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3 Archive der Kärntner slowenischen Literatur

Im Dokument Logiken der Sammlung (Seite 96-100)

Als Florjan Lipuš’ Roman Zmote dijaka Tjaža 1981 in der deutschen Übersetzung von Peter Handke und Helga Mračnikar unter dem Titel Der Zögling Tjaž im Resi-denz-Verlag erschien, feierte der Autor aus dem Stand internationale Erfolge im deutschsprachigen und französischen Raum. Die Übersetzung leitete durch den damals bereits international bekannten Autor Handke eine „noch nie dagewe-sene Blüte der slowenischen Literatur in Kärnten“ ein; doch die „Affirmation dieser Literatur zwischen zwei Nationalliteraturen“ kam, so Fabjan Hafner (2009, 18), zuerst von deutscher Seite und dann erst von slowenischer. Seit 1991 hat die

‚kleine Literatur‘ der Kärntner Slowenen eine enorme Resonanz erfahren, das Schreiben von Kärntner Slowenen, ob in deutscher oder slowenischer Sprache, ist deutlich sichtbarer geworden. Die Verleihung des Großen Österreichischen Staatspreises für Literatur 2018 an Florjan Lipuš oder der an den Bachmannpreis anschließende, internationale Erfolg von Maja Haderlaps Roman Engel des Ver-gessens bis hin zu ihrer Festrede zum Staatsakt des 100. Jahrestags der Errichtung der Republik und die Verleihung des Kunstpreises 2019 sind ein Beleg dafür, dass die Literatur der Kärntner Slowenen endgültig öffentliche Wertschätzung und institutionalisierte Anerkennung erfahren hat. Doch spiegelt sich diese Wert-schätzung und Anerkennung auch in der Präsenz von Institutionen wie den Lite-raturarchiven und deren Beständen wider?

Die sozialen, politischen und kulturellen Bedingungen für die literarische Produktion der Kärntner Slowenen im 20. Jahrhundert sind von Brüchen, Zäsuren und Diskontinuitäten gekennzeichnet, die schließlich in der Verfolgung, Vertrei-bung und Deportation von Kärntner Slowenen in der Zeit des Nationalsozialis-mus und mit dem Verbot der slowenischen Sprache in öffentlichen wie

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chen Institutionen mündete. Die slowenische Intelligenz und die literarische Produktion war am Rande einer vollständigen Auslöschung, Autoren gingen in den Widerstand oder wurden von Nationalsozialisten verfolgt oder ermordet, damit gingen auch zerstörerische Folgen für potenzielle Nachlassmaterialien und Überlieferungszusammenhänge einher. Wenn auch der bewaffnete Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime fast ausschließlich von Kärntner Slowe-nen getragen wurde, schwanden nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Hoffnun-gen auf einen wertschätzenden Umgang. Denkmäler als „Erinnerungszeichen an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und die Hinweiszeichen auf das Slowenische“ haben, so Klaus Amanns verheerende Diagnose, selbst 2013 in der offiziellen Erinnerungskultur Kärntens keinen Platz: „So ist es wohl auch kein Zufall, dass es in Kärnten keine offizielle Gedenkstätte für die Opfer des sloweni-schen Widerstands gegen den Nationalsozialismus gibt“, zudem stehe

kein einziges der von den Kärntner Slowenen errichteten Denkmäler, die an den bewaff-neten Widerstand erinnern, auf öffentlichem Boden [...] dennoch gab es im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Anschläge gegen diese Grabdenkmäler und Gedenkstätten. (Amann 2013, 23)

