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Die Erstellung des Versuchsmaterials für das im Folgenden zu berichtende Experiment er-folgte in mehreren Schritten. Zunächst habe ich aus verschiedenen Wörterbüchern der deut-schen Sprache sowie aus Abhandlungen zu Wortschatz und Wortbildung (z.B. Wippich &

Bredenkamp, 1979; Gersbach & Graf, 1985; Duden, 2003; Wahrig, 2002) eine Menge von Perfekt-Partizipien gesammelt, die als Attribut und mit Präfix un- verwendbar sind (z.B. ge-kocht). Dabei habe ich ausschließlich handlungsbezogene Partizipien berücksichtigt, weil die-se typischerweidie-se Prozesdie-se beschreiben, in deren Verlauf Objektzustände verändert worden sind, so dass bestimmte Merkmale verdrängt wurden und neue Merkmale entstanden sind.

Gekochte Möhren beispielsweise haben andere Merkmale als ungekochte Möhren. Ausge-schlossen habe ich dabei inhärente Negationen wie etwa entkoffeiniert, um das Entstehen von Doppelnegation zu vermeiden, sowie metaphorische Ausdrücke wie ungehobelt (im Sinne von unhöflich), um Mehrdeutigkeit zu vermeiden.

Im nächsten Schritt habe ich mit diesen Partizipien sinnvolle ‚affirmative’ Nominalphrasen gebildet (z.B. gekochte Möhren). Als zusätzliche Einschränkung galt dabei die Bedingung, dass im Verlauf der betreffenden Handlung mindestens ein Merkmal neu entsteht (durch das Kochen werden Möhren z.B. weich) und ein Merkmal verdrängt wird (gekochte Möhren sind z.B. nicht mehr hart). Um die syntaktischen und semantischen Eigenschaften der so gebilde-ten Phrasen konstant zu halgebilde-ten, habe ich ausschließlich Pluralnomen (z.B. Möhren) oder Sin-gulariatantum (z.B. Wasser) verwendet. Zur Bezeichnung der neu entstandenen beziehungs-weise verdrängten Merkmale habe ich im Interesse der strukturellen Konstanz keine Partizi-pien ausgewählt.

In einem dritten Schritt habe ich zu jeder affirmativen Phrase eine ‚negative’ Phrase gebildet, indem ich dem jeweiligen Adjektiv das Präfix un- hinzugefügt habe (z.B. un-gekochte Möh-ren). Außerdem habe ich zu jedem dieser Phrasenpaare dann eine ‚positive’ Phrase gebildet, die mit der negativen synonym und zu der affirmativen antonym ist (z.B. rohe Möhren).

Ergebnis der bisher beschriebenen Arbeitsschritte waren 50 Phrasen-Tripel, die jeweils aus einer affirmativen (gekochte Möhren), einer negativen (ungekochte Möhren) und einer positi-ven Variante (rohe Möhren) bestanden. Außerdem lagen zu jedem Phrasen-Tripel zwei Merkmale vor: Ein ‚neu entstandenes’ Merkmal (weich), das für die affirmative Variante zu-trifft und daher im Folgenden ‚affirmationsbezogenes’ Merkmal genannt wird, und ein ‚ver-drängtes’ Merkmal (hart), das für die negative Variante – und für die damit synonyme positi-ve Variante ebenso wie für das unmodifizierte Nomenkonzept – zutrifft und daher im Folgen-den ‚negationsbezogenes’ Merkmal genannt wird.

Dieses Material habe ich in verschiedenen Voruntersuchungen auf seine Eignung für das Hauptexperiment geprüft, wobei ungeeignetes Material schrittweise aussortiert wurde. Im Folgenden werde ich über die einzelnen Voruntersuchungen zur Materialevaluation berichten.

6.1.1 Synonymie und Antonymie

In einem ersten Fragebogen-Versuch wurde das gesammelte Material nach Synonymie und Antonymie beurteilt. Es ging hier um die Frage, ob sich die Intuition, positive Phrasen (rohe Möhren) seien synonym mit negativen Phrasen (ungekochte Möhren) und antonym zu affir-mativen Phrasen (gekochte Möhren), in Urteilen von Laien statistisch bestätigen lässt.

An dieser Voruntersuchung nahmen insgesamt 42 Studierende der Universität Bielefeld teil.

Es handelte sich um 30 Frauen und 12 Männer. Alle Versuchspersonen sprachen Deutsch als Muttersprache.

