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A. Josef Azzonis Vorentwurf zum Codex Theresianus

2. Über seinen Vorentwurf

a) Methode der Ausarbeitung – Gliederung und Darstellung des Textes Unmittelbar im Anschluss an die erste Sitzung der Kompilationskommis-sion vom 7. Mai 1753 begann Azzoni im Einvernehmen mit den Beisitzern mit der Ausarbeitung eines Gliederungs-Plans. Nach nur vier Wochen lag der Kommission am 4. Juni bereits das Ergebnis vor.9 Um eine „Vorhersicht des ganzen Wercks gleichsam in einem Grund= Riß“ zu ermöglichen, legte er nicht nur die Gliederung10 des Stoffes – als „Kurzer Anblick“ über die Hauptteile und die darin enthaltenen Abhandlungen –, sondern auch eine erste inhaltliche Skizzierung des Entwurfs – als „Vorläufiger Innhalt dem-nächstigter Ver abfassung“ – vor.

Der Entwurf folgt mit der Differenzierung in vier Hauptteile – das „Recht der Personen“ (inklusive Familien- und Ehegüterrecht sowie Untertänig-keits- und Dienstverhältnisse), „der Sachen“ (einschließlich des Erbrechts als sachenrechtlichen Erwerbstitel) und „Verbindungen“ samt der „Ord-nung gerichtlichen Verfahrs“11 – dem klassischen Muster des römischen Institutionensystems. Auch in der weiteren Untergliederung des Stoffes in Abhandlungen und Abschnitte schlägt dieses Vorbild streckenweise durch, vor allem im ersten Teil. Modifikationen nahm Azzoni im Vermögensrecht vor, das er in ein „dingliches“ und ein „persönliches“ Sachenrecht als zwei-ten und dritzwei-ten Teil gliedert, wobei der dritte Teil mit dem Schuldrecht zur Verfahrensordnung im vierten Teil vielfältige Verbindungen aufweist. Ob

9 Siehe oben I.B.2.a (nach Anm 26), b (bei Anm 30) und c (bei Anm 32).

10 Siehe unten Edition I, fol.2 und 3. – Belege zur Gliederung bei Harrasowsky, Codex I 33, 54, 86, 140, 148, 169, 265; II 3, 37, 41, 60, 76, 98, 104, 126, 136, 156, 163, 201, 224, 256, 286, 343, 352, 368, 404, 432, 442, 451, 471, 475, 478, 487, 500, 518; III 3, 52, 119, 137, 195, 199, 204, 229, 244, 261, 278, 322, 336, 346, 380, 388, 400.

11 Vgl Loschelder 33 f.

die subtile Untergliederung12 ein konkretes Vorbild hat, ist in der Literatur bisher nicht näher erörtert worden.

Das damals in Mitteleuropa aktuellste Gesetzgebungsvorhaben, das

„Project des Corpus Juris Fridericiani … in Preußen“, das sich selbst als ein

„in der Vernunft und Landesverfassungen gegründetes Landrecht“, „wor-in … e„wor-in Jus certum und universale … statuirt wird“, verstand, scheidet – ungeachtet der im Titel zum Ausdruck gebrachten Charakterisierung sei-ner Zielsetzungen und Grundlagen, welche frappant an die im Umfeld der Initiativen zur Ausarbeitung des Codex Theresianus gebrauchten Formulie-rungen erinnern – als Vorlage jedenfalls aus.13

b) Inhalt

aa) Einleitung – Allgemeines

Azzoni beginnt seine Darstellung mit einer knappen Umreißung der Ge-setzgebungsmotive14 der Monarchin15 und der der Kommission vorgeschrie-benen Arbeitsmethode, wie sie in den Hofdekreten vom 14. Mai und 18.

Juni 1753 angeführt waren.16 Konkrete Rechtsquellen führt Azzoni in sei-nem Text nicht an, allgemeine Hinweise auf die zu seiner Zeit das geltende Recht prägenden Rechtstraditionen finden sich allerdings schon: Am häu-figsten sind solche Verweise (19) auf das „(gemeine) römische Recht“ oder auf „römische (Gesäz[e])“17; vereinzelt wird auf das Naturrecht (5)18 sowie das kanonische Recht (4)19, nur selten jedoch auf heimisches Gewohnheits-recht (3)20 hingewiesen.

Auf die knappe „Vorbemerckung“ zu Methode und Gliederung des Ent-wurfs lässt Azzoni im Anschluss an das Inhaltsverzeichnis eine weitgehend stichwortartig formulierte Skizzierung des „Vorläuffigen“ Inhalts für den auszuarbeitenden Zivilkodex im Umfang von insgesamt 120 halbseitig auf Vorder- und Rückseite beschriebenen Blättern folgen.

