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Die pragmatistische Tradition

Als erstes möchte ich einige Ansatzpunkte nennen, vor deren Hintergrund ich die pragmatistische Philosophie hier thematisieren und vorstellen werde. L. Menand53 ist ein Autor, der eine allgemeine Auskunft über die Entstehung und Entwicklung des amerikanischen Pragmatismus darbietet. Zunächst ist es wichtig festzuhalten, dass es von keiner einheitlichen

„pragmatistischen Philosophie“ gesprochen werden kann. Die zentrale Gemeinsamkeit zwischen Charles Peirce, William James und John Dewey (die ja bekanntermaßen als Gründer des amerikanischen Pragmatismus gelten) besteht darin, dass sie heutzutage als Vertreter einer ursprünglich nordamerikanischen Strömung in der Philosophie gedacht werden. Paradox wie es klingen mag, ist dieses Merkmal mehr oder weniger das einzige, welches allen Vertretern der pragmatistischen Tradition zugeschrieben werden kann. Die philosophischen Ansichten dieser Denker unterscheiden sich teilweise fundamental voneinander (Menand thematisiert dies in seinem Buch sehr ausführlich). Ende des 20-en Jahrhunderts ist die pragmatistische Tradition erneut in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Bei einer näheren Betrachtung stellt es sich heraus, dass es eigentlich unterschiedliche amerikanische „Pragmatismen“ gegeben hat.

53 s. Menand, Louis: The Metaphysical Club: A Story of Ideas in America, New York 2001

Lediglich aus heutiger Sicht können wir von einer „Schule“, „Richtung“ oder „Tradition“

sprechen. Ich werde im Folgenden auf eine mögliche Herangehensweise zum amerikanischen Pragmatismus hinweisen, die mehr Licht auf Dantos ästhetische Theorie werfen kann.

In der heutigen „kontinentalen“ Rezeption der pragmatistischen Tradition ist die Unterscheidung zwischen den philosophischen Ansichten von William James und Charles Peirce54 allgemein anerkannt. Der Erstere hat, gemäß des eben zitierten Textes von Paula Rossi, eine eigene „Version“ des Pragmatismus konstruiert, in der die philosophische Reflexion auf die Analyse von sozial zu definierenden menschlichen Praktiken gerichtet ist. Dadurch werden Begriffe wie unter anderem „Wahrheit“, „Gedanke“ oder „Handlung“ explanatorisch erfasst und aus einer weiter gefassten Perspektive gedacht. R. Fabbrichiesi entdeckt ihrerseits Parallele zwischen den philosophischen Ansichten von W. James und Nietzsche55. Zusammengefasst handelt es sich darum, dass die Gedanken und Überzeugungen von Personen nicht an sich gedacht werden, sondern als Bestandteile eines breiteren Handlungskontextes, der auf die Orientierung und Anpassung an die Außenwelt ausgerichtet ist56. Daher wird die Zweckmäßigkeit von Denken und Handeln in den Vordergrund gerückt.

Schematisch dargestellt besteht der Kerngedanke von James Philosophie darin, dass die Bedeutung der von uns verwendeten sprachlichen Begriffe, sowie von diversen Aspekten des menschlichen Lebens in einen breiteren – in diesem Fall handelt es sich um den evolutionstheoretischen – Kontext gedacht und erklärt werden soll. Gedanken und Motive für das menschliche Handeln kommen demzufolge aus dem Grund vor, dass der Mensch sich an seine Umgebung anpassen muss, um evolutionäre Zwecke zu erfüllen. Daher die Kontextgebundenheit, die als das zentrale Merkmal von James' Pragmatismus bezeichnet werden kann.

Der Ausgangspunkt für meine Rekonstruktion ist, dass ich den Pragmatismus als einen philosophischen „Anti-Essenzialismus“ vorstellen möchte. Es handelt sich eben um einen Verzicht auf den begrifflichen „Fundamentalismus“, d.h. auf die Suche nach festen, unveränderlichen Grundlagen für das Verständnis von Artefakten und anderen Phänomenen.

54 s. Rossi, Paula: Dos pragmatistas, dos pragmatismos, en: A Parte Rei. Revista de Filosofía, Núm. 40, Julio de 2005

55 Fabbrichiesi, Rosella: Nietzsche and James. A pragmatist hermeneutics, in: European Journal of Pragmatism and American Philosophy, 2009, I, 1, pp. 25-41

56 Ebd., p. 30, 37

James konstruiert eine instrumentelle philosophische Perspektive, aus der das Objekt der philosophischen Reflexion aus dem Gesichtspunkt seiner Zweckmäßigkeit gedacht und verstanden werden kann. Es ist erst dann relevant von „Zwecken“ zu sprechen, wenn wir sozialhistorische Praktiken und keine einzelnen Phänomene vor Augen haben. Daher setze ich die pragmatistische Philosophie (in dieser so zusammenfassen dargestellten Version) mit einer

„Kontextbetrachtung“ gleich. Der Blick wird vom einzelnen Phänomen / Artefakt abgewendet und auf die sozialhistorische Praxis gerichtet, in der es eingebettet ist.

