• Keine Ergebnisse gefunden

4 Der Vorlass von Florjan Lipuš und die „Sammlung Slowenien“

Im Dokument Logiken der Sammlung (Seite 100-105)

Der Vorlass von Florjan Lipuš befindet sich seit 1997 im RMI/KLA. Der erste Teil des Vorlassbestandes umfasst Werkmaterial zu frühen Prosawerken wie Črtice mimogrede/Skizzen im Vorübergehen; Zmote dijaka Tjaža/Der Zögling Tjaž;

Kleine Literaturen – kleine Archive?  101

Zgodbe o čuših/Tschuschengeschichten; Odstranitev moje vasi/Beseitigung meines Dorfes; Prošnji dan/Bittag; Srčne pege/Herzflecken bis hin zu Stesnitev/Verdächti-ger Umgang mit dem Chaos. Das Archiv von Florjan Lipuš ist ein Papierarchiv. Es umfasst beschriebene Schulhefte, Manuskripte (mit den für den Schreibprozess von Lipuš charakteristischen, hunderte Seiten langen, mit weichem Blei stift geschwärzten Manuskriptseiten); Reinschriften, Typoskripte, Vorabdrucke, Über-setzungstyposkripte, Korrespondenzen, Lebensdokumente wie etwa Schulunter-lagen aus Tanzenberg oder die oben erwähnte Rede zur Eröffnung des RMI/KLA.

Unter der Rubrik „Sammelstücke“ findet sich neben annotierten Büchern, Fotos oder Zeitungsausschnitten auch eine Bleistiftbox (vgl. hierzu Hafner 2015), die als Leihgabe in der Dauerausstellung des Literaturmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien zu sehen ist.

Der zweite Teil des Vorlasses wurde erst 2017 vom Land Kärnten angekauft, dem RMI/KLA als Dauerleihgabe übergeben, wo er seiner wissenschaftlichen Auswertung harrt. Dazu zählen Werke, die nach 1997 entstanden sind, beginnend mit Boštjanov let/Boštjans Flug; Mirne duše/Seelenruhig bis hin zu Werken jünge-ren Datums wie etwa Gramoz/Schotter. Der Ankauf dieses zweiten Teils bildet die Grundlage für die Erforschung des Gestus des literarischen Schreibens bei Florjan Lipuš, meinem sich in Arbeit befindlichen Dissertationsprojekt.

Auch in der Sammlung Peter Handke/Leihgabe Hans Widrich (ÖLA SPH/LW) am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek findet sich ein weite-rer Lipuš-Bestand. Dem Sammeleifer Hans Widrichs, einem ehemaligen Tanzen-berger und Freund Handkes, ist die „Sammlung Peter Handke“ zu verdanken, die sich insbesondere aus der Zeit der ‚Salzburger Jahre‘ Handkes speist und 2009 als Dauerleihgabe an das Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek übergeben wurde (vgl. Kastberger und Kepplinger 2013, 205–206). Erwähnens-wert in diesem Bestand sind etwa die slowenischen Vokabelhefte Peter Handkes, die im Zuge der Übersetzungsarbeit Handkes zu Lipuš’ Zögling Tjaž entstanden sind, sowie eine Kopie des Typoskripts des Tjaž, die Handke wohl als Über-setzungsgrundlage gedient hat (vgl. Hannesschläger, http://handkeonline.onb.

ac.at/node/1703). In der „Sammlung Peter Handke“ von Hans Widrich befindet sich aber eine weitere „Sammlung Slowenien“, die sehr divers ausfällt. Neben diversen Korrespondenzen Peter Handkes mit slowenischen Autoren wie etwa Boris Pahor oder Tomaž Šalamun, der Urkunde des Vilenica-Preises, einer bislang noch unveröffentlichten Kosovel-Übersetzung Handkes, Slowenien-Landkarten, 5-Tolar-Scheinen beinhaltet diese Sammlung ein Bleistift-Manuskript von Florjan Lipuš’ Srčne pege/Herzflecken.