Zur Beurteilung von Synonymie und Antonymie habe ich zwei separate Fragebögen mit je-weils 50 Items erstellt. 21 Versuchspersonen erhielten einen Synonymiefragebogen, die übri-gen 21 einen Antonymiefrageboübri-gen. In den Frageböübri-gen standen auf jeder Zeile zwei zu ver-gleichende Phrasen: Im Synonymiefragebogen waren die positive und die negative Version miteinander zu vergleichen, im Antonymiefragebogen die positive und die affirmative. In der Mitte zwischen den beiden zu vergleichenden Phrasen war jeweils ein Kästchen zum Eintra-gen eines Wertes nach Maßgabe einer fünfstufiEintra-gen Skala vorgesehen: In dem Synony-miefragbogen stand 1 für „völlig bedeutungsgleich“ und 5 für „völlig bedeutungsverschieden“, in dem Antonymiefragebogen stand 1 für „völlig bedeutungsgegensätzlich“ und 5 für „völlig bedeutungsgleich“.

Um denkbare Reihenfolgeeffekte auszubalancieren, ist die Zuordnung der Phrasen eines Paa-res zur linken oder rechten Spalte des Fragebogens randomisiert worden; zudem war die Zuordnung bei jedem zweiten Fragebogen umgekehrt.

Die Fragebögen wurden in verschiedenen Lehrveranstaltungen bearbeitet. In der Instruktion, die dem Fragebogen beigefügt war, wurde der Beurteilungsaspekt (Synonymie oder Antony-mie) festgelegt, die Skalenstufen definiert und mitgeteilt, es gebe keine richtigen oder fal-schen Antworten; die Versuchspersonen sollten einfach ihrem unmittelbaren Sprachgefühl folgen. Die Bearbeitung eines Fragebogens dauerte durchschnittlich zehn Minuten.

Die Daten der 42 Versuchspersonen habe ich mit Hilfe des Statistik-Softwarepakets BMDP ausgewertet. Für jedes Item wurden Median und arithmetisches Mittel der Beurteilungen be-rechnet. Aufgrund der rangtransformierten Mittelwerte wurden dann für Synonymität und für Antonymität jeweils geordnete Itemlisten erstellt, die dann anhand der mittleren Rangplätze zu einer einheitlichen Liste zusammengeführt wurden. Aus dieser Liste wurden die ‚schlech-testen’ 25 % der Items gestrichen. Ferner wurden Items gestrichen, für die die Varianzanalyse einen signifikanten Effekt der Reihenfolge ergab. Die gesamte Streichungen reduzierten die Menge der Items auf 35 Phrasen-Sets.

6.1.2 Freie Assoziationen

Für die 35 nach der Voruntersuchung zur Synonymie und Antonymie verbliebenen Items ha-be ich in einer weiteren Voruntersuchung geprüft, ob man von einer Unabhängigkeit der je-weiligen affirmationsbezogenen und negationsbezogenen Merkmale von den betreffenden Attributen ausgehen kann. Genauer gesagt, ging es hier darum, ob das affirmative Attribut (gekocht), das negative Attribut (ungekocht) oder das positive Attribut (roh) allein bereits zu einer Aktivierung des affirmationsbezogenen Merkmals (weich) oder des negationsbezogenen Merkmals (hart) führen kann. Falls nämlich ein Merkmal durch ein vorgegebenes Attribut aktiviert wird, bedeutet das, dass dieses Merkmal nicht nur für die gesamte Phrase zutrifft, sondern auch mit dem jeweiligen Attribut assoziiert ist. Solche Assoziationen könnten die Verarbeitung der Phrasen in unerwünschter und unkontrollierbarer Weise beeinflussen; derar-tige Materialien sind daher für das Hauptexperiment nicht geeignet.

Eine entsprechende Voruntersuchung wurde in Form einer Befragung zu freien Assoziationen realisiert. An dieser Voruntersuchung nahmen insgesamt 30 Studierende der Universität Bie-lefeld teil. Es handelte sich um 26 Frauen und 4 Männer. Alle Versuchspersonen sprachen Deutsch als Muttersprache.

Zur Erhebung der Assoziationen habe ich drei Versionen eines Fragebogens erstellt. In jeder Fragebogenversion kamen alle drei Attribut-Typen (affirmativ, negativ und positiv) vor, wo-bei jedes Phrasentripel mit einem Attribut vertreten war (affirmativ, negativ oder positiv). Die Zuordnung von Items und Attribut-Typen wurde zwischen den Fragebogenversionen rotiert, so dass insgesamt alle Attribut-Typen aller Items mit gleicher Häufigkeit abgefragt wurden.

Zu jedem Attribut wurden drei Felder vorgegeben, in die die Versuchspersonen ihre sponta-nen Assoziatiosponta-nen eintragen konnten. In der Instruktion zum Fragebogen wurden die Ver-suchspersonen darum gebeten, zu jedem Adjektiv spontan bis zu drei damit assoziierte Wörter aufzuschreiben und dabei möglichst jedes Wort in Form eines Adjektivs anzugeben.