Der von Azzoni für dieses Projekt ausgearbeitete „Plan“ beschränkt sich aber nicht bloß auf eine Gliederung des künftigen Codex Theresianus, son-dern er stellt bereits erste Angaben über den künftigen Inhalt zur

Verfü-12 Überschriften bei Harrasowsky, Geschichte 51 ff, sowie bei demselben, Codex I (in Anmer-kungen am Beginn der einzelnen Kapitel) und bei Höslinger 72 f.

13 Die Gliederung des 1751 in Halle veröffentlichten Gesetzestextes zeigt jedenfalls keine Übereinstimmungen mit der Ordnung von Azzonis Vorentwurf zum Codex Theresianus.

14 Siehe unten Edition I, fol.1r.

15 Ebda fol.1v.

16 Siehe oben I.B.2.b (nach Anm 30) und d (bei Anm 41).

17 Siehe unten Edition I, bei fol.4v, 5r, 6r, 8r, 9r, 10v, 22r, 37v, 39v, 44v, 49v, 50r, 60v, 61r, 64r, 70v, 71r, 71v.

18 Ebda 1v, 6v, 10v, 20r, 49v, 61r.

19 Ebda 6v, 11v, 13v, 18r, 18v.

20 Ebda 1r, 8r, 17r.

A. Josef Azzonis Vorentwurf zum Codex Theresianus

gung. Insofern kann er also durchaus zu Recht als „Vorentwurf“21 charak-terisiert werden. Allerdings ist er von Azzoni nicht als „Verabfassung eines Gesazes“ verstanden worden, sondern sollte nur „zu einigmäßiger Voran-deutung künftigen Innhalts“ dienen.22

Die einzelnen Abhandlungen sind fortlaufend mit Anmerkungen über die dem Inhalt jeweils sachlich entsprechenden römisch-gemeinrechtli-chen Quellen versehen. Sie sind ausschließlich in lateinischer Sprache formuliert, so dass auch „die zur Rechts= Lehre gehörige[n] Ausdruckun-gen, und Worte in dem gewohnten Latein beÿgerucket“ sind, aber „nicht um dem Römischen Recht einen Vorzug, oder unmitelbaren Einfluß ein-zuräumen“, sondern um einerseits „darzuzeigen: welchergestalten alle sämtliche, und sich auf den deutschen Länder= Stand beziehende Rechts=

Lehre hier einbegriffen werde“. Andererseits dienen diese Anmerkungen aber vor allem auch dazu, „denen, so aus der Schule kommen“, also den Universitätsabgängern, welchen das Wissen um das in der Praxis ge-handhabte Recht noch fehlte, „einen Begrif dieses Erbländischen Rechts mitelst anleitlichen Einschaltung deren erlernten gemeinen Römischen Rechten“ zu erleichtern.

Überdies sollten die lateinischen Anmerkungen – wie oben erwähnt (I.B.2.e) – auch zum „besseren Verständnis“ des – grundsätzlich deutschsprachigen – Gesetzestextes beitragen.23 Sein Bemühen, lateinische Ausdrücke im Ent-wurf auszumerzen, hat Azzoni – anders als Holger – in seinem Text auch konsequent durchhalten können.24

bb) Personenrecht

Das Personenrecht wird von Azzoni, „so wie in Gemeinen Römischen, [und]

auch mehreren … anderen Rechten“, dem Stand „hergebrachter Rechts=

Lehre“ entsprechend“25 gegliedert und behandelt – unter Ausschluss von Handlungen obrigkeitlicher Gewalt in Vollziehung der Gesetze sowie von standesspezifischen Sonderrechten, etwa „Geistlicher“, „Lehensträger“ oder

„Kriegs= Leute“ – ausschließlich Gegenstände des allgemeinen Privatrechts und bezieht sich explizit auch nur auf Rechte von „Personen, … so in burger-licher Gesellschaft … leben“.26

Hierzu gibt Azzoni bei der Abhandlung „Von Stand der Menschen“ den Hinweis, dass zwar „alle für freije Menschen zuhalten“ seien, dass „jedoch

21 Brauneder, ABGB 212.

22 Siehe unten Edition I, fol.120r.

23 Ebda fol.4v f.

24 Ausgenommen der Terminus contractus (siehe unten Edition I, fol.41v, 49r, 49v, 50r, 50v, 57r), der im Schuldrecht regelmäßig als lateinisches Synonym neben dem deutschen Wort

„Verbindung“ Verwendung findet.

25 Siehe unten Edition II, fol.6r.

26 Siehe unten Edition II, fol.6r („Anmerckung“).

die Freijheit bei Leibeigenen gewißermaßen eingeschränket“27 wäre – ihnen ist auch eine eigene Abhandlung „Von Leibeigenen, und anderen Untertha-nen“ am Schluss des ersten Teils gewidmet.28

Die Abhandlung „Von Ehe= Verlobnussen“ beschränkt sich auf die vermö-gensrechtlichen Wirkungen der Eheschließung – also auf das Ehegüterrecht.

