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W ÖRTERBUCHEINTRÄGE UND V ERWENDUNGSWEISEN

Im Integrationsdiskurs erfolgt eine öffentliche sprachliche Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlich relevanten Thema „Integration“. Das Wissen über dieses Phänomen wird in semantischen Kämpfen213 ausgehandelt und schließlich „vermittels der Durchsetzung von sprachlichen, genauer begrifflichen Fixierung von Erkenntnis akzeptiert“214. In Ausländer und Migranten im Spiegel der Presse. Ein diskursgeschichtliches Wörterbuch zur Einwanderung seit 1945 werteten JUNG, NIEHR und BÖKE (2000) Artikel aus Tageszeitungen und Zeitschriften systematisch aus, und untersuchten diskursgeschichtliche Veränderungen von gewissen für den Migrationsdiskurs besonders relevanten Begriffen. Durch die Einwanderung entsteht ein gewisses Verhältnis zwischen den Alteingesessenen und den Neugekommenen. Das Zusammenleben entwickelt sich von alleine aber es wird auch von den jeweiligen politischen Kräften gesteuert. Diese Steuerung ist immer mit gewissen Konzeptionen des Zusammenlebens verbunden. JUNG/NIEHR/BÖKE (2000: 109-111, Hervorhebungen im Original) zeigen, wie die verschiedenen Konzeptionen anfangs miteinander konkurrierten und wie schließlich das Konzept der Integration überhandnahm.

213 Vgl. Felder (2006)

214 Warnke (2009: 114)

84 7 Integration oder Assimilation?

(Einschmelzung, Eingliederung, Integration, Assimilation, Germanisierung)

[…] Integration, Eingliederung, Einschmelzung, Assimilation, Anpassung […] heißen die zentralen Vokabeln, deren Gegenpole Isolation, Abschottung und Getto(isierung) bilden. […] Die gesellschaftliche Integration, insbesondere aber das völlige Aufgehen der Migranten in der Masse der Einheimischen – meist bezeichnet mit Ausdrücken wie Assimilierung, Verschmelzung (28.10.53) oder Einschmelzung – wird vor allem anfangs als Ziel ausgegeben (24.06.66, 21.06.69, 16.07.71, 05.11.73, 01.11.74, 19.07.85) aber auch aus unterschiedlichen Motiven abgelehnt. […] Zum anderen wird das Konzept der Assimilierung aber auch aus Sicht der Migranten abgelehnt, die ihre Identität und kulturellen Eigenheiten behalten (04.02.99) und teilweise auch rückkehrfähig bleiben wollen. […]

Anfang der 70er Jahre intensiviert sich die Diskussion, und es wird verstärkt um Konzepte gerungen, die sich mit den genannten Wörtern verbinden. […] Speziell im Bezug auf Ausländer klaffen die Vorstellungen, ob denn nun die Integration gelungen oder gerade ein Problem sei, weit auseinander und verändern sich im Laufe der Zeit. Dies scheint nicht den Grad der „objektiven“ Integration widerzuspiegeln, sondern eher den Wandel des Verständnisses von Integration, das immer weiter differenziert und „anspruchsvoller“ wird. […] Insgesamt ist festzustellen, dass sich über die Jahrzehnte die eher fach- bzw. bildungssprachlichen Wörter Integration (02.06.93, 05.04.97, 10.06.98, 05.11.98, 23.12.99) und Assimilation zunehmend etablieren, egal über welche Migrantengruppen man spricht und ob man die dahinter stehenden Konzepte gut heißt oder ablehnt.

Wird in den 50er und 60er Jahren über Assimilation, Verschmelzung und Einschmelzung kontrovers diskutiert, etabliert sich spätestens bis zu den 90er Jahren das Konzept und somit das Wort Integration. Seine Bedeutung wird immer weiter differenziert. Inwiefern diese Bedeutung durch die Zeit, genauer zwischen 1998 und 2008 weiter differenziert wird und welche thematischen Verschiebungen das Konzept erfährt, werden in der vorliegenden Arbeit anhand von Pressetexten untersucht.