Die Fragebögen wurden in verschiedenen Lehrveranstaltungen eingesetzt. Jede Version wur-de von zehn Versuchspersonen bearbeitet. Die Bearbeitung eines Fragebogens dauerte durch-schnittlich 20 Minuten.

Zur Auswertung habe ich zuerst alle aufgeschriebenen Assoziationen listenmäßig erfasst. Da-bei wurden erforderlichenfalls ähnliche Wörter in zweckmäßiger Weise zusammengefasst (z.B. alt und älter als Assoziaten zu gebraucht; kräftig und kraftvoll als Assoziaten zu ge-sund). Für jedes Attribut habe ich sodann Assoziations-Scores berechnet, wobei die jeweils als erste aufgeführten Assoziationen drei Punkte, die als zweite aufgeführten zwei Punkte und die als dritte aufgeführten einen Punkt erhielten. Durch Division der Punkte für die einzelnen Assoziationen durch den jeweiligen Assoziations-Score wurde die Wahrscheinlichkeit der betreffenden Assoziation bestimmt. Diejenigen Phrasen-Tripel, bei denen mindestens ein

Merkmal eine Assoziationswahrscheinlichkeit von 0.14 oder höher aufwies, wurden ausge-schlossen. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass die im Experiment verwendeten Merk-male keine nennenswerten Assoziationen mit den Attributen aufwiesen. Ergebnis der Auswer-tung waren 29 brauchbare Phrasen-Sets mit jeweils zwei Merkmalen.

6.1.3 Spezifität

Nachdem ich in der berichteten Voruntersuchung zur Assoziation die denkbaren Zusammen-hänge zwischen den Merkmalen und den Attributen geprüft habe, habe ich in einer dritten Voruntersuchung die Zusammenhänge zwischen den Merkmalen und den Nomen untersucht.

Speziell habe ich geprüft, inwieweit das jeweilige affirmationsbezogene und negationsbezo-gene Merkmal auf das betreffende unmodifizierte Nomen beziehungsweise auf die gesamte Attribut-Nomen-Phrase zutrifft.

Bei affirmativen Phrasen sollte das jeweilige affirmationsbezogene Merkmal (weich) als hoch zutreffend eingestuft werden, da es die durch Kombination des Nomens mit dem betreffenden handlungsbezogenen Attribut (gekocht) neu entstandene Eigenschaft des jeweiligen Objekts (Möhren) bezeichnet. Das negationsbezogene Merkmal dagegen (hart), das eine Eigenschaft bezeichnet, die bei Kombination des Nomens mit dem affirmativen Attribut verdrängt worden ist, sollte als niedrig zutreffend eingestuft werden.

Bei negativen Phrasen (ungekochte Möhren) sollte es dagegen umgekehrt sein: Das negati-onsbezogene Merkmal (hart) sollte als hoch zutreffend und das affirmatinegati-onsbezogene Merk-mal (weich) als niedrig zutreffend eingestuft werden. Das gleiche sollte für die positiven Phrasen (rohe Möhren) gelten, die mit den negativen synonym und mit den affirmativen anto-nym sind. Die Erwartungen für die unmodifizierten Nomen folgen derselben Logik: Mit dem unmodifizierten Nomenkonzept ist nur das negationsbezogene Merkmal verbunden, nicht aber das affirmationsbezogene.

Die Spezifität des Zutreffens der Merkmale auf affirmative, negative, positive und unmodifi-zierte Nominalphrasen habe ich über Ratings ermittelt. An der betreffenden Voruntersuchung nahmen insgesamt 77 Studierende der Universität Bielefeld teil. Es handelte sich um 64 Frau-en und 13 Männer. Alle VersuchspersonFrau-en sprachFrau-en Deutsch als Muttersprache.

Für die Voruntersuchung habe ich acht Versionen eines Fragebogens erstellt. Jeder Fragebo-gen umfasste die 29 Item-Sets, die sich als brauchbar erwiesen hatten. Die acht Versionen ergaben sich durch Kombination der beiden Merkmale eines Item-Sets mit den vier Nominal-phrasen. In jeder Fragebogenversion kamen alle Bedingungskombinationen vor, und zwar so, dass die verschiedenen Phrasen- und Merkmalstypen annähernd gleichmäßig verteilt waren.

In der linken Spalte des Fragebogens standen die Nominalphrasen und in der rechten die Merkmale. In der Mitte jeder Zeile war ein Kästchen zum Eintragen des jeweiligen Zutref-fensurteils vorgesehen. Das Rating erfolgte auf einer fünfstufigen Skala: 2 stand für „trifft zu“, 1 für „trifft einigermaßen zu“, 0 für „neutral“, –1 für „trifft eher nicht zu“ und –2 für „trifft nicht zu“. In der Instruktion zum Fragebogen wurden die Versuchspersonen um eine ihrem unmittelbaren Sprachgefühl folgende spontane Einschätzung gebeten.