Azzoni bemerkt zu den persönlichen Rechtswirkungen zwar, dass diese Fra-gen „für das geistliche Recht“ gehörten, ergänzt aber, dass es „der weltlichen Gewalt“ unbenommen sei, der geistlichen Jurisdiktion auch „Maaß und Ziel zusezen“.29 Ähnliches gilt für Fragen der Verwandtschaft („Anverwand- und Sippschaft“), welche „theils zu dem geistlichen“ Recht gehörten, wie die Be-stimmungen über Ehehindernisse, sowie „theils zu dem offentlichen Recht“, wie die Bestimmungen über das Namensrecht.

Auch das Dienstbotenrecht sollte alles ausschließen, „was in Dienstord-nung und dießfällig offentliche Einrichtung einschlaget“.30

cc) Sachenrecht

Vom Sachenrecht explizit ausgeschlossen hat Azzoni auch Rechtsverhält-nisse an Sachen, „welche zu geistlichen Dingen gehören, oder damit eine Ge-meinschaft haben“, ferner solche des „offentlichen, oder innerlichen Staats=

Rechts“31 wie landesfürstliche Hoheitsrechte und Regalien, die Gerichtsor-ganisation und das Verwaltungs-, vor allem das Polizeirecht, das Finanz-recht (Aerar- und FiskalFinanz-recht) sowie das Handels- (oder Kommerzial)Finanz-recht.

Ausgenommen sind ferner Rechtsverhältnisse, die sich auf landesver-fassungsrechtliche Quellen bezogen wie ständische Ordnungen, Vorrech-te, Privilegien und Freiheiten. In einer Anmerkung zur Abhandlung „Von Erwerbung des Eigenthums durch das Natur= … Recht“32 schließt Azzoni außerdem die Regelung der Rechtswirkungen der „Ergreiffung der Sachen, so Niemandens seÿnd, oder durch Kriegs= Gewalt“ erbeutet wurden, als Ge-genstand des allgemeinen Privatrechts aus – ausgenommen die Frage, „in wie weit die Jagd, Fisch= oder Vogl= Fang zu Grund, und Boden, oder per-sönlichen Berechtigung gehörig ist.“

Azzoni weist diese allerdings den „landesherrlichen Vorrechten, folg-lich … dem offentfolg-lichen“ Recht zu, und scheidet sie damit als Gegenstände des allgemeinen Privatrechts ebenfalls aus.33

Bei der Abhandlung „Von Erbfolge aus lezten Willen“ weist Azzoni dar-auf hin, dass sich „hierinnen das gemeine Römische Recht in der Vorsicht

27 Ebda fol.9v.

28 Ebda fol.16v ff.

29 Ebda fol.11v.

30 Ebda fol.17v.

31 Ebda fol.18r („fernere Anmerckung“).

32 Ebda fol.20r f.

33 Siehe unten Edition I, fol.21r.

A. Josef Azzonis Vorentwurf zum Codex Theresianus

allen anderen [Rechten] bevorgethan“34 und „zugleich so viele Feÿerlichkeit erforderet“ habe, dass man in den Erbländern mit „sonderbaren Landes=

Gesäzen hievon nicht unbillich zum Theil abgegangen“ sei und sich „dem ungekünstleten Natur= …Recht in vielen Stucken“ angenähert habe.35 In Bezug auf die „Verjährung der Sachen, und Rechte“ bemerkt Azzoni, dass eine Wiedereinsetzung gegen eine „vollbrachte Verjährung … nicht den … Gerich-ten, wie beÿ den Römern, sondern … der höchsten Landes= Gewalt“36 vorbe-halten sei.

dd) Schuldrecht

Das Schuldrecht – „Recht der Verbindungen“ – hat Azzoni zwar „nach ge-as Schuldrecht – „Recht der Verbindungen“ – hat Azzoni zwar „nach ge-meiner Rechts= Lehre“ konzipiert, allerdings „nicht in jenem allzuweiten Verstand“37 wie die „Römische Gesäze“, welche „zuviel auf die Feÿerlichkeit gesehen“ haben, sodass „man sogar an gewiße Vorschrift … der Worte ge-bunden gewesen“ sei. Die „heutige Rechts= Lehre, so mehr dem natürli-chen … Recht, dann jener überflüssigen Haicklichkeit nachgehet“, habe nur

„die Verbindung selbst zum Augenmerck“, und gestatte auch auf eine viel bequemere, und ungezwungene Art „rechtliche Hilfe anzusuchen“.