Die Integration als gesellschaftliches Phänomen bzw. als politisches Konzept wird weitgehend durch ihre Mitspieler definiert. Wer integriert wen oder wer integriert sich? Eine Gegenüberstellung zwischen „Wir“ und „Sie“ ist grundsätzlich. Wer diese wesentlichen Mitspieler des Integrationsprozesses sind, ist ein wichtiger Bestandteil des Integrationsbegriffs aber kann sich durch die Zeit verändern. JUNG/NIEHR/BÖKE (2000: 73-75) beschreiben diese Veränderungen von den 60er Jahren bis zur Jahrtausendwende. Die zeitgeschichtliche Bestimmtheit der Wörter und ihre Bedeutungen, die sich auf die Gruppe der Zugewanderten beziehen und anfangs noch in einem Einwanderungsdiskurs thematisiert wurden, soll anhand des Lexems Ausländer gezeigt werden:

85 5 Fremde oder Mitbürger?

(Fremde, Ausländer, Mitbürger vs. Einheimische, Inländer, Deutsche)

[…] In den 60er Jahren ist […] Ausländer eher ein Synonym für Arbeitsmigranten […]. Bis weit in die 70er Jahre hinein meint Ausländer vor allem die ausländischen Arbeiter […]. Erst in den späten 70er Jahren scheint sich die Kategorie ‚Ausländer‘ als übergreifendes klassifikatorisches Merkmal fest etabliert zu haben und fasst dann recht unterschiedliche Gruppen […] zusammen […].

Bezeichnenderweise sind mit Ausländer im Alltagsdiskurs häufig nicht wirklich alle bzw. nur die gemeint, die im juristischen Sinne keine deutschen Staatsbürger sind […]. Das Wort Ausländer steht für unterschiedliche – juristische, soziale und ethnische – Klassifikationen, wobei offen bleibt, wie die Grenzen jeweils zu ziehen sind.

Eine Gegenüberstellung der Deutschen und Ausländer ist in den 50er, 60er Jahren sehr üblich.

Außerdem wird zu dieser Zeit noch die Bezeichnung Fremde häufig verwendet. Die eher neutralen, sozialwissenschaftlichen Begriffe Einwanderer und Zuwanderer vs. Einheimische und Eingesessene sind nur selten zu finden. Erst in den 90er Jahren scheinen sich die Lexeme Einwanderer und Immigrant, die mit dem Einverständnis mit dem dauerhaften Verbleib dieser Menschen verbunden war, etabliert zu haben. Bereits in den 70er Jahren sind Wörter zu finden, die „den Aspekt der Integration betonen“215, wie (Mit-)bürger auf Zeit. Zufolge der zunehmenden Arbeitslosigkeit der 70er Jahre tritt die Gegenüberstellung Deutsch vs. Ausländer wieder verstärkt auf. Ausländer ist auch in den 80er und 90er Jahren weiterhin gebräuchlich. Allerdings nicht mehr nur für Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft, sonder häufig auch für Eingebürgerte, beispielsweise für Aussiedler, solange ihr „Anderssein“ erkennbar ist. Diese sind Ausländer nicht im juristischen sondern

„im psychologisch-kulturellen Sinn“216. Neben den Kollektivbezeichnungen sind auch Wörter für gewisse Migrantengruppen, wie die Türken, zu finden. Auch unter denen gibt es „integrative Begriffe“217, die die Zusammengehörigkeit und die Gemeinsamkeiten mehr hervorheben als andere:

türkische Menschen/Leute.

In der anschließenden diskurslinguistischen Untersuchung wird der Frame INTEGRATION 1998 und 2008 rekonstruiert. Die wortsemantische Analyse zielt auf die Ausdrucksseite des Frames, nämlich die Wörter, die den Frame mit seiner Wissensstruktur und -elementen aufrufen. Im Rahmen der wissensorientierten Analyse wird schließlich untersucht, welche Bedeutung dem Konzept der Integration zugeschrieben wird. Die Mitspieler, die sich integrieren wollen oder sollen, bekommen dabei eine besondere Aufmerksamkeit.

215 Jung/Niehr/Böke (2000: 74)

216 Jung/Niehr/Böke (2000: 75)

217 Jung/Niehr/Böke (2000: 75)

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