Es ist streitbar, ob der Pragmatismus von James eine Theorie oder eher eine philosophische Methode ist, die die adäquate Art und Weise vorgibt, auf die wir beispielsweise Dinge wie Erkenntnis, Wahrheit, Kunst oder Wissenschaft denken sollten. In meinen Augen konstruiert der Autor von „The Artworld“ eine philosophische Perspektive, die das Verhältnis zwischen ästhetischer Theorie und Kunst thematisiert und neu formuliert, ohne zunächst dadurch erklären zu wollen, was die Kunst ist. Eine solche Erklärung ist, wie angedeutet, in seinem späteren Werk erfolgt. In diesem Sinne sehe ich eine Annäherung zwischen seiner und James' Philosophie. Daher spreche ich von einer Annäherung zwischen analytischer und pragmatistischer Tradition bei Danto.

1.2.1. „The art world“ als eine Gesamtheit aus sozialhistorisch definierten Praktiken

Um zu erklären, was unter „Praxis“ („practice“) verstanden wird, werde ich hier die Definition von A. McIntyre in Betracht ziehen, die von Noël Carroll zitiert wird57. Sie besagt, dass jede sozialhistorische Praxis eine Ansammlung aus kollektiven menschlichen Tätigkeiten ist, die auf das Erreichen eines gemeinsamen Zwecks ausgerichtet sind. In diesem Sinne spreche ich von einer Lesart von Dantos Methode im Licht des amerikanischen Pragmatismus. Die Rede von

„the art world“ gründet sich auf der Erkenntnis, dass die Kunstwerke Ausprägungen einer Praxis (einer Gesamtheit aus Praktiken) sind, die sozialhistorisch verankert ist. Der Blick wird also von den Kunstwerken auf den Hintergrund gerichtet, der ihre Entstehung ermöglicht.

Solche kollektiven und kooperativen Tätigkeiten sind durch bestimmte Regeln strukturiert, die zwar einer historischen und sozialen Entwicklung unterliegen, die jedoch in einem gewissen Sinne Beliebigkeit ausschließen. Daher auch die häufige Berufung auf Wölflin, die ich bereits

57 Carroll, Noël: Art and Interaction, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism, Vol. 45, No. 1 (Autumn, 1986), pp. 57-68, p. 61

erwähnt habe. Zentral für diesen Ansatz ist der Sinn für die Gesetzmäßigkeiten, die in „the art world“ bestehen.

In seinem Essay spricht Danto nicht explizit von einer „sozialhistorischen Praxis“, wenn er die Art und Weise thematisiert, auf die wir Kunst verstehen. Wenn man seinen Text ohne Bezug zu der späteren analytischen Forschung liest, bleibt es unklar, was „the art world“ genau ist.

Handelt es sich um einzelne Personen, um Institutionen oder um soziale Konventionen, die den Status von Kunstwerken betreffen? Sind die berühmten „philosophischen Theorien“, in deren Kontext das einzelne Kunstwerk situiert werden soll, in Texten zu suchen, die in Universitäten gelehrt und studiert werden? Und hatten Duchamp und Warhol explizite theoretische Ansichten, die sie in ihre Kunst zum Ausdruck gebracht haben?

Diese Unbestimmtheit ist im Laufe der Zeit kritisch in Betracht gezogen worden58. Mein Projekt in diesem Kapitel besteht darin, die Rede von „the art world“ zu rekonstruieren und zu zeigen, worin ihr heuristischer Wert besteht. Ich werde eine Lesart vorstellen, die zwar aus einer abstrakteren Perspektive stattfindet, die jedoch hilfreich sein kann, um zu verstehen, was Danto, ausgehend aus seinem gleichnamigen Text, eigentlich sagen möchte. Ich denke, das gerade die Rekonstruktion seiner philosophischen Ansichten über Kunst im Licht der pragmatistischen Philosophie ein solches explanatorisches Potential besitzt.

Als Nächstes möchte ich den Blick auf die analytische Tradition in der Ästhetik richten, die der Entstehung von „The Artworld“ vorausgegangen ist. Es handelt sich primär um die Problematik, ob und auf welche Weise der Begriff „Kunst“ definiert werden könnte.