Die aus „Verbindungen … entsprüngenden Rechts= Handlungen, oder darinnen gegründeten Rechts= Klagen“38 führt Azzoni bei den betreffenden besonderen schuldrechtlichen Bestimmungen bereits an, Einzelheiten zum gerichtlichen Verfahren39 bleiben aber dem vierten Teil des Entwurfs – „Von Rechts= Hülfe, und gerichtlichen Verfahrs“ – vorbehalten. Die allgemeinen schuldrechtlichen Bestimmungen sind aber auch mit den anderen beiden Teilen des Entwurfs, dem Personen- und Sachenrecht koordiniert, denn

„Rechtsforderungen … betreffen entweder die Personen nach dem Stand, oder die Sachen selbst“40

Folglich differenziert Azzoni die „Verbindungen, und Rechts= Forde-rungen“ nach „Ansprüchen aus dem Stand der Personen“41, „aus dem Ei-genthum, und anderen an Sachen haftenden Recht“42 sowie „aus erblichen Recht“43 und „persönlicher Verbindung“.44 Von der Unterscheidung nach rö-mischem Recht45 „in 4. Gattungen“, nämlich „blosse Vergleichungen“

(pac-34 Ebda fol.22r ff.

35 Ebda fol.22v.

36 Ebda fol.37v.

37 Ebda fol.39r.

38 Ebda fol.39v f.

39 Siehe unten 57 ff.

40 Siehe unten Edition I, fol.41r f.

41 Ebda fol.42v ff.

42 Ebda fol.44v ff.

43 Ebda fol.46r ff.

44 Ebda fol.48v ff.

45 Ebda fol.49r.

ta nuda) und „Contracten, benannte, und unbenannte“ (contractus nomi-nati, innominati), „so durch die Sachen, Worte, Schrift, und Einwilligung geschlossen werden“ (re verbis, litteris, consensu contractae) oder „Hand-lungen, so denen Contracten gleichen“ (quasi contractus), weicht Azzoni mit seiner Differenzierung der „Vergleichungen nach diesem allgemeinen Recht“ aber ab: Er modifiziert die starren Grenzen des römischen Rechts durch „eine natürliche Ordnung“, in welcher zwar „alle Vergleichungen … aus der Einwilligung“46 von Personen abgeleitet werden, jedoch „mit dem Unterscheid, daß entweder von den Vergleichenden einer allein dem ande-ren verbunden“ wird, wie bei Bürgschaft oder Schenkung und Leihe, oder auch „der andere in etwas ruckverbindlich werde“, wie bei Verwahrung und Hinterlegung bzw Verpfändung und Vollmacht, oder „beÿde gegeneinander zugleich, und hauptsächlich verbunden werden“, wie bei Tausch und Kauf oder Miete und Pacht sowie Gesellschaft, oder „ohne ausdrucklicher Ver-gleichung, aus Natur, und Eigenschaft des Geschäfts einer dem anderen haupt- oder ruckverbindlich“47 werde, wie bei Geschäftsführung und Vor-mundschaftsverwaltung bzw Gemeinschaft des Eigentums.

In Zusammenhang mit „Verbindungen, so aus Verbrechen entstehen“48, betont Azzoni, dass einige Delikte, „welche die Römer nicht für offentliche Laster gehalten“ haben, wie Diebstahl und Raub, „in der That gemeinschäd-lich und deswegen für öffentgemeinschäd-liche Verbrechen zu halten“ seien, und in Öster-reich daher auch der Bestrafung nach den Bestimmungen der Landgerichts-ordnung unterliegen.49

ee) Verfahrensrecht

Das Verfahrensrecht50 als vierter Teil befasst sich in insgesamt 22 Ab-handlungen51 zunächst mit Fragen der Zuständigkeit der Gerichte, dem Richteramt und den am Verfahren beteiligten Personen, insbesondere den Anwälten („Rechtsfreunden“);52 es folgen Bestimmungen über besondere Verfahrensarten53 – gütlicher Streitausgleich im Vorverfahren, beschleu-nigte Verfahrensarten (Besitzstreitigkeiten, Streitigkeiten in Bausachen, Wechselverfahren, Waisen und arme Personen betreffende Rechtssachen)

46 Ebda fol.49v.

47 Ebda fol.51r.

48 Ebda fol.64r.

49 Ebda fol.64r f.

50 Dazu Loschelder 33.

51 Fol.76 ff. – Auf inhaltliche Einzelheiten wird im Folgenden nicht eingegangen, der vierte Teil ist auch nicht Gegenstand der vorliegenden Edition. – Die Überschriften der einzelnen Abhandlungen und der jeweiligen Abschnitte sind abgedruckt bei Höslinger 72 ff.

52 Abhandlungen 1–4.

53 Abhandlungen 5 und 6.