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Wachstum und technischer Fortschritt – die 50er Jahre

3 Besatzung, Wiederaufbau und Wachstum – 1945 bis 1964

3.2 Wachstum und technischer Fortschritt – die 50er Jahre

sonderheit bei der Feststellung der Wahlberechtigten. Aufgrund des Wahlgesetztes wurden ehemalige Mitglieder der NSDAP von der Wahl ausgeschlossen, das betraf 2388 Personen.

Für alle Wahlen kurz nach dem Krieg traf auch die Besonderheit zu, dass es regelmäßig einen Frauenüberschuss bei den Wahlberechtigten gab wegen der „männermordenden Kriege“

(VdSA, Heft 9, S.11). Nach der Währungsreform und der Wahl zum ersten Deutschen Bundes-tag normalisierten sich langsam auf vielen Gebieten die Verhältnisse.

die ohne existentielle Krisen und mit deutlich ruhigeren „Amtsgeschäften“ verlaufen sollte. Ober-bürgermeister Bauer stellte erleichtert fest, „die weiterhin günstige Entwicklung unserer heimi-schen Wirtschaft gab auch im Jahre 1952 der Stadtverwaltung die finanziellen Möglichkeiten zur Durchführung umfangreicher Arbeiten“, gemeint waren vor allem der Wohnungsbau und der Wiederaufbau der Innenstadt. Im selben Jahr stieg das Steueraufkommen beim Finanzamt Ludwigshafen von 30 auf 83 Millionen DM. Erstmals wird als größter Steuerzahler die BASF genannt, nachdem sie durch Aufteilung der IG Farben ab Juni 1952 wieder zu einem selbstän-digen Unternehmen mit Sitz in Ludwigshafen geworden war. Für die Zukunft könne mit einer günstigen Entwicklung und daher „mit einem gegenüber bisher wesentlich erhöhten und stabi-len Steueraufkommen gerechnet werden“ (VB, 1952, S. 6).

Für die auf zahlreiche provisorische Ausweichquartiere verstreuten Ämter der Stadtverwaltung besserte sich die Lage. Oberbürgermeister Valentin Bauer, Bürgermeister Dr. Ludwig Reichert und acht weitere Ämter zogen 1950 in das Stadthaus Jubiläumsstraße ein (heute Bismarck-straße 29). Jahr für Jahr gelang es, die Dienststellen in den eigenen Stadthäusern unterzu-bringen (Stadthaus Nord, Stadthaus Ludwigstraße und Stadthaus Jubiläumsstraße). Das Sta-tistische Amt erhielt als eines der letzten sein neues Domizil im städtischen Haus Limburgstraße 10 (direkt neben dem Stadthaus Nord, nachdem dort das Hauptzollamt ausgezogen war). Somit hatte sich die miserable Bürosituation gebessert, die im Arbeitsalltag spürbaren Folgen des Kriegs waren erst einmal beseitigt (VB 1953, S. 34).

Das Statistische Amt stellte im April 1956 fest, mit 41 773 vorhandenen Wohnungen Ende des Jahres 1955 war der Kriegsverlust an Wohnungen nahezu beseitigt. Die noch notwendigen 1500 Wohnungen würden aufgrund bestehender Bauvorhaben bis Ende 1956 realisiert. Es dauerte also 10 Jahre, bis die großen Schäden im Wohnungsbestand einigermaßen behoben waren.

In den 1938 eingemeindeten Stadtteilen und im alten Ludwigshafen existierten zahlreiche Stra-ßennamen mehrfach, was zu wachsenden Orientierungsproblemen führte. Besonders die Post und die Rettungsdienste beklagten die untragbaren Zustände. Im August 1955 endlich bildete Bürgermeister Ludwig Reichert ein „Drei-Männer-Kollegium“ für die Um- und Neubenennung von Straßen. Zu diesem Gremium gehörten neben dem „Chef“, dem Stadtarchivar Dr. Kurt Oberdorffer, und dem Leiter des Vermessungsamtes, Rudolf Heilbrunn, auch der Leiter des Statistischen Amtes, Dr. Karl Moll (Mörz 2013, S. 103). Letzterer war mit von der Partie, weil in seiner Verantwortung das Straßenverzeichnis geführt wurde. Diese große Umbenennungsak-tion dauerte einige Jahre und war 1962 abgeschlossen. Anschließend brachte das Statistische Amt seit langem wieder ein Straßenverzeichnis heraus, diesmal im Postkartenformat. Die Mit-arbeit bei Straßennamen wurde auch nach der Gründung des für Straßenbenennungen zu-ständigen Unterausschusses vom Bau- und Grundstücksauschuss fortgeführt und endete erst mit der Auflösung des Unterausschusses im Jahr 1984. Das offizielle Straßenverzeichnis von Ludwigshafen wird indes bis heute im Bereich Stadtentwicklung geführt.

