von „Kunst“ nicht sprechen können, ohne zugleich über ein begriffliches Vorwissen zu verfügen, welches unsere Wahrnehmung beeinflusst.

Ich möchte hier lediglich betonen, dass die Unterscheidung zwischen Kunstwerk und

„gewöhnlichem“ Gegenstand sich offenbar auf die Unterscheidung zwischen Interpretation und direkter, unmittelbarer Wahrnehmung gründet. An dieser Stelle möchte ich an die Analogie zwischen Kunstwerk und Handlung erinnern. Dies sind keine „einfachen“ Phänomene, sondern Bedeutungsträger, die wir interpretieren müssen, um sie zu verstehen. Ich werde im weiteren Verlauf dieses Kapitels auf diese Analogie (die sowohl bei Danto, als auch bei Margolis anzutreffen ist) eingehen und zeigen, dass hier einer der zentralen Berührungspunkte zwischen diesen beiden Theorien besteht.

3.1.1. Artefakt und Kultur

Der zentrale Unterschied zwischen Dantos und Margolis' philosophischen Ansichten besteht darin, dass sie die visuelle Wahrnehmung von Kunstwerken auf eine jeweils unterschiedliche Art und Weise denken. Wie wir wissen, laufen wir gerade im Kontext der modernen und der zeitgenössischen „art world“ Gefahr, in vielen Fällen Kunst von Nicht-Kunst nicht auseinanderhalten zu können. Dies geschieht, gegeben Dantos Ansichten über der Ontologie von Kunstwerken, aus dem Grund, dass wir uns nicht im Klaren darüber sind, dass diese zu einer besonderen „Klasse“ von Entitäten gehören. Denken wir erneut an den paradigmatische Fall der berühmten „indiscernibles“, die ich im zweiten Kapitel meines Textes thematisiert habe. Daran ist in Dantos Augen der paradoxe Charakter der zeitgenössischen Kunst festgemacht.

Margolis' „konstruktivistischer“ (ich werde in den folgenden Seiten auf den Gebrauch dieses Begriffs eingehen) Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er die Wahrnehmung von Kunstwerken als einen Vorgang denkt, der immer bezüglich eines kulturellen Kontextes stattfindet, in dem das Objekt unserer Rezeption entstanden ist und existiert148. Mit anderen Worten, wir können Kunstwerk und „gewöhnlichen“ Gegenstand nicht miteinander verwechseln, das wir sie auf verschiedene Weisen antizipieren. Für Margolis sind Kunstwerke ähnlich wie Personen. Sie sind das Produkt und das Objekt sozialhistorischer und kultureller Prozesse und Veränderungen. Die Analyse dieses besonderen Wesensmodus macht es anschaulich, dass es sich um eine eigene „Gattung“ von Einheiten handelt. Ich werde zeigen, dass Margolis sich in dieser Hinsicht an die institutionelle Perspektive in der analytischen Ästhetik nähert, obwohl er dies expliziter weise bestritten hat149.

148 s. beispielsweise Margolis, Joseph: Works of Art as Physically Embodied and Culturally Emergent Entities, ebd, p. 190

149 Beispielsweise in Maroglis, Joseph: Farewell to Danto and Goodman, in: British Journal of Aesthetics, Vol. 38, No. 4, October 1998, pp. 353-374; Die Antwort kommt zum Ausdruck in Danto, Arthur C.: Indiscernibility and Perception: A Reply to Joseph Margolis, in: British Journal of Aesthetics, Vol. 39, No. 4, October 1999, pp.

321-329; ich werde im weiteren Verlauf dieses Kapitels die unterschiedlichen Ansichten beider Autoren über die Art und Weise, auf die wir Kunstwerke wahrnehmen, thematisieren.

Vor dem Hintergrund einer solchen schematischen Zusammenfassung möchte ich meine Lesart von Dantos Ontologie als in bestimmten Sinne „pragmatistisch“ vorstellen. Ich behaupte lediglich, dass seine unkonventionelle ästhetische Theorie Ähnlichkeiten mit der philosophischen Perspektive von Joseph Margolis aufweist. Meine Lesart gründet sich auf der Feststellung, dass in den Augen beider Autoren Kunstwerke als „komplizierte“ qua

„konstruierte“ Einheiten gelten. Diese „konstruktivistische“ Ansatz ist als eine vermittelnde Alternative zwischen Objektivität und Relativismus in der Auseinandersetzung mit Kunst in der zeitgenössischen Philosophie konzipiert.