Liest und sammelt man das Archiv einer ‚kleinen Literatur‘ wie jener der Kärntner slowenischen Literatur, wird klar, dass die Kräfte, die es als kulturelles Gedächtnis formen, vielgestaltig sind. In diesem Beitrag sollte gezeigt werden,

102  Dominik Srienc

wie und von welchen Institutionen des kulturellen und literarischen Feldes Bestände Kärntner slowenischer AutorInnen gesammelt werden und in welcher historischen Formation sie gelesen werden können, dabei wird evident, dass es sich hier um ein relativ junges Phänomen handelt. Eine Institution wie das RMI/KLA nimmt eine Sonderstellung ein, da sie sich in ihrer kulturpolitischen, institutionellen Sammlungslogik der Aufgabe verschrieben hat, die mehrspra-chige literarische Produktion der Kärntner Slowenen zu erwerben, zu erschlie-ßen, zu bewahren und zu erforschen, was sich auch in den Beständen des Archivs widerspiegelt. Der Raum des Archivs entspricht dem ‚überregionalen literari-schen Interaktionsraum der Kärntner Slowenen‘, der über das regionale weit hinaus in das slowenische und deutschsprachige literarische Feld reicht und einer überregionalen Sammelpraxis entspricht. Der Vorlassbestand von Florjan Lipuš nimmt dabei eine Sonderstellung ein, da er stark mit den Beständen Peter Handkes interferiert und in dessen Archiv einen eigenen Raum als Sammlung in der Sammlung ausfüllt. Zu betonen bleibt schließlich, dass es sich um eine erstma-lige Bestandsaufnahme archivierter Bestände von Kärntner slowenischen Autoren handelt. Die Frage, ob und welche Nachlässe in welches Archiv gelangen, reicht jedoch weit über die institutionelle Sammlungslogik von Literaturarchiven hinaus.

Literaturverzeichnis

Amann, Klaus. „Regionale Literaturgeschichtsschreibung am Beispiel Kärnten“. Zur regionalen Literaturgeschichtsschreibung. Fallstudien / Entwürfe / Projekte. Hg. Andreas Brandnter und Werner Michler. Linz: StifterHaus, 2007. 46–63.

Amann, Klaus. „Siegreiche Verlierer. Der bewaffnete Widerstand der Kärntner Slowenen gegen das nationalsozialistische Regime“. Krieg, Widerstand, Befreiung. Ihr Nachhall in den Literaturen und Kulturen des Alpe-Adria-Raums. Hg. Klaus Amann und Fabjan Hafner.

Klagenfurt/Celovec: Drava, 2013. 9–30.

Deleuze, Gilles, und Félix Guattari. Kafka: für eine kleine Literatur. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2002.

Farge, Arlette. Der Geschmack des Archivs. Göttingen: Wallstein, 2011.

Foucault, Michel. „Das historische Apriori und das Archiv (1969)“. Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Hg. Claus Pias, Lorenz Engell, Oliver Fahle, Jürgen Vogl und Britta Neitzel. München: DVA, 2000. 489–494.

Friedrich, Markus. „Sammlungen“. Handbuch Archiv. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven.

Hg. Marcel Lepper und Ulrich Raulff. Stuttgart: Metzler, 2016. 152–162.

Glesener, Jeanne E. „Kleine Literaturen: Eine Übersicht der Begrifflichkeiten“. Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext. Hg. Andreas Leben und Alenka Koron. Tübingen: Narr Francke Attempto, 2019. 47–62.

Hafner, Fabjan. „Der ‚exemplarische Epiker‘ der Kärntner SlowenInnen: Florjan Lipuš“. Und (k)ein Wort Deutsch … Literaturen der Minderheiten und MigrantInnen in Österreich.

Kleine Literaturen – kleine Archive?  103 Hg. Nicola Mitterer und Werner Wintersteiner. Wien, Innsbruck: Studien-Verlag, 2009.

133–150.