Bis Ende der 50er Jahre gingen die Arbeiten im Statistischen Amt ihren gewohnten Gang. Wah-len, Zählungen und verschiedene Sonderhebungen wechselten sich ab. Die Ergebnisse wurden regelmäßig in den eigenen Schriftenreihen veröffentlicht. Die kurz vor dem Krieg eingemein-deten Stadtteile Oppau (mit Edigheim), Oggersheim, Maudach und Rheingönheim erhielten 1955 Ortsbeiräte, deren Vorsitz jeweils ein Ortsvorsteher ausübte. Da die Besetzung der Orts-beiräte aufgrund des Wahlergebnisses der Stadtratswahl im betreffenden Stadtteil erfolgte, waren keine Änderungen bei der Wahldurchführung nötig. Die übrigen Stadtteile bekamen dann 1965 ihre Ortsbeiräte aufgrund der Stadtratswahl von 1964 (siehe auch Kap. 5.2).

Eine nennenswerte technische Neuerung, die es bereits in den 30er Jahren schon einmal ge-geben hatte, war der Aufbau der „neuzeitlichen“ Einwohnerplattei mit der bekannten Adrema-Anlage (siehe auch Kapitel 5.3). Aufgrund dieser neuen Einrichtung kamen ab 1. November 1958 neben der Ausgabestelle für Lohnsteuerkarten auch die zentrale Verwaltungsplattei für Personal- und Steuerzwecke zum Amt. Fortan spielte das Statistische Amt als Dienstleister für andere Stellen eine zunehmende Rolle. In den sechziger Jahren kamen weitere umfangreiche Listenarbeiten hinzu. 1963 wurden Listen der männlichen Angehörigen des Geburtsjahrgangs 1945 für die Wehrerfassung und die zur Einschulung kommenden 1957/58 hier geborenen Kin-der erstellt. Schließlich versetzte eine Liste Kin-der 1942 Geborenen (also Kin-der 21-jährigen) den Oberbürgermeister in die Lage, zur Gratulation einen „Jungbürgerbrief“ zu versenden (VB 1963, S. 20). Neue gesellschaftliche Entwicklungen erschwerten jedoch gleichzeitig das Einwohner-meldewesen, „in erster Linie durch den Zuzug südeuropäischer Arbeiter, zu denen neben Ita-lienern, Spaniern, Jugoslawen und Griechen nun auch Türken kamen. Um Missverständnisse zu vermeiden, die mit diesen Gastarbeitern wegen der Einhaltung der Meldevorschriften, der richtigen Schreibweise der Namen und Heimatorte sowie der Feststellung der zutreffenden Steuerklasse oftmals entstanden, wurden die Arbeitgeber veranlasst, die Steuerkarten durch die Dolmetscher zu beantragen“ (VB 1961, S. 18).

Ende der 50er Jahre gab es aus Sicht der Beschäftigten positive Veränderungen im Arbeitsalltag des Rathauses. Im Oktober 1957 wurde die 48 Stunden Woche auf 45 Stunden reduziert und ab Mai 1958 galt die 5-Tage-Woche: der Samstag war für die Stadtverwaltung offiziell kein Arbeitstag mehr (VB 1957, S. 17, RP 29.5.1958).