Indem Amann diese „gespaltene Erinnerung“ benennt, trifft er zugleich eine Dia-gnose über die Archivlandschaft. So hätte sich die Kärntner Landesregierung 1975 einem zentralen Projekt des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes in Wien über Widerstand und Verfolgung in den österreichischen Bundesländern verwehrt, und das Kärntner Landesarchiv wie der Geschichtsver-ein für Kärnten glänzten durch die Abwesenheit Geschichtsver-einer wissenschaftlichen Arbeit über den Widerstand der Kärntner Slowenen. Die Kärntner Slowenen wiederum verfügen über eine „lebendige Tradition der Erinnerungskultur“, die auch in der Literatur ihre Referenz erhalte. Die Sorge vor dem Verschwinden der Erfahrung einerseits und zum anderen um die Erfahrungen zu dokumentieren, begannen Vereine und Verbände der Kärntner Slowenen unmittelbar nach der Befreiung vom Nationalsozialismus „Erinnerungen, Erzählungen, Briefe, Zeitzeugenbe-richte und Dokumente über Widerstand und Verfolgung zu sammeln und in ihren Tages- und Wochenzeitungen, in Kalendern, Broschüren und Büchern zu veröf-fentlichen“ (Amann 2013, 27). Auf drei Bücher von Andrej Kokot, Lipej Kolenik und Karel Prušnik-Gašper, autobiografische Erzählungen über Krieg, Widerstand und Verfolgung in der NS-Zeit, hat Peter Handke in seiner Dankesrede zur Verlei-hung des Ehrendoktorates der Universität Klagenfurt mit dem Aufruf „Lesen Sie gefälligst!“ aufmerksam gemacht. Im Entstehungskontext des Familien- und Geschichtsdramas Immer noch Sturm spielen neben den drei oben genannten Autoren auch noch weitere Erinnerungsbücher der Kärntner Slowenen eine

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tige Quelle der Inspiration (vgl. Hannesschläger, https://handkeonline.onb.ac.

at/node/623). Handke hat sich aber nicht nur darauf beschränkt, auf Erinne-rungsbücher aufmerksam zu machen, sondern ist ein zentraler Akteur der ‚Kon-sekration‘ der Literatur der Kärntner Slowenen im Sinne Pierre Bourdieus. Daher ist der Versuch Felix Kohls naheliegend, Peter Handkes übersetzerisches Engage-ment für die Literatur der Kärntner Slowenen mit Bourdieus Konzept des literari-schen Feldes und des von Pascale Casanova adaptierten Konzepts der ‚Konsekra-tion‘ ins Verhältnis zu setzen. Handke hat als Übersetzer nicht nur die Rezeption von Florjan Lipuš bestimmt, sondern wesentlich zur Promotion der gesamten Kärntner slowenischen Literatur im deutschsprachigen Raum beigetragen (vgl.

Kohl 2018). Diese ‚Konsekration‘ reicht weit in die Regelhaftigkeiten und Sammel-praktiken von Literaturarchiven, der in ihnen archivierten Bestände der Kärntner slowenischen Literatur, hinein. Florjan Lipuš und Gustav Januš (beide von Handke aus dem Slowenischen ins Deutsche übersetzt) finden sich auch in zen-tralen Handke-Beständen wieder.

Mit dem Wissen um die historischen Rahmenbedingungen und Vorausset-zungen für die Kärntner slowenische Literatur im 20. Jahrhundert ist es nachvoll-ziehbar, dass der Formationsgrad eines literarischen Archivs der Kärntner Slowe-nen nur sehr schmal ist. Dennoch reicht er über den regionalen, kärntnerischen und überregionalen, österreichischen und slowenischen Kontext hinaus. Nur sehr wenige Literaturarchive in Österreich sammeln methodisch Bestände Kärnt-ner slowenischer Autoren, andersrum gibt es nur wenige KärntKärnt-ner slowenische Autoren, die bislang archiviert bzw. deren Bestände als archivwürdig angesehen wurden. Bestände und Sammlungen zu slowenischer Literatur befinden sich in folgenden bislang eingesehenen, regionalen wie überregionalen (Literatur-) Archiven: RMI/KLA; Archiv des SZI/Slowenischen Wissenschaftsinstituts (Kla-genfurt); Litera turarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien);

Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung (Graz); Literaturarchiv Salzburg. In Slowenien wurde bislang lediglich der Vorlass Jani Oswalds im NUK Ljubljana (Slowenische National- und Universitätsbibliothek) aufgenommen. Ein Konvolut zu Florjan Lipuš befindet sich im Suhrkamp-Verlagsarchiv im Deutschen Litera-turarchiv in Marbach. Weitere Bestände liegen verstreut in verschiedenen kleine-ren Archiven, bei Verlagsarchiven in Österreich (z. B. Wieser/Drava in Klagenfurt) oder Slowenien (z. B. Litera-Verlag in Maribor). Es ist nicht auszuschließen, dass sich weiteres Material in privaten Archiven befindet.

Literaturarchive als Institutionen des kollektiven Gedächtnisses verfügen stets über eine politische Dimension und bergen Konfliktpotenzial. Exemplarisch dafür sei das RMI/KLA erwähnt, das seit 2015 von Anke Bosse geleitet wird. Diese Institution ist mit drei Tätigkeitsfeldern betraut: Literaturforschung, Literaturar-chiv und Literaturveranstaltungen im Sinne eines Literaturhauses. Das Kärntner

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Literaturarchiv nimmt in der Archivlandschaft der Kärntner slowenischen Litera-tur einen besonderen Platz ein. An der Gründung des Instituts hat mit Josef, Jozej Strutz, dem ehrenamtlichen Nachfolger Karl Dinklages, ein Kärntner Slowene mitgewirkt. Das Musil-Haus, das Geburtshaus Musils in der Bahnhofstraße 50, beherbergt zudem das der Kulturabteilung der Stadt Klagenfurt zugeordnete Robert-Musil-Literaturmuseum. Seit 2015 gehört das RMI/KLA zur Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Seine Trägerinsti-tutionen sind die Universität Klagenfurt, das Land Kärnten und die Republik Öster-reich, vertreten durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF), dieses vertreten durch den Rektor der Universität. Die Stadt Klagenfurt stellt die Räumlichkeiten zur Verfügung. Das RMI wurde 1994 unter der Leitung von Klaus Amann gegründet und 1997 im Musil-Haus als Forschungs-institut auf der Achse Klagenfurt-Triest-Ljubljana eröffnet. 1998 begann mit dem Literaturwissenschaftler, Autor und Übersetzer Fabjan Hafner (1966–2016) ein Kärntner Slowene am Institut zu arbeiten. Bei der Eröffnung am 6. November 1997 kam es zum Skandal. Neben Gert Jonke war der Kärntner slowenische Autor Florjan Lipuš als Eröffnungsredner geladen. Als Lipuš öffentlich erklärte, warum er auf Slowenisch schreibt, war dies Anlass genug für einen ÖVP-Stadtrat, die finanzielle Zusage für das unmittelbar nach der Eröffnung stattfindende Sympo-sium zu Florjan Lipuš zurückzunehmen. Die Begründung war, dass man das Haus auch dreisprachig (deutsch, slowenisch, italienisch) hätte eröffnen können.

