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Vorverständnis – zu den Prämissen des Forschungsprozesses Forschungsprozesses

Im folgenden soll das Vorverständnis zu Beginn des Forschungsprozesses dargestellt werden.

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10 Es sei an dieser Stelle bemerkt, daß eine Anwendung der Fragen und der vorläufigen Antwor-ten in Form von Forschungsergebnissen im Sinne einer Ausweitung auf den Bereich des Ver-stehens beim Simultandolmetschen in die A-Sprache und des VerVer-stehens beim Übersetzen und im translationswissenschaftlichen Prozeß im allgemeinen im vorhinein nicht ausgeschlos-sen, jedoch ebensowenig im Sinne einer allgemeinen Theorie angestrebt wird.

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1.2.1 Verstehen beim Simultandolmetschen in die B-Sprache in der Praxis des Simultandolmetschens

Da der Ausgangspunkt des Forschungsprozesses zunächst im Phänomenbe-reich der Praxis des Simultandolmetschens in die B-Sprache liegt, soll dieser Phänomenbereich im folgenden kurz umrissen werden (vgl. EMCI 2002, vgl.

Kelly et al. 2003).

Das Simultandolmetschen in die B-Sprache wird für die professionelle Pra-xis des Konferenzdolmetschens immer wichtiger: sowohl auf dem sogenann-ten Privatmarkt als auch bei den Institutionen der Europäischen Union im Zuge der jüngeren Erweiterungsrunden. Während traditionell „im Westen“

grundsätzlich in die A-Sprache, d. h. die Muttersprache der DolmetscherIn gedolmetscht wurde, wird das Dolmetschen in die Fremdsprache, die B-Sprache, immer öfter praktiziert. Bei den europäischen Institutionen wurde zunächst anläßlich des Beitritts Finnlands das Arbeiten in die Fremdsprache als Alternative zum Arbeiten in die Muttersprache genutzt. Heute ist es üblich geworden, daß die Sprachen der neuen Mitgliedsländer von Muttersprachle-rInnen in sogenannte „alte“ Retour-Sprachen gedolmetscht werden, d. h., daß z. B. eine ungarische Muttersprachlerin als sogenannter Pivot in der deutschen Kabine ins Deutsche arbeitet und sich die DolmetschkollegInnen aus den anderen Kabinen, sobald Ungarisch gesprochen wird, auf die deutsche Kabine schalten, um das Gesagte aus dem Deutschen wiederum ins Italienische, Finnische, Tschechische etc. zu übertragen.

Der Phänomenbereich des Verstehens beim Simultandolmetschen in die B-Sprache liegt im Unterschied zum deutlich berufspraktisch und didaktisch motivierten, konkreten (praktischen) Phänomenbereich der Produktion beim Simultandolmetschen in die B-Sprache eher im abstrakten (theoretischen) Bereich.

Was soll das heißen? Hierzu einige wenige Beobachtungen: Erstens: Das Simultandolmetschen in die B-Sprache wird praktiziert. Es wird außerdem auch unterrichtet. Zweitens: Es scheint unumstritten, daß das Verstehen der A-Sprache beim Simultandolmetschen in die B-A-Sprache kein praktisches Prob-lem darstellt. Drittens: Es ist bekannt, daß im Westen im 20. Jahrhundert eindeutig dem Dolmetschen in die Muttersprache der Vorzug gegeben wurde.

Nicht so im Osten (vgl. Denissenko 1989; vgl. Gile 2005, 10ff.). So betrachtet die sowjetische Schule

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das 100-prozentige Verstehen des Ausgangstextes [als] die wichtigste Voraussetzung für ein geglücktes Dolmetschen: ‚Was ich nicht verstehe, kann ich nicht dolmetschen‘, oder ‚Verloren gegangene Informationen kann ich nicht wiedergewinnen‘ {vgl. Denissenko 1989}. Je mehr Auf-merksamkeit der Dolmetscher für das Verstehen des Originals aufwenden muss, desto schlechter sind die Ergebnisse auf der Wiedergabeseite (Op-denhoff 2005, 52).11

Deutlich kommt diese Position bei Denissenko zum Ausdruck: “The losses at input cannot be repaired. This can hardly be denied. So understanding the message in the source language or comprehension is the most crucial stage in the Bermuda triangle [comprehension, transformation and delivery] of the simultaneous interpretation process” (Denissenko 1989, 157).