Der Fragebogen wurde in verschiedenen Lehrveranstaltungen eingesetzt. Jede Version des Fragebogens wurde von neun oder zehn Versuchspersonen bearbeitet. Die Bearbeitung eines Fragebogens dauerte durchschnittlich zehn Minuten.

Die statistische Auswertung erfolgte mit Hilfe des Programmpakets BMDP. Weil es sich um ordinale Daten und asymmetrische Verteilungen handelte, habe ich zunächst Mediane über Items und über Versuchspersonen berechnet. Die so entstandenen aggregierten Datenmatrizen habe ich dann varianzanalytisch ausgewertet, und zwar einmal mit Versuchspersonen als Fäl-len (gemittelt über 29 Items), und zum anderen mit Items als FälFäl-len (gemittelt über je 9 oder 10 Versuchspersonen). In beiden Analysen habe ich dabei konservative Sphärizitätskorrektu-ren nach Greenhouse und Geisser angewendet.

Die pauschale Varianzanalyse der Rating-Mediane mit Items als Fällen zeigte einen signifi-kanten Haupteffekt des Phrasentyps (F = 3.00; df = 2, 65; p = .049), einen signifisignifi-kanten Haupteffekt des Merkmalstyps (F = 137.59; df = 1, 28; p = .000) sowie eine signifikante Wechselwirkung von Phrasen- und Merkmalstyp (F = 232.93; df = 2, 60; p = .000). Letztere entsprach den Erwartungen: Bei affirmativen Phrasen wurden affirmationsbezogene Merkma-le als hoch zutreffend und negationsbezogene MerkmaMerkma-le als niedrig zutreffend eingestuft (F = 147.79; df = 1, 28; p = .000). Bei negativen Phrasen wurden dagegen negationsbezogene Merkmale als hoch zutreffend bewertet und affirmationsbezogene Merkmale als niedrig zu-treffend (F = 514.19; df = 1, 28; p = .000). Ein entsprechendes Ergebnis zeigte sich auch bei positiven Phrasen (F = 245.09; df = 1, 28; p = .000). Bei unmodifizierten Nominalphrasen zeigte sich ebenfalls das gleiche Befundmuster (F = 69.78; df = 1, 28; p = .000). Diese Wech-selwirkunge von Phrasen- und Merkmalstyp ist in Abbildung 17 veranschaulicht.

-2 -1 0 1 2

affirmativ negativ positiv unmodif.

affirmationsbezogen negationsbezogen

Abbildung 17: Mittelwerte der Rating-Mediane

Auch die pauschale Varianzanalyse der Rating-Mediane mit Versuchspersonen als Fällen zeigte das gleiche Befundmuster: einen signifikanten Haupteffekt des Phrasentyps (F = 16.04;

df = 3, 216; p = .000) und des Merkmalstyps (F = 840.70; df = 1, 76; p = .000) sowie eine ebenfalls signifikante Wechselwirkung dieser beiden Faktoren (F = 630.03; df = 2, 178;

p = .000).

Zusammengefasst lässt sich damit feststellen, dass affirmations- und negationsbezogene Merkmale insgesamt hinreichend differenzieren. Um jedoch die am besten geeigneten Item-Sets zu identifizieren, habe ich – über die Varianzanalysen hinaus – die Absolutwerte der Mediane für die einzelnen Itemkandidaten genauer betrachtet. Im Zuge dieser Analyse habe ich weitere Items gestrichen: Zunächst acht Items, bei denen mindestens eine Einschätzung in Gegenrichtung der Erwartung lag, sodann drei Items mit besonders hoher Urteilsstreuung,

und schließlich zwei Items, bei denen die Merkmale bei nichtmodifizierten Nominalphrasen als neutral eingestuft wurden und somit nicht klar differenzierten.

Ergebnis der Voruntersuchungen zur Eignung sprachlicher Materialien für das folgende Hauptexperiment waren 16 Item-Sets, bestehend aus jeweils einem Nominalphrasen-Qua-drupel (affirmativ, negativ, positiv, unmodifiziert) und einem Merkmalspaar (affirmationsbe-zogen, negationsbezogen). Die Nominalphrasen werden im Hauptexperiment als sprachliche Kontexte (primes) dienen, so dass ich im Folgenden die vier Phrasenvarianten unter dem Be-griff ‚Prime’ zusammenfasse. Die Merkmals-Adjektive werden im Hauptexperiment als Prüf-wörter (targets) eingesetzt, so dass ich im Folgenden den Begriff ‚Target’ verwende.