Die Kleine Zeitung berichtete vom „Polit-Mief um Musil-Haus“ und „Wo fünf slo-wenische Sätze zuviel sind ...“. Dieser Skandal steht in einer Reihe längerer Skan-dalgeschichten rund um das Slowenische als Literatursprache in den 1990er-Jah-ren in Kärnten (vgl. Amann 2007, 59). Die Gründung des RMI/KLA bezeichnete dessen ehemaliger Leiter Klaus Amann als „wichtigstes Faktum für die Sichtbar-keit der slowenischen Literatur in Kärnten“ (Srienc 2017). Die Bestände des Lite-raturarchivs werden wie auch in anderen von Bund und Land unterstützten Archiven in der Regel vom Land Kärnten angekauft und dem Kärntner Literatur-archiv als Dauerleihgaben für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt. Zu den Aufgaben und forschungspolitischen Zielen des RMI/KLA ist die Erforschung der Literatur- und Kulturgeschichte Kärntens im Kontext des Alpe-Adria-Raums, der den Raum Kärnten-Slowenien-Friaul erfasst. Diese Ausrichtung ist strukturrele-vant für das Kärntner Literaturarchiv und seine Logik der Sammlung. Diese hebt es aus einem regionalen Rahmen heraus. Das Sammlungsprofil der Institution ist im Gründungsvertrag festgeschrieben und umfasst die Sammlung, Erschließung und Archivierung von Sammlungen, Vor- und Nachlassmaterialien sowie Doku-menten des literarischen Lebens in beiden Landessprachen, Deutsch und Slowe-nisch. Mit diesem wesentlichen, durchaus gesellschaftspolitischen Aufgaben-verständnis leistet das RMI/KLA seinen Beitrag zur Sammlung, Bewahrung,

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Würdigung und Förderung des kulturellen Gedächtnisses. Das Kärntner Literatu-rarchiv ist wie viele andere Archive auch „an Orte und Territorien, an spezifische Entstehungsbedingungen und Entstehungsabsichten gebunden und nur so les- und verstehbar“ (Lepper und Raulff 2017, VII). Zu den Bestands- bzw. Teilbe-standsbildnern im RMI/KLA im Kärntner slowenischen Kontext zählen unter anderen Florjan Lipuš, Janko Messner, Jani Oswald, Maja Haderlap, Prežihov Voranc, Peter Handke, Gustav Januš, das Verlagsarchiv von Hans Kitzmüller und Edizioni Braitan, die Sammlung Hans Widrich, der Splittervorlass von Boris Pahor und die Sammlung Josef Strutz.

Die Formation der Archive der Kärntner slowenischen Literatur ist aber weiter gestreut und umfasst auch politische Archive. Der Standort des mladje-Archivs, der wichtigsten Literaturzeitschrift der Kärntner Slowenen, befindet sich im Archiv des Slowenischen Wissenschaftsinstituts (SZI) in Klagenfurt. Dessen Bestände und Sammlungen speisen sich aus den Archiven der OF. Die Osvo-bodilna fronta (Befreiungsfront des slowenischen Volkes) war die politische Widerstandsorganisation Jugoslawiens gegen die Besatzung durch die Achsen-mächte. Im Archiv finden sich auch zahlreiche Pfarrarchive, Schularchive, Akten zur Opferfürsorge nach dem Zweiten Weltkrieg, Listen, Chroniken, Häftlingslis-ten aus Dachau, private Archive von wichtigen PersönlichkeiHäftlingslis-ten des politischen Lebens der Kärntner Slowenen, diverse private Nachlässe, Vereins archive sowie Archive von Verbänden, die nach 1945 gesammelt wurden. Die Bestände der Zeit-schrift mladje umfassen den Zeitraum 1960–1981 und entsprechen jenem Zeit-raum, in dem Florjan Lipuš deren Redakteur und Heraus geber war. Im Archiv befinden sich Korrespondenzen, Honorarabrechnungen, Manu- und Typoskripte.

Zu den Gründern dieser Zeitschrift zählt neben Erik Prunč und Karel Smolle auch Florjan Lipuš. Alle drei waren wie Peter Handke Zöglinge des bischöflichen Kna-benseminars in Tanzenberg. Der Stellenwert dieser Zeitschrift ist für den überre-gionalen Interaktionsraum besonders groß, schließlich wurden hier auch Texte aus der österreichischen und slowenischen Gegenwartsliteratur veröffentlicht, die programmatische Ausrichtung der Zeitschrift stellte Fragen nach Tradition und Moderne, nach Regionalismus und dem Verhältnis zwischen Literatur und Engagement (vgl. Strutz 1998, 11–31). Das mladje-Archiv übergab Florjan Lipuš an das SZI.

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