Hafner, Fabjan. „Florjan Lipuš. Im Bleistiftgebiet“. Das Literaturmuseum. 101 Objekte und Geschichten. Hg. Bernhard Fetz. Salzburg: Jung und Jung, 2015. 211.

Hannesschläger, Vanessa. Entstehungskontext von Immer noch Sturm. https://handkeonline.

onb.ac.at/node/623. (26.11.2019).

Hannesschläger, Vanessa. Entstehungskontext zu Der Zögling Tjaž. https://handkeonline.onb.

ac.at/node/1702. (26.11.2019).

Hassler, Uta, und Thorsten Meyer. „Die Sammlung als Archiv paradigmatischer Fälle“.

Kategorien des Wissens. Die Sammlung als epistemisches Objekt. Hg. Uta Hassler und Thorsten Meyer. Zürich: vdf Hochschulverlag, 2014. 7–74.

Kafka, Franz. Tagebücher in der Fassung der Handschrift. Hg. Gerd Koch, Michael Müller und Malcolm Pasley. Frankfurt a. M.: Fischer, 1990.

Kastberger, Klaus, und Christoph Kepplinger. „Handkeonline: Eine Forschungsplattform zu Peter Handke“. Editio 27 (2013): 205–215.

Kastberger, Klaus. „Chaos des Schreibens. Die Werkstatt der Dichterin und die Gesetze des Archivs“. Die Werkstatt des Dichters. Imaginationsräume literarischer Produktion.

Hg. Klaus Kastberger und Stefan Maurer. Berlin, Boston: de Gruyter, 2017. 13–28.

Kohl, Felix. „Der biographische Interaktionsraum der Kärntner Slowen_innen“. Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext. Hg. Andreas Leben und Alenka Koron. Tübingen: Narr Francke Attempto, 2019. 111–125.

Köstler, Erwin. „Institutionen, Akteure, Modelle: Das Kärntner zweisprachige literarische Feld als Anziehungspunkt für deutschsprachige Autor_innen“. Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext. Hg. Andreas Leben und Alenka Koron.

Tübingen: Narr Francke Attempto, 2019. 79–96.

Leben, Andreas. „Zum Modell und zum Begriffsfeld des überregionalen literarischen Interak-tionsraums (ausgehend von der Literatur der Kärntner Slowen_innen)“. Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext. Hg. Andreas Leben und Alenka Koron. Tübingen: Narr Francke Attempto, 2019. 63–77.

Lepper, Marcel, und Ulrich Raulff. „Vorwort“. Handbuch Archiv. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven. Hg. Marcel Lepper und Ulrich Raulff. Stuttgart: Metzler, 2016. VII–X.

Schenk, Dietmar. Kleine Theorie des Archivs. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2014.

Schörkhuber, Eva. Akte(n) der Verwahrung: Zugänge zu einem Archiv der Literatur entlang exemplarischer Lektüren von Maja Haderlap, Bogdan Bogdanović und Elfriede Jelinek.

Wien: Präsens, 2019.

Srienc, Dominik. Interview mit Klaus Amann am 30.5.2017.

Srienc, Dominik. „Wie produziere ich als slowenischer Autor in Kärnten 2.0? Zum literarischen Selbstverständnis neuerer Kärntner slowenischer Literatur im Spannungsfeld zwischen Mehrsprachigkeit und Innovation“. Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext. Hg. Andreas Leben und Alenka Koron. Tübingen: Narr Francke Attempto, 2019. 97–110.

Strutz, Johann. „Eine ‚kleine‘ Literatur. Zur Soziologie und Ästhetik der neueren slowenischen Literatur in Kärnten“. Profile der neueren slowenischen Literatur in Kärnten. Hg. Johann Strutz. Klagenfurt/Celovec: Hermagoras Verlag/Mohorjeva založba, 1998. 11–32.

Wieland, Magnus. „Vom Witz des Sammelns“. Sammeln. Eine (un-) zeitgemäße Passion.

Hg. Martina Wernli. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2017. 27–45.

Im Dokument Logiken der Sammlung (Seite 100-105)