Schließlich sei ein Zitat aus dem Zusammenhang der didaktischen Auseinandersetzung mit dem Simultandolmetschen in die B-Sprache im Rahmen des EMCI angeführt: “In interpreting it is estimated that at least 80 % of the effort or cognitive resources is devoted to listening and understanding the discourse and only 20 % to speech production” (Padilla 1995, [ohne Seitenangabe], zit. nach Rejšková 2002, 30).12

Das Thema des Verstehens beim Simultandolmetschen aus der A-Sprache in die B-Sprache ist somit auch in der berufspraktischen Realität vorhanden und steht im Raum. Darum soll im folgenden der Versuch unternommen werden, das Verstehen beim Simultandolmetschen in die B-Sprache im Lichte der Literatur aus Theorie und Forschung zum Simultandolmetschen zu be-handeln. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß hier die Dokumentierung der Prämissen des Forschungs-prozesses, so wie er tatsächlich stattgefunden hat, unternommen wird.

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11 Opdenhoff selbst untersucht experimentell die Rolle des Gedächtnisses in Abhängigkeit von der jeweiligen Ausgangssprache. Unter Umständen ergäbe sich dadurch eine neue Diskussi-onsgrundlage zur Dolmetschrichtung A-B (vgl. Opdenhoff 2005, 53).

12 Rejšková zitiert aus der Dissertation von P. Padilla, „Procesos de atención y memoria en interpretación de lenguas. Unpublished doctoral dissertation. Universidad de Granada“ (Rejš-ková 2002, 34) die kognitionspsychologisch orientiert ist.

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1.2.2 Verstehen beim Simultandolmetschen in die B-Sprache in der Theorie und in der Forschung zum Simultandolmetschen Nachdem in 1.2.1 der Ausgangspunkt des Forschungsprozesses zunächst im Phänomenbereich der Praxis des Simultandolmetschens in die B-Sprache ausgemacht wurde, soll mit Blick auf den Aufbau der vorliegenden Arbeit im folgenden der Phänomenbereich des Verstehens beim Simultandolmetschen in die B-Sprache in der Theorie und in der Forschung zum Simultandolmetschen umrissen werden.

Das Verstehen beim Simultandolmetschen in die B-Sprache kann in der Lite-ratur zur Dolmetschforschung nirgendwo als eigenständiger Forschungsge-genstand identifiziert werden. Diese Feststellung soll im folgenden erläutert werden.

Es müssen Publikationen für unsere Betrachtung hinzugezogen werden, in denen nicht explizit vom Verstehen beim Simultandolmetschen in die B-Sprache, sondern vom Verstehen beim Simultandolmetschen im allgemeinen (vgl. für einen einführenden Überblick Pöchhacker 2004, 118ff; vgl. Kalina 1998), oder nicht explizit vom Prozeß des Verstehens, sondern allgemein vom Simultandolmetschen in die B-Sprache (vgl. Godijns/Hinderdael 2005; vgl.

Kelly et al. 2003; vgl. Donovan 2004) unter deutlicher Betonung des Produk-tionsaspektes die Rede ist. Ferner werden in der vorliegenden Arbeit auch Publikationen zum Zusammenhang von Verstehen und Übersetzen (exempla-risch: Stolze 1982, 2003) berücksichtigt.

An dieser Stelle darf auch die Existenz von Kolloquiumsakten (Barbizet/

Pergnier/Seleskovitch 1981), durch welche die international und multidiszipli-när angelegte Auseinandersetzung mit dem Verstehen von Sprache13 im Zu-sammenhang mit dem Gegenstand der Translation dokumentiert wird, die in der Folge jedoch in der – Literatur zur – Dolmetschforschung nicht weiter rezipiert wurden, nicht unerwähnt bleiben: Angeregt wurde diese Auseinan-dersetzung im Jahre 1980 durch die Zusammenarbeit von D. Seleskovitch, stellvertretend für die École Supérieure d’Interprètes et de Traducteurs an der Universität Paris III, Sprachwissenschaftlern der Universitäten Paris III und Paris IV und des federführenden Groupe d’Études sur le Langage an der Universität Paris XII. Das dreitägige Kolloquium fand an der Medizinischen Fakultät des Universitätskrankenhauses Henri-Mondor in Créteil unter der Mitwirkung der EG-Kommission, des französischen Außenministeriums und ...

13 frz. « compréhension du langage ».