Bei der am 25. September 1956 durchge-führten Bundeswohnungszählung gestaltete sich die Vorbereitung besonders schwierig, weil sie in die Haupturlaubszeit im Sommer fiel und weil die Mitarbeit der öffentlich Be-diensteten trotz einer bescheidenen Vergü-tung stetig abnahm. „Nur ein Viertel der Zähler gehörte den staatlichen Verwaltun-gen und Schulen an, siebzig Prozent aber der Stadtverwaltung, lediglich vier Prozent kamen aus der Wirtschaft (einschließlich der Arbeitslosen)“ (VB 1956, S. 24). Nach elf Jahren war wie-der eine Volkszählung zu organisieren. Für die Erhebung am 6. Juni 1961 war die Gewinnung von Helfern erstmals leichter, denn eine Anordnung der Staatskanzlei erlaubte, auf „nichtstäd-tische Behördenbedienstete und auf die Schüler der Oberstufen der Knaben-Gymnasien zu-rückzugreifen“. 1353 Zähler und 225 Gruppenzähler trafen auf eine mithelfende Bevölkerung, die bereitwillig und nach bestem Wissen die Erhebungspapiere ausfüllte. Dennoch dauerten die Nacherhebungen noch Monate, in denen bis zu zwanzig Aushilfsangestellte beschäftigt waren. Zu den Kosten für die Großzählung erhielt die Stadt 50 Pfennig Erstattung je Einwohner als Landeszuschuss (VB 1961, S. 16).

Die überaus lange Dienstzeit des Amtsdirektors Dr. Karl Moll, neigte sich langsam ihrem Ende zu. Im Dezember des Jahres 1963 veröffentlichte er endlich ein seit Amtsgründung geplantes Werk: das Statistische Jahrbuch für Ludwigshafen. „Als erstmalige Veröffentlichung dieser Art für Ludwigshafen enthält es über die meisten Sachgebiete weit zurückreichende Angaben“ (VB 1963, S. 18). Es entpuppte sich als eine häufig genutzte Informationsquelle und stellt auch noch heute noch eine wichtige Dokumentation der ersten Nachkriegsjahre dar. Molls Planung, Abbildung 47: Türkische Arbeiter 1964,

Maikundgebung im Ebertpark

dieses Nachschlagewerk alle zwei Jahre herzustellen, konnte er nicht mehr umsetzen, denn am 31. Januar 1964 trat er in den Ruhestand. Er hatte insgesamt rund 43 Jahre im Statistischen Amt gearbeitet, davon immerhin 37 Jahre als sein Leiter. So lange war in den 100 Jahren seines Bestehens niemand anderes sowohl im Sachgebiet Statistik als auch in dieser Position.

Vor seiner Pension erlebte er noch eine Premiere im Rathaus. Oberbürgermeister Dr. Hans Klüber veranstaltete am 13. Oktober 1963 zum ersten Mal einen Tag der offenen Tür der Stadt-verwaltung. Dieser wurde zum großen Erfolg. 16 000 Besucher schauten „hinter die Kulissen“

von zahlreichen Dienststellen. Den größten Zuspruch erlebten die Feuerwehr, Fuhrpark, Stadt-gärtnerei und die Wohnungsbaugesellschaft GAG sowie die ausgebuchten Rundfahrten mit Omnibussen (StAnz, 12.10.1963). Einen Tag der offenen Tür gab es anschließend fast jährlich bis in die 80er Jahre hinein.

Abbildung 48: Jahrbuch 1963

Exkurs Laufbahn Dr. Karl Moll

Dr. Karl Moll (geb. 11.01.1899, gest. 31.10.1983) war von 1919 bis 1964, also fast 45 Jahre im Dienst der Stadt Ludwigshafen. Nur zwei Jahre nach seinem Eintritt kam er zum Statistischen Amt und absolvierte dort 1921 die Assistentenprüfung. Sein Studium in Nationalökonomie, Sta-tistik und Jura machte er berufsbegleitend in Heidelberg und bekam in der Endphase einige Wo-chen frei für die Prüfung. 1924 promovierte er mit einer Arbeit über die „Gehaltsverhältnisse der bayerischen Gemeindebeamten“. Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter, ab 1928 stell-vertretender Direktor bis er im August 1933 zum Direktor des Statistischen Amtes ernannt wurde, nachdem Dr. Otto Stabel zum Kämmerer aufgestiegen war. Diese Beförderung in der jungen NSDAP-Diktatur macht zunächst nachdenklich. Aber zahlreiche Dokumente belegen, dass er si-cher nicht zu den Anhängern der NSDAP zählte. Vielmehr zeigen sie, dass er für die NSDAP ein unbequemer Beamter und primär an der Sache orientierter Statistiker war. Im Juni 1935 weigerte er sich zunächst, den Einzug von Spenden und Beitrag für die Nationalsozialistische Volkswohl-fahrt vom Gehalt zu akzeptieren. Erst später gab er klein bei. Noch 1939 unterschrieb er, keiner Partei anzugehören. Er erledigte die Aufgaben frei von Ideologie rein vorschriftsmäßig, bisweilen auch akribisch. Man könnte sagen, er war ein „überzeugter Vollblut-Beamter“. Diese Eigenschaft brachte ihn aber dann in Bedrängnis, als die Anforderungen im Amt mit denen der lokalen Par-teiorganisationen in Konflikt gerieten. 1934 und 1936 gab es erste Konflikte und Beschwerden.

1938 häuften sich die Klagen von seinen in der Partei aktiven Mitarbeitern, festgehalten in Ver-nehmungsprotokollen. Dr. Moll musste sich schriftlich gegenüber den Anschuldigungen rechtfer-tigen. Auf den erteilten Verweis wegen „Mangel an Verständnis für die Bewegung“ wurde im Ka-pitel 2.3.2, S. 39, bereits eingegangen. Seine Karriere litt dadurch aber nicht. Im Juni 1939 wurde ihm zusätzlich noch die Leitung des Ernährungsamtes übertragen.

Er legte weiterhin großen Wert auf seine fachliche Reputation. Mit Stolz teilte er am 25. April 1940 dem Personalamt mit, er habe bei einem wichtigen Werk über Statistik in Deutschland einen Artikel über „Statistik der Wahlen und Volksabstimmungen“ beisteuern dürfen als einer der wenigen Amtsleiter Deutschlands. Er hoffe, „damit auch zum Ruhme der Stadtverwaltung Ludwigshafen am Rhein etwas beigetragen zu haben“. Im selben Jahr korrigierte er selbstbe-wusst das Personalamt, die Bezeichnung „Verwaltungsrat“ sei für ihn nicht zutreffend. Mit Rats-beschluss von 1934 darf er sich „Direktor“ nennen, was ihm dann auch zugestanden wurde.

Im September 1942 hatte die NSDAP-Kreisleitung keine Bedenken gegen eine weitere Beför-derung. Seine Aufgaben und seine Fachkenntnisse in Ludwigshafen waren unersetzlich, daher blieb ihm ein auch Kriegseinsatz erspart.

Nachdem Valentin Bauer von der französischen Militärregierung im September 1945 zum Ober-bürgermeister ernannt war, bekam Dr. Moll im Oktober 1945 die nächste Beförderung zum Oberverwaltungsrat. Das geschah, um ihn in Ludwigshafen zu halten. Denn er erhielt ein An-gebot vom Oberregierungspräsidium in Neustadt a.d.W. zur Koordination der pfälzischen Er-nährungsämter. Im August 1946 lautete das Prüfungsergebnis der Zentralen Säuberungskom-mission über ihn: „Belassung im Dienst“.

In den ersten Nachkriegsjahren war der Statistiker derjenige, der die unfassbaren Kriegsschä-den in Zahlen übersetzte. Mit der Belegschaft des Ernährungsamtes sicherte er zudem das tägliche Überleben der Menschen in Ludwigshafen. 1949 veröffentlichte er das Buch „Ludwigs-hafen in Trümmern“, ein vergleichendes Bildwerk über die Zeit vor und nach der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Seit August 1955 war er Mitglied des von Bürgermeister Ludwig Reichert gebildeten Gremiums für die Neu- und Umbenennung von Straßen. Bei seiner Pen-sionierung Ende Januar 1964 fasste er sein Arbeitsleben in seiner charakteristischen Weise zusammen: „Ich habe stets versucht, meine Pflicht als Beamter zu erfüllen, ohne meine Mitar-beiter wäre ich aber wie jeder anderer Statistiker hilflos gewesen“ (RP, 1.2.64). Bis zu seinem Tod 1983 lebte er bescheiden im Stadtteil Friesenheim in Ludwigshafen.

Quelle: Personalakte Dr. Karl Moll, StA, LuN 5102

Abbildung 49: Titelblatt Ludwigshafener Jahrbuch 1964